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Re: [ox] Die Anwendbarkeit der Werttheorie in der Informatik



Hallo

In einer eMail vom 20.11.00 10:15:08 (MEZ) Mitteleuropäische Zeit schreibt 
graebe informatik.uni-leipzig.de:

Marx überlegte durchaus (Grundrisse,
 S. 601 ff), ob sich (im ökonomischen Bereich entstandenes) Wissen in
 sein ökonomisches Modell einbauen lässt, etwa so wie die
 Arbeitsmittel, wo jedes damit erstellte Produkt einen Teil ihres
 Wertes wegträgt (capital fixe vs. capital circulant).  Eine auf den
 ersten Blick logische Einbeziehung als "capital fixe" wird von ihm
 aber dann verworfen, weil sich die "Erstellung" von Wissen generell
 nicht mit einem Arbeits_zeit_maß messen lässt: "In dieser Umwandlung
 (des angewendeten Wissens in einen Teil des Produkts, HGG) ist es
 weder die unmittelbare Arbeit, die der Mensch selbst verrichtet, noch
 die Zeit, die er arbeitet, sondern die Aneignung seiner eignen
 allgemeinen Produktivkraft, sein Verständnis der Natur und die
 Beherrschung derselben durch sein Dasein als Gesellschaftskörper - in
 einem Wort die Entwicklung des gesellschaftlichen Individuums, die als
 der große Grundpfeiler der Produktion und des Reichtums erscheint."
 Wissen in diesem Sinne ist also _Infrastruktur_, in die produktive
 Aktivität _eingebettet_ ist. Die Frage, ob "Wissenschaft im Sinn der
 Produktion von Mehrwert produktive Arbeit ist", muss also aus
 wesentlich prinzipielleren Gründen als bei Christian Fuchs verneint
 werden, da sie sich sehr wohl im Produkt vergegenständlicht.

Ich begreife das eher so: Marx schreibt über die Aneignung bzw. Anwendung des 
gesellschaftlich (implizit hier: kostenlos, in den wissenschaftlichen 
Bibliotheken und den akkumulierten Kenntnissen von TrechnikerInnen etc.) zur 
Verfügung stehenden Wissens, der Resultate der Wissenschaften, als für das 
Kapital kostenlose Produktivkraft. Ich denke auch, dass man das als eine Form 
der Infrastruktur auffassen kann. Sie ist ein zunehmend zentraler Faktor der 
Produktion des Reichtums. Die wissenschaftliche Arbeit, die hierfür geleistet 
wurde, ist allgemeine Arbeit. Wichtig m.E.: hier und in den anderen 
entsprechenden Passagen spricht Marx von Reichtum und eben nicht von Wert, 
denn der wird durch die Aneignung der Wissenschaft nicht unmittelbar 
tangiert, weil diese allgemeine Arbeit eben nicht werterhöhend in den Wert 
der unter Anwendung ihrer Ergebnisse produzierten Waren eingeht, weil sie 
eben umsonst zur Verfügung steht. Aber deswegen, also weil sie umsonst zur 
Verfügung steht, und nicht weil sie wissenschaftliche Arbeit war, denn auf 
den konkreten Inhalt der Arbeit kommt es in Bezug auf ihren produktiven 
Charakter gar nicht an. 

M.E. ist wissenschaftliche Arbeit, die direkt als Lohnarbeit für das Kapital 
geleistet wird, und deren Resultate nicht der Öffentlichkeit zur freien 
Verwendung zur Verfügung gestellt werden, zu betrachten wie andere geistige 
Arbeit und Dienstleistungen auch. M.E. sah der späte Marx das auch so (aber 
das wird man nicht definitiv klären klönnen, und jedenfalls seh ich es so) 
und hab dafür auch einen Beleg:
 
In dem Text "Resultate des unmittelbaren Produktionsprozesses" (1863-65 
geschrieben, also 6-8 Jahre nach den Grundrissen und m..E. als theoretisch 
weiter entwickelt zu betrachten), schreibt Marx im Kapitel "Produktive und 
unproduktive Arbeit", wo es ihm um kapitalistisch produktive Arbeit geht, die 
Mehrwert schafft:

"Arbeit desselben Inhalts kann daher produktiv und unproduktiv sein. Z.B. 
Milton, who did the 'Paradise lost', war ein unproduktiver Arbeiter. Der 
Schriftsteller dagegen, der Fabrikarbeit für seinen Buchhändler liefert, ist 
ein produktiver Arbeiter. Milton produzierte das 'Paradise lost' wie ein 
Seidenwurm Seide produziert, als Betätigung seiner Natur. Er verkaufte später 
das Produkt für 5 l. und wurde insofern Warenhändler. Aber der Leipziger 
Literaturproletarier, der auf Kommando seines Buchhändlers Bücher, z.B. 
Kompendien über Politische Ökonomie produziert, ist annähernd ein produktiver 
Arbeiter, soweit seine Produktion unter das Kapital subsumiert ist und nur zu 
dessen Verwertung stattfindet. Eine Sängerin, die wie der Vogel singt, ist 
ein unproduktiver Arbeiter. Wenn sie ihren Gesang für Geld verkauft, ist sie 
sofern Lohnarbeiter oder Warenhändler. Aber dieselbe Sängerin, von einem 
entrepreneur engagiert, der sie singen läßt, um Geld zu machen, ist ein 
produktiver Arbeiter, denn sie produziert direkt Kapital."

Freundliche Grüße

Ralf Krämer
Fresienstr. 26
44289 Dortmund
Tel. 0231-3953843
Fax 0231-3953844

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