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[chox] IMI 2002



Eine neue Friedensbewegung?
 



Entgegen dem Vorurteil, die Friedensbewegung sei ausschließlich ein
ethisches Unterstützungskommando der deutschen Außenpolitik, stellte die
„Informationsstelle Militarisierung“ (IMI) auf ihrem diesjährigen Kongress in
Tübingen trotz des bevorstehenden Irakkrieges die deutsche Kriegs- und
Militärpolitik in den Mittelpunkt ihrer Kritik. 


Monsterinsel

Mal angenommen man wäre neu in der deutschen Linken und käme auf die Idee,
sich ein Bild von der deutschen Friedensbewegung zu verschaffen, hätte zu
diesem Zweck aber nur Zeitschriften wie „Bahamas“ oder „Jungle
World“ zur Verfügung. Unweigerlich entstünde vor dem geistigen Auge
eine politische Horrorvorstellung. Man sähe sich von einer massenhaften Kolonne
deutscher Friedensfreunde und Freundinnen umzingelt, in der vereint im Hass
auf Israel und die Vereinigten Staaten von Amerika Walserianer und
Möllemänner, rechte und alternative HeimatschützerInnen sowie GegnerInnen der
Finanzspekulation einträglich mit der Bundesregierung marschierten. Spekulierte man
über die Agenda bei einem Meeting im Umkreis dieser unappetitlichen
Gesellschaft, so ließe sich als großes Überthema wohl nur die von Finanzkapital und
jüdischer Lobby gesteuerte Weltherrschaftspolitik der USA, dicht gefolgt von der
Thematisierung der imperialistischen Sperrspitzenfunktion Israels und
schließlich die Hervorhebung deutscher Friedenskompetenz vermuten. Beim wirklichen
Kongress der IMI, welcher vom 9. bis 10. November unter dem Titel
„Deutschland und die Bundeswehr als globaler Akteur“ mit etwa 100
Teilnehmenden stattfand, ging es nur sekundär und in Form nüchterner, materialistisch
geerdeter Analysen um die Außenpolitik der USA. Israel war vorrangig in Form
eines ausgelegten Flugblatts aus dem Umkreis der IMI Thema, in welchem sein
Existenzrecht verteidigt und linker Antisemitismus in den Reihen der
Friedensbewegung angeprangert wurde. Um Deutschland ging es dann allerdings in besonderem
Maße. Jedoch wurde nicht im Sinne des oben geschilderten Vorurteils die
deutsche Kriegsskepsis mit einer Feierstunde begangen, sondern ihre Substanz und
ihre Hintergründe in den Mittelpunkt von Analyse und Kritik gerückt. 


Deutschland als globaler Akteur

Von der ersten bis zur letzten Veranstaltung zeigte sich, dass man in
IMI-Kreisen weit davon entfernt ist, die ablehnende Haltung der Bundesregierung
gegenüber einer Militärintervention im Irak als Ausdruck philanthropischer
Gesinnung oder Überbleibsel historisch motivierter Selbstbeschränkung zu
interpretieren. Die deutsche Außenpolitik will die Gegenmachtbildung und strebt in
diesem Zusammenhang eine andere, mit den US-amerikanischen Interessen im
Widerspruch stehende geopolitische Neuordnung des Nahen Ostens an. Dabei sind es
nicht in erster Linie die wirtschaftlichen Beziehungen zum Irak, sondern
vielmehr die Befürchtungen, dass nach Bagdad mit dem Iran ein potenterer Partner der
deutschen Exporteure ins Fadenkreuz der USA gerät, die für die gegenwärtige
Anti-Kriegshaltung handlungsleitend sind. 
Allerdings stellte bereits bei der Auftaktdiskussion über die
„Szenarien der Bundeswehr im Krieg gegen den Terror“ und besonders bei einer
folgenden über die „Deutschen Interessen im
„Antiterror-Krieg“ der Referent Tobias Pflüger, IMI-Vorstand und eine Art intellektuelles
Aushängeschild des Veranstaltervereins, klar, dass nur mit Blick auf die
Interessen der Exportwirtschaft in Vorderasien, die deutschen Großmachtstrategien
nicht zu verstehen sind. Andere Teilnehmende wiesen in diesem Zusammenhang
daraufhin, dass Deutschland die Hälfte seiner Exporterlöse auf Dollarmärkten
realisiert. Der deutsch-amerikanische Waren- und Finanzaustausch inklusive der
kapitalverflechtenden Direktinvestitionen übersteigt das Handels- und
Investitionsvolumen Deutschlands mit dem gesamten Nahen Osten um ein Vielfaches. Dass
deutsche Außenpolitik neben politischen und militärischen Eigendynamiken vor
allem aus den unterschiedlichen, oft auch widersprüchlichen Anforderungen
nationaler und transnationaler Kapitalfraktionen resultiert, ließe sich auch am
Verhalten der Wirtschaftslobbyisten beobachten. So lädt der
Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der deutschen Industrie, Ludolf von Wartenberg, die
Vertreter von Politik und Wirtschaft nicht nur zu Gesprächsrunden in den Nah-
und Mittelostverein ein, sondern appelliert parallel dazu in der
„FAZ“ an die Bundesregierung, „sich auf die gemeinsamen Werte und
traditionell engen Beziehungen mit den Amerikanern“ zu besinnen. Die
Vermittlung der differenzierten Interessenstruktur läuft demzufolge nicht auf einen
eindimensionalen Weg deutscher Machtprojektion hinaus. Die Optionenvielfalt
könne man laut Pflüger an den unterschiedlichen „Hüten“ erkennen,
die sich die Bundeswehr bei ihren weltweiten Interventionen aufsetzt. Ob im
UN-, NATO-, EU- oder ad hoc-Einsatz, entscheidend sei das Ziel der Einfluss-
und Kompetenzerweiterung. Letztendlich ist auch das „nein“ der
Bundesregierung zum Irakkrieg nur ein halbherziges „ja“. Deutschland
wird de facto mit dabei sein und die Invasion unterstützen. Sei es durch die
Entlastung amerikanischer und britischer Kapazitäten in Afghanistan oder die
fortdauernde Stationierung der ABC-Abwehrkräfte in Kuwait. Es wird versuchen,
die eigenen militärischen Handlungsoptionen auszuweiten sowie die bisherigen
Mitspracherechte und Einflusszonen zu sichern. 


