[ox-de-raw] Copyright & Copyriot: Aneignungskonflikte
- From: Stefan Meretz <stefan.meretz hbv.org>
- Date: Fri, 6 Apr 2007 00:04:32 +0200
http://www.opentheory.org/immaterial_world_09/text.phtml
Erschienen in Streifzüge 39, April 2007 [http://www.streifzuege.org/]
Stefan Meretz
Copyright & Copyriot: Aneignungskonflikte
Sabine Nuss, PROKLA-Redakteurin, hat ihre Dissertation als Buch
[http://wbk.in-berlin.de/wp_nuss/dissertation] veröffentlicht. Es
handelt sich um ein Werk, um das die Debatte aktueller
Entwicklungstendenzen im »informationellen Kapitalismus« (Zitate aus
dem Buch, sofern nicht anders gekennzeichnet) nicht herum kommt --
leider bisher ohne größere Beachtung.
Die Autorin strukturiert ihr Buch in drei große Anschnitte. Im ersten
Teil eröffnet sie das Szenario mit einer Beschreibung der aktuellen
Aneignungskonflikte rund um digitale Informationsgüter. Dabei
konzentriert sie sich auf zwei divergente Praxen: File-Sharing und
Freie Software. Zentrale Auseinandersetzung ist dabei die um das
sogenannte »geistige Eigentum«. Nuss beschreibt die juristische und
technische Aufrüstung, die betrieben wird, um das exklusive Eigentum
digitaler Güter durchzusetzen.
Schwerpunkt und inhaltlich stärkster Bereich ist der zweite Teil des
Buches, in dem die Autorin einen historischen Abriss über die
Entstehung des Eigentums bis hin zum modernen bürgerlichen
Eigentumskonzept gibt. Überzeugend zeigt sie, dass die traditionelle
Geschichtsschreibung moderne Kategorien auf vergangene Praxen
rückprojiziert und damit den realen vormodernen Verfügungsformen nicht
gerecht wird. Zentrale ontologisierende Behauptungen werden auf diese
Weise von ihr dekonstruiert, etwa die Annahme, dass der Ausschluss
Dritter seit jeher konstitutiver Bestandteil von Eigentum war. Statt
einem Eigentumsrecht mit einem abstrakten Eigentumsbegriff und der
strikten Trennung zwischen Bedürfnis und Sachverfügung, handelte es
sich hingegen bei den vormodernen Formen eher um eine Art nicht
exklusives materiales Eigentumskonzept (eigene Begriffswahl) mit
zahlreichen verwandtschaftlich oder religiös strukturierten Weisen der
Verknüpfung zwischen Bedürfnissen und Verfügungen über eine Sache.
Interessant ist die Koinzidenz zwischen den Ergebnissen von Nuss auf dem
Gebiet des Eigentumsrechts und denen von Eske Bockelmann (»Im Takt des
Geldes«) in seiner Untersuchung über die Taktwahrnehmung. Erst die
Verallgemeinung der Waren- und Geldform als zentralem Element der
sozialen Vermittlung setzte mit der Realabstraktion im Tausch den Takt
als vom Material entkoppelten abstraktiven Taktrhythmus in der
Wahrnehmung durch. Die überkommene materiale Taktwahrnehmung mit all
ihren stofflichen und sozialen Bezügen überholte sich genauso wie eine
verantwortungseingebundene materiale Eigentumsvorstellung. Reste davon
scheinen in der leeren Floskel »Eigentum verpflichtet« noch heute
durch.
Doch während es Bockelmann gelingt, die zugrundliegende Transformation
im gesellschaftlichen Stoffwechsel hin zur Verallgemeinerung des
Äquivalententausches als Ursache und Antrieb für die Veränderung in
Wahrnehmung und Denken sichtbar zu machen, bleibt dies bei Nuss im
Dunkeln. Grund für diese Leerstelle in der Argumentation ist der
Eigentumsbegriff selbst. Mit dem Begriff »Eigentum« ist für die Autorin
nämlich letztlich alles gesagt. Wo bei Marx noch der Wert
die »gesellschaftliche Hieroglyphe« ist, ist es bei Nuss das Eigentum
als rechtsförmige Fixierung dieser Hieroglyphe. Zwar erklärt die
Autorin, Eigentum sei »keine Herrschaft über eine Sache«, sondern »eine
Beziehung zwischen Menschen bezüglich einer Sache ... ein soziales
Verhältnis« (123f). Doch wo kommt sie aber her, diese »Beziehung«?
