Hallo Stefan und Christian,
Stefan Meretz schrieb:
Ich finde es immer wieder toll, wie bei dir die Dinge selbst agieren:
"Wert ist ein gesellschaftliches Verhältnis, das(s) im Tausch
Arbeitsquanta in den getauschten Produkten vergleicht." Marx nannte
das - glaube ich - Fetisch oder so.
Richtig, you got it: Fetisch. Marx fand das auch "toll", seine
Liebungsworte dafür war "gespenstisch" und "verzaubert". Das verrückte ist
nur, dass du (und ein paar andere, die mir das auch schon schrieben),
offensichtlich meine _Darstellung_ für den Fetisch halten und nicht die
_Sache_ selbst. So wurde und wird Marx immer wieder gelesen: Als ob der
Fetisch etwas ist, auf den man reinfallen könne, wenn man nicht klug genug
ist, ein Schein, den man als Kluger durchschauen und _damit_ los werden
könne.
"So wurde und wird Marx immer wieder gelesen" - nun, es tröstet mich, dass
ich da nicht allein auf weiter Flur bin. Ob das mit dem "reinfallen" dem
entspricht, was dieses ominöse Passivum ("wird gelesen") dort bei Marx
rausliest, sei dahingestellt bei meiner ersten Feststellung - nämlich, dass
es offensichtliche Differenzen zwischen der Meretzschen und der Gräbeschen
Interpretation (auch) dieses Marxschen Gedankens sind.
Ob die Meretzsche die "wahre" ist und es für einen Dialog (so überhaupt
gewünscht)
mit der - hoffentlich auch bei dir noch geltenden - Marxschen Annahme
kopple, dass es sich dabei um irgendeine Form von
Arbeitsaufwandrechnung handelt, die sich in diesen Zahlen
manifestiert,
Sorry, das ist keine Marxsche, sondern -- wer es gelesen hat, erkennt es
sofort -- eine Rubensche Annahme, die ich anderswo als bürgerliche
Ökonomietheorie bezeichnet habe, ...
hilfreich ist, die Rubensche oder Gräbesche auf diese Weise als
Abweichungen, wovon auch immer, zu kennzeichnen - auch das sei
dahingestellt.
Zum Glück sind die Marxschen Aussagen über den Fetisch überschaubar, so dass
sich jede(r) selbst ein Bild machen kann - als zentral ist wohl der
entsprechende Abschnitt 4 in (MEW 23, Kap. 1) zu betrachten, den ich hier
mal als bekannt voraussetze, da er ja auch online gut verfügbar ist, etwa
unter http://www.mlwerke.de/me/me23/me23_049.htm
Zentral deshalb, weil Band 1 bekanntlich die älteste originär Marxsche
Behandlung des Gegenstands enthält, während die späteren Kapitalbände von
Engels aus früheren Marxschen Entwürfen compiliert wurden.
Auch das "Rätsel des Geldfetischs" als "das sichtbar gewordne, die Augen
blendende Rätsel des Warenfetischs" (ebenda, S. 108) - nach mehreren Seiten
quantitativer Überlegungen, was denn "x Ware A = y Ware B" bedeutet - wird
auf diese Textstelle zurückgeführt. Ehe es im 3. Kapitel dann endgültig um
das "Maß der Werte" geht. Wobei ich mit Ruben mitgehe, dass Marx beim
"Rätsel des Geldfetischs" selbst der Wirkung des Fetischs aufsitzt, denn das
"Rätsel" hat eine (für mich) einfache Auflösung: Geld ist *keine* Ware,
sondern eine Verrechnungseinheit. Und zwar schon allein deshalb, weil Geld
keinen Gebrauchswert (in einer m.E. einzig sinnvollen Semantik) hat - kein
menschliches Bedürfnis unmittelbar zu befriedigen vermag.
Womit wir bei der Frage mit dem "reinfallen" sind. Marx macht im
Fetischkapitel selbst vor, worauf es ankommt - eine Differenz zwischen der
realweltlichen Wirkung und deren theoretischer Reflexion zu machen, also
hinter ein oberflächliches Erscheinungsbild zu kommen, welches den
Alltagsverstand prägt.
