Fragen an das Projekt Oekonux



Inhaltsverzeichnis

Das folgende Dokument entstand aus einem Interview, um das die Frankfurter Rundschau im Rahmen eines Schwerpunkts zu Alternativen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft gebeten hatte. Auszüge dieses Interviews wurden am 6. Dezember 2003Remote link unter der Überschrift "Gegen die Logik der Knappheit" veröffentlicht.

Die Fragen der Frankfurter Rundschau wurden auf der Diskussionsliste (http://www.oekonux.de/liste/Remote link) gestellt. Den folgenden Text hat Stefan Merten aus den Antworten auf der Liste zusammen gestellt. Der gesamte Diskussionsfaden (Thread) mit allen Details kann im Archiv der Liste bei Interesse ab http://www.oekonux.de/liste/archive/msg07492.htmlRemote link nachgelesen werden.



Wohin führt der Erfolg Freier Software?

Führt er zur Integration in die Marktwirtschaft, wird Freie Software kommerzialisiert?

Freie Software und Kommerz sind keine Gegensätze. Freie Software unterscheidet sich von proprietärer Software unter anderem durch die Lizenzen. Während bei proprietärer Software den NutzerInnen nur ganz bestimmte, eng beschränkte Nutzungsarten zugestanden werden, lässt Freie Software den NutzerInnen praktisch jede Freiheit. Insbesondere darf Freie Software auch weiter kopiert werden, so dass die künstliche Knappheit, die proprietäre Lizenzen durch ihr Kopierverbot erzeugen, bei Freier Software nicht entsteht. Im Ergebnis führt dies dazu, dass Freie Software, die einmal veröffentlicht wurde, an sich nicht verwertet werden kann. Sie ist ein kostenloses öffentliches Gut, das allen zur Verfügung steht. Eine Lizenz wie die GNU General Public License (GPL) verhindert sogar eine Reprivatisierung, indem sie verlangt, dass bei Weitergabe abgeleiteter Werke die Quellen immer mitgeliefert werden müssen.

Es gibt allerdings Geschäftsmodelle rund um Freie Software. Alle diese Geschäftsmodelle leben von einer Kombination Freier Software mit einem knappen Gut. Hierunter fallen sowohl Distributionen, bei denen Support, Handbücher und die Zusammenstellung der Distribution bezahlt werden, als auch Services oder proprietäre Produkte rund um Freie Software.

Ein weiteres Geschäftsmodell besteht darin, dass Freie Software im Kundenauftrag entwickelt wird. Im Projekt Oekonux unterscheiden wir analytisch zwischen Einfach Freier Software, die beispielsweise im Kundenauftrag oder im Rahmen einer Diplomarbeit entwickelt wird, und Doppelt Freier Software, bei der die EntwicklerInnen ausschließlich aus freier Entscheidung und aus eigener Motivation heraus handeln.

Sparen die auf Gewinne zielenden Firmen wie IBM oder Sun Entwicklungskosten, indem sie die Leistungen von Freie-Software-Entwicklern verwenden?

IBM und Sun, die sich die Förderung Freier Software auf die Fahnen geschrieben haben, sparen zwar gewisse Kosten durch die Leistungen der Community, sie investieren aber auch selbst nicht unerheblich in die Weiterentwicklung Freier Software wie z.B. das Office-Paket OpenOffice.org. Der Profit, den Firmen wie IBM und Sun im Umfeld Freier Software machen, kommt tatsächlich aus den genannten Geschäftsmodellen, bei denen Services und Hardware angeboten werden. Auch eine anti-monopolistische Strategie dürfte eine Rolle spielen.

Andere Firmen, die verfügbare Freie Software einsetzen, sparen erhebliche Entwicklungskosten, wenn sie ansonsten diese Software selbst entwickeln müssten. Gleichzeitig profitieren sie davon, dass Freie Software oftmals gut gepflegt wird. Es gibt mittlerweile Untersuchungen, die den Total Cost of Ownership Freier Software zumindest nicht höher sehen, als den von proprietären Lösungen. Im Projekt Oekonux gibt es die verbreitete Auffassung, dass dies eine direkte Folge des gegenüber proprietärer Software im Schnitt höheren Qualitätsstandards Freier Software ist, der wiederum aus der besonderen Produktionsweise Freier Software herrührt.

