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Re: [ox] Text zur Konferenz



Hi Listige,

auf zwei Kritiken zu meinem Text will ich kurz eingehen:

Hans-Gert Graebe schrieb:

Stefan Meretz on Tue, 14 Nov 2000 schlägt folgende Textpassage für die
Öffentlichkeit vor

   <quote>Das hat etwas mit der besonderen Form der Ressource zu tun:
   Es handelt sich um Wissen. Die New Economy versucht Wissen wie
   Röhrenradios und Fließbandautos proprietär, also exklusiv und knapp
   zu halten. Marktwirtschaft als Knappheitsökonomie, Knappheit, die
   Reichtum produziert. Oekonux dreht das Paradigma um: Es produziert
   Reichtum durch Überfluss. Die Allokation von Wissen in freier Form
   ist effektiver als die der Beschränkung von Austausch. Die
   Netzwerkökonomie stellt die Linienökonomie auf den Kopf. Oekonux
   baut auf den Universalprodukten der New Economy auf und geht
   gleichzeitig über sie hinaus.</quote>

Leider hat mein Thread auf dieser Liste bisher keine Freunde gefunden.
Ich wiederhole es trotzdem: Es ist kein neues Paradigma, sondern das
uralte der Wissenschaft. Und da kann man nicht mit Markt, Knappheit
etc. argumentieren (und auch nicht mit deren Gegenteil). Hier sollte
Robert Kurz endlich mal ernst genommen werden.

Was Du mit R.K. andeuten willst, ist mir nicht klar. Zur Frage des
Unterschieds der Vergegenständlichung von Wissen in Produkten (mit
einem alten Begriff gesagt: "konkreter" Arbeit) und Wissenschaft als
allgemeiner Arbeit verweise ich auf die langen, aber sehr
interessanten Ausführungen von Christian Fuchs (alias 'rhizom 00')
in der Mail "Replik auf Krämers Kritik..." von heute morgen.

sabine.nuss freenet.de schrieb:

                 *Bremse zieh*


Akzeptiert.

Was ist eigentlich mit all jenen auf der Mailingliste, die seit
etlichen Zeiten dagegen argumentieren, dass die Freie Software-
Produktionsweise aus ihren Zusammenhängen (und sie steckt sehr
wohl in welchen drin) gerissen wird, um sie dann als Pilotprojekt für
eine andere Wirtschaftsweise herzunehmen? Ich sträube mich ein
wenig, dass auf der geplanten Konferenz gar so viel bereits schon
als zu Ende diskutiert und gedanklich beschlossen daherkommt.
Ich hab ja schon bei dem Konferenz-Titel rumgemeckert, nun auch
noch beim Text hier und mich überkommt fast ein schlechtes
Gewissen, weil mein Engagement kaum im Verhältnis zu meiner
Kritik (dies nun rein quantitativ) steht. Aber wurscht.

Aus meiner Sicht ist nichts zu Ende diskutiert oder beschlossen -
über Inhalte abzustimen wäre denkbar Banane. Doch was wir hier
treiben, ist eine bestimmte Praxis, nämlich das gegenseitige
Ausprobieren unserer Gedanken an der Realität (zunächst mal nur als
Gedankenformen, aber es gab ja auch schon Rufe nach 'praktischer
Praxis'). Dabei sind wir uns jeweils gegenseitig der widerständige
Part der Realität, weil wir einfach unterschiedliche Sichten haben.
Das ist auch gut so.

Ich gehöre dabei zu denen, die voranschreiten, die neue
Gedankenformen dadurch ausprobieren, indem sie sie formulieren. Ich
will dabei mein "Bremsen im Kopf" minimieren, sonst entsteht einfach
nix Neues. Ist bei mir so. Was dann da raus kommt, hauen mir dann
schon andere genug um die Ohren. Doch für mich ist das Alte nicht
nur grottenlangweilig, sondern auch wirklich am Ende. Das Neue ist
aber noch nicht so richtig in Sicht, also gilt es aus meiner Sicht,
mit allen Sinnen dieses Neue zu er~finden. Dies nicht im Sinne
bloßer Spekulation, sondern mit wissenschaftlichem Anspruch
(vielleicht auch nur eine alte Marotte) - jedenfalls meine ich,
meine Position sehr gut begründen zu können, meistens;-). Das als
persönliche Bemerkung zu meinem Erkenntnisinteresse.