Vom Stand der Großmachtrivalität

Unter der Prämisse „Einflusserweiterung“ ist auch die Zustimmung
der Deutschen zur geplanten NATO-Eingreiftruppe wahrscheinlich. Obwohl diese
auf eine erneute Anerkennung US-amerikanischer Weisungsbefugnis hinausliefe.
Das Verhältnis von Konflikt und Kooperation in den transatlantischen
Beziehungen bestimmte dann insbesondere die Veranstaltung mit dem Titel „Die
USA und die militarisierte Europäische Union: Partnerschaftliche Führung der
Welt oder Rivalität zwischen zwei Großmächten?“, die vom zweiten
herausragenden IMI-Primus Jürgen Wagner eingeleitet wurde. Erneut wurde deutlich,
dass die Kritik der amerikanischen Weltordnungspolitik immer in Relation zu den
deutsch-europäischen Machtambitionen thematisiert wurde. Entgegen der auch
auf dem Kongress oftmals artikulierten These, das Weltsystem werde vom
Konflikt zwischen den USA und den europäischen Staaten vollständig determiniert,
sprach der Referent die Existenz gegenläufiger Tendenzen an. Sicher sei eine
Zunahme transatlantischer Konflikte zu beobachten. Im geopolitischem Bereich
dreht sich die Rivalität um die Frage, wer Schutzmacht in Osteuropa wird.
Ökonomisch konkurriert man um Weltgeld und Absatzmärkte. Und militärisch versucht
die USA die europäischen Unabhängigkeitsbestrebungen zu torpedieren. Aber
nicht nur die USA halten ihr Angebot, dass sich Deutschland als Juniorpartner an
der Weltordnungspolitik beteiligt für plausibel. Wagner zitierte mit Jens van
Scherphenberg einen Vertreter der Position, die für das deutsche Vorankommen
im Windschatten der USA steht. Immerhin gewährleisten die Vereinigten
Staaten nach Meinung des Mitarbeiter der SPD-nahen „Stiftung Wissenschaft und
Politik“ in Gestalt der Pax Americana mit der Aufrechterhaltung der
kapitalistischen Weltordnung ein globales öffentliches Gut und wären in dieser
Funktion derzeit nicht ersetzbar. Trotz der Zunahme von Konflikten, stünde
ein innerimperialistischer Showdown derzeit nicht bevor. Wie könne man sonst
erklären, so Wagner, dass die dominante Weltmacht die nächstfolgenden
Großmächte fortwährend zur Verstärkung ihrer militärischen Fähigkeiten auffordert? 


Papiertiger Bundeswehr?

