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"Steht das Copyright-System neuen Kunstwerken im Wege? Die Antwort
ist: Ja." Ein Gespräch mit Lawrence Lessig über die Probleme des
Urheberrechts im digitalen Zeitalter
SZ: Professor Lessig, große Internetfirmen wie Yahoo und Google
beabsichtigen offenbar, das Internet in zwei Teile zu spalten:
einen kommerziellen und einen kostenlosen. Würde solch ein "Web
3.0" ein Zweiklassen-Internet schaffen? Eines, für das man
Eintritt zahlt, in dem man in Hochgeschwindigkeit alle Inhalte
bekommen kann, und ein Standard-Internet für den weniger
begüterten Rest der Welt? Würde diese Entwicklung die
Neutralität des Internets aufheben?
Lawrence Lessig: Ihre Frage berührt zwei Aspekte. Der erste
betrifft die Entscheidungsgewalt. Anbietern von Kabelfernsehen
gehört ihr Netzwerk. Sie können bestimmen, welche Programme sie
zeigen. Die Frage ist, ob diese Macht auch auf das Internet
übertragbar ist, so dass der Provider der Breitbandinfrastruktur
auch das Recht hat, darüber zu entscheiden, was auf seinem
Netzwerk läuft. Eine solche Entwicklung wäre aber schädlich für
Innovation und Wachstum. Die wichtigste bauliche Eigenart des
ursprünglichen Internets war ja, dass die ganze Kraft von seinen
Rändern ausging. Leute, die sich mit dem Netzwerk verbanden,
wählten aus, was sie ins Netz stellen wollten. Die Provider
konnten dabei nicht mitreden; sie stellten nur die Bits zur
Verfügung. Wenn man nun aber anfängt, die Macht in das Zentrum
des Netzes zu verschieben, würde dies die Innovationskraft des
Internets schwächen.
Der zweite Aspekt bei einer Teilung des Internets wäre das
Copyright. Würde man für die gehobene Klasse Gebühren erheben,
könnte man sich gleichsam von urheberrechtlichen Ansprüchen
freikaufen. Darum müssten sich in diesem kostenpflichtigen
Internet die User über die Legalität des Angebots keine Sorgen
mehr machen, der ständige Anlass für Rechtsstreitigkeiten würde
entfallen.
SZ: Das wäre also eine Art Copyright-Flatrate?
Lessig: Genau. In Europa ist man seit je sehr erfinderisch bei
den Methoden, kulturelle Erzeugnisse zugunsten ihrer Urheber,
aber auch zugunsten des öffentlichen Interesses zu regulieren
und sie darüberhinaus auch noch als lukrative Einnahmequelle zu
nutzen. Eine dieser Methoden besteht darin, dem Rechteinhaber
die volle Kontrolle über die Vervielfältigung des Werkes zu
geben: Bei jeder Kopie muss man den Urheber um Einverständnis
bitten. Das Gegenmodell ist das, was man mit Festplatten macht:
Man belegt sie mit einer Abgabe und ermittelt dann, wer die
Festplatte wofür nutzt und verteilt den Erlös der Abgabe
entsprechend an die Künstler. Dieses System hat auch in den USA
seine Anhänger. Sein Vorteil ist, dass man in die Technologie
keine Sperren einbauen muss, die das Internet blockieren wie all
diese Digital-Rights-Management-Sperren, die eine
Vervielfältigung ohne Zustimmung des Rechteinhabers verhindern.
Demgegenüber hat das Abgabensystem, bei dem die Künstler desto
mehr Entgelt erhalten, je häufiger ihre Stücke heruntergeladen
werden, den Vorteil, dass es für diese Künstler einen Anreiz
schafft, ihre Arbeit so zugänglich wie möglich zu machen. Auf
diese Weise wird das Internet zu einer wesentlich produktiveren
Plattform gemacht.
Das Problem in Europa aber ist, dass es das Schlechteste von
beiden Systemen kombiniert. Einerseits belegen Sie die Geräte
mit hohen Abgaben, um sich damit das Recht auf Vervielfältigung
zu erkaufen . . .
SZ: . . . Drucker beispielsweise. Hier will man in Deutschland
aber die Abgabe auf fünf Prozent des Kaufpreises beschränken.