Wodurch wird das soziale Verhältnis konstituiert? Diese Fragen stellt
sich die Autorin nicht. Sie wähnt, mit dem Begriff des bürgerlichen
Eigentums selbst schon den Schlüssel in den Händen zu halten.
In für mich irritierender Weise schreibt Nuss gleichwohl immer wieder
von »Vergesellschaftungsform« oder »Vergesellschaftungsweise« und
verweist gar auf die »Verwertung von Wert« als Prinzip, erklärt jedoch
bis zum Schluss nicht, was sie darunter versteht. Erst beim erneuten
Lesen fand ich den Grund für meine Irritation: »Bürgerliches Eigentum
ist ... bestimmt als ein historisch-spezifisches Produktions- und
Herrschaftsverhältnis, welches gekennzeichnet ist von der Trennung der
unmittelbaren Produzenten von den Produktionsmitteln und der Verwertung
des Werts als dominierender Zweck gesellschaftlicher Reproduktion«
(177). -- Hier werden Eigentum und basale Vergesellschaftungsform
verkehrt, denn umgekehrt wird ein Schuh draus: Nicht das »Eigentum« ist
die basale Kategorie, deren Kennzeichen eine spezifische
Vergesellschaftungsform ist, sondern die soziale Form der
Vergesellschaftung über das Wertverhältnis als realabstraktive Praxis
konstituiert das als Recht kodifizierte Verhältnis des abstrakten
bürgerlichen Eigentums. Mit dem durch die Eigentumsbrille verengten
Blick fallen in der Folge all jene Fragen aus, die sich auf das
zugrunde liegende Wertverhältnis als der konstitutiven
»gesellschaftlichen Hieroglyphe« beziehen könnten.
Daraus zieht die Autorin den Schluss, dass wer sich nicht in einem
bewusstem politischen Akt gegen das bürgerliche Eigentum richtet, doch
nur kapitalaffirmativ handelt. Den subversiven, ambivalenten und neue
Möglichkeiten eröffnenden Charakter Freier Software- und
Kulturbewegungen wird sie damit nicht gerecht. Im dritten Teil
zu »Entwicklungstendenzen im informationellen Kapitalismus« lässt die
Autorin folglich wenig gute Haare an Kritikerinnen und Kritikern
des »geistigen Eigentums«, da diese nicht das bürgerliche Eigentum in
Gänze in Frage stellten und etwa mit freien Lizenzen gleichfalls das
Urheberrecht und damit das bürgerliche Eigentumsrecht nutzen würden.
Sabine Nuss hat ihre Rolle als Kritikerin euphorischer Projektionen
neuer Entwicklungstendenzen im Informationskapitalismus erfüllt, und
dabei gibt es eine Menge zu lernen. Wenn andere dazu tendieren, die
sprengenden Momente eines Widerspruchs überzubetonen, dann steht sie
für die entgegengesetzte Sicht: Alles, was im Kapitalismus geschieht,
ist für diesen auch funktional. Dabei gerät jedoch gar nicht erst in
den Blick, ob der Kapitalismus in seinen basalen Reproduktionsformen
über Ware und Wert bereits Widersprüche erzeugt, die neue
Handlungsformen eröffnen. Wer hier weitergehen will, dem sei die
Ausgabe 31 der Zeitschrift krisis [http://www.krisis.org/] empfohlen.
Sabine Nuss, Copyright & Copyriot. Aneignungskonflikte um geistiges
Eigentum im informationellen Kapitalismus, Verlag Westfälisches
Dampfboot, Münster 2006, 269 Seiten, 19,90 Euro.
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