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[ox] Mythos Informationsgesellschaft



Mit frdl. Genehmigung des Verlages die digitalisierte Version eines
interessanten Artikels.

Markus

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Z ? Zeitschrift Marxistische Erneuerung ? Nr. 41 März 2000 ? S. 81-93 - ISSN
[PHONE NUMBER REMOVED]

Ulrich Briefs

Mythos ?Informationsgesellschaft"

Kaum eine Technologie hat wohl im Zuge ihrer Entwicklung zu so vielen Mythen
und Mystifizierungen, aber auch Moden und Maschen Anlaß gegeben wie die EDV
bzw. die modernen Informations- und Kommunikationstechniken.
Elektronengehirn, Management-Informations-System, verteilte Intelligenz,
künstliche Intelligenz, Telearbeit, intelligente Bildschirmarbeitsplätze,
die fraktale Fabrik, Cyberspace, Cybersex, Multimedia sind nur einige der
umwälzenden Begriffe aus der Welt dieser Technologie. Früher wie heute geben
solche Begriffe zu Vorstellungen Anlaß, die weit über die konkreten
technischen Systeme oder Konzepte, die damit jeweils bezeichnet oder
angerissen wurden, hinausweisen. Gemeinsam war ihnen und anderen
vergleichbaren Begriffen, dass sie aus ihrem Bezugs- und Bedeutungsrahmen
herausgenommen und auf komplexe Gebilde - z.B. Betriebe, Schulen, die Arbeit
überhaupt und ganze Gesellschaften - übertragen wurden, in einem allerdings
sehr locker assoziativen Übertragungsprozeß. Heraus kamen dabei
technischorganisatorische Veränderungen, die in der Zukunft strukturprägend
und deshalb grundlegend verändernd sein würden.

Die Informatik bringt Momente mit sich, die zu ?Theorie"bildungen führen,
welche offensichtlich in besonders starker Weise faszinieren, die aber
reduktionistisch und zugleich übertragungs- und verallgemeinerungsmächtig
sind. Sie führen offensichtlich insbesondere dazu, dass die Vielfalt der
Elemente, Beziehungen und Eigenschaften, die Dynamik und Eigendynamik der
jeweiligen organisationellen und auch sozialen Realität ausgeblendet werden.
An ihre Stelle tritt die unreflektierte, gesetzte Dominanz eines
Strukturmerkmals, und dieses wird mit seinen Implikationen auf das gesamte
Gebilde übertragen. Das Ergebnis muß ein Zerrbild der Realität sein, das von
dieser, wie so oft in der Vergangenheit, früher oder später ins Reich der
überholten, falschen Mythen verwiesen wird. Aber diese Mythen verschwinden
nicht, wenn sie als solche erkannt worden sind. Vielmehr wirken sie im
Untergrund der Informatik offensichtlich weiter. Der Himmelsstürmende
Optimismus der CAI-Debatte feiert heute in der Schulen-ans-Intemet-Bewegung
fröhliche Urstände. Die vor zwei Jahrzehnten geäußerte Hoffnung auf mehr
Demokratie durch die Nutzung des Bildschirmtextsystems lebt wieder auf in
der Debatte über mehr Demokratie über das Internet.

Selbst wenn es um Fragen der betrieblichen Anwendungen geht, dort also, wo
absolute Nüchternheit geboten ist, wird häufig die selbst in kleineren
Unternehmen komplexe betriebliche Bedingungskonstellation, die übrigens weit
über betriebswirtschaftliche Faktoren hinausgeht, z.T. sträflich
vernachlässigt. Am Rande angemerkt: auch gegenwärtig findet wieder eine
solche Debatte um die ?Teleheimarbeit" statt. Unter dem Druck der
Beschäftigungskatastrophe werden in dieser Arbeitsform erhebliche
zusätzliche Beschäftigungsvolunina vermutet. Die EU-Kommission - das oberste
politische Organ der EU -hat auf ihrem Gipfel in Korfu ihre Absicht erklärt,
bis zum Jahre 2000 zehn Millionen derartiger Arbeitsplätze zu schaffen. Die
Bundesregierung wollte noch vor zwei Jahren bis zum selben Jahre 800.000
Teleheimarbeitsplätze schaffen (wohlgemerkt: von keiner anderen einzelnen
Entwicklung wurde ein derartiger Zuwachs an Beschäftigung erwartet!).

Diese Zahlen sind inzwischen aus der Debatte verschwunden, vor allem wohl,
weil die bisherige Entwicklung belegt hat, wie illusorisch die damit
bezifferten Hoffnungen waren. Die Debatte zeigt aber auch, wie schnell
angesichts der politischen Hilflosigkeit gegenüber der
Beschäftigungsentwicklung auf solche unfundierte Theoriebildungen
zurückgegriffen wird und wie groß die Verantwortung der zu diesen Fragen
forschenden Wissenschaftler ist.

1. Die Informationsgesellschaft - die alles überlagernde Konzeption der
zukünftigen Gesellschaft?

Der Begriff ?Informationsgesellschaft" hat gegenwärtig wie kaum ein anderer
Begriff eine Ausstrahlung in alle Bereiche der Gesellschaft hinein. Er ist
dabei, die Köpfe gebührend zu verwüsten. Technische Artefakte und
Infrastrukturen werden zum gesellschaftsbestimmenden Faktor hochdiskutiert.
Die Begriffsbildung suggeriert, dass jetzt dank der vielen informations- und
kommunikations- (iuk)-technischen Systeme das goldene Informationszeitalter
ausbrechen wird. Es wird uns eine von allseitiger Rationalität - dank der
vielen Informationen - durchdrungene und geprägte Gesellschaft verheißen.
Das Wissen wird herrschen in der wissensbasierten Gesellschaft. Interessen-
und Machtkämpfe werden der Vergangenheit angehören: Probleme finden dank der
im Überfluß zur Verfügung stehenden computer-produzierten Informationen eine
sachliche und, so wird umstandslos verheißen, die optimale Lösung. Wie kommt
aber nun eine solche zugleich einseitige, einfache und dennoch
offensichtlich faszinierende Theoriebildung zustande?

