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Der Professor für Wirtschaftsrecht wirft Banken vor, arme Bevölkerungsschichten systematisch zu benachteiligen / "Raffinierte Verschleierungstaktiken" (SZ) In Deutschland läuft eine breite Diskussion über die soziale Unterschicht. Auslöser war eine Studie, in der von einem "abgehängten Prekariat" mit geringem Einkommen die Rede ist. Diese Menschen fühlten sich gesellschaftlich ausgegrenzt, heißt es in dem Papier. Nach Ansicht von Udo Reifner, Chef des Instituts für Finanzdienstleistungen (IFF), geht die Diskriminierung dieser sogenannten armutsprekären Haushalte auch von Banken aus. SZ: Werden Arme von Kreditinstituten benachteiligt? Reifner: Leider ist das so. In den USA wird über die sogenannte finanzielle Apartheid schon länger diskutiert. Bereits 1963 hat der Soziologe David Caplovitz nachgewiesen, dass Arme für Kredite erheblich mehr Geld aufnehmen müssen als Reiche. Dieses Phänomen lässt sich auch in Deutschland beobachten. Aber darüber geredet wird wenig. SZ: Banken werden solche Formen der Diskriminierung zunächst einmal bestreiten. Wie können Sie Ihre Behauptung belegen? Reifner: Kreditinstitute wollen vor allem Gewinne erzielen. Nach den Besserverdienenden sind es jetzt die Massenkunden, bei denen um höhere Erträge gerungen wird. Das gilt besonders für die Privatbanken und in wachsendem Maße für die Sparkassen und Genossenschaftsbanken. Das spüren die armutsprekären Haushalte. Da bei ihnen die Rückzahlung eines Kredites unsicherer ist, stellen sie für die Bank betriebswirtschaftlich ein höheres Risiko dar. Gleichzeitig verursachen sie tendenziell höhere Kosten, weil sie oft nur kleine Beträge nachfragen und damit die Bank zunächst nur geringe Zinserträge kassiert. Alle diese Faktoren fließen zunehmend in die Berechnung des Kredits ein, über den häufig nur noch ein Computer entscheidet. SZ: Was bedeutet das? Reifner: Wer eine geringe Aussicht auf ein stabiles Vermögen und Einkommen hat, muss für diesselbe Leistung mehr zahlen, und zwar viel mehr, weit mehr, als das Risiko es erfordern würde. Erzählt man den Kunden, sie seien ein hohes Risiko, dann kann man oft jeden Preis verlangen und die Unkenntnis in Geldangelegenheiten durch raffinierte Verschleierungstaktiken ausnutzen. SZ: Haben Sie Beweise für diesen massiven Vorwurf? Reifner: Eine große Bank hat mit erheblichem Erfolg für einen Ratenkredit "mit kleinen Raten" geworben. Der Kredit sieht dadurch optisch billig aus, ist aber in Wirklichkeit teurer, weil der Kunde mit seinen kleinen Raten länger und damit mehr Zinsen zahlen muss. Er zahlt am ersten Auto noch ab, wenn er das zweite braucht. SZ: Das ist aber keine Benachteiligung oder Diskriminierung einer bestimmten Kundengruppe. Reifner: 1998 hat die Citibank als erste deutsche Bank damit begonnen, die Zinshöhe für Konsumenten generell vom Einkommen des Kunden abhängig zu machen. Nur: Die meisten Niedrigverdiener zahlen ihre Kredite pünktlich zurück. Warum sollen sie dann höhere Zinsen als die Reichen bezahlen? Diese soziale Diskriminierung setzt sich bei den deutschen Geldinstituten immer mehr durch. Das gilt auch für andere Marktbereiche. Wer viel Geld mitbringt, bekommt bei der Anlage höhere Zinsen. Wer einen hohen Saldo auf dem Girokonto hat, zahlt keine Gebühr mehr. Das gehört zur Marktwirtschaft und lässt sich nicht verbieten. Man muss es aber begrenzen. Dort, wo es keinen Markt mehr gibt, macht sich ohne Gesetze der Wucherer breit, der nur seinen Profit sieht. SZ: Sie haben auch das so genannte Scoring kritisiert - ein branchenübliches Verfahren, die Bonität des Kunden anhand von Merkmalen wie zum Beispiel Wohnort oder Alter zu prüfen. Ist das nicht auch im Interesse der Kunden, um sie vor einer womöglich unüberlegten Kreditaufnahme zu bewahren? Reifner: Wenn diese Eingruppierung nur die treffen würde, die wirklich ausfallen, dann