Ein echtes Problem haben tendenziell Firmen, deren Produkte in Konkurrenz zur Freie Software stehen. Nicht umsonst fährt Microsoft in den letzten Jahren zunehmend schärfere Attacken gegen die gesamte Freie-Software-Bewegung.

Scharf formuliert: Hilft die Freie-Software-Gemeinde dem Kapitalismus?

Aus betriebswirtschaftlicher Sicht ist die Antwort bereits gegeben. Aus volkswirtschaftlicher Sicht beseitigt ein kostenloses öffentliches Gut wie Freie Software vor allem Unkosten.

Wirklich interessant wird die Frage dann, wenn wir eine Systemsicht einnehmen. Tatsächlich unterläuft Freie Software das System der Wertschöpfung, ohne die der Kapitalismus nicht funktionieren kann. Indem Freie Software künstliche Knappheit beseitigt, die für Informationen unter den Bedingungen des Internet nur noch mit einem Polizeistaat durchzusetzen wäre, hebelt sie das zentrale Funktionsprinzip des Kapitalismus aus. Besonders bemerkenswert daran ist, dass das Ganze nicht(!) als Teil eines politischen Programms geschieht, sondern eine Folge der innerkapitalistischen Entwicklung der Produktivkräfte selbst ist.

Im Projekt Oekonux betrachten viele das Phänomen Freie Software als eine Keimform eines neuen Vergesellschaftungsmodells. Vielleicht zum ersten Mal in der Geschichte bietet sich die Chance, den Kapitalismus in eine Gesellschaftsformation zu überführen, die nicht mehr nach der Logik der Knappheit funktioniert, sondern sich auf einer Logik des Reichtums für alle gründet. Ein Reichtum, der dann nicht mehr ein monetärer, sondern ein stofflicher und sozialer Reichtum ist.

Oder zumindest dem Teil der IT-Branche und Anwender, der sich vom Microsoft-Monopol verabschieden möchte?

Generell hilft Freie Software allen, die die Kontrolle über die von ihnen benutzte zentrale Infrastruktur zurück haben möchten. Durch die offen liegenden Quellen Freier Software ist es prinzipiell allen NutzerInnen möglich, eigene Bedürfnisse selbst zu befriedigen oder andere damit zu beauftragen. Insbesondere macht Freie Software unabhängig von den Entscheidungen eines Monopolisten, der je nach eigenen Geschäftinteressen seine "Standards" inkompatibel ändert (Word-Format) oder Support für seine Produkte nicht länger anbietet (Windows NT).

Besteht die Gefahr, dass wenn die Wirtschaft die Entwicklungsziele setzt, die "Kultur" der Freie Software kaputt geht?

Die Wirtschaft kann selbst Einfach Freie Software entwickeln, aber sie kann der Freien-Software-Bewegung keine Ziele setzen, da jede EntwicklerIn Doppelt Freier Software sich ihre Ziele selbst setzt.

Der Teil der Wirtschaft, der auf die eine oder andere Weise auf Freie Software setzt, hätte aber auch gar nichts davon, die Kuh zu schlachten, die sie gerne melken möchte. So hat IBM zu Beginn seines Engagements explizit darauf hingewiesen, dass man als großer Player sehr vorsichtig sein müsse, eben diese Kultur nicht zu zerstören. Dies scheint zu gelingen. Diese Firmen haben begriffen, dass ihre eigene Geschäftsgrundlage Freie Software genau so funktionieren muss, wie sie es tut.

Andererseits ist die Freie-Software-Bewegung heute auch eine ernst zu nehmende Größe mit der es sich eine Firma besser nicht verscherzt, die plant auf diesem Sektor noch Gewinne zu machen.


Was kann Freie Software noch bedeuten?

Oder kann die Art und Weise, wie Freie Software entsteht, einen Weg in eine neue Ökonomie weisen?

Das ist eine der Kernfragen des Projekt Oekonux, dessen Name eine Kombination aus den Worten "Öknonomie" und "Linux" ist. Auf Grund der Argumente, die das Oekonux seit 1999 dazu sammelt, würden viele TeilnehmerInnen diese Frage sicher bejahen.