"So stellt sich der Lichteindruck eines Dings auf den Sehnerv nicht als
subjektiver Reiz des Sehnervs selbst, sondern als gegenständliche Form
eines Dings außerhalb des Auges dar. Aber beim Sehen wird wirklich Licht
von einem Ding, dem äußeren Gegenstand, auf ein andres Ding, das Auge,
geworfen."
Ähnlich gilt es, nach meiner Lesart von Marx, bei der Ware *beide*
Perspektiven - die oberflächliche, dingliche, "sinnlich übersinnliche"
Wertbehaftung und das dahinter liegende, sich gesellschaftlich vermittelnde
Arbeitsaufwandsmaß - theoretisch im Auge zu behalten.
"Es steht daher dem Werte nicht auf der Stirn geschrieben, was er ist. Der
Wert verwandelt vielmehr jedes Arbeitsprodukt in eine gesellschaftliche
Hieroglyphe." Sehr verquaste Ausdrucksweise, aber das ist für mich der Kern
- Fetisch heißt, das Medium (hier: das Arbeitsprodukt) für die Botschaft zu
halten.
Wie es für mich weitergeht, das kannst du in meinem Arbeitswertpaper
nachlesen - Wert als dezentrale Aufwandsrechnung, deren vorläufiger
Charakter im Verkaufsakt seine gesellschaftliche Sanktionierung erfährt, so
dass sich die "Hieroglyphe" als Anhängsel der berühmten Göhringschen Tasse
Kaffee nach einem 'unzip' als lange Rechnung von zehntausenden Teilen und
produktiven Akten erweist, die mit dem Kaffee und der Tasse alle irgendwie
zu tun haben und alle irgendwann eine Bestätigung erfahren haben. Und die du
als Konsument normalerweise nicht entpackst, als Produzent aber schon
teilweise, denn du musst ja selbst eine satisfaktionsfähige Rechnung
erstellen. Kurz, ein in sich unteilbares gesellschaftliches Verhältnis, weil
jede individuelle Weiterführung einer Aufwandsrechnung der Bestätigung
bedarf und sich deshalb an allen anderen bestätigten und unbestätigten
Aufwandsrechnungen orientiert:
Ich hoffe, ich konnte deutlich machen, was schon in These (2) der
Zusammenfassung meines Arbeitswertpapers steht: "Auf dem Markt treffen
sich damit nicht 'Produkte voneinander unabhängig
betriebner Privatarbeiten' (MEW 23, S. 87), sondern
gesellschaftliche Produzenten."
Und damit sind wir dann schon bei der zweiten Frage zum Fetischkapitel, das
ja in einer arg verquasten Sprache geschrieben ist und damit (mir) deutlich
macht, dass Marx da selbst noch nicht so ganz mit sich im Reinen war. Bleibt
zu fragen, ob nach über 150 Jahren ein paar Voraussetzungen, die Marx dort
implizit reingesteckt hat, sichtbarer geworden und vielleicht auch zu
hinterfragen sind.
Und das sind für mich wenigstens die folgenden:
(1) Die Ausführungen orientieren sich daran, dass das Aufwandsmaß seiner
Natur nach ein Zeitmaß sei - ich spare mir, hier zum x-tem Mal (MEW 42, S.
592) zu zitieren;
(2) Die Ausführungen sind primär aus der Lohnarbeiterperspektive geschrieben
- "Proletarier aller Länder, vereinigt Euch" sowie die Verdammung jeglichen
unternehmerischen Handelns sind die analytischen Konsequenzen, die sich im
Traditionsmarxismus zu dicken blinden Flecken gemausert haben.
(2) führt dann zu Formulierungen wie der folgenden:
"So war es nur die Analyse der Warenpreise, die zur Bestimmung der
Wertgröße, nur der gemeinschaftliche Geldausdruck der Waren, der zur
Fixierung ihres Wertcharakters führte. Es ist aber ebendiese fertige Form -
die Geldform - der Warenwelt, welche den gesellschaftlichen Charakter der
Privatarbeiten und daher die gesellschaftlichen Verhältnissen der
Privatarbeiter sachlich verschleiert, statt sie zu offenbaren. Wenn ich
sage, Rock, Stiefel usw. beziehen sich auf Leinwand als die allgemeine
Verkörperung abstrakter menschlicher Arbeit, so springt die Verrücktheit
dieses Ausdrucks ins Auge. Aber wenn die Produzenten von Rock, Stiefel usw.
diese Waren auf Leinwand - oder auf Gold und Silber, was nichts an der Sache
ändert - als allgemeines Äquivalent beziehn, erscheint ihnen die Beziehung
ihrer Privatarbeiten zu der gesellschaftlichen Gesamtarbeit genau in dieser
verrückten Form."
