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[ox] Re: Un(?)fähigkeit zur Selbstentfaltung



On Son, 07 Mai 2000 Steffen Schwigon wrote:
Thomas Uwe Gruettmueller <sloyment gmx.net> writes:

Hallo, Steffen!

Insbesondere meine ich bei Elite nicht die technischen Fertigkeiten,
sondern die Fähigkeit, selbständig etwas aus diesen Fähigkeiten zu
machen, egal wie hoch oder niedrig sie sind.

Wenn es dir um das Selbständige geht, paßt da vermutlich eher der
zehnjährige Autodidakt rein, als der Berufsprogrammierer.

Ich glaube nicht, daß diese Fähigkeit "angeboren" sein soll, denn dann
wären wir schnell bei der Bewertung von Menschen, bei faschistoiden
Rassentheorien und ähnlichem Unsinn.

Das sehe ich genauso.
 
Ich weiß aber genausowenig, was den Unterschied ausmacht und ob es
tatsächlich diesen Reifegrad gibt, ab dem es z.B. zu spät ist,
jemandem diese Fähigkeit beizubringen.

Der Punkt, ab dem es zu spät ist, wird m.E. ebenfalls durch die
äusseren Umstände gesetzt. Wenn einer beispielsweise in seiner
Schulzeit oder im Studium niemals Comics gezeichnet hat, z.B. aus
anerzogenem Respekt vor dem leeren Blatt, wird er es wahrscheinlich
später auch nicht mehr lernen, da er nie wieder so viel Papier und
Zeit zur Verfügung haben wird. 

Desweiteren kommt hinzu, daß man zumeist mit zunehmendem Alter
"seriöser" wird, sprich immer weniger einfach zum Spaß tut,
sondern berechnend, um irgendwelchen Zielen (z.B. Ansehen)
nachzulaufen. Ab diesem Zeitpunkt ist man auch nicht mehr in der
Lage, an etwas neuem Gefallen zu finden. Einziger Ausweg ist ein sehr
kritisches Abwägen beim Nachlaufen dieser Ziele, doch selbst das muß
man erst lernen.

Am meisten denke ich, daß das familiäre Umfeld und die vorhandenen
lebenden Vorbilder entscheidend sind. Denn es gab zu jeder Zeit
"Elite", unabhängig von der Gesellschaftsform. 

Das hat m.E. nichts mit der Gesellschaftsform zu tun, sondern mit der
Wirtschaftsform. Bis heute gibt es noch keine solche, in der es
allen möglich ist, ohne Not zu leben und gleichzeitig genug Zeit und
die nötige Ausstattung für das hobbyartige Nachgehen einer
schöpferischen Tätigkeit.

Ich denke nämlich eher, daß man
mit endlichem Aufwand jede willkürlich herausgegriffene Oma vom
Hacken begeistern kann. 

Hm, daran zweifle ich allerdings etwas. Ich beobachte oft, daß
Programmierer untereinander in ähnlichen Strukturen denken, aber diese
Denkstrukturen überhaupt nicht nach außen transportierbar sind.

Das Hauptproblem sind vor allem die Fachwörter. Wegen diesen können
sich Autodidakten oft nicht mit "Fachleuten" unterhalten, selbst wenn
sie in den gleichen Strukturen denken. Dies ist für den Autodidakten
wiederum ein Vorteil, wenn er sich mit Laien unterhält. 

Bei der Unterhaltung mit Laien muß man darüberhinaus noch den
Gesamtzusammenhang beschreiben und erläutern, bevor man überhaupt ins
Detail gehen kann. Dies kann zwar lange dauern, sollte aber
funktionieren.

Ich steige dann aus meinen Tiefen auf und werde immer verwaschener und
ungenauer in meinen Aussagen, und irgendwann, wenn ich eigentlich
selber nichts mehr mit meiner eigenen unkonkreten Aussage anfangen
kann, dann, hoppla, verstehen sie mich plötzlich.

Das ist ein guter Anfang. Von dort ab müßtest du dann wieder weiter
ins Detail gehen.

Dies würde ich nicht nur auf das Programmieren, sondern auch auf jede
andere schöpferische Tätigkeit (Zeichnen, Musizieren,
Elektronikbasteln) anwenden wollen. 

