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Message 00483 [Homepage] [Navigation]
Thread: choxT00483 Message: 1/1 L0 [In date index] [In thread index]
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[chox] Michael Moore : Seid gegrüßt ...



"Nicht ganz Amerika ist verrückt"
http://zeus.zeit.de/text/2003/46/AbdruckMoor
 

Die Koalition der Unwilligen formiert sich. Auch in den USA wendet sich die 
öffentliche Meinung gegen Präsident Bush

Von Michael Moore

Seid gegrüßt, meine deutschen Freunde, stolze Überreste des alten Europa und 
Anführer der Koalition der Unwilligen! Was zum Teufel ist los mit euch? Habt 
ihr nicht mehr gewusst, dass ihr gehorchen müsst, wenn die einzige Supermacht 
der Welt einen Befehl bellt? Wir bellen, ihr springt - das ist die Regel. Hat 
Mr Bush euch nicht hoch genug bestochen, damit ihr mitmacht und die 
Bevölkerung des Iraks bombardiert? Habt ihr nicht gewusst, dass Saddam der 
Übeltäter Massenvernichtungswaffen besaß? Große Waffen! Oh ja! Grausige 
Waffen! Er … er … er konnte sich unsichtbar machen, und er besaß geheime 
magische Kräfte, wie dass er, äh, dass er sich in eine Motte verwandeln 
konnte! Und, und … fliegen konnte er auch! Ich habe gesehen, wie er auf dem 
Empire State Building landete, und er sah so grimmig drein, als wollte er uns 
alle töten! Echt!
 
Millionen von uns versuchen hier in den USA mit aller Macht zu verhindern, 
dass das Bush-Regime rund um den Erdball noch mehr Unheil anrichtet. Für uns 
ist es dringend notwendig, dass ihr Deutschen Bush Widerstand leistet, und 
ihr sollt wissen, dass wir diesen Widerstand geradezu verzweifelt begrüßen. 
Es schadet uns sehr, dass Leute wie Tony Blair unsere Anstrengungen 
sabotieren. Aber zum Glück haben in Frankreich und Deutschland und 
zahlreichen anderen Ländern einige der größten Antikriegsdemonstrationen 
aller Zeiten stattgefunden. Ich kann dazu nur sagen: Danke, Danke und 
nochmals Danke.

Ein Volk, das den Irak nicht einmal auf der Landkarte findet

Als ich kürzlich nach Übersee reiste, kamen viele Leute auf mich zu und 
dankten mir, weil ich „der einzige vernünftige Amerikaner" sei. Dieses 
Kompliment entspricht schlichtweg nicht der Realität. Ich kann euch 
versichern, dass nicht das ganze Amerika verrückt geworden ist. Bitte 
vergesst niemals die folgende Wahrheit: Die Mehrheit der Amerikaner stimmte 
nicht für George W. Bush. Es ist nicht der Wille des amerikanischen Volkes, 
dass er im Weißen Haus sein Amt ausübt. Im Gegensatz zu einem weit 
verbreiteten Irrglauben ist eine Mehrheit der Amerikaner ziemlich 
fortschrittlich - ihr würdet es „linksliberal" nennen -, aber sie hat keine 
engagierten liberalen Führer. Wenn sich das (hoffentlich bald) ändert, 
bessert sich die Lage.

Ich schreibe euch, damit ihr wisst, dass ich keineswegs allein bin, sondern 
mitten in einer neuen amerikanischen Mehrheit stehe. Viele Millionen 
amerikanischer Bürger denken wie ich, oder ich denke wie sie. Ihr erfahrt 
bloß nichts von ihnen, jedenfalls bestimmt nicht aus der Presse. Aber sie 
sind da draußen - und ihre Wut brodelt dicht unter der Oberfläche. Deshalb 
mache ich weiter meinen Job und versuche, das eine oder andere Loch zu 
bohren, damit die Wut sich in einem Geysir demokratischen Handelns entladen 
kann.

Ich kann gut verstehen, dass Deutschland und der Rest der Welt über das 
Verhalten der Vereinigten Staaten von Amerika ausgeflippt sind. Recht hatten 
sie! Der Haufen, der bei uns regiert, fühlt sich an kein Gesetz gebunden. Ihr 
braucht euch nur zu fragen, wozu diese Gauner noch fähig sind, wenn sie schon 
die Wahl gefälscht haben. So viel kann ich euch sagen: Sie haben keine 
Hemmungen, alles zu zerstören, was sich ihnen in den Weg stellt, besonders 
wenn sie unterwegs sind, um noch mehr Geld zu machen. Und sie bestrafen euch, 
auch als alte Verbündete, wenn ihr nicht mit gebeugtem Knie und gesenktem 
Kopf am Wegrand steht und ruhig zuseht, wie sie zum nächsten Regimewechsel 
marschieren (vorzugsweise in einem Land, das ein paar profitversprechende 
Ölfelder hat).

