[ox] Re: Kommunismus
- From: Stefan Meretz <stefan.meretz hbv.org>
- Date: Wed, 04 Oct 2000 22:02:42 +0200
Hi Ingo und Listige,
IngoS schrieb:
Wie (und vor allem in welchem
Werk auf welcher Seite) definiert Marx Kommunismus?
Kapital: Erster Band, Seite 92 (Sachregister: Kommunismus: Verein freier
Menschen):
'Stellen wir uns endlich, zur Abwechslung, einen Verein freier Menschen
vor, die mit gemeinschaftlichen Produktionsmittel arbeiten und ihre vielen
individuellen Arbeitskräfte selbstbewußt als eine gesellschaftliche
Arbeitskraft verausgaben. [...] Das Gesamtprodukt des Vereins ist ein
gesellschaftliches Produkt. Ein Teil dieses Produkts dient wieder als
Produktionsmittel. Er bleibt gesellschaftlich. Aber ein anderer Teil wird
als Lebensmittel von den Vereinsmitgliedern verzehrt. Er muß daher unter sie
verteilt werden. Die Art der Verteilung wird wechseln mit der besonderen Art
des gesellschaftlichen Produktionsorganismus selbst und mit der
entsprechenden geschichtlichen Entwicklungshöhe der Produzenten.'
Dein rausgefischtes Zitat ist nett, aber den Kontext muss man
kennen. Das Zitat steht im Abschnitt "Der Fetischcharakter der Ware
und sein Geheimnis". Schon am Beginn des ersten Satzes erkennt man,
dass Marx nur etwas illustrieren will, nämlich die "objektiven
Gedankenformen" der bürgerlichen Ökonomie. Dazu macht er vier
Szenarien auf:
- Robinson auf der Insel
- europäisches Mittelalter
- Verein freier Menschen
- Gesellschaft von Warenproduzenten
Marx will den "Mystizismus der Warenwelt" im Vergleich mit anderen
Gesellschaftsformen zeigen. Die warenproduzierende Gesellschaft ist
nämlich die _einzige_, in der die Dinge und die Menschen sozusagen
ihre Rollen tauschen: Nicht der Mensch steuert die Gesellschaft,
sondern die Dinge tun es, die Waren, das Geld. Die
gesellschaftlichen Verhältnisse nehmen die "phantasmagorische Form
eines Verhältnisses von Dingen an" (S. 86). Oder platter: Geld
regiert die Welt. Oder in meiner Version: Der Kapitalismus ist eine
kybernetische Maschine. "Objektive Gedankenform" bedeutet, dass das,
was ist, auch so gedacht werden muss: Die Menschen denken soziale
Prozesse nicht sozial, sondern "warenförmig" oder "verdinglicht".
Und das begegnet uns an allen Orten: Tausch und Geld muss sein -
jedem Gedanken ohne Geld und Tausch ist der Eingang ins Hirn schier
vernagelt.
Der "Verein freier Menschen" darin ist nicht deswegen besser nicht
so hoch zu hängen. Marx hat sich eigentlich immer geweigert,
"Kommunismus" zu definieren.
Sonst hat er doch auch das 'Kommunistische Manifest' gemacht, aber seine
"Spätwerke" sollen wohl richtiger sein.
Auch zu "richtig" und "falsch" hatte der Marx so sein spezielles
Verhältnis, denn er war der Meinung: "An allem ist zu zweifeln"
(Quelle hab ich jetzt nicht).
Ich möchte ein anderes Marx-Zitat bringen, was ich zufällig gefunden
(ist auf der bekannten Marx/Engels-CD nicht drauf) und über das ich
mich sehr gefreut habe, weil es die "drei Epochen", die wir in
"Freie Menschen in freien Vereinbarungen"
(http://www.opentheory.org/proj/selbst) skizzierten, so schön
bestätigt:
"Persönliche Abhängigkeitsverhältnisse (zuerst ganz naturwüchsig)
sind die ersten Gesellschaftsformen, in denen sich die menschliche
Produktivität nur in geringem Umfang und auf isolierten Punkten
entwickelt. Persönliche Unabhängigkeit auf <i>sachlicher</i>
Abhängigkeit gegründet ist die zweite große Form, worin sich erst
ein System des allgemeinen gesellschaftlichen Stoffwechsels, der
universalen Beziehungen, allseitiger Bedürfnisse, und universeller
Vermögen bildet. Freie Individualität, gegründet auf die universelle
Entwicklung der Individuen und die Unterordnung ihrer
gemeinschaftlichen, gesellschaftlichen Produktivität, als ihres
gesellschaftlichen Vermögens, ist die dritte Stufe." (Karl Marx
(1857-1858/1974), Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie,
Berlin, S. 75, Hervorhebung im Original)
Ciao,
Stefan
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