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Re: [ox] Technik und Selbstentfaltung



Diese Mail ist unfreundlich.

PILCH Hartmut schrieb:

Ich finde das nicht nur vom Ansatz her eine recht neue Diskussion -
wahrscheinlich hat's das zu Zeiten Oktoberrevolution schon mal gegeben
- -, sondern auch eine *verallgemeinerungsfähige* Perspektive. Das ist
eine Perspektive, mit der ich zu Herr und Frau NachbarIn gehen kann
und sagen: "Hey, wir wollen eine neue Gesellschaft bauen. An deinem
materiellen Wohlstand wird dir nichts genommen werden - nur Arbeiten
mußt du dafür nicht mehr wenn du nicht willst." Wer könnte dazu Nein
sagen?

Viele Leute wuerden aus Gewohnheit oder Instinkt heraus Nein sagen.

Menschen sind eben Tiere, nicht wahr?

Andere wuerden sich wiederum langweilen, gammeln und Aggressionen
entwickeln.

Es gibt Punchingballs... und eine lange Weile mal gammeln kann super
sein.

Die Universitaet ist oft deshalb ein Ort des endlosen Intrigierens, weil
Leute dort nicht unter staendigem Verwertungsdruck stehen.

Genau umgekehrt: Weil der Verwertungsdruck in indirekter Form (Zahl
der Publikationen, Nennungen dort und da, Gremienpräsenz und solch
symbolischer Scheisss) in die Uni ragt, ist sie Ort des Intrigierens
- denn "ökonomisch" kannst Du deinen Konkurrenten nicht aus dem Weg
räumen. Die Verbetriebswirtschaftlichung ist das Ende der Uni.

Leute wie Daniel Riek sind in der Linux-Gemeinde deshalb hoch angesehen,
weil sie solchen Druck meistern und trotzdem etwas beitragen.

Daniel Riek ist ein netter Mensch, der eben nicht in der Uni,
sondern in einer Firma sitzt, die expandiert. Ihr "Geschäftsmodell"
basiert darauf, auch was zur Community beizutragen (ist mir
natürlich lieber, als wenn sie nix tun).

Die Linux-Gemeinde sollte und wird sich vorsehen, sich von einer
bestimmten moeglicherweise falschen Anthropologie vereinnahmen zu lassen.

Die Freie Softwarebewegung wird genau das tun, was sie tun will. Ich
kann nur hoffen, dass sie sich nicht allzusehr von "realistischen"
Politikern vereinnahmen lässt.

Ich würde dir insofern zustimmen, daß in den industrialisierten und
hochindustrialisierten Teilen dieses Planeten Technik eine
Lebensgrundlage geworden ist - genauso wie sie destruktiv geworden ist
und die biologische Lebensgrundlage mittlerweile nicht mehr nur
bedroht sondern immer mehr anfrißt (Stichwort: Klimakatastrophe).

Nicht Technik ist das Problem sondern die Unfaehigkeit der Menschen, mit
ihren Moeglichkeiten verantwortungsvoll umzugehen.

Weder Technik, noch die Menschen sind das Problem, sondern der
selbstzweckhafte Systemzusammenhang, der aus Geld immer mehr Geld
machen muss, und dafür die Menschen als Charaktermasken wie Puppen
tanzen lässt. "Verantwortung" ist dagegen so hilflos...

Daß diese heutige Technik global so destruktiv ist, ist nach meiner
Einschätzung auch eine Folge ihres Einsatzes in der blinden
Wertverwertung deren Ergebnis sie ist (ja, auch in den hingeschiedenen
sog. realsozialistischen Staaten).

Worin bestuende ein "nicht wertverwertender" Einsatz von Technik?

Wenn Technik nicht mehr dazu benutzt wird, aus Geld mehr Geld zu
machen. Guck Dir die Freie Software an - ich meine jetzt nicht die
Absahner wie IBM, ID-PRO am Rande -, dann hast du ein winziges,
isoliertes Beispiel. 

Wie koennte der zur Vermeidung kollektiver Katastrophen beitragen?

Der Geld-zu-mehr-Geld-machen-Selbstzweck ist blind gegen Umwelt und
Leben. Den abzustellen, vermeidet viele alltägliche Katastrophen -
die ich hier nicht nennen muss.