Mir ist oft das Erkenntnisinteresse vieler
"das-Alte-ist-zwar-Scheisse-aber-es-geht-nun-mal-nicht-anders"-Schreiber
hier bei _Oekonux_ nicht klar. Damit meine ich nicht dich, Sabine,
denn so lese ich deine Beiträge nicht. Wer mag, kann ja mal was dazu
schreiben.

Jetzt inhaltlich:

Von New Economy zu Oekonux

Oekonux ist eine Wortverbindung von Oekonomie und Linux, von
Ökonomie und Freier
Software. Es symbolisiert eine neue Form des Wirtschaftens, die
erst mit der
Freien Software entstanden ist - und die eigentlich gar keine
"Wirtschaft" im
klassischen Sinne mehr ist. Oekonux ist ein dem in Angebot,
Nachfrage und Geld
denkenden Menschen unverständliches Phänomen.

Das ist eben nicht durch, das Thema. Es gibt einen Haufen Leute,
die die Art und Weise, wie Freie Software entwickelt wird (mehr
ist es erst mal nicht, ich würde hier noch nicht mal von einer
neuen Form des Wirtschaftens reden wollen) in den ganz normalen
Kategorien von Angebot und Nachfrage und Geld einordnen würden.

Du meinst Raymond z.B.? Selbst der als Neolib muss ganz schöne
Verrenkungen machen, um die FS in die Verwertung zurückzuholen. In
'Magic Cauldron' baut er lauter Krücken, wie das wertlose Zeug mit
was werthaltigen verbinden kann, um Kohle zu machen. Selbst er kann
FS klassisch nicht erklären (mal abgesehen von seinen
Kategorienfehlern). An wen denkst du sonst?

Fraglich ist hingegen, ob es sich um eine neue Form des
Wirtschaftens _handelt_. Ich schrieb vom 'symbolisieren' - um das
Wort Keimform zu vermeiden. Das - meine ich - ist so. Hab ich's
schon mal geschrieben?: Keimform und entfaltetes Phänomen sind zwei
_qualitativ_ verschiedene Dinge. Das muss so ein, denn sonst könnte
nie Neues entstehen: Das Neue als Keimform im Alten muss sich auch
im Alten bewähren. Das bedeutet konkret, die neuen Keimformen
_müssen_ z.B. auch irgendwie geldlich abgesichert sein, _obwohl_ sie
eigentlich darüber hinausweisen. Deswegen verstehe die Vorhaltungen
nicht, dass etwa die Entwickler eben neben (oder gar mit) FS auch
Geld verdienen. Purer Utopismus wäre es, die Reinheit sofort zu
verlangen.

Das Internet, was dafür zitiert wird, ist immerhin nicht im
geld- oder nationalmarktleeren Raum entstanden, sondern war
machtpolitisch motiviert und staatlich finanziert. Markt und
Staat kann man halt nicht trennen. Es geht nicht nur um
abstrakte Ökonomie.

Das Internet *als solchem* halte ich nicht für eine Keimform. Es ist
jedoch ohne Zweifel eine nützliche Sache und Voraussetzung für eine
neue Gesellschaft (wie so vieles, was im Alten geschaffen wurde -
ich will ja nicht alles wegschmeissen).

Da schaffen tausende Freiwillige
hochkomplexe Software, die heute die Welt zusammenhält - das Internet gäbe es
ohne Freie Software nicht - und die allermeisten der Volunteers bekommen dafür
kein Geld.

Aber sie haben Geldquellen. Andere halt.

Genau dieses _aber_ ist mir schleierhaft - sollen die Entwickler
nicht auch noch überleben dürfen? S.o.

Wir hatten die Diskussion ganz zu Anfang schon mal, als es
darum ging, ob nicht auch der Hobbyheimwerker, der gemeinsam
mit Freunden in der Freizeit ein Baumhaus bastelt nicht eben
das gleiche tut, wie die Linux-Leute, ohne dass wir ihm
gleich revolutoinäres Potential zuschreiben würden.

Noch mal Stichworte dazu:
+ Heimwerken ist private (Re-)Produktion, FS ist
  gesellschaftlich verallgemeinerte (Re-)Produktion.
+ Jedes Hobby, dass sich wie die FS gesellschaftlich
  verallgemeinert, hat ein revolutionäres Potential
  (ggf. auch nur innerhalb des Kap.)
+ FS repräsentiert die Spitze der Produktivkraftentwicklung
+ FS ist in ihrem Kern wertfrei und löst damit den
  Widerspruch zwischen Selbstentfaltung und Verwertung
  (potenziell) auf

Und noch ein paar Stichworte mehr. Ein paar oks gabs auch von dir
dazu (nicht zu allem).

