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Re: [ox] Re: Arbeit oder was?



On Thu, May 04, 2000 at 03:29:16PM [PHONE NUMBER REMOVED], Bernd wrote:
Ich persoenlich halte es fuer voellig absurd, "Arbeit" als dem
Menschen als Menschen zugehoerig oder gar definierend anzusehen. Das
ist in meinen Augen der groesste Fehler bei Marx/Engels, der leider
ziemlich fundamental ist. 

Wieso ist das ein Fehler? Wie will man die Menschen sonst
unterscheiden von der Tierwelt?

Durch vielfaeltige Unterschiede. Es reicht doch auch voellig, wenn
jeder weiss, dass er einen Menschen vor sich hat, wenn er einen
sieht. Schon sowas ueberhaupt definieren zu muessen ist doch
irgendwie krank. Ganz abgesehen davon, dass es jede Menge Menschen
gibt, die nicht faehig sind zu arbeiten. Das dann "lebensunwertes
Leben" zu nennen oder "Untermenschen" ist dann nur noch ein kleiner
Schritt.

Wenn man Arbeit nicht als etwas "den Menschen Ausmachendes" erkennt,
dann waere die Arbeitswertherorie von Ricardo/Marx falsch, die besagt,
dass der Wert einer Ware von demjenigen Arbeitquantum bestimmt ist, das
darin steckt. Messbar in Arbitszeit. 

Ja, die ist ja auch falsch. So what. Arbeitszeit ist sowas von
absurd als Masskriterium fuer Wert. Dann hat eine per Hand
hergestellte Ware einen tausendfach hoeheren Wert als eine
maschinell hergestellte selbst wenn letztere qualitativ besser ist.

Und damit waeren auch Tauschwert und Gebrauchswert nicht sinnvoll
definiert, also koennte man auch die aus der Dialektik von T.-wert
und G.-wert stammende oekonomische Dynamik nicht mehr verstehen.

Exakt. Zumindestens nicht mit Marxens Theorie. Ich hab ja auch nie
behauptet, dass ich Marxist bin.

Das ist doch gerade das Standardargumentationsmuster der
Rechten/Buergerlichen/was auch immer. Etwas, was einem ideologisch
in den Kram passt, wird als biologisch vorausgesetzt, der Mensch
"ist halt nunmal boese" oder "arbeiten muss man halt" 

Kannst du dir vorstellen, dass die Menscheit irgendwann mal nicht mehr 
arbeitet/produziert und zurueckkehren wird in eine Tierische Lebensweise,
also von der Hand in den Mund lebt nicht mehr planerisch-vorrausschauend 
taetig sein wird?

Ja, tatsaechlich ist das meine Utopie. Nie mehr arbeiten. Ich halte
das allerdings weder fuer eine tierische Lebensweise (im Gegenteil
die taegliche Plackerei ist eines Tieres wuerdig), noch fuer ein
Anzeichen, das jedes planerisch-vorausschauende Handeln dann
wegfallen wuerde. Ich verbringe einen Groszteil meines Lebens mit
planerisch-vorrausschauendem Handeln. Zum Glueck ist nur ein
verhaeltnismaessig geringer Teil davon Arbeit.

Wenn Du Dir nicht vorstellen kannst, wie man planerisch,
vorausschauend handelt ohne zu arbeiten, koennte ich Dir z.B. mal
eine Teilnahme an meinem Email-Spiel empfehlen (siehe signature).

oder auch
"Juden sind halt nunmal von natur aus raffgierig" und "Neger haben
die Musik im Blut". Das liegt alles auf der selben
Argumentationsschiene.

Das irgendwelche Eigenschaften der Menschen biologisch beeinflusst sind,
ist doch klar. Wir sind biologisch dazu genoetigt zu Essen/Trinken und
haben einen Sexualtrieb und Selbsterhaltunstrieb u.s.w. 

Essen und Trinken vielleicht. Aber schon die Art und Haeufigkeit der
Essensaufnahme ist sozial bedingt. Und was den angeblichen
"Sexualtrieb" angeht, ist es ja wohl offensichtlich, wie stark der
kulturell und sozial geformt ist. 

Der Fehler von Rassisten und Biologisten ist, dass sie den Menschen auf
diese Eigenschaften reduzieren wollen und den Einfluss von
Kultur/Erziehung auf den Menschen leugnen.
Man muss eben beides beachten, Biolgie und Kultur. 