Der erste Schritt besteht darin, dass die Probleme der Gesellschaft als
durch fehlende Information verursacht angesehen werden. Interessen,
Leidenschaften, Kulturen, Traditionen, Religionen, politische Überzeugungen,
Lebensverständnis und vieles andere mehr spielen keine Rolle mehr. Es wird
also im Grunde als erstes eine extrem reduzierte gesellschaftliche
Problemstruktur zugrunde gelegt.

Im zweiten Schritt wird entsprechend ?konstruktiv" angesetzt: der Computer
stellt die fehlenden Informationen zur Verfügung, denn das ist ja
bekanntlich seine Aufgabe. Über Inhalt, Bedeutung, Sinn, Zweck, Kontext,
Motivations- und Entstehungszusammenhang der Informationen wird nichts
gesagt. Auf eine extrem reduzierte Problemstruktur wird eine mindestens
ebenso reduzierte Lösungsstruktur aufgesetzt.

Geradezu umwerfend ist aber der dritte Schritt, der nun aber auch nicht mehr
verwundert: Aus der Tatsache, dass eines Tages wohl unbestreitbar
informationsverarbeitende und -weiterleitende Systeme in allen
Lebensbereichen mehr oder weniger überall präsent sein werden, weil
Informationen schlicht ein untrennbares Element eines jeden Lebens- und
Arbeitsprozesses sind, wird messerscharf geschlossen, dass diese Techniken
dann auch die Gesellschaft in ihrer Substanz bestimmen und grundlegend
verändern werden.

Das Ergebnis ist die dünnste und lebensfernste ?Vision", die je für die
Gesellschaft entwickelt worden ist. Das Ergebnis ist entsprechend armselig:
Im Grunde setzt sich damit eine extrem formale, inhaltsferne
Betrachtungsweise -naiv-unreflektiert - durch.

Schon die Erfahrung mit der Telefonie, die heute zumindest in unseren
Breiten fast omnipräsent ist, wie es übermorgen iuk-technische Systeme sein
werden, wird dabei elegant übergangen.

Immerhin haben sich mit dem gleichen Telefon, um einen Augenblick bei dieser
Parallele zu bleiben, sehr unterschiedliche gesellschaftliche und politische
Realitäten entwickeln können, die sich gegenseitig bis aufs Messer bekämpft
haben, wie das mit der liberalen amerikanischen Gesellschaft einerseits und
dem brutalen deutschen Faschismus andererseits in der ersten Hälfte diese
Jahrhunderts der Fall war. Infrastrukturen bestimmen eben nicht über die
wesentlichen Aspekte der Gesellschaft, ihre Triebkräfte und ihre zukünftige
Entwicklung. Die Gesellschaft - und gerade die moderne Gesellschaft - ist zu
komplex, die Freiheitsgerade im menschlichen Verhalten - individuell wie
kollektiv - sind zu zahlreich und zu groß, als dass sie sich von einer
solchen simplen Infrastrukturentwicklung einfangen ließen.

Ein anderes Erfahrungsbeispiel sind die modernen Verkehrstechniken -
Eisenbahn, Automobil, Flugzeug. Sie und ihre Infrastrukturen haben
sicherlich größere zivilisatorische Auswirkungen gehabt, als sie je die
luK-Techniken haben werden. Die USA, Hitlerdeutschland und auch die
implodierte Sowjetunion haben sie - oder Teile von ihnen - gefördert,
genutzt, ausgebaut.

Die die gesellschaftliche Entwicklung, ihre Qualitäten, Widersprüche,
Bewegungen, Rückfälle, Spaltungen, Grausamkeiten bestimmenden Faktoren sind
jedoch nicht in diesen und anderen Infrastrukturen verkörpert - trotz
Wittfogels früher interessanter Studie über die hydraulische Gesellschaft
des imperialen China. Die Gesellschaften, insbesondere die ?zivilen
Gesellschaften", haben sich der Techniken und Infrastrukturen bemächtigt,
haben sie integriert, haben ihnen ihren Stempel aufgedrückt und nicht
umgekehrt. Infrastrukturen -seien sie noch so leistungsfähig - prägen nicht
die Gesellschaft, allen Annahmen der Theoriebildung um die
?Informationsgesellschaft" und allen ?virtuellen" Entdeckungen zum Trotze.
Informationen sind ein untrennbarer Aspekt jeder Produktivkraft und jeden
Lebensaktes und nicht eine eigenständige Produktivkraft oder Lebenskraft,
deren beliebige Vermehrung an sich bereits Fortschritt verkörpert.

Mit anderen Worten: Informationen haben den gleichen Charakter und
Stellenwert wie Materie und Energie. Die Theoriebildung um die
?Informationsgesellschaft" vernachlässigt zudem, dass Informationen und
deren Erfassung, Verarbeitung, Speicherung und Weiterleitung notwendig aber
nicht hinreichend sind. Um z.B. umweltrelevante Verbesserungen zu erreichen,
benötigt man zunächst entsprechende Informationen. Es ändert sich aber
wenig, wenn man nicht zumindest zugleich bessere Filter oder
Verbrennungsanlagen entwickelt, und dazu braucht man mehr als Informationen.
Und selbst wenn man mittels eines Tourenplanungsprogramms z.B. den
Brennstoffverbrauch eines betrieblichen Fahrzeugparks minimieren kann, so
braucht man doch über die Informationen, die einem die Informationstechnik
liefert, hinaus noch entsprechende Modelle und Verfahren etwa des Operations
Research und vor allem auch entsprechende Veränderungen im entsprechenden
Fahrzeugpark, seinem Management, seinen Betriebsanlagen usw. Zu deren
Veränderung ist aber weitaus mehr notwendig, als im besten
Tourenplanungsprogramen enthalten sein kann.