Im Rahmen des Projekts untersuchen wir das Phänomen Freie Software und versuchen eine Theorie zu bilden, mit der dieses Phänomen verstehbar wird. Aus einer einfachen Mailing-Liste, die zur Zeit ca. 260 (deutsch) bzw. 90 (englisch) AbonnentInnen umfasst, ist mit der Zeit ein Projekt entstanden, das eine erhebliche Ausstrahlung auf ganz unterschiedliche Menschen gewonnen hat. Das offene, an Erkenntnis orientierte Klima des Projekts zieht Menschen aus den unterschiedlichsten Hintergründen und aus allen Altersstufen an. Gleichzeitig kann Oekonux auch selbst als Beispiel für die Prinzipien gelten, die Gegenstand des Diskurses sind. Vom 20.-23. Mai 2004 werden wir unter der Überschrift "Reichtum durch Copyleft - Kreativität im digitalen Zeitalter" (http://www.oekonux-konferenz.de/Remote link) unsere 3. internationale Konferenz in Wien durchführen.

Helfen IBM und Co, auch wenn sie es nicht wollen, dabei sogar?

Alle, die Freie Software propagieren, helfen mit diese zu verbreiten. Firmen, die dies tun, betrachten es als ihr derzeitiges Geschäftsinteresse, andere haben andere Gründe.

Freie Software ist aber nicht nur ein technisches Artefakt, sondern sie transportiert eben auch eine andere Logik, die von einem kapitalistisch geprägten Geist zunächst nur schwer zu verstehen ist. Diese andere Logik trägt nicht unerheblich dazu bei, dass Freie Software neben ihrer unbestreitbaren Nützlichkeit auch erhebliche Sympathien auf sich zieht. Wird Freie Software als Keimform einer neuen Vergesellschaftungsform betrachtet, so helfen IBM und Co somit sich selbst überflüssig zu machen. Das wäre vielleicht ein Verlust für den Kapitalismus aber vermutlich ein Gewinn für die Menschheit.

Ist Kommerzialisierung von Linux "gut"?

Kommerzielle Verbreitung ist eine Möglichkeit Freie Software und ihre Ideen zu verbreiten. Von daher ist eine Kommerzialisierung nicht negativ.

Etwas anders verhält es sich, wenn wir das Entwicklungsmodell betrachten. Nach einer im Projekt Oekonux verbreiten Auffassung rührt die Qualität Freier Software vor allem daher, dass die EntwicklerInnen nicht an Vorgaben des Marktes bzw. der Marketing-Abteilung gebunden sind. Vielmehr können sie sich ausschließlich auf die absolute Qualität ihres Schaffens konzentrieren. Diese Qualität ist es letztlich, die Freier Software immer mehr zum Durchbruch verhilft - und nicht etwa die fehlenden Lizenzkosten.

Dieser Aspekt ist bei Auftragsentwicklung Freier Software aber nur noch eingeschränkt gegeben. Immerhin kann das Ergebnis einer Auftragsentwicklung bei Bedarf von der Community weiter entwickelt werden.

Wie könnte der Weg zu einer alternativen Ökonomie aussehen?

Diese Frage ist im Detail nicht seriös zu beantworten. Allerdings schälen sich aus den Untersuchungen des Projekts Oekonux einige grundsätzliche Überlegungen heraus.

Die Wissenschaft selbst lebt schon seit Anbeginn vom Freien Fluss von von Informationen. Es kann wohl als erwiesen gelten, dass dieser Freie Fluss von Gedanken, Wissen und Information die beste Art und Weise ihrer Weiterentwicklung ist. Betrachten wir heute alltägliche Produkte, so können wir feststellen, dass ihr wissenschaftiche Anteil in Form ihres High-Tech-Anteils ständig steigt. Noch deutlicher wird dies, wenn wir die Produktionsanlagen betrachten, auf denen diese Produkte hergestellt werden. Der Automatisierungsgrad der materiellen Produktion steigt ständig und Information ist ein entscheidender Faktor dieser Automatisierung. Das Zentrum der Produktion auch materieller Güter rückt also immer mehr in den Bereich der Produktion von Informationen.

Freie Software ist eine Form, die diesen Zusammenhang auf höchstem technischen Niveau ganz praktisch in die Produktion nützlicher Güter einfließen lässt. Wenn aber die gesamte Güterproduktion zunehmend wissenschaftlich wird, so ist langfristig zu erwarten, dass die besten Produkte nach Prinzipien entstehen, die wir in der Freien Software heute schon beobachten können. Dazu gehört die Selbstentfaltung der ProduzentInnen als zentraler Motor für Innovation und Qualität. Diese Selbstentfaltung kann letztlich nur dann gewährleistet sein, wenn der Produktion äußerliche Interessen wie der Zwang zum Geldverdienen keine Rolle mehr spielen. Eine Abschaffung künstlicher Knappheit ist dazu eine Voraussetzung.

