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Re: [ox] Technik und Selbstentfaltung



Die Universitaet ist oft deshalb ein Ort des endlosen Intrigierens, weil
Leute dort nicht unter staendigem Verwertungsdruck stehen.

Genau umgekehrt: Weil der Verwertungsdruck in indirekter Form (Zahl
der Publikationen, Nennungen dort und da, Gremienpräsenz und solch
symbolischer Scheisss) in die Uni ragt, ist sie Ort des Intrigierens
- denn "ökonomisch" kannst Du deinen Konkurrenten nicht aus dem Weg
räumen. Die Verbetriebswirtschaftlichung ist das Ende der Uni.

Der Lehre-Aspekt der Universitaet ist Dienstleistung und eignet sich somit
durchaus fuer betriebswirtschaftliche Organisation.
Sonst muesstest du behaupten, dass Unis wie Yale, Harvard und Berkely
laengst am Ende seien.

Aus den organisatorischen Entscheidungen (mit oder ohne "Wertverwertung")
ergibt sich auch ein Kampf um Nennungen, Symbolik,
Kommitteemitgliedschaften, Entscheidungsrechte und dergleichen, dem ein
Teil der Forscher seine ganze Energie widmet.  

Wie ihr das abschaffen wollt, ist mir noch immer nicht klar geworden.

Und gegen Paradiesesversprechen aller Art ist nun mal hoechstes Misstrauen
angebracht.

Leute wie Daniel Riek sind in der Linux-Gemeinde deshalb hoch angesehen,
weil sie solchen Druck meistern und trotzdem etwas beitragen.

Daniel Riek ist ein netter Mensch, der eben nicht in der Uni,
sondern in einer Firma sitzt, die expandiert. Ihr "Geschäftsmodell"
basiert darauf, auch was zur Community beizutragen (ist mir
natürlich lieber, als wenn sie nix tun).

Ich sehe z.B. bei meiner Swpat-Arbeit, dass es wesentlich leichter ist,
mit Leuten aus Unternehmen zusammenzuarbeiten als mit denen von den Unis.
Unter letzteren gibt es jede Menge Profilneurotiker.
 
Die Linux-Gemeinde sollte und wird sich vorsehen, sich von einer
bestimmten moeglicherweise falschen Anthropologie vereinnahmen zu lassen.

Die Freie Softwarebewegung wird genau das tun, was sie tun will. Ich
kann nur hoffen, dass sie sich nicht allzusehr von "realistischen"
Politikern vereinnahmen lässt.

Ganz richtig.  Sofern es eine solche "Bewegung" ueberhaupt gibt, wird
diese sich von keinerlei Anthropologie, wie utopisch oder realistisch auch
immer, vereinnahmen lassen.
 
Nicht Technik ist das Problem sondern die Unfaehigkeit der Menschen, mit
ihren Moeglichkeiten verantwortungsvoll umzugehen.

Weder Technik, noch die Menschen sind das Problem, sondern der
selbstzweckhafte Systemzusammenhang, der aus Geld immer mehr Geld
machen muss, und dafür die Menschen als Charaktermasken wie Puppen
tanzen lässt. "Verantwortung" ist dagegen so hilflos...

Mir scheint, du gehst zunaechst von einer Paradiesesvorstellung aus und
baust dann aus allem Schlechten, was sich in der Wirklichkeit findet,
Vorwuerfe an "das System" zusammen.
Allein diese Praemisse bedingt, dass du keine Schuld beim Menschen suchen
darfst.
 
Worin bestuende ein "nicht wertverwertender" Einsatz von Technik?

Wenn Technik nicht mehr dazu benutzt wird, aus Geld mehr Geld zu
machen. Guck Dir die Freie Software an - ich meine jetzt nicht die
Absahner wie IBM, ID-PRO am Rande -, dann hast du ein winziges,
isoliertes Beispiel. 

