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[ox-de-work] Re: [ox-de-raw] Re: [ox-de] Request for Comments: Die Peer-Ökonomie



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* Hans-Gert Gräbe <hgg hg-graebe.de> [2007-10-13 22:17]:
Hallo Stefan,

Stefan Meretz schrieb:
HGG: Insbesondere kommen mir Fragen der
Verantwortungsübernahme, der Umgang mit "gebrochenen
Versprechen" usw. - kurz, die ganze Thematik von Buch 2 des BGB
- zu kurz. Will ich hier aber erst mal nicht weiter ausführen.
Christian: das Bürgerliche Gesetzbuch scheint es dir ja angetan zu haben 
;-) Aber natürlich ist das bürgerliche Recht aus den
Notwendigkeiten des Kapitalismus entstanden, und wird mit diesem
zusammen auch wieder verschwinden...
HGG: Nun, ganz so mechanisch sehe ich das nicht. Aber um's ins Konkrete zu 
wenden: Deine Reputation - als zentrale Kategorie in
deinem Text - ist (m.E.) vor deine allem akkumulierte Fähigkeit,
Versprechen auch zu halten, besonders vielleicht dann, wenn du eine
Task ersteigert hast. Wenn du die dann in den Sand setzt ... Auch
ist mir nicht klar, wie das bei deiner Auktion funktioniert, ob da
jede(r) für alles mitbieten darf oder offensichtlicher Fake
irgendwie aussortiert wird.
Aufgaben werden nicht "ersteigert", sondern bei einer bestimmten Gewichtung 
übernimmst du die Aufgabe oder lässt es bleiben. Eben um solche Fakes zu 
vermeiden.

Ich scheine mich nicht deutlich genug ausgedrückt zu haben. Also mal ein 
Beispiel - Klo putzen als unangenehme und deshalb über Auktion versteigerte 
Arbeitsaufgabe. Ob das Wort "Auktion", das Christian explizit verwendet, wie 
von dir ausgeführt, nicht angemessen ist, mag dabei zunächst dahingestellt 
sein.

Also Klodienst für Oktober (4 Termine) ist zu ersteigern. Zu den angegebenen 
"weighted hours" will's keiner machen. Also wird [Durch wen? Mit welchen 
Konsequenzen?] der Faktor L_k (Formel A.1, t=k für "Klo putzen") 
hochgesetzt, sagen wir wie auf einem Schieberegler. Alle schauen gebannt auf 
den Regler und ich (Person A) habe mir vorgenommen, dass ich bei L_k=1.47 
zuschlage und das Kloputzen übernehme.  Leider hat B bereits bei 1.45 
zugeschlagen und den ersten Termin übernommen, obwohl alle wissen, wie der 
das Klo putzt mit seinen zwei linken Pfoten. Ich schlage bei 1.47 für den 
zweiten Termin zu.

Und es kam, wie es kommen musste. B hat wieder nur das allernötigste gemacht 
[Gibt es für die einzelnen Tätigkeiten Qualitätsstandards und Service Level 
Agreements? Wer legt die ggf. fest und kontrolliert sie?] Kurz, ich musste 
das Klo zwei Stunden schrubben statt der veranschlagten einen Stunde [Was 
wird mit L_k multipliziert? Die wirkliche Zeit? Die durchschnittliche Zeit? 
Wenn letzteres, wie kann ich geltend machen, dass Kloputzen nach B mehr Zeit 
braucht als normal? Wem gegenüber?]

Ich hoffe, ich konnte deutlich machen, was schon in These (2) der 
Zusammenfassung meines Arbeitswertpapers steht: "Auf dem Markt treffen sich 
damit nicht 'Produkte voneinander unabhängig betriebner Privatarbeiten' (MEW 
23, S. 87), sondern gesellschaftliche Produzenten."

Und wenn du 'Markt' durch 'Auktionsplatz' ersetzt, dass sind wir bei 
Christians Modell. Die Tasks sind in keiner Weise unabhängig voneinander, 
auch wenn es "geschulte Warenmonaden" gar nicht anders denken können. Aber 
besser als Robert Kurz kann ich das Phänomen auch nicht beschreiben.

Das ist eine Leerstelle: Wie sieht die Verwaltung und Verfügung der Stunden 
aus? Aber zu deinem Beispiel: A und B haben in der Regel direkt nichts 
miteinander zu tun. Es geht hier nicht um Kauf und Verkauf. So etwas wie 
Vertragsschulden gibt es nicht (es sei denn auf einer wirklich persönlichen 
Ebene des Versprechens wie heute auch schon). Ob es eine Art Kredit geben 
kann (Entnahme ohne ausreichenden Beitrag), müsste das Projekt bzw. der 
Verteilungspool entscheiden.

"müsste das Projekt bzw. der Verteilungspool entscheiden" - spannende 
Perspektive. Ich frag mich, wie die das machen. Sorry, aber das ist nun 
wirklich Fetisch pur. Und komm mir bitte nicht mit der "Vollversammlung der 
Kommune" als Antwort - das skaliert nicht, wie der Informatiker sagt. 
Wenigstens nicht auf solche Dimensionen von Projekten, die Christian 
explizit im Auge hat.

Das sind die peanuts, die leichten Fälle. Es geht nicht primär um
"Vertrauensverstöße oder schwere Unzuverlässigkeit", sondern um den
Umgang mit der *prinzipiell* nicht zu vermeidenden Multioptionalität
von Zukunft. Das Hauptproblem der heutigen Versprechen ist ja, dass
sie erst morgen eingelöst werden.
Du sprichst die Frage der Revision von Zusagen an. Ja, es braucht einen 
Mechanismus, sich aus Zusagen zurückziehen zu können. Gerade wenn es keine 
Zwangsmittel mehr gibt wie wir sie heute kennen, ist es entscheidend, 
solche Regulationen von vorneherein vorzusehen.

