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[ox] Wissenschaft




Ich will auf einen (für deren Verhältnisse) recht kritischen Beitrag
in der WELT vom 27.10. hinweisen, den ich in einem Pressespiegel
gefunden habe: "Wissenschaft als Ware" von Konrad Adam. Original unter 
http://www.welt.de/daten/2000/10/27/1027fo198874.htx 

========= start ===========

			Wissenschaft als Ware

Freiheit der Forschung heißt heute nicht mehr das, was es einmal
bedeutet hat. Und das ist ganz gewiss kein Fortschritt - Leitartikel

Von Konrad Adam

Der Verdacht, weltfremd und geschäftsuntüchtig zu sein, begleitet
die Wissenschaft, seit es sie gibt. Schon Aristoteles hatte es für
nötig gehalten, auf diesen Vorwurf zu antworten. Nach seinem
Bericht war Thales, der erste Naturforscher überhaupt, auf Grund
seiner astronomischen Berechnungen zu dem Ergebnis gekommen,
dass eine ungewöhnlich reiche Olivenernte bevorstand. Daraufhin
soll er sämtliche Ölpressen, deren er habhaft werden konnte,
aufgekauft haben. Als dann der große Erntesegen kam, standen
die Leute bei Thales Schlange, um ihre Ölpressen von ihm, dem
Monopolisten, für viel Geld wieder zurückzumieten. Was ihn, einen
der sieben Weisen, zu einem der reichsten Männer in Milet
gemacht hätte.

Aristoteles erzählt das Ganze freilich nicht, um das hohe Lied auf
die Geschäftstüchtigkeit des Forschers zu singen; ganz im
Gegenteil. Die Pointe der Geschichte besteht gerade darin, dass
Thales auf seinen Spekulationsgewinn nicht viel gibt. Er wollte nur
eins: seinen Mitbürgern klarmachen, dass es für den Forscher ein
Leichtes sei, zu Geld zu kommen; dass der Gewinn für ihn jedoch
nicht zähle, weil, wie Aristoteles bemerkt, "es nicht dies ist, um
dessentwillen der Wissenschaftler Wissenschaft betreiben soll".

Spätestens mit der ersten industriellen Revolution, mit dem
Aufkommen des Maschinenwesens also, hat sich diese Einstellung
verändert. Ihre Vorreiter waren Leute wie James Watt, der Erfinder
der Dampfmaschine, der von Anfang an beides verkörperte, den
Forscher und den Techniker. Vermittelt durch Adam Smith, versah
er nicht nur seine Stelle an der Universität Glasgow; er war auch
Teilhaber an einer Firma in Birmingham, die alles daransetzte,
Watts Erfindung populär zu machen. In seinem "Galilei" hat Bert
Brecht, historisch wohl nicht ganz korrekt, diese Haltung zu der
Formel verdichtet, nach der die Absicht und der Sinn der
Wissenschaft darin besteht, die Mühseligkeit der menschlichen
Existenz zu erleichtern. Erkenntnis war jetzt nur noch so viel wert,
wie sie sich praktisch verwerten ließ. Seither steht neben der
reinen die andere, die angewandte Forschung.

Inzwischen ist eine dritte Art, die kommerzialisierte Forschung,
hinzugekommen. Von den Erwartungen der einen und den
Befürchtungen der anderen begleitet, versuchen sich
Wissenschaftler in der für sie ungewohnten Rolle eines
Firmengründers am Neuen Markt. Computerspezialisten wie Bill
Gates und Gentechniker wie Craig Venter stehen für einen neuen
Typen: den Forscher als Spekulanten. Sein Interesse richtet sich
weniger auf Einsicht als auf Anwendung und auf die Anwendung
auch nur soweit, wie sie Gewinn verspricht. Der Respekt, der
ihnen entgegengebracht wird und den sie offenbar genießen, gilt
dem Börsenkurs, den sie in kurzer Zeit auf abenteuerliche Höhen
stemmten. Und es ist der Börsenwert, den sie im Auge haben,
wenn sie über das, was sie Wissenschaft nennen, reden oder
schweigen. 

Man muss diese neueste Variante der Wissenschaft nicht mit dem
Abscheu betrachten, den Adolf von Harnack, der große
Wissenschaftsorganisator des Kaiserreiches, ihr entgegenbrachte,
als er in einem Brandbrief an den zuständigen Minister vor der
Gefahr der Abhängigkeit "von Clique und Kapital" warnte. Denn
Clique und Kapital, der enge Kreis der Fachleute und das nach
Anlage suchende Geldvermögen, können ja auch zum Erfolg des
Ganzen beitragen. Auch der Wissenschaft bekommt es nicht
schlecht, mitunter sogar ausgezeichnet, wenn sie dazu gezwungen
wird, sich am Markt zu bewähren.

Nur wird, wer auf Gewinn aus ist und auf sonst nichts, natürlich
anders forschen und anders informieren als derjenige, der etwas
wissen will und sonst nichts. Er wird dazu neigen, es möglichst
schnell und möglichst günstig zu machen, und das ist eine
Strategie, die der Wissenschaft nicht unbedingt weiterhilft. Vor
allem wird er aber darauf achten, die Konkurrenz klein zu halten
und nur das publik werden zu lassen, was seinem Firmenimage
dient. Überlegungen zum Patenschutz und Rücksichten auf die
Propagandawirkung werden ihm wichtiger sein als die
vorurteilsfreie Mitteilung dessen, was er gefunden oder nicht
gefunden hat.

So etwas muss die Wissenschaft im Kern verändern, hat das ja
offenbar auch schon getan. Freiheit der Forschung heißt heute
nicht mehr das, was es einmal bedeutet hat. Und das ist ganz
gewiss kein Fortschritt.

-- 
Mit freundlichen Grüßen, Hans-Gert Gräbe

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