Lessig: Das wäre doch schon mal großartig. Gleichwohl, Sie haben
jedenfalls diese Abgabe auf der einen Seite. Und auf der anderen
Seite werden sie von amerikanischen Copyright-Inhabern dazu
gedrängt, das amerikanische Copyright-Modell zu akzeptieren,
also Kontrolltechnologien zur Verhinderung von Kopien zuzulassen
- also jenes Digital Rights Management - und gesetzliche
Regularien zu entwickeln, die es verbieten, diese
Kontrolltechnologien zu umgehen. Sie haben also nicht nur ein
System, das die Vervielfältigung beschränkt, sondern zahlen
obendrein noch die Abgaben.
SZ: Was ist schlecht daran, geistiges Eigentum mit einem Digital
Rights Management (DRM) zu kontrollieren, damit keiner ohne die
Erlaubnis des Rechteinhabers Inhalte kopieren kann?
Lessig: Schauen wir uns doch einmal an, wie geistiges Eigentum
von vielen genutzt wird. Ich nenne es das "read-only" Modell.
Ich verkaufe Ihnen beispielsweise einen Film, und Sie haben das
Recht, sich diesen Film anzusehen. In solch einer Welt ist das
DRM-System völlig in Ordnung. Es ist vielleicht teuer, aber es
funktioniert, da es die Anzahl der Kopien kontrolliert und die
Künstler für die Verwendung entlohnt. Aber die interessanteste
neue Entwicklung im Internet ist nicht, wie die Nutzer Inhalte
konsumieren. Das Spannende ist, wie sie Inhalte selbst
produzieren, teilen und weiterentwickeln. Jugendliche nehmen
sich Songs, remixen sie oder basteln aus vier oder fünf Filmen
einen neuen zusammen für ein Schulprojekt. Das ist doch
inzwischen der entscheidende Punkt: Die Leute gehen mit den
digitalen Technologien anders um, sie konsumieren nicht nur, sie
teilen ihre Kreativität mit anderen. Diese riesigen kreativen
Möglichkeiten, die die neuen Technologien eröffnen, werden von
einem perfekten DRM zerstört.
Die Frage ist: Sollten wir deshalb aufhören, dem Künstler eine
Kompensation zu geben? Natürlich nicht. Aber wir sollten kein
Copyright-System aufbauen, das zugunsten eines speziellen
Geschäftsmodells, das im 20. Jahrhundert zufällig dominant war,
eine viel wertvollere Form des kulturellen Ausdrucks opfert.
SZ: Funktionieren nach jenem "speziellen Geschäftsmodell", von
dem Sie so kritisch sprechen, nicht die gesamte Kunst und
Wissenschaft in der Moderne?
Lessig: Nein. Auch vor der Epoche der digitalen Technologien
existierte ein weites Feld kultureller Nutzungen, die das
Urheberrecht nicht regulierte. Wenn ich Ihnen ein Buch zu lesen
gebe, ist das Urheberrecht nicht berührt. Das Urheberrecht
berührt nur einen kleinen Teil der produktiven Kapazitäten von
Wissenschaft und Kunst. Im Feld der digitalen Technologien indes
produziert beinahe jede einzelne Nutzung eine Kopie. Wir müssen
also einen Weg finden, um die Balance wiederherzustellen: Nicht
jeder Bereich, in dem wir unsere Kultur erfahren und verwenden,
sollte reguliert werden.
Denken Sie an die große Debatte in Großbritannien über die
Laufzeit des Urheberrechts für Musikaufnahmen. Cliff Richard und
Paul McCartney treten für eine längere Laufzeit des Schutzes
ein, 4000 Künstler haben die Petition unterschrieben.
Peinlicherweise waren darunter einige Tote . . . (lacht). Diesen
Leuten geht es nur um einen marginalen Prozentsatz - etwa zwei
Prozent - von allen Werken, die älter als 50 Jahre und noch
kommerziell interessant sind, denn 98 Prozent dieser Werke sind
gar nicht mehr auf dem Markt. Unterwirft man diese 98 Prozent
dem Copyright, dann würden all diese Arbeiten unzugänglich,
obwohl sie mit einer relevanten Verwertung nichts mehr zu tun haben.
Das System des Urheberrechts ist zugeschnitten auf die
kommerzielle Seite der Kreativität - weitet man es aber aus auf
alle Werke der vergangenen Generationen, dann wird es für alle
nichtkommerziellen Nutzungen - Bibliotheken etwa - zum
unerträglichen Hindernis.