Eine solche Abschaffung von Knappheit, die zunächst für Informationsprodukte aller Art geschehen dürfte, führt nach und nach dazu, dass die geldbasierte Produktion eine zunehmend kleinere Rolle spielt und zuletzt genauso verschwindet, wie die feudale Produktionsweise aus dem entwickelten Kapitalismus verschwunden ist.

Welche Rolle spielt das Internet dabei?

Eine zentrale Rolle.

Das Internet ermöglicht globale Kooperation, die ebenfalls eine der wichtigen Prinzipien der Entwicklung Freier Software ist. Gleichzeitig macht das Internet insbesondere über Mailing-Listen eine Transparenz möglich, wie sie in anderen Medien gar nicht denkbar ist. Weiterhin ermöglicht das Internet allen Interessierten sich zu dem Grad in ein Projekt einzubringen, der ihnen individuell angemessen erscheint. Selbstorganisationsprozesse, die ein weiteres Kennzeichen Freier Software sind, werden durch das Internet ebenfalls gefördert.

Daneben ist das Internet die zentrale Fernkopiereinrichtung für digitale Daten. Das Internet hat die digitale Kopie, die historisch erstmals vom Original ununterscheidbare Kopien von Informationsgütern erlaubt, auf eine neue Stufe gehoben. Freie Software ist eigentlich erst mit der Ausbreitung des Internet wirklich in Fahrt gekommen.


Ist eine Übertragung in andere Bereiche möglich?

Software ist zwar extrem wichtig für die Wirtschaft, aber sie ist nicht alles. Auf welchen Gebieten lassen sich Freie-Software-Prinzipien noch anwenden?

Werden die Prinzipien der Entwicklung Freier Software als eine neue, bessere Produktionsweise für die Güter angesehen, für deren Produktion Kreativität und Motivation eine zentrale Rolle spielen, so gilt dies für alle diese Güter. Je mehr diese Güter und ihre Produktion dominieren, desto mehr ist deren Produktionslogik auf die Gesamtgesellschaft anwendbar.

Wollen wir eine Übergangsphase betrachten, so muss dies aber gar nicht die zentrale Frage sein. Genauso wie die neue Produktionsweise der bürgerlichen Gesellschaft zunächst nur Teilbereiche der Gesamtgesellschaft abdecken konnte, kann auch eine Produktionsweise, die an den Prinzipien der Entwicklung Freier Software orientiert ist zunächst nur Teile der Gesamtgesellschaft mit Produkten versorgen. Freie Software ist ein Beispiel dafür. Dennoch hat sich die industrielle Produktionsweise nach und nach durchgesetzt und nach und nach die gesamte Gesellschaft nach ihren Prinzipien geformt. Ähnliches ist für die Prinzipien der Entwicklung Freier Software denkbar, die die Industriegesellschaft nach und nach in eine Informationsgesellschaft überführt.

Gibt es Beispiele dafür, die über freie Musik, Texte und ähnliche "immaterielle" Produkte hinausgehen?

Das Projekt Oekonux versucht Beispiele für solche Übertragungsversuche zu sammeln (http://www.oekonux.de/projekt/links.htmlRemote link). Die bisherigen Beispiele beziehen sich allesamt auf den Informationsanteil der Produktion materieller Güter.

Wie stehen die Chancen für "Hardware" vom Auto bis zum Joghurt?

Am weitesten dürften die Entwicklung im Bereich digitaler Hardware gediehen sein. Hier gibt es bereits vorzeigbare Ergebnisse Freier Entwicklung nach den Prinzipien der Entwicklung Freier Software. Leider ist beispielsweise der Bereich digitaler Hardware derart mit Patenten zugepflastert, dass es schwer ist, um diese herum zu entwickeln.

Es gibt aus unterschiedlichen Gründen verschiedentlich Interesse von Herstellern materieller Güter an solchen Freien Bauplänen. Diese könnten in einem nächsten Entwicklungsschritt dazu übergehen, die Freien Designs mit ihren Produktionsmaschinen zu produzieren. Immerhin sparen sie auf diese Weise Entwicklungs- und evt. auch Marketingkosten ein, die heute bereits einen Löwenanteil dieser Produkte ausmachen.

