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Re: [ox] Kritik



Hi Ralf!

Schön, daß wir uns annähern konnten. Zu den Punkten, wo wir
Differenzen haben.

Last week (7 days ago) RalfKrae wrote:
du schriebst:
Unsere Argumentation geht dahin, daß die Bedeutung des materiellen
Anteils an der Produktion materieller Güter immer stärker abnimmt -
was denke ich schon in der kapitalistischen Produktion mit ihrer immer
stärkeren (informationsgetriebenen) Automation gut zu sehen ist. Mit
der obigen Tendenz zusammengenommen ergibt sich daraus, daß auch die
Produktion materieller Güter immer stärker den "Gesetzen" der
Informationsproduktion und -nutzung unterliegt.

Das ist nach dem momentanen Diskussionsstand die Basis für unsere
Argumentation, daß die GPL-Gesellschaft sich auch auf materielle Güter
erstrecken kann.

Und genau das halte ich für überzogen und illusionär, und zwar in mehrfacher
Hinsicht:

Danke zunächst für deine auch mit Zahlen bewehrten Betrachtungen.
Allerdings habe ich das Gefühl, daß ich mehr von den
(nach-kapitalistischen) Potenzen rede während du verstärkt die
immanente Entwicklung im Blick hast. Schau'n wir mal.

1. geht zwar das für die materielle Warenproduktion hierzulande aufgewendete
Erwerbsarbeitsvolumen zurück, aber nur langsam und ohne dass sich das Tempo
des Rückgangs tendenziell beschleunigt.

Das ist aber vor dem Hintergrund zu sehen, daß sich eben die
Arbeitsverhältnisse tendenziell prekarisieren und damit für die
KapitalistInnen verbilligen - national und international. Würde die
Interessenvertretung der Lohnabhängigen auch nur annähernd den Erfolg
der 70er einfahren, wäre die Entwicklung bestimmt schneller, weil es
dann eben noch profitabler wäre, Arbeit durch Maschinen zu ersetzen.

Dieses - auch emanzipatorische - Potential könnte sich natürlich in
einer GPL-Gesellschaft, die nicht - zumindest auf diesem Sektor - von
antagonistischen Widersprüchen getrieben ist, dort könnte das
Potential an Arbeitskräfteeinsparung erst richtig realisiert werden.

Im Bezug auf die Erwerbstätigen nach
Sektoren waren 1995 im primären + sekundären Sektor immer noch 38,4% aller
Erwerbstätigen, und 2010 werden es wahrscheinlich immer noch über 30% sein.
In Bezug auf die Tätigkeiten ergibt eine empirisch fundierte Prognose des IAB
für 2010 einen Anteil der Bereiche Maschinen einrichten/einstellen +
Gewinnen/Herstellen +Reparieren von 28,4% in 2010 (2000: 29,6%, 1991: 29,8%).

Wächst langsam in der Tat. Immerhin stimmt die Richtung :-) .

Aber auch hier würde ich auf die Immanenz verweisen. Daß die Maschinen
so sind wie sie heute sind, ist natürlich der kapitalistischen
(Zwangs)form geschuldet, in der sie entwickelt werden. In einer
GPL-Gesellschaft würden Maschinen eben auch unter anderen
Gesichtspunkten entwickelt: So, daß Selbstentfaltung daran möglich
ist. Ein klassisches Fließband könnte es da gar nicht geben.

Es wäre also in diesem Sinne zu überlegen, wie die Maschinen aus der
kapitalistischen Hülle in eine beFreite überführt werden könnten. Mal
sehen, was Freie Projekte da so zu bieten haben werden.

In Volumen und Preissumme steigt die Produktion in all diesen Bereichen
weiter an. Von weitgehender Vollautomatisierung ist hier selbst mit der
Perspektive von mehreren Jahrzehnten weit und weit nichts zu sehen.

Hmm... Es gibt jedenfalls Sektoren, wo schon ziemlich stark
automatisiert ist. Vielleicht müßten wir mal genauer betrachten, was
wieviel Tätigkeit/Arbeit für welchen gesellschaftlichen Bedürfnisse
mit welchen Befriedigungsmodellen wie sehr gebraucht würden. War ja
nur so 'ne Idee ;-) ...

2. sind die Dienstleistungen bei weiten nicht nur informationsverarbeitender
oder warenzirkulierender Natur (und selbst diese selbstverständlich
keineswegs abnehmend, sondern zunehmend in ihrem Arbeitsaufwand), sondern in
weitem Umfang personenbezogener Natur (Betreuen, Beraten, Lehren) oder
allgemeine Dienste wie Reinigung, Transport, Sicherung etc. Deren Anteil wird
nach og. Prognose 2010 zusammen weitere ca. 27,9% betragen (2000: 28,4%,
1991: 29,7%)

Huch, fallend? So was...

In utopischer Sicht wären hier die ganzen Funktionskategorien
abzuziehen, die der Kapitalismus zur Aufrechterhaltung seiner Form
braucht: Z.B. alle Arbeit, die mit der Verwaltung von Geld
zusammenhängt, aber auch der ganze Reparaturbetrieb, der Menschen
ausbeutbar hält bzw. mit den Spätfolgen der Ausbeutung ummgeht.