Wenn man aber eine vermeintliche Biologie als Startpunkt einer
oekonomischen Theorie verwendet ist man in meinen Augen ein
Biologist (oder vielleicht etwas netter formuliert: Anthropologist).
Genau das machen Marx/Engels. 

Das "Arbeit" etwas Gesellschaftliches ist und deshalb auch
gesellschaftlich definiert werden muss, und deshalb 
gesellschaftlichen Veraenderungen unterworfen ist, ist ja ein zentraler
Punkt bei Marx gewesen. 
Bei Marx ist Arbeit Auseinadersetzung mit und Veraenderung der Natur.
Mit Arbeit hat der Mensch sich aus dem Tierreich entwickelt.
Damit einher ging erstens ein sich entwickelndes Bewusstsein, und
zweitens wurde im gesellschaftlicher Rahmen gearbeitet.
Man kann sagen: Arbeit=Bewusstsein=Gesellschaft. 

Tja, das dumme ist, dass diese marxschen Aussagen eben selbst
historisch relativiert werden muessen. Sie sind zu einer Zeit
geschrieben, als das Buergertum, das sich auch schon ueber Arbeit
definiert hat, auf dem Hoehepunkt seiner Macht angekommen war. Heute
ist das alles nicht mehr wahr. Ob es damals wahr war, kann ich nicht
mehr sagen, interessiert mich aber auch nur am Rande.

"In der Produktion beziehen sich die Menschen nicht allein auf die
 Natur. Sie produzieren nur, indem sie auf eine bestimmte Weise
 zusammenwirken und ihre Taetigkeiten
 gegeneinander austauschen. Um zu produzieren, treten sie in bestimmte
 Beziehungen und Verhaeltnisse zueinander, und nur innerhalb dieser
 gesellschaftlichen Beziehungen und Verhaeltnisse
 findet ihre Beziehung zur Natur, findet Produktion statt.

Heute ist Arbeit nicht mehr Bezug auf Natur, sondern hoechstens
Nachahmung von Natur. Das meint doch im Kern "Virtualisierung". 

 Je nach dem Charakter der Produktionsmittel werden natrlich diese
 gesellschaftlichen Verhaeltnisse, worin die Produzenten zueinander
 treten, die Bedingungen, unter welchen sie ihre
 Taetigkeiten austauschen und an dem Gesamtakt der Produktion teilnehmen,
 verschieden sein. 

Mit der Erfindung eines neuen Kriegsinstruments, des
 Feuergewehrs, aenderte sich notwendig
 die ganze innere Organisation der Armee, verwandelten sich die
 Verhaeltnisse, innerhalb deren Individuen eine Armee bilden und als Armee
 wirken koennen, aenderte sich auch das Verhltnis
 verschiedener Armeen zueinander.

 Die gesellschaftlichen Verhaeltnisse, worin die Individuen produzieren,
 die gesellschaftlichen Produktionsverhaeltnisse ndern sich also,
 verwandeln sich mit der Veraenderung und Entwicklung
 der materiellen Produktionsmittel, der Produktionskraefte. Die
 Produktionsverhltnisse in ihrer Gesamtheit bilden das, was man die
 gesellschaftlichen Veraehltnisse, die Gesellschaft nennt, und
 zwar eine Gesellschaft auf bestimmter, geschichtlicher
 Entwicklungsstufe..."

Das ist soweit alles im Grossen und Ganzen korrekt. Nur sind wir
halt heute schon 2 bis 3 Stufen weiter als zu Marxens Zeiten in der
gesellschaftlichen Entwicklung. Und Teil dieser Entwicklung ist
eben, dass die Arbeit abgeschafft wird. Leider der Kapitalismus
nicht mit. Also muss offensichtlich was falsch sein mit der
Kapitalismustheorie, wenn die von Arbeit ausging als entscheidendes
Merkmal. Ich kann dann noch hergehen und wie die Krisis das gesamte
Weltgeschehen nur noch als "Spekulationsblase" abtun, die das
Weltenende einlaeutet, da ja die Arbeit alles zusammenhalten
muesste. Ich ziehe es jedoch vor, die Theorie der Wirklichkeit
anzupassen und nicht umgekehrt. Wie das zu gehen hat, hab ich auch
keine Idee, die Ansaetze zur "Aufmerksamkeitsoekonomie" sind
moeglicherweise ganz interessant.

Gruesse, Benni
-- 
      Ragnaroek-Play-by-email: http://ragnaroek.home.pages.de/
              Jetzt in Schnupperpartie einsteigen!

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