Aber da kann ich mich irren. Ich weiß nicht, ob eine Technik, die aus
Gründen der Selbstentfaltung entwickelt wird, *per se* weniger
destruktiv ist.  Wir können das momentan hoffen und vielleicht auch
hoffen, daß sich bei Abwesenheit des Profitprinzips gesellschaftliche
Kräfte entwickeln, die destruktive Technik tendenziell verhindern -
aber das haben wir noch nicht wirklich diskutiert.

Richtig. Ohne solche Wachsamkeit wird diese Liste schnell zu einer
weiteren Sekte und verspielt dann ihre Chance, umsetzbare Zukunftsvisionen
zu entwickeln.

Anwesenheit des Profitprinzips ist nicht ausreichend. Die
Abwesenheit jedes "es muss aber realistisch sofort umsetzbar sein"
ist genauso wichtig.

Ich hab nochmal über die Sache mit dem fest eingebauten Wunsch nach
Selbstentfaltung nachgedacht. Irgendwo (aber wo genau, weiß ich nicht mehr)
schreibst du ja selbst, daß der bei Kindern fest eingebaut sei. Allerdings
wird er im Laufe ihrer Entwicklung gewöhnlich schrittweise deaktiviert. Bei
Menschen, die so deaktiviert sind, daß sie in ihrer wenigen Freizeit nichts
anderes mehr zustande bringen als den Fernseher einzuschalten, bringen
natürlich auch menschliche Umstände nichts.

Ich würde mich da auch fragen: Na und? *Ich* will in einer besseren
Welt leben und die führt nach meiner Überzeugung über den hier
diskutierten Weg. Wie Stefan Mz. in seiner "Macht des Faktischen"-Mail
sehr richtig ausgeführt hat, machen wir etwas *neben* diesen kaputten
Existenzen.

Wenn wenigstens die Voraussetzung stimmen wuerde, koennte ich mich damit
ja anfreunden.  Was ist aber, wenn viele Menschen gar nicht dazu gebracht
werden koennen, nach hoeherem zu streben?

Du kannst dir das Zusammenleben wohl nicht anders vorstellen, als
das jmd. irgendwen zu irgendwas bringen muss...

Was ist, wenn in deren Selbst
einfach nichts ist, was zu entfalten sich lohnen wuerde?

Ist das bei Dir der Fall? Dann lohnt ein nachdenken - sonst nicht.
Zerbrich dir nicht den Kopf anderer Leute...

Der Lehre vom
Menschen als Opfer der Gesellschaft will ich nicht ohne weiteres glauben.
Das klingt verdaechtig nach demokratischer Souveraen-Schmeichelei.
Moeglicherweise ist dieser Souveraen weitgehend einfach ein Schweinehund,
und dann sollte man ihm das ungeschminkt sagen.  Wollen wir die
Schweinehundsentfaltungsgesellschaft?

Die haben wir - und alle gehen hin.

Mir wuerde statt der "Selbstentfaltung" noch eher die "Entfaltung der
Gottesnatur im Menschen" oder "Entfaltung des Ueber-Ichs" oder wie auch
immer formuliert gefallen.

Wer's braucht...

Zu dieser Entfaltung ist eventuell das Schuften "im Schweisse deines
Angesichts" notwendig.

Arbeitsdienst, hatten wir schon, sehr attraktiv...

Auch wenn ich der christlichen Religion entfremdet
bin, sehe ich darin immer noch eine bewaehrte Anthropologie, der ich mehr
traue als jeder Selbstentfaltungslehre.

Hey, du musst nur einem trauen, und das bist du selbst.

Die Entfaltung der besseren, kreativen, Ueber-Ich-Natur des Menschen kann
sich gegen alle Hindernisse durchsetzen.  Ueber den taeglichen
Ueberlebenskampf sollte man nicht jammern.  Wer da jammert, hat
moeglicherweise kein Selbst, dessen Entfaltung lohnen wuerde.

Dann hör doch bitte, bitte mal das Jammern über die Menschen auf...

Zwang, Elite, Überheblichkeit - warum bist du hier, wenn doch alle
so Scheisse sind?

Sorry, aber ich konnte es nicht mehr ertragen.

Stefan

-- 
  Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen
  HA II, Abteilung Datenverarbeitung
  Kanzlerstr. 8, 40472 Duesseldorf
--
  stefan.meretz hbv.org
  maintaining: http://www.hbv.org
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