Die Informatik ist also auf die Zulieferungen aus anderen Wissenschaften
angewiesen. Sie ist eher eine Hilfswissenschaft - zugegebenermaßen eine
mächtige und herausfordernde - aber eben doch eine Hilfswissenschaft (so wie
für Einstein im übrigen die Mathematik Hilfswissenschaft der Physik war).
Die Musik, an die sich dann auch die Leidenschaften im Kampf um richtige und
falsche wissenschaftliche Positionen - in der Ökonomie z. B. die
Auseinandersetzung, ob zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit angebots- oder
nachfrageorientiert (oder mit beiden Ansätzen) verfahren werden sollte -
knüpfen können, wird in den verschiedenen ?materiellen" Wissenschaften, und
mehr noch in der lebendigen politischen Auseinandersetzung gemacht.

Die bunte Vielfalt der iuk-technischen Gerätewelt liefert die
Infrastrukturen, Verarbeitungs- . Weiterleitungs- und Darstellungssysteme
wie Multimedia, Intranets und das Internet, aber nicht die Inhalte.
Entsprechend der formalen Denkweise der Informatik wird allerdings vom
Gehalt, von Inhalt, Wert, Nutzen usw. - also von jeder inhaltlichen
Betrachtung der Kategorie ..Information" - abgesehen: in der formalen
Betrachtung - z.B. bei der Frage der Gestaltung der graphischen
Benutzungsoberfläche, d.h. der Art der Darstellung auf dem Bildschirm -
können triviale, gelegentlich geradezu lästige Werbe- und
Vermarktungsinfonationen kurzerhand mit demselben Wert gehandelt werden wie
z.B. die Informationen über eine bevorstehende Untemehmensschließung oder
die Entwicklung eines neuen ressourcenschonenden und im emissionsmindernden
Verbrennungsverfahrens.

Ergänzend dazu wird die Kontextabhängigkeit der Informationen fast
vollständig ausgeblendet. Der Kontext kann aber nicht nur für den Wert und
die Bedeutung einer Information entscheidend sein, sondern er ist
insbesondere auch ausschlaggebend für das, was sich daran an Praxis
anschließt. Und die bisherige Kontexterfahrung belegt eigentlich etwas, was
der naiven These von der heraufdämmernden ?Informationsgesellschaft"
diametral entgegensteht:

Informationen, sofern sie wirklich Wissen verkörpern, waren an und für sich
noch nie Macht, wie es eine der Lebenszwecklügen eines Teils der
Arbeiterbewegung (?Wissen ist Macht") besagt: Wir haben z.B. heute in
Deutschland vergleichsweise ?wissende" Mitbestimmungsträger in den großen
Unternehmen - an der Entstehung, Verstetigung und Eskalation von
Überkapazitäten und Massenarbeitslosigkeit in den letzten zwanzig Jahren hat
sich dadurch nichts geändert. Im Gegenteil: es hat stets sehr wissende und
informierte Menschen gegeben, die machtlos waren. Gerade die Geschichte der
real existierenden Wissenschaft und Forschung kennt dafür zahlreiche
Beispiele. Und vielleicht ist es geradezu ein Vorzug wirklicher Macht, sich
gelegentlich auch einmal des Wissens und der Information oder ihrer
Zurkenntnisnahme begeben zu können.

Warum soll das in der ?Informationsgesellschaft? plötzlich anders sein?
Warum sollte ausgerechnet die luk-Technik die jahrtausendealten Machtspiele,
die mit oder ohne Informationen oder gelegentlich auch um Informationen
stattfanden, überflüssig machen? Die Theoriebildung um die
?Informationsgesellschaft" übersieht die vielfältigen Bedingungen und
Beschränkungen, die im Umfeld der Erzeugung und Verwendung von Informationen
stets eine Rolle, gelegentlich sogar, wie das Beispiel der Betriebs- und
Geschäftsgeheimnisse bei der Telearbeit andeutet, eine dominierende Rolle
gespielt haben und auch weiterhin spielen werden. Der mit dem Internet
gelegentlich geträumte Traum vom Wissen der ganzen Menschheit, das überall
und jederzeit per Knopfdruck verfügbar gemacht wird, wird wohl ein Traum
bleiben. Aber selbst wenn der Traum Realität würde, er würde einfach nicht
die umwälzenden Auswirkungen haben, die ihm im Lichte der Theoriebildung um
die ?Informationsgesellschaft" zugeschrieben werden.

Infrastrukturen - des Verkehrs, der Telefonie, der Datenkommunikation -
bestimmen überhaupt nicht darüber, welche Inhalte übertragen werden. Sie
bestimmen nicht, mit welchen Zielen und Absichten und zur Bewegung welcher
politischer, militärischer, industrieller usw. Mittel, Informationen über
diese Infrastrukturen transportiert werden. Ebenso wenig wie die Autobahnen
darüber bestimmt haben, ob über sie Panzer oder Ausflugsbusse fahren, werden
die Datenautobahnen darüber bestimmen, welche Informationen für welche
Zwecke, in welchen Zusammenhängen, mit welchen Ergebnissen übertragen
werden. Das Medium ist eben doch nicht die Botschaft. Daran krankt die
?Theorie"bildung in und um die ?Informationsgesellschaft". Sie erliegt so
einer Art von Informations-Illusion, vergleichbar der Geld-Illusion in der
Ökonomie: Information wird vom begleitenden, omnipräsenten vermittelnden
Element zum bestimmenden, prägenden, dominierenden Element gemacht.

