[ox] Einige Ergebnisse aus Jena, Kaiserslautern und Braunschweig
- From: Stefan Merten <smerten dialup.nacamar.de>
- Date: Thu, 01 Jun 2000 19:17:37 +0200
Hi!
Endlich komme ich dazu, mal ein paar Sachen aufzuarbeiten, die schon
seit einer Weile hier auf meinem Schreibtisch liegen. Darunter auch
die Veranstaltungen in Jena am 8./9.4., mein Vortrag in Kaiserslautern
am 27.4. und die Diskussionsrunde in Braunschweig am 14.5., die Stefan
Mz. und ich kurzfristig organisiert hatten.
Ich versuche einfach mal meine Zettel mit (den für mich wichtigen)
Stichpunkten mit ein bißchen Fleisch hier zu veröffentlichen. Leute,
die dort anwesend waren können ja gerne noch etwas hinzufügen. Es ist
wohl auch nicht alles ganz neu.
Jena
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In Jena ging es in der (für mich) interessantesten Diskussion um die
Frage des Übergangs zu einer GPL-Gesellschaft. Dabei wurde das Thema
Bedürfnisse eingehender beleuchtet.
* Übergangsphase
- Anstatt noch benutzbare Dinge wegzuwerfen, können sie durch
Weitergabe vergesellschaftet werden.
- Arbeit muß in lustvolle Tätigkeit umgewandelt werden.
- Das Gefühl für Verantwortung muß größer werden.
Hier fielen uns die NGOs (Non-Governmental Organizations, z.B.
Greenpeace oder amnesty international) ein, die für einen bestimmten
Themenkomplex sich kundig machen, eingreifen und so Verantwortung
übernehmen.
* Bedürfnisse
- Das Bedürfnis nach Selbstentfaltung ist Motor für die
GPL-Gesellschaft.
Das ist gut, da damit eine große Ressource angezapft wird.
Gleichzeitig ist die Selbstentfaltung möglichst vieler Menschen im
Interesse jedeR Einzelnen, da die Selbstentfaltung möglichst vieler
das Leben der Einzelnen konkret verbessert.
- Sie dürfen nicht eingeschränkt werden, sondern deren Befriedigung
muß organisiert werden.
- Bedürfnisse sind zunächst einfach mal da und erst deren Befriedigung
braucht verantwortliches Handeln.
Dies wurde gegen die moralinsaure Verzichtsmoral vieler ökologisch
Bewegter gesetzt, die oft schon das pure Bedürfnis verteufeln.
Am Beispiel des "Bedürfnis Auto" machten wir uns folgende Punkte klar:
- Oft ist das Auto eine Notwendigkeit (z.B. um den Arbeitsplatz zu
erreichen). Eine Notwendigkeit ist aber kein Bedürfnis
- Oft gibt es keine Alternativen zum Auto (z.B. durch ÖPNV). Dann ist
aber keine Freiheit gegeben sondern es handelt sich um ein
Zwangsverhältnis, das auch kein Bedürfnis widerspiegelt.
- Oft dient das Auto als Ersatzbefriedigung. Hier ginge es darum, das
originale Bedürfnis zu bestimmen und dieses zu befriedigen.
- Das Auto ist die Realisierungsform von Bedürfnissen (oder anderen
Antrieben) und nicht das Bedürfnis (oder der andere Antrieb) selbst.
Das Auto ist ein Mittel zum Transport von Personen und/oder Gütern
von A nach B. Das Bedürfnis ist der Transport.
* Verschiedenes
- Das Lustprinzip wird von kapitalistisch geprägten Köpfen per se als
bedrohlich empfunden.
Kaiserslautern
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Die interessanten Ergebnisse der Diskussion nach meinem
Meilenstein-Vortrag in Kaiserslautern hatten einen Schwerpunkt in
Kapitalismus-/Sozialismus-theoretischen Fragestellungen. Daneben
wurden einige bislang unentdeckt gebliebene Zusammenhänge
angesprochen, von denen ich momentan noch nicht sagen kann, ob sie
wirklich relevant sind.
* Kapitalismus-/Sozialismus-theoretische Fragen
- Theoretisch führt die vollkommene Konkurrenz, die - so die These des
Vortrags - im Internet gegeben ist, zum *Gewinn* Null und nicht zum
*Preis* Null.
- Bei materiellen Produkten ist *Knappheit* gegeben, die bei digitalen
Daten durch die Entwicklung der Computer immer weniger relevant ist.