Letztlich ist auch Wohngemeinschaft, wenn sie denn wohl
funktioniert, ein Beispiel dafür, dass Leute auch ohne
Geldzwang gemeinsam etwas tun. Müll runterbringen, Essen
machen, Wohnung renovieren. Ganz ohne Geld. Und in
Kooperation.

Siehe erstes Stichwort. WG ist die Ebene der unmittelbaren
Kooperation, FS ist die Ebene der gesellschaftlichen Kooperation.
Nur irgendwie "ohne Geld" ist doch nicht der Witz alleine.

Wir sind doch nie richtig zu Ende gekommen, mit dieser
Debatte.

Ich habe nichts gegen selbige. Ein Konferenzbeitrag?

Das ist ein Phänomen, dass mit Altruismus nur unzureichend
beschrieben ist, denn die Entwickler haben ja etwas von
ihrer Tätigkeit: Es ist ihr Leben, sie gehen darin auf, es
entspricht ihrer Persönlichkeit, genau dieses zu tun.
Der Maßstab des Geldes verliert an Bedeutung, natürlich auch,

"natürlich auch" - ist hier eben etwas zu schwach. NUR SO geht das.

Ja, aber lies doch noch mal ganz in Ruhe: Der Maßstab des Geldes
verliert an Bedeutung, weil andere Maßstäbe wichtiger werden -
Selbstentfaltung usw. Dies ist auch deswegen möglich, weil die Kohle
von woanders kommt. Die Tatsache, dass die Kohle von woanders kommt,
ist aber _nicht_ die entscheidende. Ich will sie als massenhafte
Ermöglichung gar nicht wegreden (s.o.), aber darauf im Sinne eines
"NUR SO" zu gucken, übersieht die eigentliche Potenz. Es übrigens
super viele Beispiele von Menschen (oft Wissenschaftlern abseits des
Mainstreams), die total verarmten, weil ihnen ihre Entfaltung
individuell wichtiger war. Nimm Marx, der glücklicherweise einen
kapitalistischen Freund Engels, der ihn sponsorte. Wenn heute RedHat
Alan Cox bezahlt und der aber machen kann was er will (nämlich
Kernelhacken ohne Reinreden von RedHat - sagt er), dann ist das ok.
Und wenn ich von zwei Tagen Arbeit leben kann, ist das auch ok, und
wenn mich jmd. mein Leben lang sponsort, dann höre ich auf mit
arbeiten für Geld.

weil die hochqualifizierten Spezialistinnen und
Spezialisten in der Regel gut abgesichert sind.
Neben der Möglichkeit der Selbstentfaltung tritt die
globale Vernetzung und Selbstorganisation hinzu. Sie
ermöglicht eine globale Allokation von Ressourcen,
die kein Global Player der "alten" New Economy zustande
bringt. Das hat etwas mit der besonderen Form der
Ressource zu tun: Es handelt sich um Wissen.

Das hat nicht etwas mit purem Wissen zu tun, sondern mit
der Vernetzung. Mit der technnischen Neuerung, die es
ermöglicht, das Wissen zu verbreiten, schnell und quasi
transaktionskostenfrei. Wissen gabs schon vorher.

Nur vorher ging es um die Allokation materieller Ressourcen und
jetzt um die nichtmaterieller. Das haben auch die Kap.-Fans erkannt,
guck z.B. nach bei Rifkin. Vernetzung alleine bringt nichts -
Vernetzung und Wissensakkumulation gehören zusammen. Im
Hochfordismus hätte dir das Internet nichts genutzt, weil viel
zuviel Wissen nur gegenständlich-fixiert existierte (in Maschinen,
Abläufen, auf Papier). Die Aufhebung der gegenständlichen Fixierung
(einen Träger braucht Wissen/Information natürlich immer) und ihre
Überführung in eine universelle Form - nämlich die digitale -
ermöglichten erst die Qualität der Vernetzung, die wir heute
ansatzweise erleben.