2. Die Verheißungen der ?Informationsgesellschaft"

Die Attraktivität der ?Informationsgesellschaft" erklärt sich sicherlich
auch aus dieser etwas naiven Art von ?Theorie"bildung. Darin erschöpft sich
jedoch nicht das Anziehende in der ?Theorie" vom Aulbruch in das
?Informationszeitalter" und in die ?Informationsgesellschaft". Die
heraufdämmernde iuk-technisch durchdrungene Gesellschaft wird vielmehr mit
ganz unterschiedlichen Verheißungen.

Verheißung allseitige Rationalität

Da ist die allseitige Rationalität, die Berechenbarkeit und Vorhersagbarkeit
als ein grundlegendes Motiv. Die bisherige Erfahrung zeigt allerdings, dass
die Prognostizierbarkeit im Zeitalter der Informatisierung insgesamt eher
abgenommen hat. In der westdeutschen Stahlindustrie z.B. konnte man in den
sechziger Jahren noch einen Zeitraum von etwa vier Jahren überblicken und
für Planungen zugrunde legen - heute ist es kaum mehr ein Jahr Der
entscheidende Faktor für die Verringerung des Planungshorizonts ist hierbei
wohl die Existenz riesiger weltweiter Überkapazitäten seit Anfang der
siebziger Jahre. Das ist allerdings ein Beispiel für die wirklich
entscheidenden Faktoren bezüglich grundlegender wirtschaftlicher und
gesellschaftlicher Entwicklungen. Sie haben nichts oder nur am Rande mit den
luK-Techniken zu tun.

Verheißung Arbeitsplätze

Eine andere Verheißung bezieht sich auf die neuen Arbeitsplätze.
Unbestritten sind nun in luk-technischen Entwicklungs-, Produktions- und
Anwendungsbetrieben viele Arbeitsplätze entstanden. Das ist kein Wunder:
schließlich handelt es sich um eine neue technische Entwicklung. Ihre
Erzeugnisse haben zum Teil bereits bestehende Aufgaben der
Informationsverarbeitung übernommen, zum Teil haben sie aber auch neue
Informationen und andere Prozesse ihrer Verarbeitung ermöglicht.

Und dennoch: Die Jahre der unaufhaltsamen Expansion der luK-Märkte im
Zeichen immer neuer modischer Vermarktungsbegriffe und -konzepte, die oft
auch mit Arbeitsplatzverheißungen verbunden waren, sind zugleich Jahre der
Entwicklung in eine offensichtlich immer perspektivlosere
Beschäftigungskatastrophe gewesen.

?Es ist die Aufgabe der Informatik schlechthin, Arbeitsplätze zu zerstören".
Dieser Schlüsselsatz des französischen Telematik-Spezialisten Simon Nora aus
dem Jahre 1978 ( so zitiert in ?Le Monde") wird durch die Erfahrungen in den
Betrieben und in der Folge am Arbeitsmarkt untermauert.

Die ?Maschinisierung der Kopfarbeit" (F. Nake) durch Entwicklung und
Anwendung der luK-Technik ist das vielleicht mächtigste Mittel, das je
entwickelt wurde, um das Volumen an gesellschaftlich notwendiger Arbeit, die
von menschlicher Arbeitskraft ausgeführt wird, zu verringern. Hierin liegt
mit großer Wahrscheinlichkeit die am weitesten ausgreifende Veränderung
eines wesentlichen Grundelements moderner Gesellschaften durch die
Informatisierung, nämlich der Beitrag zur Erschütterung des
Beschäftigungssystems.

Diese Auswirkungen sind konkret, und das heißt vor allem betrieblich,
abzuschätzen und in ihrer Gesamtwirkung politisch-konzeptionell zu
beantworten. Sie sind aber weder einzigartige noch isolierte Entwicklungen.
Vielmehr sind sie eingebettet in andere, weitaus bedeutsamere Vorgänge wie
die Globalisierung, die Ausbreitung marktwirtschaftlicher Verhältnisse, die
Schaffung riesiger, moderner Überkapazitäten, das Versagen und den
Autoritätsverlust der Sozialparteien und des Staates in der
Arbeitsmarktpolitik u.a.

Verheißung qualifizierte Arbeit

Eine weitere große Klasse von Verheißungen bezieht sich auf die Veränderung
der Arbeitsbedingungen und -ablaufe. Dabei ist unbestreitbar, dass im Zuge
der iuk-technischen Entwicklung die Gestaltungs- und
Manipulationsmöglicheiten am ?Objekt" und die damit verbundenen
Kommunikationsmöglichkeiten in der Arbeit zugenommen haben - insgesamt,
jedoch nicht durchweg an allen betroffenen Arbeitsplätzen. Zug um Zug sind
damit neue Qualifikationsanforderungen entstanden. Aber kann man angesichts
der gerade gegenwärtig zutage tretenden Ausbildungsdefizite und
Verfallssymptome - in Schulen, Hochschulen und Berufsausbildung - wirklich
behaupten, die moderne Entwicklung habe generell zur Vermittlung höherer
Qualifikationen geführt? Und sind iuk-technisch relevante Qualifikationen
wirklich die Antwort auf diese Defizite und den Verfall des Bildungssystems,
oder tragen sie nicht vielmehr zu noch größeren Verwerfungen, z.B.
Einseitigkeiten und in der Folge Abhängigkeiten, im Bildungssystem und in
der Arbeit bei? Kann die ?virtuelle Universität" eine Antwort auf die
Dekomposition der Institution, auf den sich ausbreitenden Egoismus der
?Gruppen", auf die immer wieder erneut auferlegten Sparmaßnahmen an den
Hochschulen sein?