Danke fuer die Erklaerung.
Wobei das Beispiel allerdings sehr winzig wuerde, denn es lassen sich
fast immer Verwertungszusammenhaenge finden.
Gert Doering etwa kassiert ueberall maximale Beraterhonorare, weil er
durch mgetty seine Kompetenz bewiesen hat.
Sogar Richard Stallman hat als Politstar seine Verwertungswege gefunden.
Sicherlich ist die Schoepfung selber nicht durch Geld motiviert, aber
dennoch stellen sich Verwertungszusammenhaenge ein, die mit darueber
entscheiden, wo Schoepfung nachhaltig stattfindet.

Auch hier raetsele ich, wie ihr diesen Sachverhalt wesentlich aendern
wollt.
  
Wie koennte der zur Vermeidung kollektiver Katastrophen beitragen?

Der Geld-zu-mehr-Geld-machen-Selbstzweck ist blind gegen Umwelt und
Leben. Den abzustellen, vermeidet viele alltägliche Katastrophen -
die ich hier nicht nennen muss.

Auch andere Steuerungszusammenhaenge sind blind gegen Umwelt und Leben.
Selbst eine Masse unorganisierter Paradiesbewohner ist blind gegen Umwelt
und Leben.

Tut mir leid, ich sehe wieder nur den alten gutmuetigen weissbaertigen
Onkel Marx, der Kindern eine Maerchenwelt predigt, um schliesslich etwas
ganz anderes zu bewerkstelligen.

Schon in dieser Art des Predigens aeussert sich der menschliche
Schweinehund, der es nicht wagt, die Wirklichkeit ins Auge zu fassen.

Aber da kann ich mich irren. Ich weiß nicht, ob eine Technik, die aus
Gründen der Selbstentfaltung entwickelt wird, *per se* weniger
destruktiv ist.  Wir können das momentan hoffen und vielleicht auch
hoffen, daß sich bei Abwesenheit des Profitprinzips gesellschaftliche
Kräfte entwickeln, die destruktive Technik tendenziell verhindern -
aber das haben wir noch nicht wirklich diskutiert.

Richtig. Ohne solche Wachsamkeit wird diese Liste schnell zu einer
weiteren Sekte und verspielt dann ihre Chance, umsetzbare Zukunftsvisionen
zu entwickeln.

Anwesenheit des Profitprinzips ist nicht ausreichend. Die
Abwesenheit jedes "es muss aber realistisch sofort umsetzbar sein"
ist genauso wichtig.

Da bin ich 100% deiner Meinung.
 
Wenn wenigstens die Voraussetzung stimmen wuerde, koennte ich mich damit
ja anfreunden.  Was ist aber, wenn viele Menschen gar nicht dazu gebracht
werden koennen, nach hoeherem zu streben?

Du kannst dir das Zusammenleben wohl nicht anders vorstellen, als
das jmd. irgendwen zu irgendwas bringen muss...

Wo es Massen von Atomen gibt, entstehen Strukturen.
Um das zu aendern, braeuchte man wiederum Gewalt, die ebenfalls auf
solchen Strukturen aufbauen muesste.
Das Verhindern von Strukturen ist ein Verhindern von gesellschaftlichen
Gestaltungsmoeglichkeiten.
Die totale Freiheit der Paradiesesbewohner bedeutet eine Minderung der
menschlichen Freiheit.

Was ist, wenn in deren Selbst
einfach nichts ist, was zu entfalten sich lohnen wuerde?

Ist das bei Dir der Fall? Dann lohnt ein nachdenken - sonst nicht.
Zerbrich dir nicht den Kopf anderer Leute...

Jetzt wird es persoenlich.
 
Der Lehre vom
Menschen als Opfer der Gesellschaft will ich nicht ohne weiteres glauben.
Das klingt verdaechtig nach demokratischer Souveraen-Schmeichelei.
Moeglicherweise ist dieser Souveraen weitgehend einfach ein Schweinehund,
und dann sollte man ihm das ungeschminkt sagen.  Wollen wir die
Schweinehundsentfaltungsgesellschaft?

Die haben wir - und alle gehen hin.