haben Sie Recht. Man schießt aber mit Kanonen auf Spatzen, und die Kollateralschäden sind enorm. Wer zu einer Gruppe gezählt wird, die für die Bank ein besonderes Risiko darstellt, ist Gefangener seiner Gruppe. Dieses System entwickelt sich zu einer Prophezeiung, die sich selbst erfüllt. Schlechteres Scoring führt zu höherer Belastung, und dies wiederum zu höherem Insolvenzrisiko. Der Angehörige einer solchen Gruppe kann nicht beweisen, dass er oder sie durch Eigeninitiative in der Zukunft in der Lage ist, aus dieser Gruppenprognose auszubrechen. Er oder sie läuft Gefahr, erst gar keinen Kredit zu bekommen. In Deutschland bekommen übrigens auch Selbstständige bei manchen Banken grundsätzlich keinen Ratenkredit mehr. In den Vereinigten Staaten hat es Stadtbezirke gegeben, wo niemand mehr einen Kredit erhalten hat. Seit der Präsidentschaft von Bill Clinton müssen die US-Banken offen nachweisen, dass sie in ausreichendem Umfang auch ärmeren Bevölkerungsschichten Kredite gegeben haben. SZ: Wäre es nicht besser, wenn Haushalte in prekären Verhältnissen ganz auf Kredite verzichten, um der Gefahr einer Überschuldung zu entgehen? Reifner: Nein. Wir sind eine Kredit- und Konsumgesellschaft. Das Volumen der Konsumentenkredite ist zwischen den Jahren 1970 und 2005 auf gut 250 Milliarden Euro gestiegen und hat sich damit mehr als verzehnfacht. Auch die Ärmeren brauchen die Chance, sich langlebige Konsumgüter wie ein Auto anzuschaffen, ihr Studium zu finanzieren und eine Familie mit Mitteln aufzubauen, die man später verdient, also auf Pump zu leben. Das Problem dabei ist, dass diese armutsprekären Haushalte finanziell sehr labil sind und mit der Aufnahme eines Kredites sehr schnell in die totale Abhängigkeit von Kreditgebern geraten können. SZ: Was passiert da genau? Reifner: Einkommensschwankungen wirken sich bei Haushalten mit geringem Einkommen stärker aus als bei höheren Einkommensgruppen. Oft fehlt der Rückhalt durch Familienangehörige. Die Liquidität ist gering, weil die Bedürfnisse das ausgabefähige Einkommen ständig überschreiten. Zugleich bestehen höhere Risiken bei Krankheit, Unfall oder Trennung. Eine Bank kann aber schon nach zwei ausgefallenen Ratenzahlungen den Kredit kündigen. Häufig wird aber vorher umgeschuldet, statt Privatinsolvenz anzumelden. SZ: Was ist an einem Antrag auf Privatinsolvenz denn so erstrebenswert? Reifner: Die Menschen können sich so aus einer Zahlungsunfähigkeit, aus der es sonst kein Entrinnen gibt, befreien. Mit dem Umschulden beginnt eine Spirale, weil es immer noch höhere Schulden produziert. Wie viele Kredite zur Abwendung von Insolvenz umgeschuldet werden, ist unbekannt. Sicher aber ist: Es gibt einige Banken, die wie etwa die Citibank bei Verbraucherschützern und Schuldnerberatern für ihre Kettenkredite einschlägig bekannt sind. Diese Institute stellen dem Kunden die Umschuldung als gutes Mittel dar, zusätzliche Liquidität zu erhalten. Umschuldungen sind aber teuer, nur merkt der Kunde es nicht, weil die alten Kosten als Teil der Kreditaufnahme erscheinen. SZ: Welche Rolle spielen dabei Restschuldversicherungen, die den Kredit für die Bank absichern? Reifner: Banken setzen sie immer häufiger ein. Das Problem dabei ist, dass sie für den Kunden den Kredit erheblich verteuern. Diese Kombination kann bei viermaliger Umschuldung die Effektivzinssätze faktisch von 14 auf 32 Prozent heraufsetzen, ohne dass dies dem Kunden ausgewiesen wird und ohne dass die Gerichte, die die Grenze bei 18 Prozent ansetzen würden, dies merken. Der Wucher ist in neuer Form zurückgekehrt und öffnet die Armutsschere. Interview: Thomas Öchsner Quelle: Süddeutsche Zeitung Nr.243, Samstag, den 21. Oktober 2006 , Seite 28 _______________________ Web-Site: http://www.oekonux.de/ Organization: http://www.oekonux.de/projekt/ Contact: projekt oekonux.de
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