All dies wird natürlich zu ihrem - und unserem - Untergang führen. Ich glaube, 
eine knappe Mehrheit der Amerikaner spürt das tief unten in ihren Bäuchen. 
Sie sind nur völlig verwirrt, und zwar nicht zuletzt, weil sie unter einer 
aufgezwungenen Unwissenheit leiden. Die Grundlage für diese Unwissenheit wird 
schon in der Schule gelegt, denn in unseren Schulen lernen sie fast nichts 
über den Rest der Welt. Und sie werden auch ihr ganzes Erwachsenenleben lang 
unwissend gehalten, weil die Medien kaum noch über das Ausland berichten, es 
sei denn, die Nachrichten haben etwas mit den USA zu tun. Dass wir nichts 
über euch wissen, solltet ihr an uns am meisten fürchten. Die meisten von uns 
finden euch nicht einmal auf der Landkarte. Laut einer kürzlich erschienenen 
Studie finden 85 Prozent der Amerikaner zwischen 18 und 25 den Irak nicht auf 
der Weltkarte. Ich meine, die erste Vorschrift des Völkerrechts sollte 
lauten: Ein Volk, das seinen Feind nicht einmal auf dem Globus findet, darf 
ihn auch nicht bombardieren.

Sollte ein derart unwissendes Volk die Welt führen? Wie ist es überhaupt dazu 
gekommen? 82 Prozent von uns haben nicht einmal einen Pass! Nur eine Hand 
voll kann eine andere Sprache als Englisch (und auch das sprechen wir nicht 
besonders gut). George W. sieht den Rest der Welt jetzt zum ersten Mal - weil 
er muss, weil das Reisen bei einem Präsidenten, verdammt noch mal, zum Job 
gehört. Vermutlich bekamen wir die Verantwortung für die Welt, weil wir die 
größten Kanonen haben. Komisch, das funktioniert anscheinend immer. Wir haben 
den Kalten Krieg gewonnen, weil unser Gegner die Flagge gestrichen hat. Die 
Sowjetunion beschloss dank Mr Gorbatschow, den Kampf aufzugeben, weil sie 
sich mit einem System stranguliert hatte, das einfach nicht funktionierte. 
Das Regime in Ostdeutschland ging zu Ende, weil die Leute auf die Straße 
gingen und gegen eine Mauer hämmerten. Wow, das muss man sich mal vorstellen, 
ein Regimewechsel, ohne dass ein einziger Schuss abgefeuert wird!

Dasselbe passierte in Südafrika - niemand musste das Land bombardieren, um es 
zu befreien. Tatsächlich gibt es etwa zwei Dutzend Länder, die - grob 
gerechnet - im letzten Jahrzehnt befreit wurden, einerseits durch den Druck 
der Weltöffentlichkeit, vor allem jedoch, weil ihre Bevölkerung durch einen 
gewaltlosen Aufstand die Macht ergriffen hat.

Aber wir Amerikaner kriegen ja keine Nachrichten aus Gebieten, die jenseits 
von Brooklyn oder Malibu liegen. Vermutlich haben wir gar nicht erfahren, wie 
ein richtiger Regimewechsel vor sich geht. Deshalb war es vor dem Irak-Krieg 
auch so einfach, uns schaufelweise Sand in die Augen zu streuen (meine 
Lieblingsschaufel war, dass der 11. September mit Saddam Hussein in 
Verbindung gebracht wurde), und die meisten von uns ließen sich blenden.

Ein Volk, das George W. Bush nicht noch einmal wählen würde

Okay, das ist verständlich. Wir wussten es nicht besser, und ich bin sicher, 
den meisten von euch ist klar, dass wir ein wirklich leichtgläubiger Haufen 
sind. Wir gehen das Leben ziemlich offen und großzügig und unkompliziert an. 
Wenn ihr uns um Hilfe bittet, kommen wir euch zu Hilfe. Und wenn ihr uns 
sagt, dass Esel fliegen können, glauben wir es (wenn ihr es im Fernsehen 
sagt). So sind wir nun mal, und ihr habt bestimmt schon festgestellt, dass 
das eine bezaubernde Eigenschaft von uns ist. Na los, gebt's schon zu, das 
ist doch der Grund, warum ihr uns so gern habt. Und unseren 
Unternehmungsgeist nicht zu vergessen! Wir haben die nächste große Erfindung 
schon gemacht, bevor es 12 Uhr mittags schlägt. Wir haben Drive! Und Ehrgeiz! 
Und Selbstvertrauen! Klar, wir haben seit sechs Jahren keinen Tag mehr 
freigehabt, aber was soll's! Wer braucht schon Schlaf! Wir müssen eine Welt 
regieren!

