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Heiner Geißler über den Missstand SZ: Sie haben in den 70er Jahren die "neue soziale Frage" thematisiert. Jetzt entdeckt die Politik plötzlich das Problem einer neuen Armut. Was ist daran anders als früher? Geißler: Die neue Armut ist ein Produkt der Politik. Es ist das Ergebnis eines System- und Denkfehlers. Bisher war die Armut klar an bestimmten Bevölkerungsgruppen festzumachen: Sozialhilfeempfänger, alleinerziehende Mütter, ein Teil der älteren Leute. Armut betraf Menschen, die keine Lobby hatten. Heute ist die Armut wieder bei den Arbeitnehmern angekommen. Und zwar wegen Hartz IV. SZ: Welche Auswirkungen hat Hartz IV bei der Ausbreitung der Armut? Geißler: Ganz entscheidende, vor allem auch psychologisch. Es sind zwar die Sozialhilfeempfänger etwas besser gestellt worden, aber der kardinale Fehler war die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe, auch wenn das aus fiskalischen Gründen sinnvoll war. Früher errechnete sich die Arbeitslosenhilfe nach einem bestimmten Prozentsatz vom letzten Nettolohn. Das ist beseitigt worden. Nach einem Jahr Arbeitslosengeld landen heute auch Leute, die 20, 30 Jahre gearbeitet haben, bei Hartz IV und werden damit behandelt wie 30-jährige Alkoholiker. Vor diesem Schicksal ist keiner mehr gefeit. Es kann heute jeden treffen, den Opel-Ingenieur genauso wie den BenQ-Spezialisten. SZ: Ein Jahr Arbeitslosigkeit kann heute also ausreichen, um arm zu werden? Geißler: Ja, richtig. Diese Verarmung wird auch dadurch herbeigeführt, weil die Leute, die vorher 30 Jahre gearbeitet haben, vorher fast alles versilbern müssen, was sie für sich und ihre Familien erspart haben. Arbeitsplätze bekommen sie wegen der falschen Konjunkturpolitik dann trotzdem nicht. SZ: Hartz IV, das war die Regierung Schröder. Die Union hätte es doch gerne noch viel neoliberaler gehabt. Geißler: Ja, weil sich die Union damals in einem marktradikalen Sinnesrausch befand und blind geworden war für die eigentliche Aufgabe einer Volkspartei: nämlich für Gerechtigkeit auch für die kleinen Leute zu sorgen. SZ: Was müsste die Politik denn anders machen? Geißler: Wir brauchen für eine Humanisierung des Globalisierungsprozesses ein Konzept für eine internationale, sozial-ökologische Marktwirtschaft, für einen geordneten Wettbewerb. Das Chaos auf den Weltmärkten schlägt zurück auf die Lage in Deutschland. Statt ein solches Konzept zu erarbeiten, wird auf den Leuten herumgehackt, denen es ohnehin schon schlecht geht. Wer in der CDU in der jetzigen Situation auch noch die Kürzung von Hartz IV vorschlägt, wird es schaffen, die CDU noch unter 30 Prozent zu bringen. SZ: Wie groß ist der politische Sprengstoff der Armutsfrage? Geißler: Die schlimmste Folge ist, dass sich die Armut von selbst ständig vermehrt. Es werden immer mehr Leute in die Armut hineingeboren und befinden sich damit von Anfang an in einer Diskriminierungssituation. Sie erleben die Ausgrenzung schon in der Schule. Das Analphabetentum wird zunehmen, die Kriminalität steigen. Es droht ein schleichender Verfall unserer Gesellschaft. Eine Entwicklung, wie wir sie aus Amerika kennen. Interview: Peter Fahrenholz Quelle: Süddeutsche Zeitung Nr.239, Dienstag, den 17. Oktober 2006 , Seite 2 _______________________ Web-Site: http://www.oekonux.de/ Organization: http://www.oekonux.de/projekt/ Contact: projekt oekonux.de
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