Auch hier muß man wieder feststellen, dass die systemischen Veränderungen,
die Zug um Zug mit der Informatisierung weiter gegangen sind, also z.B. der
laufende wirtschaftliche Strukturwandel, der Abbau von Beschäftigung und der
sich daraus ergebende Schwund bei den Staatsfinanzen u.a.m. für die
Ausbildungsmisere weitaus bedeutsamer sind als eine unterlassene
Informatisierung. Die Unsicherheit, die Angst um den Arbeitsplatz, der
Druck, auch sich zu qualifizieren, bestimmen heute stärker als je zuvor die
Situation in den Betrieben. Die Informatisierung ist dabei ein, aber auch
nur ein Faktor.
Und die mit der Informatisierung unbestreitbar verbundenen Anstöße zur
Heranbildung neuer, anderer als traditioneller Qualifikationen werden
womöglich durch die qualifikationszerstörenden Auswirkungen der
Massenarbeitslosigkeit, die mehrere komplex miteinander verbundene Ursachen
hat, gesellschaftlich konterkariert. Dem mit Mitteln der iuk-technisch
bedingten Qualifizierung entgegenwirken zu wollen, ist illusorisch, denn es
setzt nicht an den wirklichen Ursachen an, die das gesellschaftliche
Qualifikationspotential prägen.

?Bildungsarbeit ist streng akzessorisch", so der frühere
Gewerkschaftsvorsitzende Lorenz Schwegler. Gemeint ist: Wenn sich in der
Gesellschaft etwas bewegt, haben Bildungsarbeit und Qualifizierung einen
bedeutenden Stellenwert. Selbst können sie aber nicht die notwendigen
gesellschaftlichen Veränderungsprozesse herbeibringen.

Die idyllischen Vorstellungen, wie sie heute in der Vorstellung von der
Informationsgesellschaft mitschwingen, nach denen es nur darauf ankommt,
sich entsprechend zu qualifizieren, sind jedenfalls bislang nicht
Wirklichkeit geworden.

Verheißung gesunde Umwelt

Ähnliches gilt für die Umweltauswirkungen der luK-Techniken. Verheißen
worden sind saubere Fabriken, glänzende, umweltfreundliche Bürogebäude, der
Ersatz von umweltverschmutzendem Verkehr durch Datenkommunikation,
?intelligente" Häuser, die den Energieverbrauch minimieren, Telearbeit mit
weniger Pendlerverkehr u.a.m.

Entstanden ist ein Produktions- und Verwaltungskomplex, der alles andere als
ökologisch günstig ist. Die Produktionsbereiche der luK-Techniken sind
ökologisch hochriskant: zur Manipulation der Eigenschaften der toten
Materie, müssen in deren feinsten Strukturen im sogenannten ?Nano-Bereich"
giftige und hochgiftige Substanzen eingesetzt werden. Die
Fabrikationsgebäude müssen entsprechend aufwendig gebaut und ausgestattet
werden. Klimatisierte Werkshallen und Fabrikgebäude sind vielfach wegen der
iuk-technischen Systeme notwendig (sie werden nicht wegen der Arbeitskräfte
klimatisiert, sondern wegen der computergesteuerten
Hochpräzisionsmaschinerie, die dabei zum Einsatz kommt). Der sich mit der
luK-Technik entwickelnde Typ von Finanz- und Verwaltungsmetropolen - vom Typ
La Defense in Paris, Manhattan oder Hong Kong - belegt augenscheinlich,
welche Umweltprobleme mit der modernen, und das heißt eben auch:
informatisierten Finanz- und Verwaltungswelt verbunden sind.

Und dennoch: Eine nüchterne, unglamouröse Entwicklung und Anwendung von
luK-Techniken zur Verbesserung des Umweltschutzes in den Betrieben -zur
Gewährleistung eines möglichst hohen Grades an ?produktionsintegriertem
Umweltschutz" (und auch ?verwaltungsintegriertem Umweltschutz") - ist eine
der wirklichen großen Perspektiven der iuk-technischen Entwicklung
überhaupt, die durch die Folklore um die ?Informationsgesellschaft" etwas
verdeckt wird. Dieser Stellenwert wächst ihr allerdings deshalb zu, weil die
diversen Ausstiegs- und Wendeszenarien, die in der Umweltbewegung immer noch
verbal gepflegt werden, in einer sich immer weiter globalisierenden und
dynamisierenden Marktwirtschaft Wunschträume bleiben werden.

Verheißung mehr bürgerliche Freiheit

Dafür taucht mit den iuk-technischen Infrastrukturen eine andere
gesellschaftlich möglicherweise relevante Gefahr auf: Wer sich in den Netzen
der luK-Techniken bewegt, der hinterläßt Spuren. Diese Spuren entstehen,
weil sie für das Betreiben der Netze unerläßlich sind. Wenn ich wie beim
ISDN völlig unterschiedliche Informationen - Wort, Fest- und Bewegtbild,
Ton, Daten - übertrage, muß ich identifizierbar machen (für die Rechner, die
die Netze steuern und die Kommunikation organisieren), um welche Art von
Informationen es sich handelt, welche Information von wem an wen und über
welchen Weg geht usw. usf. Das Ergebnis: Verhalten, Benutzungsweise und - im
Betrieb besonders wichtig - Leistung können dank dieser unerläßlichen
Metadaten erfaßt, mit Mengen- und Zeitgrößen verbunden und transparent
gemacht werden.