Das erklärt vermutlich, warum wir uns so verhalten haben, wie wir uns 
verhalten haben. Aber jetzt kommt meine Frage an euch: Welche Entschuldigung 
habt ihr? Warum habt ihr euren Regierungen im Lauf der Jahre gestattet, immer 
mehr von dem sozialen Netz wegzuschnippeln, das ihr uns vorausgehabt habt? 
Ihr Deutschen habt doch immer gesagt: „Wir sind füreinander verantwortlich." 
Deshalb gab es bei euch die Krankenversorgung, die Ausbildung und überhaupt 
alles, was Alle brauchen, umsonst. Aber jetzt wird das alles immer weniger. 
Es ist, als ob ihr euch in uns verwandelt, in ein Volk, das glaubt, dass die 
Reichen immer reicher werden müssten und alle anderen ihnen den Arsch küssen 
sollten. Ach, kommt schon, ihr Deutschen, ihr wisst es doch besser! Ihr seid 
belesen. Eure Medien berichten auch, was südlich der Alpen geschieht. Ihr 
macht Reisen. Ihr wisst Bildung zu schätzen. Und ihr habt im vergangenen Jahr 
die moralische Führung in der Frage Krieg oder Frieden übernommen. Ich bitte 
euch inständig, zeigt dieselbe moralische Urteilsfähigkeit, wenn es darum 
geht, das soziale Netz für jene Deutschen zu erhalten, die in eurem Land die 
Schwächsten sind. Beschreitet nicht den amerikanischen Weg, wenn es um die 
Wirtschaft, um Arbeitsplätze und um Dienstleistungen für Arme und Einwanderer 
geht. Es ist der falsche Weg.

Okay, jetzt kommt eine gute Nachricht: Während ich dies schreibe, wird über 
eine neue Meinungsumfrage in den USA berichtet. Ihr zufolge sind die 
Amerikaner zum ersten Mal mehrheitlich der Ansicht, dass Bush keine zweite 
Amtszeit mehr regieren sollte. Das ist eine großartige Nachricht, wenn man 
bedenkt, wie viel Unterstützung er zunächst für seinen kleinen Krieg bekam, 
der inzwischen zu einem endlosen Krieg geworden ist. Es hat also auch etwas 
Positives, dass wir Amerikaner uns nicht lange auf eine Sache konzentrieren 
mögen und immer nach sofortiger Befriedigung streben! Der Irak war kein 
Grenada, und jetzt ist uns die Sache langweilig geworden! Wir wollen 
Fernsehshows mit Happy End! Hey, warum schießen die immer noch auf uns? Ich 
will nach Hause! Hilfäääääääääää! 

Noch eine letzte Bemerkung: Ich bin ganz überwältigt, wie die Menschen auf der 
ganzen Welt, seit Stupid White Men und Bowling for Columbine erschienen sind, 
auf meine Arbeit reagiert haben. Besonders aber bin ich von der Reaktion der 
Deutschen überwältigt. Die deutschsprachige Ausgabe von Stupid White Men 
wurde über eine Million Mal verkauft, und das Buch stand über sechs Monate 
auf Platz eins der Bestsellerliste. Zu einem bestimmten Zeitpunkt war es 
gleichzeitig Nummer eins und sechs - in der deutschen und in der englischen 
Version! Während ich dies schreibe, stehen Bücher von mir in Deutschland auf 
Platz eins und zwei (mein erstes Buch, Querschüsse von 1997, belegt den 
zweiten Platz). Über vier Millionen Exemplare von Stupid White Men sind 
inzwischen weltweit gedruckt (anscheinend hat sich nur Harry Potter besser 
verkauft), und Bowling for Columbine war für einen Dokumentarfilm der größte 
Kassenschlager aller Zeiten. Ich bin dafür sehr dankbar, weil es bedeutet, 
dass ich ohne Einmischung anderer die Bücher und Filme machen und 
veröffentlichen kann, die ich will. Dies ist ein Geschenk, das ich keineswegs 
als selbstverständlich betrachte. Ich nehme es als Zeichen, dass sich die 
Öffentlichkeit von der Rechten abgewandt hat und dass die Zeit reif ist für 
eine Bewegung, die sich für ein paar von den guten Dingen einsetzt, die 
endlich realisiert werden sollten. Ich hoffe, es ist euch ein Trost, dass die 
Amerikaner letztes Jahr, als Bush (wie die Medien fälschlich berichteten) so 
populär war, kein Buch öfter kauften und lasen als Stupid White Men, in dem 
George W. Bush die Hauptrolle spielt. Wie ihr seht, ist nicht alles verloren! 
Habt Vertrauen! Habt Hoffnung! Und schickt uns eine Zeitung mit interessanten 
Artikeln!

September 2003

© Piper Verlag GmbH, München 2003. Übersetzt von Helmut Dierlamm. Das Buch 
erscheint am 14.11.; Michael Moore tritt u. a. in Berlin (16.11. ) Hamburg 
(17.11. ), Köln (18.11) und München (20.11.) auf

 

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