SZ: Übertreiben Sie nicht mächtig?
Lessig: Nun, Google beispielsweise betreibt das Projekt Google
Buchsuche, bei dem 18 Millionen Bücher gescannt werden sollen,
so dass man in diesen 18 Millionen Büchern genauso suchen kann,
wie man das sonst im Internet tut. Das war der ursprüngliche
Vorschlag. Von diesen Büchern ist bei 16 Prozent das Copyright
ausgelaufen. 9 Prozent waren noch urheberrechtlich geschützt und
auch lieferbar. Das bedeutet, dass die übrigen 75 Prozent dieser
18 Millionen Bücher urheberrechtlich geschützt waren, aber nicht
mehr lieferbar. Nun erfordert das Urheberrecht nach Meinung der
Verlage, dass man jeden Urheber um sein Einverständnis fragt,
wenn das Buch digitalisiert wird und zugänglich gemacht wird,
obgleich es gar nicht mehr gedruckt wird. Natürlich ist es
praktisch unmöglich, all diese Urheber zu finden. Das ist ein
gutes Beispiel, wie das Copyright jedes sinnvolle Ausmaß
überschreitet. Warum sollten alle diese Bücher, für die es keine
kommerziellen Interessen mehr gibt, rechtlichen Sanktionen
unterliegen? Aber wenn man Chef einer Plattenfirma ist oder Paul
McCartney, dann denkt man nicht an Bibliotheken und Archive und
Schulen und Geschichte und Kultur. Denen geht es darum, Geld zu
machen. Das ist ja in Ordnung. Aber die Politik sollte etwas
mehr Weitblick beweisen als diese extrem erfolgreichen Künstler.
SZ: Was ist mit dem geistigen Eigentum, wenn man nicht Paul
McCartney heißt, sondern ein junger Musiker ist oder
Schriftsteller, der kein Gehalt bezieht, das ihm erlaubt, seine
Arbeit kostenlos ins Netz zu stellen, der von dem Produkt seiner
Kreativität leben muss?
Lessig: Nehmen wir den Musiker. Er sitzt in seiner Bude und
denkt sich: Soll ich eine Band gründen? Und dann denkt er sich:
Die Laufzeit des Urheberrechts beträgt nur 50 Jahre - wenn es 95
Jahre wären, dann würde ich sofort eine Band gründen . . .
(lacht). Das ist doch verrückt. Die Ausweitung schafft doch
keinen Anreiz für diesen Künstler. Ich denke, die größte
Leistung des Copyrights ist es, dass es für unabhängige Leute
die Möglichkeit eröffnet, ihrer kreativen Arbeit nachzugehen,
ohne einen Mäzen zu benötigen, sei es eine Universität, eine
Plattenfirma oder die Regierung. Das ist der Kerngedanke. Ich
unterstütze nicht die Piraterie, im Gegenteil. Doch die
entscheidende Frage ist, ob das Copyright-System Hindernisse
errichtet, die neuen, großartigen Kunstwerken im Weg stehen. Und
ich denke, die Antwort ist: Ja.
SZ: Übergeht diese Zuspitzung nicht, dass ein großer Teil der
Kultur aus Konsum besteht - auch wenn das nicht das schönste
Wort dafür ist? Ein Dramatiker schreibt ein Stück, jemand geht
ins Theater, sieht es an und geht wieder nach Hause. Im
Idealfall nimmt er neue Ideen mit. Aber im Normalfall wird er
kein neues Theaterstück schreiben.
Lessig: Vielleicht sind diejenigen, die Neues daraus schaffen,
wirklich nur 1 oder 5 Prozent der Menschen. Aber ich weiß genau:
Ich möchte, dass mein Kind in einer Welt aufwachsen kann, in der
das, was es mit Kultur macht, sich radikal von dem
unterscheidet, was ich mit Kultur gemacht habe. Das Kreativste,
was ich als Kind angestellt habe, war, eine Mixkassette
aufzunehmen und einer Freundin zu schenken. Unglaublicher
Einfallsreichtum! Aber sehen Sie sich an, was die Kids heute
anstellen: Sie nehmen einen Song, zerlegen ihn in einzelne
Spuren, mischen die mit vier anderen Songs. Sie nehmen sich
Material aus der Werbung, lösen es aus ihrem Kontext und
schaffen daraus etwas Neues. Sie sind genauso kreativ, wie sich
das ein Dozent im kreativen Schreiben vom Umgang mit Texten
erhofft. Das ist ein guter Vergleich: Wir sollten mit allen
Medien dieselben Freiheiten haben wie mit Texten. Wenn ich ein
Buch schreibe, zitiere ich andere Leute - und da käme es mir
doch auch nicht in den Sinn, bei denen anzurufen und um
Erlaubnis zu fragen.
