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[chox] Ein Ihnen empfohlener Artikel aus der jungen Welt vom 01.10.2004



LiebeR ,
dieser Artikel aus der jungen Welt vom 01.10.2004 wird Ihnen empfohlen von Stefan Meretz.

Das Recht zur Raubkopie
Die Musikindustrie klagt und klagt und klagt: Ueber Wachsrollen, Leerkassetten, MP3 und Urheberstrafrecht
                           Tobias Reinbacher

Kinobesucher werden seit Wochen von einem besonderen "Vorfilm" ueberrascht: Eine Frau versucht, ihren Partner weg vom Computer zu lotsen, an dem er "Raubkopien" von Musikstuecken anfertigt. Warnung der Leichtbekleideten: Bett oder Knast. Eine Stimme verkuendet im Abspann, dass "Raubkopieren" seit September 2003 strafbar sei. Fahrgaeste der Deutschen Bahn sitzen Plakaten gegenueber, die dieselbe Botschaft verkuenden und einen Inhaftierten darstellen. Beide Faelle sind Beispiele fuer eine gross angelegte landesweite Aktion, die sich an jeden richtet, der mit dem Gedanken spielt, sich sein Lieblingslied aus dem Internet oder von Freunden ohne Bezahlung an die Konzerne zu besorgen. Jeder, so scheint es, muss mit der Verfolgung durch die Justiz rechnen, auch wenn er nur fuer seine Privatsammlung kopiert (siehe auch www.hartabergerecht.de). 



Merkwuerdige Schieflage



Der Wirklichkeit entspricht dies gluecklicherweise nicht. Nur das gewerbliche Vervielfaeltigen ist nach wie vor strafbewehrt. Die Filme und Plakate sind Teil einer Kampagne gezielter Ungenauigkeiten, mit der die Kulturindustrie ihre Niederlage im Gesetzgebungsverfahren kaschiert. Sie war bereits waehrend der Beratungen zum "Gesetz zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft" nicht muede geworden, das private CD-Brennen zu verteufeln und dessen Strafbarkeit zu fordern. Der Gesetzgeber versuchte, einen Ausgleich zwischen den Interessen der Urheber und der Musikliebhaber zu schaffen. Herausgekommen ist ein Kompromiss, der eine sonderbare Schieflage erzeugt: Den Verbrauchern wurde das Kopieren erlaubt; der Verwerterindustrie aber zugleich gestattet, ihre Produkte mit technischen Schutzsystemen zu versehen, um dasselbe zu verhindern. Im Laufe dieses Jahres soll nun der sogenannte "Korb II" der Reform des Urheberrechts verabschiedet werden. 



Was steckt hinter der Diskussion? Wie ist die Rechtslage? Angesichts rapide sinkender Verkaufszahlen sieht sich die Film- und Musikindustrie zu zahlreichen Entlassungen und Vertragsaufloesungen mit Kuenstlern genoetigt. Schuld sind laut ihrer Behauptung nicht die eigene Politik oder die Qualitaet ihrer Produkte, sondern die vereinfachten Kopiermoeglichkeiten fuer den Buerger, der nicht mehr kaufe, sondern brenne oder aus dem Internet herunterlade. "Diebstahl geistigen Eigentums" nennen dies die Tontraegerhersteller ? auf ihr gutes Recht gegenueber Konzernen, die zuviel fuer eine CD oder DVD verlangten, bestehen ihre Gegner.



Der Konflikt zwischen den Interessen der Bevoelkerung an Kulturguetern und den Rechten der Urheber beschaeftigte den Bundestag bereits 1965. Das damals geltende Urheberrecht aus den Jahren 1901 und 1907 erlaubte das Kopieren von geistigen Werken fuer den privaten Gebrauch. Sinn dieser Regelungen war es, denjenigen Zugang zu Kulturschoepfungen zu erleichtern, die nicht ueber die notwendigen Mittel verfuegten. Als Verfahren fuer private Vervielfaeltigungen kam zur Jahrhundertwende vor allem das Abschreiben von Buechern und Partituren per Hand in Betracht. Musikstuecke liessen sich mit hohem Qualitaetsverlust auf Wachsrollen aufnehmen.



