Re: [ox] Die Anwendbarkeit der Werttheorie in der Informatik
- From: RalfKrae aol.com
- Date: Mon, 20 Nov 2000 06:03:14 EST
Hallo
In einer eMail vom 20.11.00 10:15:08 (MEZ) Mitteleuropäische Zeit schreibt
graebe informatik.uni-leipzig.de:
Marx überlegte durchaus (Grundrisse,
S. 601 ff), ob sich (im ökonomischen Bereich entstandenes) Wissen in
sein ökonomisches Modell einbauen lässt, etwa so wie die
Arbeitsmittel, wo jedes damit erstellte Produkt einen Teil ihres
Wertes wegträgt (capital fixe vs. capital circulant). Eine auf den
ersten Blick logische Einbeziehung als "capital fixe" wird von ihm
aber dann verworfen, weil sich die "Erstellung" von Wissen generell
nicht mit einem Arbeits_zeit_maß messen lässt: "In dieser Umwandlung
(des angewendeten Wissens in einen Teil des Produkts, HGG) ist es
weder die unmittelbare Arbeit, die der Mensch selbst verrichtet, noch
die Zeit, die er arbeitet, sondern die Aneignung seiner eignen
allgemeinen Produktivkraft, sein Verständnis der Natur und die
Beherrschung derselben durch sein Dasein als Gesellschaftskörper - in
einem Wort die Entwicklung des gesellschaftlichen Individuums, die als
der große Grundpfeiler der Produktion und des Reichtums erscheint."
Wissen in diesem Sinne ist also _Infrastruktur_, in die produktive
Aktivität _eingebettet_ ist. Die Frage, ob "Wissenschaft im Sinn der
Produktion von Mehrwert produktive Arbeit ist", muss also aus
wesentlich prinzipielleren Gründen als bei Christian Fuchs verneint
werden, da sie sich sehr wohl im Produkt vergegenständlicht.
Ich begreife das eher so: Marx schreibt über die Aneignung bzw. Anwendung des
gesellschaftlich (implizit hier: kostenlos, in den wissenschaftlichen
Bibliotheken und den akkumulierten Kenntnissen von TrechnikerInnen etc.) zur
Verfügung stehenden Wissens, der Resultate der Wissenschaften, als für das
Kapital kostenlose Produktivkraft. Ich denke auch, dass man das als eine Form
der Infrastruktur auffassen kann. Sie ist ein zunehmend zentraler Faktor der
Produktion des Reichtums. Die wissenschaftliche Arbeit, die hierfür geleistet
wurde, ist allgemeine Arbeit. Wichtig m.E.: hier und in den anderen
entsprechenden Passagen spricht Marx von Reichtum und eben nicht von Wert,
denn der wird durch die Aneignung der Wissenschaft nicht unmittelbar
tangiert, weil diese allgemeine Arbeit eben nicht werterhöhend in den Wert
der unter Anwendung ihrer Ergebnisse produzierten Waren eingeht, weil sie
eben umsonst zur Verfügung steht. Aber deswegen, also weil sie umsonst zur
Verfügung steht, und nicht weil sie wissenschaftliche Arbeit war, denn auf
den konkreten Inhalt der Arbeit kommt es in Bezug auf ihren produktiven
Charakter gar nicht an.
M.E. ist wissenschaftliche Arbeit, die direkt als Lohnarbeit für das Kapital
geleistet wird, und deren Resultate nicht der Öffentlichkeit zur freien
Verwendung zur Verfügung gestellt werden, zu betrachten wie andere geistige
Arbeit und Dienstleistungen auch. M.E. sah der späte Marx das auch so (aber
das wird man nicht definitiv klären klönnen, und jedenfalls seh ich es so)
und hab dafür auch einen Beleg:
In dem Text "Resultate des unmittelbaren Produktionsprozesses" (1863-65
geschrieben, also 6-8 Jahre nach den Grundrissen und m..E. als theoretisch
weiter entwickelt zu betrachten), schreibt Marx im Kapitel "Produktive und
unproduktive Arbeit", wo es ihm um kapitalistisch produktive Arbeit geht, die
Mehrwert schafft:
"Arbeit desselben Inhalts kann daher produktiv und unproduktiv sein. Z.B.
Milton, who did the 'Paradise lost', war ein unproduktiver Arbeiter. Der
Schriftsteller dagegen, der Fabrikarbeit für seinen Buchhändler liefert, ist
ein produktiver Arbeiter. Milton produzierte das 'Paradise lost' wie ein
Seidenwurm Seide produziert, als Betätigung seiner Natur. Er verkaufte später
das Produkt für 5 l. und wurde insofern Warenhändler. Aber der Leipziger
Literaturproletarier, der auf Kommando seines Buchhändlers Bücher, z.B.
Kompendien über Politische Ökonomie produziert, ist annähernd ein produktiver
Arbeiter, soweit seine Produktion unter das Kapital subsumiert ist und nur zu
dessen Verwertung stattfindet. Eine Sängerin, die wie der Vogel singt, ist
ein unproduktiver Arbeiter. Wenn sie ihren Gesang für Geld verkauft, ist sie
sofern Lohnarbeiter oder Warenhändler. Aber dieselbe Sängerin, von einem
entrepreneur engagiert, der sie singen läßt, um Geld zu machen, ist ein
produktiver Arbeiter, denn sie produziert direkt Kapital."
Freundliche Grüße
Ralf Krämer
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