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[chox] TELEPOLIS: Herstellung von Konsens



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Herstellung von Konsens

Oliver Frommel   28.06.2003 

Noam Chomskys Theorie der kapitalistisch gleichgeschalteten 
Massenmedien 

Die zunehmende Medienkonzentration [1] bietet immer wieder Anlass zu 
Grundsatzdiskussionen, so aktuell zu der Lockerung der 
Medienkartellgesetze in den USA [2]. Die von den Gegnern dieser 
Liberalisierung befürchtete einseitige Manipulation der öffentlichen 
Meinung ist freilich für andere längst Realität. So beschreibt Noam 
Chomsky seit vielen Jahren die Herstellung von Konsens [3] durch 
gleichgeschaltete Massenmedien. Eine Zusammenstellung ins Deutsche 
übersetzter Texte ist jetzt unter dem Titel "Media Control" erschienen. 

Genau genommen betreibt Chomsky nichts anderes als kommunikations- und 
politikwissenschaftliche Studien. Er macht dabei zwar keinen Hehl aus 
seinem politischen Anspruch, unterwirft sich aber trotzdem den üblichen 
"objektiven, wissenschaftlichen" Standards. Dazu bedient er sich sowohl 
qualitativer, als auch quantitativer Methoden, die er in seinem Buch 
detailliert darlegt. 

So versucht er zunächst ähnlich beschaffene Fälle zu finden, 
beispielsweise Menschenrechtsverletzungen in anderen Ländern, und 
vergleicht dann Umfang und Inhalt der Berichte in amerikanischen 
Medien. Dabei stellt er jeweils einen Fall, in den ein - vereinfacht 
ausgedrückt - amerikakompatibles Land verwickelt ist, und den eines 
Landes mit einem inkompatiblen System, gegenüber. Das wären 
beispielsweise ein Land, das eine tendenziell kapitalismusfreundliche 
"Demokratisierung" anstrebt, gegenüber einem, in dem es Ansätze 
sozial(istisch)er Politik gibt; oder es geht um rivalisierende Gruppen 
innerhalb eines Landes, die sich aber entsprechend den Interessen der 
US-Regierung zuordnen lassen (z.B. El Salvador gegenüber Nicaragua oder 
Kambodscha gegenüber Osttimor). 

In allen betrachteten Fällen stellt Chomsky fest, dass die 
Berichterstattung unter dem Strich ungünstiger für das zweite Land 
ausfällt: über die Gräueltaten der "Feinde" wird immer ausführlicher 
und negativer berichtet als über die der befreundeten Staaten oder 
Gruppen. Umgekehrt verhält es sich natürlich bei den Berichten über 
"verdienstvolle Handlungen" (Chomsky). In dieser Weise wird dann auch 
in der Öffentlichkeit gegebenenfalls der Boden für eine Intervention 
der USA bereitet, sei es über mehr oder weniger verdeckte oder offen 
militärische Aktionen. Ähnlichkeiten zum Irak-Krieg dürften nicht 
zufällig sein. 

Subtile Form der Gleichschaltung 

Die reine Faktenlage wird von Chomskys Gegnern nicht bestritten, sehr 
wohl jedoch deren Interpretation. Mit einigen Einwänden beschäftigt 
sich Chomsky in "Media Control". Die Kritiker verweisen auf den Zufall, 
die Überfülle an täglichen Informationen und die generelle Überlastung 
im Nachrichtengeschäft, die Ursache solcher Verzerrungen seien. Chomsky 
dagegen glaubt an eine, wenn auch nicht unbedingt bewusste, Strategie 
der Medienmacher. So sei eine tendenziell regierungsfreundliche 
Berichterstattung längerfristig besser für die Wirtschaft und damit 
auch für die Medienkonzerne selbst. 

Es drängt sich bei der Lektüre die Frage auf, ob nun hinter der ganzen 
Sache tatsächlich konkrete Akteure stecken sollen. Denn so wie Chomsky 
es skizziert, scheint sich hinter der verzerrten Berichterstattung eine 
Absicht oder ein Plan zu verbergen. Denkt man hier an eine konkrete 
Gruppe von Menschen, findet man sich schnell im Reich der 
Verschwörungstheorien wieder, wohin Chomsky von seinen Kritikern gerne 
verbannt wird - aber ist das nicht wiederum nur eine Strategie zur 
Ausschaltung kritischer Stimmen? 