Hinzu kommt die Datenflut, die gezielt oder weniger planmäßig über Menschen,
ihre Eigenschaften, ihre Bewegung im Raum oder in der Gesellschaft erfaßt
und verfügbar gemacht wird, also die Grundlage für Verbraucherprofile, den
gläsernen Patienten, Studenten, Bürger usw.

Es ist wichtig, sich klar zu machen, dass hinter dieser Gefahr nicht böse
Köpfe stecken, sondern dass ihre Grundlagen die technischen
Organisationszwänge der modernen, netzwerkförmig organisierten
Informationsverarbeitung und -weiterleitung mit iuk-technischen Mitteln
sind. Die Einsicht in die vielfältigen damit verbundenen Probleme muß dazu
fuhren, dem Persönlichkeitsschutz sowohl im Arbeitsverhältnis wie auch
allgemein in den Zusammenhängen der bürgerlichen Gesellschaft und des
Verhältnisses des Einzelnen zum Staat einen sehr hohen Stellenwert zu geben.
Verschwörungstheorien z.B. vom Überwachungsstaat helfen dagegen nicht
weiter. Die moderne, hochentwickelte individualisierte zivile Gesellschan,
das bürgerlich- parlamentarische Gemeinwesen, eine kritische Wissenschaft,
eine wache Öffentlichkeit können ausreichende Schutzvorkehrungen zur
Vertagung stellen.

Verheißung mehr Demokratie

Ganz anders gefährlich werden könnte aber u.U. die Zerstörung des
Politischen, die sich mit ?Internet & Politik" abzeichnen kann: An die
Stelle der lebendigen politischen Diskussion tritt die anonyme Bemächtigung
des politischen Prozesses durch kleine Experten- und/oder Machtgruppen. Die
durch das Parteiensystem vermittelten Mehrheitsentscheidungen entfallen. Der
Traum, übers ,,Internet" eine neue Art von Basisdemokratie zu ermöglichen,
bleibt ein Traum. Basisdemokratische Experimente in der Grünen-Bewegung
haben zu geradezu oligarchischen Verhältnissen gerührt.

Was allerdings die politischen Grundverhältnisse in der modernen Staatswelt
grundlegend beeinflussen kann, ist die ?anarchische Dimension" des Internet.
Darin liegt vielleicht ein ganz großer Wert der ganz modernen luK-Techniken.
Sie erlauben es, die eingefahrenen, in der Regel bürokratisierten
Herrschaftsverhältnisse in der Aktion, wenn es diese gibt, womöglich zu
unterlaufen und zu konterkarieren. Darin, und nicht in der Ermöglichung
eines ordentlichen, ruhigen Wahlverhaltens und der ?Entparlamentarisierung",
liegt ihr Wert. Das gleiche gilt, wie die Auseinandersetzung um die freie
Software vom Typ Linux zeigt, auch für die Monopolverhältnisse in der
Software-Produktion.

Verheißung Medienvielfalt

Die am ehesten die moderne hochentwickelte Gesellschaft materiell
mitbestimmenden Einflüsse im Rahmen der iuk-technischen Entwicklung kommen
wohl, außer über die Umwälzung des Beschäftigungssystems, über die
Veränderungen der Medienlandschaft zustande. Hier werden Inhalte, an denen
sich Bewußtsein und Verhalten orientieren, nachhaltig verändert.

Aber auch hierbei muß man sich vor vereinseitigenden Deutungen hüten.

Viele inhaltliche Veränderungen gehen zwar auf die Digitalisierung und ihre
Folgeprozesse zurück. Sie sind insofern abhängig von der ?Computerisierung"
der Medien. Ebenso bedeutsam sind aber andere Prozesse, wie die
Privatisierung und die mögliche Infragestellung des öffentlich-rechtlichen
Rundfunks sowie die Konzentration bei den Medien und natürlich der Wandel
der Bedürfnisse in der ?zivilen" Gesellschaft. Entscheidend sind auch
hierbei die Inhalte, die Programme, die sozialen Strukturen und Prozesse,
die damit gefördert oder beeinträchtigt werden.

Die Digitalisierung ist eher Anlaß, nicht so sehr Bestimmungsfaktor für die
Medienlandschaft von morgen und übermorgen. Diese allerdings wird - über die
Programme und Inhalte, die ausgestrahlt werden - nachhaltig auf die
Gesellschaft der Zukunft einwirken.

Wenn man die Bedeutung der Inhalte und der Programme richtig einschätzt,
dann muß vor der völligen Privatisierung des Rundfunkwesens gewarnt werden:
sie öffnet, das belegt die Erfahrung, dem wettbewerbsgesteuerten Flachsinn
und dem sensationslüsternen Voyeurstum Tür und Tor. Die
Multimediaentwicklung ändert an dieser Problematik wenig: Ob man brutale
Videos, deren Einfluß auf die zunehmende Gewaltbereitschaft an den Schulen
und allgemein in der Gesellschaft noch genauer abzuschätzen ist, am Computer
ansieht oder auf einem separaten Fernsehgerät, ist eher zweitrangig.
Insofern führt die derzeitige Multimediadebatte in die falsche Richtung.

Sie wird allerdings vor allem Auswirkungen in der Arbeitswelt haben, doch
dazu ist zuvor einiges gesagt worden.

3. Die Gewerkschaften - Verlierer der Informatisierung

Die ?Informationsgesellschaft" im behaupteten Sinne ist ein Mythos, eine
wenig wirklichkeitstüchtige Phantasie darüber, wie die Gesellschaft einmal
beschaffen sein wird.

