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[chox] Wissen contra Verwertung



Wissen contra Verwertung

Von Franz Schandl, www.streifzuege.org/str_autor_schandl_041013_gorz.html

André Gorz ist ein sehr kurzweilig zu lesender Autor. So auch in seinem
neuesten Büchlein, das wohl als Zusammenfassung aber auch Modifizierung
schon bisher entwickelter und vorgetragener Thesen angesehen werden muss.
Sein Denken und Schreiben zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass er sich
was traut und dass er was vorschlägt. Ebenso wichtig, wenn nicht wichtiger
als der analytische Aspekt ist für Gorz stets die handlungsorientierte
Komponente gewesen. Jedenfalls gibt sich der Autor keinen partiellen
Lösungen hin. Das unterscheidet ihn von vielen Zeitgenossen, auch oder
gerade weil es heute antiquiert wirkt.

Was die klassische Kritische Theorie an Pessimismus pflegte, pflegt Gorz an
Optimismus. Was ihn vorantrieb, war eine Art optimistischer Überschuss, ganz
programmatisch hieß eines seiner Bücher "Wege ins Paradies" (1984). Gorz war
immer Medizin gegen die Verbitterung, den Zynismus und die
Illusionslosigkeit der Linken, allerdings kann eingewendet werden, dass er
gelegentlich etwas voreilig Rezepte (z.B. die "Dualwirtschaft")
präsentierte. Des öfteren wird man auch den Eindruck nicht los, als käme der
Kommunismus hinterrücks und unzweifelhaft.

Eine seiner grundlegenden Überlegungen ist die, dass Wissen zur
Hauptproduktivkraft der Gesellschaft geworden ist. Dieses ,, kann im
Unterschied zur allgemeinen gesellschaftlichen Arbeit nicht in einfache,
abstrakte Einheiten übersetzt und nach solchen bemessen werden. Es ist nicht
auf eine Quantität abstrakter Arbeit reduzierbar, deren Ergebnis, Produkt
oder Äquivalent es wäre. Es umfasst und bezeichnet eine große Vielfalt von
verschiedenartigen Fähigkeiten, also von Fähigkeiten ohne gemeinsamen
Massstab." 

Wissen sperrt sich gegen die Verwertung, es muss zwangsweise in das Korsett
von Wert und Preis gepresst werden: "Wissen eignet sich grundsätzlich nicht
dazu, als Ware behandelt zu werden. Seine Gestehungskosten sind oft
unbestimmbar, sein Warenwert lässt sich nicht mit der gesellschaftlich
notwendigen Arbeitszeit messen, die für seine Schöpfung verausgabt wurde.
Niemand kann bestimmen, wo die erfinderische Wissensarbeit im
gesellschaftlichen Zusammenhang anfängt und wo sie aufhört." "Da die
Grenzkosten der Software äußerst gering sind, kann sie sehr viel mehr Arbeit
einsparen, als sie kostet und das in gigantischen, noch vor kurzem
unvorstellbaren Ausmaßen. Das bedeutet, dass das formale Wissen unermesslich
viel mehr ‚Wert' zerstört, als es zu schöpfen erlaubt. Anders gesagt,
es erspart Unmengen von bezahlter gesellschaftlicher Arbeit und verkleinert
folglich den (monetären) Tauschwert einer wachsenden Anzahl von Produkten
und Dienstleistungen." Kapital, das Lohnarbeit abschaffen will, entziehe
sich letztlich die eigene Basis.

"Wie kann die Warengesellschaft weiterbestehen, wenn die Produktion von
Waren immer weniger Arbeit verwertet und immer weniger Zahlungsmittel in
Umlauf setzt?", fragt Gorz. "Alles formalisierbare Wissen kann von seinen
stofflichen und menschlichen Trägern abgetrennt, als Software praktisch
kostenlos vervielfältigt werden und in Universalmaschinen unbeschränkt
genützt werden. Je weiter es sich verbreitet, umso größer sein
gesellschaftlicher Nutzen. Sein Warenwert hingegen schwindet mit seiner
Verbreitung und tendiert gegen Null: Er wird zu allgemein zugänglichem
Gemeingut. Eine authentische Wissensökonomie wäre ein Wissenskommunismus, in
dem sich Tausch- und Geldbeziehungen erübrigen." So das Ziel. Und doch ist
es zweifelhaft zu behaupten: "Wir befinden uns in einer Zeit des Umbruchs,
in der verschiedene Produktionsweisen gleichzeitig existieren." Viel Umbruch
lässt sich beim Zusammenbruch nicht bemerken.

Als aktuelles Etappenziel fordert er nach wie vor die Durchsetzung eines
bedingungslos garantierten Existenzgeldes, dieses sei eine direkte "Attacke
auf das Wertgesetz". Die Variante, die er nunmehr vertritt, ist eine, die
sich unabhängig von "Transferleistungen durch die Besteuerung von Löhnen und
Mehrwert" finanziert.

Wie jedoch soll eine Parallelität unterschiedlicher Geldsorten, einer
wertmässigen und einer wertlosen, als gleichgesetztes Zahlungsmittel
funktionieren? Wie sollen sie am Markt als Gleiches gelten? Zwar sieht
keiner einem Geldschein an, ob er erarbeitet oder bloss gedruckt und
verteilt wurde, aber doch herrscht eine gesellschaftliche Übereinkunft
dahingehend, dass der Schein einen bestimmten Wert habe, für ein bestimmtes
Maß an abstrakt verausgabter Arbeit stehe. Ein Nebeneinander von Geld und
reinem Zählgeld ist fragwürdig. So ganz will der emanzipatorische Gehalt des
Zwischenschritts nicht einleuchten, nicht zuletzt auch deswegen, weil ihn
die meisten Verfechter eines Grundeinkommens nicht gleich Gorz als solchen
sehen, sondern überhaupt als das Patentrezept gesellschaftlicher
Regulierung. 

André Gorz, Wissen, Wert und Kapital. Zur Kritik der Wissensökonomie.
Rotpunktverlag. Zürich 2004, 133 Seiten, Euro 15,50.

P.S.: Eine längere Fassung findet sich in der nächsten Ausgabe der
Streifzüge, der Nummer 32 (November 2004)

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