Chomsky sieht eher eine subtilere Form der Gleichschaltung am Werk, die 
sich über die Etablierung bestimmter Ideen im kollektiven Bewusstsein 
vollzieht. Das geht zurück auf die Anfänge moderner Demokratien, 
speziell in den USA, als innerhalb der herrschenden Elite beinahe ein 
Konsens bestanden habe, dass die Volksherrschaft weder möglich noch 
wünschenswert sei. Vielmehr müssten die Herrschenden dafür sorgen, dass 
das Volk allein im Glauben bleibe, mit an der Macht zu sein, ansonsten 
aber die Trennung zwischen Herrschenden und Beherrschten aufrecht 
erhalten bleibe. 

Chomsky beschreibt den Einfluss, den der Theologe Reinhold Niebuhr auf 
die politische Elite der USA hatte, und der seiner Meinung nach bis 
heute weiterwirkt. Niebuhr hatte eine eigentümliche Mischung von 
Christentum und Realpolitik (christian realism) gelehrt, in der 
Herrschende mit objektivem Blick (cool observers) das gemeine Volk mit 
emotional wirkungsmächtigen Vereinfachungen (emotionally potent 
oversimplifications) in die richtige Richtung lenken sollten. 

Scheindemokratische Verhältnisse 

Dafür entdeckten progressive Politik- und Kommunikationswissenschaftler 
wie Walter Lippmann [4] die Massenmedien. Mit ihrer Hilfe sei es 
möglich, in der erforderlichen Weise den Konsens herzustellen 
(manufacturing consent), der für das reibungslose Funktionieren der 
beschriebenen Scheindemokratie nötig ist. Chomsky meint, dass es diese 
Ideologie ist, die quasi als Selbstläufer nun erheblichen und 
schädlichen Einfluss auf das angeblich demokratisches System der USA 
(und natürlich auch anderer Länder) besitzt. 

Chomskys Theorie bewegt sich auf zwei Ebenen. Einmal macht er eine 
Aussage über den empirischen Bereich seiner Untersuchung, also die 
Berichterstattung über mehr oder weniger abgrenzbare Ereignisse. Zum 
anderen enthält seine Theorie eine Vorhersage über den Umgang mit ihr 
selbst. Beide Grundthesen werden von Chomsky auf ein einziges 
gemeinsames Motiv zurückgeführt, nämlich die Aufrechterhaltung einer 
Art Pseudo-Demokratie. So sind seine Gegner gezwungen, auch auf der 
zweiten Ebene dieselben Strategien der Wirklichkeitsverzerrung 
anzuwenden. Dass nun seine Theorie tatsächlich oft in der von ihm 
vorhergesehenen Weise diskreditiert oder ignoriert wird, ist für 
Chomsky also nur ein weiteres Indiz für ihre Richtigkeit. 

Das Buch besteht aus einigen Kapiteln des schon etwas älteren Necessary 
Illusions [5], das auf eine Vorlesungsreihe Chomskys aus dem Jahr 1988 
zurückgeht. Diesen ist eine Übersetzung des 2002 auf englisch 
erschienenen Bandes Media Control [6] vorangestellt, die sich mit 
jüngeren Entwicklungen beschäftigt. 

Dabei geht Chomsky auch auf die Medienberichterstattung in der Folge 
des 11. September ein. Damit gewinnt das Buch eine gewisse Aktualität, 
stellt aber Chomskys Thesen in den Kontext seiner schon ausgearbeiteten 
Theorie über die Manipulation der öffentlichen Meinung in einer 
"kapitalistischen Demokratie". Die Übertragbarkeit auf europäische 
Verhältnisse ist wohl tendenziell gegeben, auch wenn Chomsky sich im 
wesentlichen auf die USA beschränkt. Wenn auch die schier endlose Menge 
an Daten, die Chomsky zum Beleg seiner Thesen heranzieht, auf Dauer 
etwas ermüdet, bietet das Buch doch einen guten Überblick über die 
Grundlagen seiner kritischen Theorien. 

Noam Chomsky: Media Control. Europa Verlag. 320 Seiten. Preis: EUR 
17.90 

Links 

[1] http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/te/14808/1.html
[2] http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/te/14925/1.html
[3] http://www.zmag.org/chomsky/mc
[4] http://www.zmag.org/chomsky/mc/mc-supp-040.html
[5] http://www.zmag.org/chomsky/ni/
[6] http://www.sevenstories.com/book/index.cfm/GCOI/58322100371450

Telepolis Artikel-URL: 
http://www.telepolis.de/deutsch/inhalt/buch/14958/1.html 

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