SZ: Aber wie weit reicht das Monopol des Inhabers wirklich? Man
darf nicht einen ganzen Akt eines vorhandenen Theaterstücks in
ein neues Stück übernehmen. Aber man kann von dem vorhandenen
Stück lernen, neue Ideen bekommen, neue Techniken der
Dialogführung etc., die man in ein eigenes Werk fließen lassen
könnte. Dasselbe trifft auf Bücher zu. Ist nicht der normale
kreative Prozess viel weniger behindert durch Urheberrechte, als
Sie es behaupten?
Lessig: Das, was Sie beschreiben, sind schöpferische
Verfahrensweisen der
vordigitalen Welt. Und ich stimme ihnen in einem Punkt zu: In
der vordigitalen Welt existierte eine Balance. Und genau diese
Balance möchte ich gerne für das digitale Zeitalter herstellen.
Aber ich widerspreche Ihnen darin, dass dieselbe Freiheit in
allen Feldern künstlerischer Betätigung existiert. Wenn ich etwa
einen Roman schreibe, und jemand will ihn verfilmen, dann kann
ich die Rechte exklusiv an ihn verkaufen. Und sobald der Film
gedreht ist, darf niemand sonst den Roman verfilmen, die
Exklusiv-Rechte liegen bei mir. Wenn aber Paul McCartney einen
Song komponiert und einspielt, dann darf jeder diesen Song neu
aufnehmen, wenn er eine feste Reproduktionspauschale zahlt. Die
abgeleiteten Rechte eines Musikers sind also ganz anders als die
eines Schriftstellers. Und warum? Weil die Musiker im 20.
Jahrhundert sagten, die Beschränkung der Rechte der Komponisten
sei notwendig, damit viele gute neue Künstler hervorgebracht
werden können. Heute müssen wir also in jedes einzelne Feld
künstlerischer Produktion blicken und sehen, was dort angemessen
ist.
Insbesondere die Musik. Heute gibt es eine Explosion sogenannter
Laptop-Music. Leute nehmen Musikstücke und einzelne Fragmente,
mischen sie mit digitalen Mitteln und machen daraus völlig neue
Stücke. Die Gerichte in den USA verbieten dies aber, wenn keine
Erlaubnis eingeholt worden ist. Und jetzt haben wir Teenager,
die in Harlem sitzen und phantastische Musik machen, die sie
aber nicht veröffentlichen dürfen, weil es unglaublich teuer
ist, die Rechte zu klären. Viele ignorieren also die Rechtslage,
andere geben auf, und nicht mal an den Schulen unterrichten
Musiklehrer, wie das geht, weil man den Kindern ja keine
illegalen Sachen beibringen soll. Das ist doch lächerlich. Wir
sollten die Leute ermuntern, sich auf diese Weise kreativ zu
betätigen. Aber das gegenwärtige System, das aus der Zeit vor
der Digitalisierung stammt, blockiert das.
SZ: Versuchen wir, das Vordigitale mit dem Digitalen zu
verbinden. Ein Beispiel aus der Gesetzgebungsdebatte in
Deutschland: Ein kleiner akademischer Verlag veröffentlicht
spezielle Werke, sagen wir zur mittelalterlichen Geschichte. Der
Verlag hat Vollzeitlektoren, die die Texte, die gedruckt werden,
auswählen und verbessern. Dieser Verlag ist so spezialisiert,
dass seine Bücher fast ausschließlich an öffentliche
Bibliotheken verkauft werden. Nun wird debattiert, ob man den
öffentlichen Bibliotheken erlauben sollte, das Buch zu scannen
und auf den Monitoren der Bibliothek zur Verfügung zu stellen.