Ob ihr's glaubt oder nicht, aber "schöpferische Tätigkeit" ist genau
der Begriff, nach dem ich seit Wochen suche. Fiel der hier schon
öfter, hab' ich das immer überlesen? So was billiges. Und ich bin
nicht drauf gekommen. :-/

Der Begriff ist hier schon gefallen. Z.B. als Stefan Mn wissen
wollte, was jeder von uns unter "Wert" und "Arbeit" versteht, habe
ich Arbeit nach folgenden Kriterien unterteilt und die Kombinationen,
die einen Sinn ergeben, jeweils erläutert:

1. schöpferisch oder automatisierbar; 
2. automatisiert oder duch Menschen ausgeführt; 
3. abstrakt (Bezahlung als Hauptantrieb) 
   oder konkret (Ergebnis als Hauptantrieb);
4. mit langfristigem Ziel (wirtschaftl. Fortschritt), 
   kurzfristigem Ziel (Bedürfnisbefriedigung) 
   oder unvorhersehbarem Ziel (Kunst) 

http://www.oekonux.de/liste/archive/msg00281.html
http://www.oekonux.de/liste/archive/msg00282.html

Die Umwandlung automatisierbarer, aber noch nicht automatisierter
Arbeit in automatisierte nenne ich "wirtschaftlichen Fortschritt". 

Sture, algorithmisierte Tätigkeiten lassen sich automatisieren durch
Ersetzung der Arbeitskräfte durch Maschinen. Schöpferische
Tätigkeiten können nicht automatisiert, aber unsinnige Wiederholungen
durch Offenlegung und freie Verwendung der Ergebnisse vermieden
werden.

Die Horterei der Ergebnisse schöpferischer Arbeit ist die größte
Bremse des wirtschaftlichen Fortschritts, da sie die Automatisierung
künstlich erschwert. Leute, die die Ergebnisse ihrer schöpferischen
Arbeit nicht horten, lösen diese Bremse. Daß dies nur wenige Leute
sind, interessiert dabei nicht, da für diese Aufgabe gar nicht viele
Leute erforderlich sind, im Gegensatz zu sturer, algorithmisierter
Arbeit. Diese Arbeit wird mehr oder weniger verschwinden, so daß die
Leute einmal vor der Wahl stehen werden, entweder schöpferisch zu
arbeiten oder gar nicht zu arbeiten. Ab einem gewissen
Automationsstand gibt es auch keinen Zwang mehr zu arbeiten, wodurch
letzteres eine ernstgemeinte Option ist.

Dennoch wird jeder Mensch schöpferisch zu arbeiten beginnen, wenn ihm
langweilig wird. Problematisch wird es erst, wenn jemand so
schöpferisch ist, daß seine eigenen Werke, sogar seine eigenen
Gedanken so unterhaltsam für ihn sind, daß er keine Langeweile mehr
empfinden kann. (Obgleich dieser Zustand sehr schlimm ist, ist er
aber dennoch besser, als der eines Menschen, der seine Langeweile
bekämpfen muß, indem er für Kaufkultur bezahlt.)
   
Ich gebe hiermit mein Festhalten am "Funktionieren nur beim
Programmieren" auf und erweitere das auf "schöpferische Tätigkeit".

Und daß jemand in der "GPL- Gesellschaft" etwas anderes tun wird, ist
eher als Ausnahmefall gedacht. :o)
  
Wenn ich jetzt über "schöpferische Tätigkeit" nachdenke und mir
die vielen Musiker, Zeichner und Architekten einfallen, dann wird die
Menge der Leute, denen ich auch zutraue, etwas aus sich selbst machen
zu können, tatsächlich immer größer.

Aber ich bin noch nicht bei Mehrheit. :-)

Das braucht ja auch gar nicht die Mehrheit zu sein. 

Was mich an dem "Elite"- Begriff stört, ist, daß damit erstens oft
die Forderung nach Privilegien (z.B. bei Sportlern oder Sängern)
verbunden wird und zweitens oft von "Förderung der Elite" die Rede
ist. 

Letzteres ist besonders gefährlich, da diese "Förderung von Elite"
eine rein wirtschaftliche Forderung ist. Diese kommt gewöhnlich
entweder von den Eltern "begabter" Kinder oder von "liberalen"
Politikern. Gemeint ist eine Sonderbehandlung in der Schule für "die
Elite" entweder mit dem Ziel, Vorzeigekinder (Eltern) oder spätere
Wirtschaftskader (lib. Pol.) heranzuzüchten. Die Kinder werden dabei
nicht gefragt. Wenn jemand im Unterricht zeichnet, dann hat er
gefälligst schwierigere Aufgaben gestellt zu bekommen, damit er nicht
mehr im Unterricht zeichnet, da Zeichnen weniger wert ($) ist als
irgendetwas auswendig zu lernen. Wenn es dann noch so weit geht, daß
man "die Elite" in Spezialschulen verfrachtet, hat noch nicht einmal
die Allgemeinheit etwas davon, d.h. die stärkeren Schüler können den
schwächeren schon durch die räumliche Trennung keine Hilfe anbieten
und sie ebensowenig an kulturellen Beiträgen teilhaben lassen.

In wie weit stimmen wir jetzt [noch] in unseren Ansichten überein?

Tschüß,
Thomas

}:o{#

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