Aber in der Tat ist durch die flächendeckende Verfügbarkeit digitaler Kopie die Lage im Bereich der Informationsgüter vor allem dort einfacher, wo Computer sowohl Produktionsmittel als auch Träger des fertigen Produkts sind. Ein in Oekonux viel diskutiertes Phänomen sind die hochflexiblen Produktionsmaschinen, die quasi aus Rohstoffen und digitalen Daten materielle Werkstücke materialisieren. Diese Maschinen - vom Industrieroboter bis hin zu Maschinen des Rapid Prototyping - erreichen eine vergleichbare Universalität gegenüber Materie wie die digitale Kopie gegenüber allen Arten von Informationsgütern.


Wie kann ein Übergang aussehen?

Wenn es einen solchen Weg in eine andere Ökonomie gibt, wie kann man sich den vorstellen?

Gesellschaftliche Umbrüche der Dimension wie sie im Projekt Oekonux angedacht werden, sind in ihrer konkreten Verlaufsform nicht vorhersagbar. Sind die Prinzipien richtig erkannt worden, nach denen sich eine solche neue ökonomische Form allerdings gestaltet, ist es dagegen schon eher möglich, sich den Endzustand vorzustellen.

Schon heute können wir ausmachen, dass die kapitalistische Basiskategorie Arbeit zunehmend verfällt. Dies schlägt sich nicht zuletzt im zunehmenden Abbau der auf Arbeit basierenden sozialen Sicherungssysteme nieder. Es ist festzuhalten, dass der Kapitalismus heute nicht mehr in der Lage ist, ein Versprechen auf eine bessere Zukunft zu geben. War der Begriff "Reform" früher ein Ausdruck einer Verbesserung der Lebensbedingungen, so ist er heute in sein Gegenteil verkehrt.

Die neue Produktionsweise, die wir in Freier Software keimförmig erkennen können, hat dagegen für immer mehr Menschen Realität und eine zunehmende Attraktivität, da sie unmittelbar davon profitieren. Freie Software, aber auch die Vielfalt des WorldWideWeb zeigen den Menschen, was auf der Höhe der technischen Entwicklung möglich ist. Das werden sie nie mehr vergessen. Der Weg in eine neue Ökonomie ist - wie jeder Übergang zu einer neuen ökonomischen Form - durch den Spagat zwischen alter und neuer Ökonomie geprägt.

Geht das quasi von selbst, weil die Industriegesellschaft sich zur Informationsgesellschaft wandelt, oder muss der Weg "organisiert" werden?

Aus den dargelegten Gründen begünstigt die Entwicklung der Produktivkräfte diesen Übergang. Sichtbar wird dies an der Vielzahl unabhängiger Projekte, die durch Freie Software inspiriert sich bemühen, deren Prinzipien in ihren Bereich zu übertragen.

Andererseits sind solche gesellschaftlichen Prozesse natürlich auch immer politische Prozesse, die von Organisation in der einen oder anderen Form profitieren. Auch hier gilt es aber, die Organisationsformen den Zielen anzupassen. Anleihen bei den Organisationsprinzipien Freier Software sind daher zu empfehlen.

Sind Projekte wie Oekonux mehr als ein Experimentierfeld oder eine Spielwiese für eine privilegierte Minderheit von Experten?

Oekonux ist zuallererst ein Reflexionsprojekt, in dem der Versuch unternommen wird, aktuelle Entwicklungen zu verstehen und eine Theorie zu bilden. Die Ergebnisse dieser Bemühungen, die die Chance einer positiven gesellschaftlichen Entwicklung eröffnen, sind aber für viele Menschen von großem Interesse. Derzeit sind konkrete Umsetzungsprojekte kein Teil von Oekonux.

Oekonux ist offen für alle, die am Thema interessiert sind. Wir begrüßen es, wenn ExpertInnen der unterschiedlichsten Disziplinen ihr Wissen einbringen, aber Expertentum ist keine Voraussetzung für eine Teilnahme.


Wie kann eine Ausbreitung aussehen?

Wie können mehr Menschen zum Mitmachen gewonnen werden?

Eine der Stärken des Modells, das im Projekt Oekonux entwickelt wird, ist, dass das Mitmachen im direkten Interesse der Menschen liegt. Die Verwendung Freier Software hat nichts mit Verzicht zu tun, sondern bedeutet im Gegenteil die Teilnahme an einem ungeheuren Reichtum. Im Gegensatz zu den moralisierenden Politikansätzen der Vergangenheit ist es also grundsätzlich sehr viel leichter Menschen zu gewinnen.