Mit den "Produzenten von Rock, Stiefel usw." ist aber ganz klar die
Lohnarbeiterperspektive eingenommen, während der "gemeinschaftliche
Geldausdruck der Waren" den - wie auch immer zustande kommenden -
Preisfestsetzungen der Unternehmer entspringt, die (m.E. ganz sicher - siehe
die Ausführungen zu roten und grünen Stellen im Arbeitswertpaper) einer
anderen Logik folgen.
Dass es sich allerdings bei dem Wertverhältnis um ein ganzheitliches
gesellschaftliches Verhältnis handelt, von dem man nicht einzelne
Komponenten abspalten kann, davon gehe ich aus. Insofern
Ich bin die drei Funktionen des Geldes von Marx durchgegangen, wie dir
vielleicht aufgefallen ist, und finde die Bezeichnungen auch genauer.
und Christian
Bilanzierend: Wie sieht's also bei Beiträgen (gewichteten Stunden) mit den
drei von Stefan erwähnten Funktionen des Geld hat?
1. Zirkulationsmittel: ja (aber nur im Rahmen einer Kooperationseinheit)
2. Schatz: jein, nur in eng begrenzten Maße
3. Kapital: nein
Es gibt also Gemeinsamkeiten, aber die Unterschiede sind unübersehbar. Wer
trotzdem Beiträge == Geld setzt, wird das Modell des "die Arbeit aufteilen"
(effort sharing) nicht wirklich verstehen (wie auch HGG mit seiner neuen
Mail demonstriert).
Eine solche selektive Auswahl des "best of" kann es m.E. in einem
praktischen Kontext nicht geben, allein möglicherweise eine andere Dynamik.
Und das lassen auch die Gleichungen in meinem Arbeitswertpaper erhoffen. Das
"freie Spiel der Marktkräfte" führt aber immer zur Lösung mit dem
betragsmäßig größten Eigenvektor, so wie es immer nur die wahrscheinlichste
der möglichen Zukünfte vorbereitet. Alles andere bedarf außerökonomischer
Restriktionen, um in einen stabilen Modus derselben ökonomischen Gesetze bei
einem anderen Eigenwert zu kommen - die sicher auch den infrastrukturellen
Reproduktionsbedingungen einer "Peer-Ökonomie" entspringen können.
Aber dazu wären eher diese äußeren Existenzbedingungen einer "Peer-Ökonomie"
aufzuklären als die inneren Bewegungsgesetze. Deshalb auch meine Frage nach
den Prämissen der Peer-Ökonomie. Und eine hat Christian dankenswerterweise
sehr deutlich formuliert:
Jeder solche "Kooperationseinheit" ist schließlich nichts anderes als
ein "Arbeits-Aufteilungs-System": die für die Produktion der von den
Teilnehmenden gewünschte Arbeit wird unter den Teilnehmern _aufgeteilt_,
und zwar in einer Weise die für alle akzeptabel sein
sollte. Die Teilnehmenden dieser Kooperationseinheit haben von
_außerhalb_ geleisteter Arbeit aber nichts -- die Arbeit, die
aufgeteilt werden muss, wird dadurch nicht weniger. Deshalb wirst du
in einer _anderen_ "Kooperationseinheit" geleistete Arbeit
normalerweise nicht importieren können.
Deine Brötchen musst du also mitbringen. Wird Benni aber traurig sein.
Insofern wärer es also mal interessant, bestehende Projekte mit Ansätzen
einer Peer-Ökonomie zu studieren. Am 19.10. habt ihr dazu in Berlin
Gelegenheit. Wir schauen uns das am 24.10. in Dessau direkt vor Ort an.
Viele Grüße, hgg