Der Begriff der Knappheit scheint mir irgendwie wichtig zu sein und
ausführlicher Würdigung zu bedürfen. Ich weiß allerdings noch nicht
in welchem Sinne :-( .
- Das Hoffen auf die Entwicklung der Produktivkräfte hat (um die
Jahrhundertwende bei den SozialdemokratInnen) schon mal nicht
geklappt. Heute scheint aber die Umwälzung der Produktivkräfte durch
die Entwicklung der Computer so massiv zu sein, daß eine andere
Qualität erreicht wird.
- Was ist der subjektive Faktor in einer Bewegung für die
GPL-Gesellschaft? Ist Widerstand gegen die kapitalistische
Gesellschaft notwendig? Gibt es bereits eine Widerstandsbewegung -
vielleicht in der Keimform?
Mir fielen dazu die RaubkopiererInnen als Keimform einer
Widerstandsbewegung ein. Aber da übertreibe ich vielleicht? - Ich
weiß es nicht.
* Neue Zusammenhänge und Einfälle
- Sowohl die Kooperation im Internet, die zu Freier Software führt,
als auch - laut These des Vortrags - der Handel im Internet führen
zum Preis Null
- Die Produktionsweise der GPL-Gesellschaft könnte schon dadurch
ökologisch verträglicher sein, daß kapitalistische Zwänge entfallen,
die eben heute eine rücksichtslose Ausbeutung der Natur nahelegen.
- Wenn die Freiheit steigt, was ist mit Kontrolle? Wer sollte wen oder
was kontrollieren? Wie kann gesellschaftliche Kontrolle
funktionieren?
Braunschweig
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In der Diskussionsrunde (BOF) ging es um mehrere Themen. U.a. hat dort
übrigens auch Robert J. Chassell von der Free Software Foundation
(FSF) teilgenommen, dessen Positionen gesondert berücksichtigt sind.
Einige der folgenden Punkte stammen auch von anderen Gelegenheiten.
* Um einen produktiven Beitrag zu Freier Software zu leisten, geht da
nicht viel Lebenszeit (durch Programmieren) verloren?
Erstens ist schon ein Bug-Report ein produktiver Beitrag zu Freier
Software. Zweitens ist die lustvolle Tätigkeit des Programmierens
nicht verlorene, sondern *gewonnene* Lebenszeit; ja, lustvolle
Tätigkeit ist geradezu das Leben selbst.
* Leute *fühlen* sich reich oder arm relativ unabhängig von ihren
tatsächlichen Lebensbedingungen. In der BRD z.B. fühlten sich
Menschen in den Sechzigern wohl reicher als heute, obwohl der
materielle Wohlstand damals niedriger war.
Beim Übergang in eine GPL-Gesellschaft müßte es also darum gehen,
daß die Leute sich mit Freien Gütern reich fühlen - also die
Umkehrung von "Was nichts kostet ist nichts wert".
* FSF-Positionen
- Das Verkaufen von Lösungen kann dem Broterwerb dienen. Dazu müssen
nicht Programme verkauft werden.
Das ist die Position zu verhungernden ProgrammiererInnen. Ich
persönlich teile diese Argumentation zumindest perspektivisch nicht,
da die bezahlte Nachfrage nach Lösungen mit der Zunahme Freier
Lösungen immer geringer wird. Momentan mag diese Argumentation aber
angehen.
- Viele bezahlte Berufe erfordern nicht die permanente Präsenz einer
Person (z.B. der Feuerwehrmann, der lange auf seinen Einsatz
wartet). In diesen Berufen wäre nebenher das Schreiben Freier
Software möglich.
- Die Kosten für die Einrichtung z.B. einer Suchmaschine sind so
gering, daß sie für x-beliebige Firmen interessant werden können,
die die Suchmaschine als Werbefläche für eigene Zwecke verwenden.
Auf diese Weise kann es sein, daß kommerzielle Firmen kostenlose
Angebote machen.
- Auf die Frage nach Verstößen gegen die GPL und deren Sanktionierung
gab es eine interessante Antwort: In 15 Jahren hat die FSF bisher in
21 Fällen Briefe wegen des Verstoßes gegen die GPL versandt. In
allen Fällen wurde der Verstoß beendet, weil die Beklagten "good
citizens" sein wollten und auch weil klar war, daß sie vor Gericht
verlieren würden und somit die (immensen) Kosten des Verfahrens zu
tragen hätten.
Mit li(e)bertären Grüßen
Stefan
PS: Wenn ihr auf diese Mail inhaltlich repliet, ändert bitte das
Subject entsprechend.
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