Erst jüngst rügte NATO-Generalsekretär Robertson den zu niedrigen deutschen
Militärhaushalt. Zwar lässt sich die Militarisierung der Außenpolitik nicht
bezweifeln, immerhin ist Berlin mit 10000 Einsatzkräften zweitgrößter
Truppensteller im internationalen Maßstab, doch eine mit dem Flottenwettrüsten im
Vorfeld des 1. Weltkrieges vergleichbare Dynamik ist bei weitem nicht belegbar.
In allen Medien der Republik beschweren sich deutsche Soldatenverbände über
die dramatische Kassenlage. Der „Spiegel“ berichtet von der
Fernmeldeschule des Heeres im bayerischen Feldafing in der nur noch behelfsmäßig
eingesetzte Eichenstämme verhinderten, dass den SoldatInnen die Hörsaaldecke
auf den Helm kracht. Der Jugendoffiziersausbilder Kai Samulowitz, nach
Eigeneinschätzung ein Linker, der in der Bundeswehr den Marsch durch die
Institutionen angetreten hat, illustriert auf dem IMI-Kongress die Lage mit der
Information, dass die deutsche ISAF-Truppe in Kabul den Bundeswehreinheiten in
Mazedonien die Heizlüfter abkommandierte. Der Wirtschaftskrise sei dank, für den
ganz großen Zapfensstreich reicht es demzufolge in naher Zukunft noch nicht.
Jedoch wies IMI-Mitglied Lühr Henken mit zwei äußerst faktenreichen Vorträgen
nach, wie trotz angespannter Haushaltssituation die Bundeswehr über den
effektiveren Einsatz ihrer Mittel und unterstützt von wachsenden Einnahmen aus dem
Rüstungsexport zu einer modernen Interventionsstreitmacht umgebaut wird, der
in 20 Jahren modernste Aufklärungs- und Angriffswaffensysteme zur Verfügung
stehen. 


Anschluss oder Ausschluss?

Es mag ein billiger Trick sein. Beim eingangs tiefschwarz gezeichnetem
Vorurteil muss fast jede Realität ein stückweit heller und freundlicher
erscheinen. Damit es nicht als propagandistische Blendung erscheint: Selbstverständlich
bot auch der IMI-Kongress einigen Anlass zur Kritik. In einigen Statements
zeigte sich ein unkritischer Optimismus angesichts der mehrheitlichen
Ablehnung in der deutschen Bevölkerung gegenüber einer Militärintervention im Irak.
IMI-Vorstand Pflüger hielt sofort dagegen, dass die gegenwärtigen
Meinungsverhältnisse nur bedingt als Resonanzboden einer linken Kriegsgegnerschaft zu
betrachten sind. Es komme darauf an, sehr genau zu betrachten, aus welcher
Motivationslage sich die kriegsskeptischen Haltungen ergeben. Schlimmer wurde die
Sehnsucht nach dem Subjekt „Volk“, wenn sie nicht naiver
Gutgläubigkeit entsprang, sondern sich als Ausdruck einer überholten marxistischen
Gesellschaftssicht entpuppte. Danach seien es die Herrschenden, welche im
Auftrag der konkurrierenden nationalen Kapitale gegen die Interessen der Völker
Kriege führen und deren Zustimmung allerhöchstens über den manipulativen
Mediengebrauch erlangen könnten. Der in solchen Fällen zu vernehmende Widerspruch,
welcher auf die Identifikation der Individuen mit Nation und Kapital, auf die
durch die Menschen hindurchgehende Reproduktion von Ab- und
Ausgrenzungsideologien hinwies, bekam in allen Fällen den lauteren Beifall. Ähnlich das
Publikumsverhalten gegenüber dem fast schon schüchternen Versuch, an der Legende
zu stricken, dass es in Deutschland öffentlich nicht möglich ist, Kritik an
der israelischen „Besatzungspolitik“ zu formulieren. Auch hier
wurde postwendend sichtbar, dass solche Positionen in IMI-Kreisen auf dünnem Eis
stehen. Überhaupt hatte man den Eindruck, der Kongress repräsentierte nicht
nur die thematische Auseinandersetzung sondern auch eine Art Generationenbruch
in diesem Teil der Friedensbewegung, in Folge dessen sich eine von
antinationalen Debatten beeinflusste Fraktion durchsetzt. In Zeiten, wo für nicht
unrelevante Teile der hiesigen Linken das Stichwort
„Friedensbewegung“ nur noch im Feindbildraster existiert, schon dessen Nennung das Ende der
Debatte markiert, bevor diese begann, wird diese Entwicklung wohl kaum zur
Kenntnis genommen. Deshalb die Schwarz-Weiß-Kontrastierung, hinter welcher die
Hoffnung steckt, dass ein positiver Aha-Effekt die Ausmaße denunziatorischer
und identitätsversessener Streitkultur glättet und am Anfang einer inhaltlichen
Auseinandersetzung mit linken Positionen in der Friedensbewegung steht. 

== Udo Schneider (BgR Leipzig) 

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