Was kann der Einzelne tun?

Eine einfache Möglichkeit für alle Computer-NutzerInnen besteht darin, Freie Standards proprietären Formaten vorzuziehen. Offen liegende Standards müssen nicht mühsam von der Freie-Software-Community erforscht und nachprogrammiert werden und bieten überdies eine langfristigere Nutzbarkeit. Konkretes Beispiel: Keine Word-Dokumente verschicken.

Neben der Nutzung und Verbreitung Freier Software und vergleichbarer Projekte gibt es viele Projekte, bei denen die aktive Beteiligung auch Spaß macht. MusikerInnen können beispielsweise die Musik, die sie ohnehin möglichst vielen Menschen nahe bringen wollen, als Freie Musik ins Web stellen. Generell können alle, die Informationsprodukte herstellen, wo immer möglich diese Frei stellen und nach den Prinzipien der Entwicklung Freier Software entwickeln. Dazu bietet es sich an, entsprechende Lizenzen wie die OpenContent-Lizenz zu verwenden.

Denken wir über einen gesellschaftlichen Übergang nach, so wäre es heute entscheidend, die Kategorien der Arbeitsgesellschaft als das zu sehen was sie sind: Menschenwerk - und nicht etwas Naturgesetze. Menschenwerk ist aber änderbar.

Wo liegen die größten Hürden für eine andere Wirtschaft, beim Markt, der Politik, den Leuten?

Alle drei Bereiche bilden im Moment Hürden. Auch wenn die konkreten Interessenlagen unterschiedlich sein können, so haben die auf dem Markt agierenden Unternehmen doch grundsätzlich ein Interesse an der Verknappung, da diese ihnen ihre Profite überhaupt erst ermöglicht. Die Politik, insofern sie sich als Ausführungsgehilfe der Wirtschaft versteht, stößt ins gleiche Horn. Allerdings gibt es gerade in Europa und in einigen Entwicklungsländern von staatlicher Seite Bemühungen, den Einsatz Freier Software zu fördern. Die Leute haben überwiegend das Problem, dass sie sich eine neue Form des Wirtschaftens nicht vorstellen können.

Es hat den Anschein, dass es eine Art Rollback gibt: Kampf gegen Musiktauschbörsen im Internet, Versuch, Softwarepatente in der EU einzuführen, Vorwürfe von SCO gegen Freie Software. Wie ernst ist das für die Oekonux-Perspektive zu nehmen?

Tatsächlich sind derzeit verstärkt Versuche festzustellen, die Möglichkeiten der digitalen Kopie und des globalen Informationsflusses wieder zurück zu drängen. Allen voran sind hier die Bemühungen zu nennen, Software-Patente auch in Europa endgültig einzuführen. Durch die Lobbyarbeit von Freie-Software-BefürworterInnen und vielen mittelständischen Unternehmen konnte hier durch das EU-Parlament vorerst das Schlimmste verhindert werden. Der endgültige Ausgang dieses schon seit Jahren andauernden Verfahrens ist aber noch offen.

Ähnliche Bemühungen, die künstliche Knappheit wieder herzustellen, auch bei den Peer-To-Peer-Netzen im Gange. Es ist aber wichtig, dass in Peer-To-Peer-Netzen, in denen übrigens nicht notwendig getauscht wird wie es der Begriff Tauschbörsen nahe legt, in aller Regel keine Freien Produkte fließen, sondern solche, die unter proprietärem Copyright stehen.

All diese Versuche können als Widerstand des Ancien Regime gedeutet werden. Der Geist, der eigentlich schon aus der Flasche ist, soll wieder in dieselbe zurück befördert werden. Es ist zu erwarten, dass diese Versuche noch zunehmen werden.

Sind die Analysen des Oekonux-Projekts jedoch richtig, so werden diese Versuche keinen dauerhaften Erfolg haben. Noch nie hat sich eine fundamentale Änderung der Produktionsweise dauerhaft verhindern lassen. Vielleicht gilt hier das alte Ghandi-Zitat: "Erst ignorieren sie dich. Dann machen sie dich lächerlich. Dann bekämpfen sie dich. Dann hast du gewonnen."