Das heißt jedoch nicht, dass der Prozeß der ?Informatisierung" folgenlos ist
und bleibt. Im Gegenteil: Er hat nachhaltige Auswirkungen auf etliche
Subsysteme der Gesellschaft: die Betriebe, die Beschäftigung und den
Arbeitsmarkt, das Bildungssystem, einige andere - bei diesen allerdings
schon weitaus weniger ausgreifend. Im System der Justiz z.B. macht die
organisierte Kriminalität sicherlich umfangreichere Anpassungs- und
Veränderungsleistungen notwendig als die Ausbreitung der luK-Techniken. Im
politischen System sind die Auswirkungen der Informatisierung um einen
Faktor Zehn weniger bedeutsam als die des Rechtsradikalismus.

Am nachhaltigsten betroffen scheint wohl das Beschäftigungssystem zu sein.
Aber auch hier ist vor einer Verabsolutierung zu warnen: die
?Informatisierung" ist hauptsächlich Bestandteil von anderen umfassenden
Prozessen wie dem der Rationalisierung, der Konzentration, des
wirtschaftlichen Strukturwandels allgemein. Diese wiederum werden wesentlich
von anderen Kräften und Bedingungen geprägt als denen der Informatisierung,
und vor allem: Sie sind konkret, Fall für Fall, auf betrieblicher Ebene
aufzugreifen.

Mit den Veränderungen im Beschäftigungssystem sind die Gewerkschaften
gefordert und herausgefordert worden. Die gewerkschaftliche Politik war noch
in den achtziger Jahren in wesentlichen Fragen - Arbeitsmarktentwicklung,
Qualifikationspolitik, Abwehr von grundrechtseinschränkenden Praktiken - ein
eher gegensteuernder Faktor. Heute ist daraus eine fast ausnahmslos blanke
Mitgestaltungs- und Förderungspolitik geworden. Diese Mitgestaltungspolitik
ist allerdings fast ausnahmslos Politik über den Diskurs geblieben. Die
wirklichen Hebel, über die die Gewerkschaften zur Entwicklung konstruktiver
Alternativen hätten aktiv werden können, ihre Präsenz in den Betrieben, ihre
Nähe zu den unternehmerischen Entscheidungen, sind weitgehend ungenutzt
geblieben.

Die Gewerkschaften haben nicht gesehen oder nicht sehen wollen, dass der
Prozeß der Informatisierung eine anderen Prozessen - wirtschaftlicher
Strukturwandel, Konzentration und Internationalisierung, allseitige
Rationalisierung u.a. - untergeordnete Entwicklung ist. Sie haben sich
diesen Prozessen und ihren Triebkräften im betrieblichen Rahmen nicht aktiv
und Druck machend zugewandt. Sie haben vielmehr ihre Positionen bezüglich
der luk-Techniken einfach so z.T. diametral geändert, vor allem wohl, weil
der Modernisierungsdiskurs besser in die politische Landschaft paßte.

In keinem Land Europas, vielleicht der Welt, sind die Gewerkschaften so nahe
an den Entscheidungen der Untemehmensspitzen wie in Deutschland - über die
Mitbestimmung in den Aufsichtsräten, das Gewicht der Betriebsräte, die
Informationsrechte der Wirtschaftsausschüsse, die Benennung von
Arbeitsdirektoren u.a.m. Die Beschäftigungskatastrophe hat sich dennoch quer
durch eine funktionierende Mitbestimmungslandschaft hindurch entwickelt:
Alle wesentlichen, die Beschäftigung auf verschiedenen Wegen
beeinträchtigenden Maßnahmen und die zugrunde liegenden wirtschaftlichen
Entscheidungen sind (fast) wiederstandslos, und schlimmer noch:
alternativenlos, vor allem von den ?Arbeitnehmerbänken" in den
Aufsichtsräten, auf denen die Gewerkschaften zumeist in der Mehrheit sind,
mitgetragen worden. Und die Informatisierung hat am Ausdünnen der
Arbeitsplätze erheblichen Anteil gehabt, wie jeder Betriebskundige weiß.

Insofern ist der gewerkschaftliche Paradigmenwechsel auf dem Gebiet der
luk-Techniken, mit seiner Kombination von Diskurslastigkeit und Inkonsequenz
in der betrieblichen Praxis der Gewerkschaften, nicht Symptom der Einsicht,
sondern wohl eher der Schwäche. Und diese Schwäche hat ihren Preis: Seit
Anfang der neunziger Jahre verlieren die deutschen Gewerkschaften in großem
Umfang Mitglieder. Insbesondere die Jungen und die in den modernen
Produktions- und Dienstleistungsbranchen Beschäftigten sehen wenig Sinn
darin, sich gewerkschaftlich zu organisieren -ein bemerkenswertes Ergebnis,
wenn man sieht, wie sehr die Gewerkschaften sich auf den Modernisierungskurs
und -diskurs umorientiert haben. Sind die Gewerkschaften nicht mehr
glaubhaft? Oder sind sie in diesem neuen modernen Gewand schlicht
überflüssig?

Vor allem sind es aber arbeitslose Mitglieder, die austreten. Dahinter steht
wohl die Auffassung, dass die Gewerkschaften entweder nicht willens oder
nicht fähig sind, an der verhängnisvollen Arbeitsmarktentwicklung etwas zu
ändern. Es gelingt ihnen offensichtlich immer weniger, den Beschäftigten und
Arbeitslosen, deren soziale Schutzbedürftigkeit eindeutig zugenommen hat,
klarzumachen, dass sie Kräfte zur Gegenwehr wirksam bündeln und freimachen
können. Hier hat sich die Vernachlässigung der konkreten betrieblichen
Entwicklungen - und in diesem Rahmen auch der Informatisierung -
verhängnisvoll ausgewirkt und wird das auch in der Zukunft tun.