Die Auswirkungen auf den Absatz des kleinen Verlages wären
vermutlich verheerend. Wie würden Sie das Problem lösen?
Lessig: Die Struktur akademischer Veröffentlichungen, wie sie im
20. Jahrhundert existiert hat, war ein notwendiges Übel. Es war
notwendig, weil man die Verteilung der Ausgaben kontrollieren
musste, um die hohen Kosten für den Verlag zu kompensieren. Aber
es ist trotzdem ein Übel, weil Wissen - wie Forschung über
Malariatherapien oder neue Ergebnisse in der Chemie - sich so
breit und schnell wie möglich verbreiten muss. Die Grenzkosten,
um an diese Informationen zu kommen, sollten bei null liegen,
weil es sich dabei um öffentliche Güter handelt, die universell
zugänglich sein sollten. Jenes System, in dem wissenschaftliche
Literatur zu einem hohen Preis an öffentliche Bibliotheken
verkauft wird und dort nur limitiert zugänglich ist, war
notwendig vor dem digitalen Zeitalter. Ein neues Modell, das
perfekt ist, gibt es wohl noch nicht, aber wir arbeiten uns
einem Modell entgegen, in dem eine Zugangsbeschränkung beim
akademischen Publizieren nicht notwendig ist, weil die
Vertriebskosten praktisch bei null liegen. Die Frage bleibt
dann, wie man den menschlichen Arbeitsaufwand, den der Lektoren
und Autoren kompensiert. Es gibt Modelle, die eine
Abonnement-Lösung vorsehen oder staatliche Zuschüsse. Ich hoffe
sehr, dass sich solche Lösungen durchsetzen werden. Es geht
nicht um Madonna oder Britney Spears, aber ich meine,
Malariaforschung sollten ein Stück Information sein, das in
jeder Universität der Welt frei verfügbar ist.
Wie kommen wir dahin? Ich denke, wir müssen einen offenen
Wettbewerb zwischen diesen Geschäftsmodellen zulassen. Wer also
seine Zeitschrift auf die hergebrachte Weise veröffentlichen
will, der soll das tun. Aber den akademischen Institutionen
sollte es freigestellt sein, auch durch andere Geschäftsmodelle
an Inhalte zu kommen. Also solche, die die Vervielfältigung
nicht behindern. Was diesen offenen Wettbewerb behindert, sind
Verwertungsgesellschaften, die sagen: Wir besteuern jede
einzelne Kopie und verteilen dann das Geld. Denn dieses System
benachteiligt die, die ein anderes Geschäftsmodell favorisieren
und sagen: wir vergeben unsere Informationen kostenlos und wir
werden einen Weg finden, wie wir das auf eine andere Weise
finanzieren.
SZ: Sie argumentieren mit dringend gebrauchten Erkenntnissen
über Malaria. So wird die ethische Dringlichkeit deutlich: Wer
wollte, dass ein böser europäischer Verlag einem afrikanischen
Wissenschaftler wichtige Informationen vorenthält? Aber was ist
mit der Normalität? Sie sagen: Lasst uns sehen, welches
Geschäftsmodell sich durchsetzt. Aber der Begriff "Geschäft"
beinhaltet doch, dass jemand Geld verdienen muss, sonst gäbe es
keinen Anreiz für die Produktion der Bücher. Wie soll ein
normales Verlagshaus in einer Zeit freier Zugänglichkeit überleben?
Lessig: Nun, ich weiß auch nicht, wie die überleben sollen. Ich
weiß auch nicht wie Firmen, die Filme für Fotoapparate
herstellen, in Zeiten der Digitalkamera überleben sollen. Denken
Sie an die Polaroid-Technologie . . .
SZ: . . . aber Bücher werden doch noch gedruckt?
Lessig: Für jede Technologie gibt es ein spezielles
Geschäftsmodell. Aber Technologien verändern sich. Also
verlieren manche ihr Geschäft . . .
SZ: . . . aber nicht jede Technologie verschwindet, wenn eine
neue auftaucht! In den frühen neunziger Jahren dachte jeder,
Bücher würden verschwinden und von digitalen Lösungen ersetzt
werden. Das ist nicht eingetreten.