Wir versuchen z.T. auch etwas daran zu verbessern.
Zudem erzwingen wir nicht die totale Selbstentfaltung sondern lassen den
Dingen ihren Lauf, so dass das Prinzip "wer nicht arbeitet soll nicht
essen" ungebrochen bleibt.
 
Mir wuerde statt der "Selbstentfaltung" noch eher die "Entfaltung der
Gottesnatur im Menschen" oder "Entfaltung des Ueber-Ichs" oder wie auch
immer formuliert gefallen.

Wer's braucht...

Wieder ein argumentum ad personam?

Ich meine, dass die Gesellschaft Menschen braucht, die ueber sich
hinauswachsen, und dass dieses Streben auch im Menschen, zumindest in
vielen Menschen, angelegt it.
 
Zu dieser Entfaltung ist eventuell das Schuften "im Schweisse deines
Angesichts" notwendig.

Arbeitsdienst, hatten wir schon, sehr attraktiv...

Hat in diesem Falle nichts mit Arbeitsdienst zu tun.

Allerdings halte ich wiegesagt eine garantierte Grundversorgung fuer
bedenklich.  Jeder Wohltat sollte eine Gegenleistung gegenueberstehen.
Jeder Mensch verbraucht endliche Ressourcen der Natur und dessen, wass die
anderen an gesellschaftlicher Infrastruktur aufgebaut haben.  Um dies
auszugleichen, sollte er arbeiten.  Niemand hat einen Anspruch darauf, auf
Kosten anderer zu leben.  Ein solches Leben ist entwuerdigend und schafft
moeglicherweise unwuerdige Subjekte, die nach einem totalitaeren Ueberbau
verlangen, sofern dieses Gesellschaftskonstrukt nicht bereits einen
solchen voraussetzt.
 
Auch wenn ich der christlichen Religion entfremdet
bin, sehe ich darin immer noch eine bewaehrte Anthropologie, der ich mehr
traue als jeder Selbstentfaltungslehre.

Hey, du musst nur einem trauen, und das bist du selbst.

Sagt auch Ron Hubbard zu seinen Zoeglingen.
Ein Mensch ist ziemlich wenig, aber er hat das Potential zu ziemlich viel.
Dazu gehoert aber zunaechst das Bewusstsein seiner eigenen
Suendhaftigkeit.
 
Die Entfaltung der besseren, kreativen, Ueber-Ich-Natur des Menschen kann
sich gegen alle Hindernisse durchsetzen.  Ueber den taeglichen
Ueberlebenskampf sollte man nicht jammern.  Wer da jammert, hat
moeglicherweise kein Selbst, dessen Entfaltung lohnen wuerde.

Dann hör doch bitte, bitte mal das Jammern über die Menschen auf...

Ich analysiere nur die Realitaet, an deren Verbesserung ich gleichzeitig
arbeite.

Jammernde Anspruchsdenker werden gerade in amerikanischen Linuxkreisen
haeufig als "luser" oder "whiner" verachtet, und sie sind nicht die
Menschen, auf deren verfehlte Hoffnungen ich irgendwelche Zukunftsvisionen
aufbauen will.
 
Zwang, Elite, Überheblichkeit - warum bist du hier, wenn doch alle
so Scheisse sind?

Auf dieser Welt bin ich deshalb, weil ich geboren wurde.
Es sind nicht alle Scheisse.  Zumindest sehr viele Menschen tragen mit
sich das Potential zu Grossem.
Allerdings bildet sich in unserer Gesellschaft staendig eine Dichotomie
von Stark und Schwach, Gut und Boese etc heraus.
Ein Teil der Menschen begibt sich auf den bequemen breiten Weg, ein Teil
wiederum schlagen aus der Dummheit anderer Kohle oder Politkapital.
Aufklaerung und Weltverbesserung ist eine schwierige und wenig geschaetzte
Sisyphusarbeit zwischen diesen beiden.
"Die die etwas wussten, hat man seit jeher gekreuzigt und verbrannt" o.ae.
heisst es im Faust.  Stimmt leider noch immer.
 
-phm


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http://www.oekonux.de/



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