Die New Economy versucht Wissen wie Röhrenradios und
Fließbandautos proprietär, also exklusiv und knapp zu
halten. Marktwirtschaft als Knappheitsökonomie, Knappheit,
die Reichtum produziert. Oekonux dreht das Paradigma um:
Es produziert Reichtum durch Überfluss. Die Allokation
von Wissen in freier Form ist effektiver als die der
Beschränkung von Austausch. Die Netzwerkökonomie stellt
die Linienökonomie auf den Kopf. Oekonux baut auf den
Universalprodukten der New Economy auf und geht
gleichzeitig über sie hinaus.

Was mich hier stört, zieht sich durch den Text durch:
Oekonux als eigenständige Produktionsform. Als existiere
sie nicht im Kapitalismus, sondern bildet für sich eine
fiktive Welt und verweist dazu noch auf die kommende
Gesellschaft.

Ok, hatte ich ja vorher vorgeschlagen, Oekonux mal so zu fassen. In
gewisserweise existiert sie auch wirklich (also nicht fiktiv) neben
dem Kapitalismus - nicht völlig, das ist klar, aber eben
hinsichtlich bestimmter Qualitäten, die benennbar sind.

Dabei geht völlig unter, inwiefern sie halt doch in den
Kapitalismus intergriert wird, stellenweise ist das ja
längst passiert. Auch hier haben wir längst nicht zu Ende
gedacht und ausgestritten.

Let's streit.

Ich für meinen Teil betrachte die Entwicklung der Freien
Software als ergebnisoffen. Tendiere aber zu der Ansicht,
dass seitens der Wettbewerbsstaaten in Zeiten des
Daten(überflusses) andere und neue Rahmenbedingungen
gefunden werden müssen, die die kapitalistische Verwertung
im Internet doch noch umfassend möglicht macht.
Möglicherweise kommt die Freie Software-Bewegung dem mehr
entgegen, als ihr selbst lieb wäre. Nicht umsonst haben die
Staaten nun auch die Open Source für förderungswürdig
befunden und die herrschenden Ökonomen beschwören eine New
Economy hervor, die gaaaaanz anders funktioniere, als die
traditionelle, nämlich mit verschenken (!) und verkaufen
dann erst auf einer zweiten Stufe, usw. usf. Wenn das
nicht stutzig machen sollte, ganz zu schweigen von den
Parallelen....

Es wäre naiv, etwas anders vom Kapitalismus zu erwarten als Versuche
der Integration, der Umarmung, der Generierung von Begriffsmoden
usw. Der Kampf ist nicht ausgestanden und läuft - insofern offen.
Nur sind für mich viele Versuche eben Erscheinungen eines
Zersetzungprozesses und nicht der Stärke. "Verschenken" steht z.B.
dafür. FS wird übrigens nicht verschenkt, denn verschenken kann man
nur etwas, was man sonst tauschen oder verkaufen würde. FS wird
einfach _genommen_ - die denkbar einfachste Form der "Verteilung".
Dass die Distributoren mit dem Genommenen per Raymondscher Addition
von Wert Geld machen, steht auf einem anderen Blatt.

Ich will kein Spielverderber sein, aber Kritik ist mir immer
noch näher, als Utopie.

Mir liegt die fundierte, realistische Utopie am Herzen, weil ich
soviel Kritik habe - am ganzen alten Müll, der mir oft genug
unerträglich ist.

Kurz und gut: Ein wenig mehr auf den (analytischen)
Boden zu kommen, wäre mir sehr recht.

Ganz dafür - nur was mich angeht, beanspruche ich da zu sein.

Wieso nicht ergebnisoffen bleiben und sagen, dass auf der
Konferenz diskutiert wird, in welche Richtung sich das alles
entwickeln könnte? Und auch mögliche Richtungen aufzeigen,
die vielleicht nicht so sympathisch, aber doch wahrscheinlich
sind?

Machst du mal einen Vorschlag? Mir fällt das ehrlich schwer, weil
ich die Logik des Alten ziemlich unlogisch finde, so dass ich mir
immer einen Knoten in den Kopf mache, wenn ich sie wiedergeben
soll.

Das war mein kleines Plädoyer für den Konjunktiv ;-)

Angekommen:-)

Ciao,
Stefan

-- 
  Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen
  HA II, Abteilung Datenverarbeitung
  Kanzlerstr. 8, 40472 Duesseldorf
--
  stefan.meretz hbv.org
  maintaining: http://www.hbv.org
  private stuff: http://www.meretz.de
--

_________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de



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