Das sind nicht nur Prozentanteile an insgesamt immer kleiner werdender
Erwerbstätigenzahl, sondern ich halte die gängigen Prognosen, dass die
Erwerbstätigenzahl in Deutschland trendmäßig stabil bleiben wird im Bereich
30 Mio. für weit realistischer als irgendwelche Szenarien vom "Ende der
Arbeitsgesellschaft". Das ist keine Frage der Phantasie oder ob man das gut
oder schlecht findet, sondern ernsthafter, theoretisch und empirisch
begründeter ökonomischer und sozialwissenschaftlicher Einschätzung und
Prognose. Der nächste Kriseneinbruch mag das in und für einige Jahre um
vielleicht 2 Mio. nach unten drücken, ändert aber nichts Grundsätzliches.
Dabei sind in diesen Prognosen die absehbaren Wirkungen der weiteren
Entwicklung und Verbreitung der I+K-Technologien durchaus berücksichtigt. Die
Erwartung bisher noch völlig unabsehbarer Produktivitätsrevolutionen scheint
mir sehr aus der Luft gegriffen und unrealistisch.

Nun, diese Einschätzung teile ich nicht. Aber wir werden's erleben.

Übrigens, da gleichzeitig
selbst bei verstärkter Einwanderung das Erwerbspersonenpotential hierzulande
in den nächsten Jahrzehnten, spätestens ab ca. 2010 oder 2015, tendenziell um
mehrere Mio. zurückgehen wird, ist auch die Erwartung tendenziell sinkender
Arbeitslosigkeit (durchaus aber weiter erheblicher) ungeachtet
vorübergehenden zyklischen Ansteigens eine keineswegs absurde, sondern
ziemlich realistische Erwartung.

Dem würde ich mal ganz aus der Hüfte entgegenhalten, daß damit aber
auch die Nachfrage sinkt - oder?

Das gilt natürlich alles nur, wenn man nicht den ökonomischen Kollaps des
kapitalistischen Systems erwartet. Ich halte zwar durchaus für möglich, dass
es auch wieder schwerere Weltwirtschaftskrisen geben wird mit dann doch
wieder deutlich höherer Arbeitslosigkeit, aber ich halte jede Wette (sagen
wir einzulösen in 2030, zur Aufbesserung meiner Rente?), dass der
Kapitalismus das überleben wird (wenn er nicht politisch überwunden wird, was
leider auch eher unwahrscheinlich ist).

Ok. Wann würdest du sagen, daß der Kapitalismus tot ist? Hast du da
ein Kriterium?

3. Im Weltmaßstab betrachtet steigt die Zahl der in der materiellen
Warenproduktion Erwerbstätigen und das Arbeitsvolumen dort massiv an, z.T.
auch im Zuge von Veränderungen der internationalen Arbeitsteilung, die bisher
in den Metropolen geleistete Produktion in weniger entwickelte Länder
verschiebt.

Auch hier würde ich auf die oben erwähnte Effekte der Schwäche der
(internationalen) Arbeiterbewegung und ihrer Organe verweisen, die
diesen Prozeß überhaupt erst zulassen.

Hast du dazu Zahlen?

Daran kann antikapitalistische Bewegung anknüpfen.

Das ist m.E. der falsche Zungenschlag. Für mich findet diese Bewegung
bereits im System statt - als Keimform eben. Da finde ich es falsch,
eine Bewegung von außer herbeizukonstruieren, die daran anknüpft.

Ich denke auch, dass diese Bewegung bereits stattfindet. Allerdings denke ich
dabei nicht in erster Linie an Oekonux, sondern ganz traditionell an die
diversen Formen dieser Bewegung in Gewerkschaften, Politik, Wissenschaften,
Kultur etc.

Wo siehst du in diesen Bereichen antikapitalistische, also über auf
Tausch basierende Gesellschaften, hinausgehende Bewegungen?

Allerdings, und das ist wieder ein
Unterschied, auf dem modernsten Sektor der Produktivkraftentwicklung und
ohne viele der Probleme der genannten Beispiele.

Na, die Sowjetunion war schon ein Modernisierungsregime auf dem
damaligen Niveau der Produktivkraftentwicklung. Allerdings ist der
Ansatz leider immer immanent arbeitsgesellschaftlich geblieben. Meine
Analyse im Lichte unserer heutigen Debatte: Die hatten noch nicht die
nötigen Produktivkräfte - weil es die noch nicht gab.

Das Problem war aber eher, dass die Produktionsverhältnisse des
Realsozialismus nicht geeignet waren, diese Produktivkräfte zu entwickeln,
jedenfalls bei weitem nicht so schnell wie im Kapitalismus.

Zu Anfang schon. Die auf (unendlichem menschlichen Leid) erbrachte
Leistung, einen Agrarstaat in eine satisfaktionsfähige Supermacht zu
verwandeln, hat jedenfalls kein kapitalistisches Land in dem Tempo
geschafft. Das gilt übrigens auch für moderne Entwicklungsdiktaturen,
wenn sie durch günstige Bedingungen sich ein wenig (industrielle)
Entwicklung leisten können (z.B. Irak bis zum 2. Golfkrieg).

Nur, daß das Ende dieses Modells für den sog. Realsozialismus
irgendwann auch kam, weil es eben (nur früher?) zur Fessel wurde.

Und BTW: Was wir hier diskutieren *braucht* den Nieder- oder Untergang
des Kapitalismus nicht als Voraussetzung - das ist ja leicht zu sehen.

Freie Software als solche braucht das nicht, aber "GLP-Gesellschaft" bräuchte
das schon.

Nicht so sehr, wenn die GPL-Gesellschaft den Kapitalismus unterläuft.
Das sehe ich ähnlich wie die bürgerliche Welt die feudale nach und
nach abgelöst hat.


						Mit Freien Grüßen

						Stefan


_________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de



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