Lessig: Okay, neue Technologien ersetzen nicht immer alte. Das
Radio ist ein Beispiel, es hat die Einführung des Fernsehens
überdauert. Einverstanden. Der Punkt ist aber: Das Ziel einer
Wettbewerbspolitik ist nicht, einen Wettbewerber zu schützen,
sondern den Wettbewerb. Und es könnte sein, dass gewisse Modelle
nicht mehr wettbewerbsfähig sind. Es könnte sein, dass der
unabhängige Verlag nicht mehr lebensfähig sein wird. Das ist
natürlich schade. Aber man muss sich weiterentwickeln und
Lösungen für den aktuellen Stand der Technologie finden. Ich
denke nicht, dass ein Urheberrecht dafür da sein muss, jeden
kleinen Verlag zu beschützen. Das wäre ein moralischer Fehler.
SZ: Wäre die Konsequenz Ihrer Ideen nicht, dass man eine starke
staatliche Regulierung einführen müsste, weil umfangreiche
Fördermittel nötig wären, um Firmen Anreize für Forschung zu
geben? Vor allem wenn es sich dabei nicht nur um Musik und
Bücher, sondern auch um medizinische oder industrielle Patente
handelt?
Lessig: Patente sind im Prinzip nicht schlecht. In vielen
Zusammenhängen sind sie ein notwendiges Übel. Solange
Medikamente von der Privatwirtschaft produziert werden, bleiben
Patente der Grund, warum darin investiert wird. Aber es gibt
andere Wege, Medikamente zu finanzieren. Und selbst wenn wir das
Patentsystem akzeptieren, darf man nicht annehmen, dass dieses
System, nur weil es für eine Entwicklung funktioniert, auch für
alle anderen Formen der Entwicklung notwendig ist. Nur weil
Patente bei Medikamenten gut sind, müssen sie noch lange nicht
für die Softwareentwicklung oder das Internet gut sein. Ich
denke, es ist falsch, Patente auf alle Formen der Information
auszuweiten, wie das in den USA der Fall ist. Hier wird gar
nicht gefragt, ob das Patentsystem mehr Schaden als Nutzen
anrichtet. Und dieser Nutzen sollte sein: eine Entwicklung
fördern, die sonst nicht stattgefunden hätte.
SZ: Professor Lessig, was ist derzeit gut und was ist schlecht
am Internet?
Lessig: Am Internet ist gerade großartig, dass es so viele
eigene Aktivitäten der Nutzer generiert. Noch vor fünf Jahren
wäre das undenkbar gewesen. YouTube beispielsweise.
Rechteinhaber klagen über YouTube mit dem Argument, dass ihnen
ihre Inhalte genommen würden. Auf der anderen Seite steigt der
Wert dieser Inhalte, weil sie über YouTube aufgerufen werden.
Davon profitiert wiederum der Rechteinhaber, also etwa ein
Fernsehsender, der seine Inhalte nicht so gut positioniert hat
wie YouTube. Es gibt also viele Orte, an denen neue Inhalte
geschaffen, verändert und zugänglich gemacht werden.
So viel zu den guten Seiten. Das schlechte ist: Das ist alles
illegal. Und eine Generation wächst heran, bei der alles, was
sie tut, illegal ist. Das höhlt die Herrschaft des Gesetzes in
einer Demokratie aus. Es geht nicht darum, Madonnas Musik zu
stehlen, sondern um neue Formen der Kreativität, die die
Fähigkeiten der Menschen fördern. Viele Befürworter eines
strengen Copyrights kommen mir vor wie die alten Sowjets 1988:
Sie merken nicht, dass die Revolution schon gekommen ist, und
sie meinen, sie könnten diesen merkwürdigen komplizierten
bürokratischen Komplex weiter ausbauen. Genauso ist das
Copyright-System heute. Wenn wir alle neuen kreativen
Ausdrucksmöglichkeiten unterbinden, werden die Jungen die
Rechtslage einfach ignorieren. Wir müssen das Urheberrecht
reformieren, sonst wird es übergangen. Ich möchte dieses System
neu gestalten, damit es im digitalen Zeitalter überlebt, damit
es auch in Zukunft die Anreize schafft, die es braucht, um
Künstler hervorzubringen.
Interview: Johan Schloemann, Andreas Zielcke
Deutsch von Felix Denk
Quelle: Süddeutsche Zeitung
Nr.295, Freitag, den 22. Dezember 2006 , Seite 12
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Web-Site: http://www.oekonux.de/
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