Im Vorfeld der Verabschiedung des heutigen Urheberrechtsgesetz (UrhG) wurde in den 60er Jahren heftig diskutiert. Ausloeser der erbitterten Debatten war eine neue technische Erfindung: das Magnettonband. Im Gegensatz zu frueher konnten Musikstuecke vom Normalverbraucher problemlos auf eine Leerkassette ueberspielt werden. Die Musikindustrie klagte, damit werde ihr Ende eingelaeutet, und zog vor Gericht. Der Bundesgerichtshof gab ihr recht: Die Tonbandaufnahme ermoegliche es, "ohne Qualitaetsverlust" Vervielfaeltigungen geschuetzter Werke vorzunehmen. Tolerabel sei dies nicht, denn bei Erlass der Gesetze zur Jahrhundertwende habe der Gesetzgeber die Privatkopie zwar erlaubt, eine solche technologische, die Rechte der Urheber gefaehrdende Revolution nicht bedacht. 



Trotzdem schloss sich der Gesetzgeber 1965 nicht der Forderung an, die damals noch analoge Privatkopie zu verbieten. Hierfuer waren drei Gruende ausschlaggebend: Erstens kann das  "geistige Eigentum", welches wie das Eigentum an koerperlichen Sachen grundrechtlich geschuetzt ist, bei gewichtigem Interesse der Allgemeinheit eingeschraenkt werden. Als ein solches gewichtiges Interesse gilt der freie Zugang zu Informationen, auch solchen kultureller Art. Zweitens kann ein entsprechendes Verbot inklusive Strafbarkeit in der Praxis schwer durchgesetzt werden, naemlich nur durch Denunziation oder grossangelegte Wohnungsdurchsuchungen, was beides nicht wuenschenswert erschien. Drittens sind die Urheber mehr an einer Verguetung fuer ihre Leistung interessiert als an einer Einschraenkung der Vervielfaeltigung derselben. Die pragmatische Loesung im UrhG von 1965 hiess daher, die Privatkopie weiter zu erlauben, dafuer aber jede Leerkassette und jedes Tonbandgeraet mit einer Abgabe an die Urheber zu belasten. Mit dieser Regelung konnten in den folgenden 30 Jahren alle gut leben, zumal es der Leerkassette nicht gelang, den Absatz von Schallplatten nachhaltig zu gefaehrden. 



Strafbar aber zulaessig



Die Debatte, die der im September 2003 verabschiedeten Gesetzesnovelle ("Korb 1") voranging, war eine nahezu vollstaendige Reprise der Diskussion von 1965. Wieder wurde der Untergang der Musikbranche prophezeit und laut nach dem Gesetzgeber gerufen. Erneut war eine technische Entwicklung Stein des Anstosses, naemlich die Digitalisierung, einhergehend mit der Erfindung von CDs und CD-Brennern, die es ermoeglichen, ohne Qualitaetsverluste zu kopieren. Dazu kam der Alptraum der Plattenfirmen: Tauschboersen im Internet, die den Kreis derjenigen, die Tontraeger untereinander austauschen, um ein Millionenfaches erweiterten. Was in den 50er Jahren seinen Anfang mit dem Aufnehmen von Radiosendungen und Schallplatten auf anfaellige Tonbaender nahm, gipfelte in der Vervielfaeltigung urheberrechtlich geschuetzter Werke in nahezu unbegrenzter Weise. Die Verwerterindustrie forderte, die digitale Kopie zum privaten Gebrauch zu verbieten und Verstoesse zu bestrafen. Der Gesetzgeber hat diesem Bestreben erneut eine (partielle) Absage erteilt.



Die neue Gesetzeslage bestimmt, dass es strafbar ist, ein urheberrechtliches Werk (Musik-CD, DVD oder MP3) zu vervielfaeltigen, also zu kopieren, sei es durch Brennen auf einen CD-Rohling oder durch das Speichern auf die Festplatte des Computers ? allerdings nur, sofern nicht eine Einwilligung des Berechtigten oder ein sonstiger gesetzlich zugelassener Fall vorliegt (Paragraph 106 UrhG). Einen solchen Fall regelt unter anderem Paragraph 53 UrhG. Hiernach sind einzelne Vervielfaeltigungen zum privaten Gebrauch zulaessig, und zwar ausdruecklich auf jedem beliebigen Traeger. Damit entschied der Gesetzgeber sich gegen ein Verbot der digitalen Privatkopie. 



* Eine ausfuehrliche Fassung des Beitrags erscheint in der Oktober-Ausgabe Blaetter fuer deutsche und internationale Politik, www.blaetter.de


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http://www.jungewelt.de/2004/10-01/023.php

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