Ich halte das nicht für eine bedauerliche Ausnahmesituation, sondern für den 
Regelfall. Und auch nicht um die Frage, Zusagen nur abzuwickeln, sondern es 
geht viel zentraler um die Modifizierbarkeit von Zusagen. Weil nämlich 
Absprachen nur so präzise sein können wie die heutigen Vorstellungen über 
das Morgen.

Und bereits in *dieser* Gesellschaft gibt es verschiedene Wertformen 
(Wertformen im Sinne meines Arbeitswertpapers verstanden - füge ich hinzu) 
für verschiedene solche Situationen: Etwa den Werkvertrag, wo vorher Umfang 
und "weighted hours" genau festgelegt werden und das ganze (für ihn 
wahrscheinlich überschaubare) Risiko auf der Auftragnehmerseite liegt. Oder 
aber Aufrechnung nach Aufmaß oder Stundenlohn - der "weighted factor" wird 
festgelegt und dann mit dem vorab nicht überschaubaren Materialeinsatz oder 
Arbeitsaufwand (im ersten Fall in Stückeinheiten, im zweiten Fall in 
Arbeitsstunden) multipliziert. Insofern war Christian nicht sehr 
erfindungsreich, was die Formen anbetrifft - *diese* Gesellschaft ist da 
schon bedeutend erfindungsreicher gewesen.

Nun, ob der so peinlich ist oder nicht schlicht meine These (3)
Die lautete:
"Web 2.0 is a new playground for MWW - the Male Western White."
Du sprichst damit das Thema Gender usw. an. 

Oh, Gender ist da nur das M. Und vielleicht hat es ja auch nicht mal so viel 
mit Gender zu tun, sondern unmittelbarer mit dem Dauerthema von u.a. 
Roswitha Scholz. Ob das in die Hülse "Gender" passt?

Btw. Web 2.0 hat nur entfernt mit Peer-Ökonomie zu tun. Also nix mit deiner 
vierten These: "Web 2.0 is a big leap towards communism". 

Hinweis auf These (0), in der Web 2.0 als Begriff im Kontext der vier Thesen 
gefasst ist.

Siehe auch http://www.oekonux.de/liste/archive/msg12635.html
sowie Original und kommentierte deutscher Übersetzung, 
http://www.dorfwiki.org/wiki.cgi?HansGertGraebe/CSSW07

Das ist in der Tat eine Kernfrage: Sind die gewichteten Stunden letztlich 
das Gleiche wie Geld?
Das spricht dagegen:
Geld ist Wertausdruck. Wert ist ein gesellschaftliches Verhältnis, dass im 
Tausch Arbeitsquanta in den getauschten Produkten vergleicht. Ohne Tausch 
kein Wert, ohne Wert kein Geld. Oder mit Marx: "Geld als Wertmaß ist 
notwendige Erscheinungsform des immanenten Wertmaßes der Waren der 
Arbeitszeit" (Kapital, 109)

Ich finde es immer wieder toll, wie bei dir die Dinge selbst agieren: "Wert 
ist ein gesellschaftliches Verhältnis, das(s) im Tausch Arbeitsquanta in den 
getauschten Produkten vergleicht." Marx nannte das - glaube ich - Fetisch 
oder so. Ich denke (noch immer), dass es die Menschen selbst sind, die 
vergleichen, dass also die Menschen in einem solchen Verhältnis stehen usw. 
Und wenn ich mal Holgers These vom 7.9.2007 "Wert realisiert sich im Tausch" 
(du hattest ihr nicht widersprochen) mit der - hoffentlich auch bei dir noch 
geltenden - Marxschen Annahme kopple, dass es sich dabei um irgendeine Form 
von Arbeitsaufwandrechnung  handelt, die sich in diesen Zahlen manifestiert, 
dann habe ich schon 80% der Wertform dieser Gesellschaft auf dem Tisch 
(allerdings in ihrer Realisierung zwischen unternehmerisch tätigen 
Subjekten, nicht aus der Lohnarbeiterperspektive!).

Tausch - füge ich sicherheitshalber hinzu - wie es Holger dort meinte, nicht 
in der Form "Gut gegen Gut", sondern "Gut gegen Geld", hier: 
Dienstleistungsgut (Klo putzen) gegen Gutschrift auf meinem Stundenkonto. 
Dass es in der spezifischen Form des Ersteigerns geschieht, ist da 
vollkommen zweitrangig.

Das spricht dafür:
Gewichtete Stunden vermitteln Beiträge und Entnahmen. Sie fungieren we Geld 
als "Zirkulationsmittel" (so heisst das im Fall des Kapitalismus).

Ich würde es eher Verrechnungseinheit nennen, das wird m.E. dem Charakter 
des "gesellschaftlichen Verhältnisses" gerechter. Hier "zirkulieren" die 
"weighted hours" ja nur als Bits zwischen den Konten der Teilnehmer.

Gewichtete Stunden können kumuliert werden und geleistete Anstrengungen als 
eine Art "Schatz" horten. Im Unterschied zur kapitalistischen Ökonomie wird 
mit der Schatzbildung der "Zirkulation" jedoch kein Wert entzogen, sondern 
sozusagen unentgolten vorgeschossen -- also genau der umgedrehte Fall, was 
die Auswirkung angeht (insofern eigentlich auch kein Pro-Argument).

Das verstehe ich nicht.

So viel mal eben zu deinen Kommentaren.

Viele Grüße, hgg



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