Gewerkschaften, die ständig nur den Anpassungsdiskurs führen und bei denen
die Kluft zwischen dem, was sie tun könnten, und dem was sie tun, größer
wird, sind eben nicht hinreichend anziehend. Hinzu kommen die uralten
Verkrustungsprobleme. Die Verkrustung scheint unter dem Druck des
notwendigen apparativen Rückzugs sogar eher noch zuzunehmen, ebenso die
Neigung, strukturkonservative Politikpraktiken zu pflegen. Im Zusammenhang
mit der Informatisierung (bzw. der ?Informationsgesellschaft", auf die sich
auch sehr viele in den Gewerkschaften positiv beziehen) muß man daher sagen,
dass vermittelt über die Veränderungen des Beschäftigungssystems die
Gewerkschaften zu den hauptsächlichen ?Verlierern" der Informatisierung und
der Moderne zählen - und das sicherlich nicht ganz ohne eigene Schuld.

4. Ausblick

Die Informatisierung als die Gesellschaft breit erfassender Prozeß ist
Tatsache, ist unbestreitbar. Was bestritten wird, sind die umwälzenden
Auswirkungen, die ihr mit der Theoriebildung um die
?Informationsgesellschaft" zugeschrieben werden. Die Gesellschaft wird diese
Entwicklung ?weg stecken", wie sie das Telefon und die modernen
Verkehrstechniken weggesteckt hat.

Die Folgen der Informatisierung sind analysierbar, abschätzbar. Was
entwickelt werden muß, sind vor allem die Schutzvorkehrungen wie z. B. die
Datenschutzregelungen bei personenbezogenen oder -beziehbaren Daten oder die
entsprechende Regulierung der Medien zur Erhaltung einer ausreichend
vielfältigen, qualitativ hochwertigen, nicht allein von der zahlungsfähigen
Marktnachfrage bestimmten Informationsgrundversorgung. Die sonstigen
Auswirkungen - insbesondere die auf das Beschäftigungssystem - bedürfen
umfassenderer Antworten z.B. auf den Gebieten der Wirtschafts- und
Ar-beitsmarktpohtik, der Bildungspolitik und ihrer Voraussetzungen, also vor
allem der staatlichen Finanz-und Haushaltspolitik. Sie sind durchaus
innerhalb einer liberal-bürgerlichen, aufgeklärten Gesellschaft
realisierbar.

Das Gleichsetzen von ?Informationen", die übers Internet kommen, mit den
Informationen, die die Menschen und die Gesellschaft in der Zukunft
brauchen, ist willkürlich, unbegründet, unberechtigt. Die Anmutung, die mit
der Begrifflichkeit der ?Informationsgesellschaft" verbunden ist, ist es
ebenso. Was an komplexen Schutzvorkehrungen notwendig ist, kommt aber nicht
als Selbstläuferprozeß, sondern muß erkämpft werden.

Das kann eine Herausforderung zu umfassenden Veränderungen sein. Sie haben
allerdings kaum etwas mit der ?elektronischen Revolution" zu tun. Und ob
Entwicklungen wie die verschiedenen Cyberwelten, das Internet und die
allseitige und allgegenwärtige Verdatung den notwendigen Geist der Kritik
und des Wiederstandes in der Gesellschaft fördern, ist eher fraglich.
Internet ist keine Revolution, es macht auch keine. Es wird, sollte es
einmal eine wirkliche Revolution geben, nach ihr wohl so weiterfunktionieren
wie vor ihr.

Was wäre aber 1789 gewesen, hätte es bereits die luK-Techniken gegeben?
Wären die Einwohner der Pariser Faubourgs auch dann herabgestiegen ins
Zentrum, um das Gefängnis in der Bastille zu stürmen, oder hätten sie sich
das Ganze eher als Multimediaspektakel angesehen? Niemand weiß die Antwort.

Literatur

BdWi (Hrsg.) (1999): Informationsgesellschaft - Medien - Demokratie:
Machtfragen der Informationsgesellschaft; Marburg

Briefs, U. (1997): High-Tech und sozialer Verfall? - Das moderne Deutschland
nach dem Ende der ?sozialen Marktwirtschaft"; Bonn

Briefs, U. (1996): Le Système syndical allemand en transition, in: Revue
Internationale de psychosociologie, Heft 4, Paris, S. 103-111

Bulmahn, E./van Haaren, K./Hensche, D./Kiper, M./Kubieek, H./Rilling,
R.,/Schmiede, R, (Hrsg.) (1996): Informationsgesellschaft - Medien-
Demokratie - Kritik, Positionen, Visionen; Marburg

IBM Deutschland, Autorenteam des Erzeugnisvertriebs Großsysteme (1972): Der
virtuelle Speicher - das moderne Konzept der Datenverarbeitung; Stuttgart

Krämer,J./Richter, J./Wendel, J./Zinssmeister, 0. (Hrsg.) (1997): Schöne
neue Arbeit - Die Zukunft der Arbeit vor dem Hintergrund neuer
Informationstechnologien; Mössingen-Talheim

Noble, D. (1984): Forces of production; New York

Steinmüller, W. (1993): Informatik und Gesellschaft; Darmstadt

Weizenbaum, J. (1978): Die Macht der Computer und die Ohnmacht der Vernunft;
Frankfurt/M.

Wittfogel, K. (1965): Le Despotisme oriental; Paris


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