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[ox] Wieder mal: Vergesellschaftung (was: Re: Autorenverguetung)



Hi Ralf und alle,

RalfKrae aol.com schrieb:
Da gibt es
nun idealtypisch drei Möglichkeiten: entweder wird 1. produziert, was die
ProduzentInnen wollen, oder 2. es wird produziert, was die KonsumentInnen
wollen, oder 3. es wird vorher definiert, was "die Gesellschaft" will und nur
das produziert.

Das ist die Frage nach der Vergesellschaftungsform. Deine
Beschreibung passt auf die allgegenwärtige Existenz des
"vereinzelten Einzelnen", des in den Produzenten und den Konsumenten
zerrissenen Menschen. Sie passt aber auch _nur_ darauf. Kannst Du
Dir eine andere Vergesellschaftungsform vorstellen? Eine qualitativ
andere als die wir jetzt haben? Als die, in der sich die - monetäre
- "Zweckmäßigkeit" erst im Nachhinein auf dem Markt herstellt, ganz
zu schweigen von der Nützlichkeit, Sinnigkeit und umfassenden
Verträglichkeit? Eine ohne monetäres Maß?

Versuch mal den gesellschaftlichen Zusammenhang in kapitalistischer
Form _nicht_ als quasi naturalen Zusammenhang zu sehen. Benni hat
Dich ja schon auf die (wirklich uralte und von Marx schon
karikierte) Robinsonade hingewiesen. Du hast darauf geantwortet:

Aber auch die vorgefundenen Reproduktionsstrukturen nicht zerfallen zu 
lassen, sondern sinnvoll weiter zu entwickeln, stellt das gleiche Problem.

Nein! Es geht eben darum den ganzen vorgefundenen
Reproduktionszusammenhang (alias Vergesellschaftungsform)
aufzuheben, denn er ist in seiner destruktiven Potenz nicht
weiterentwickelbar. Es geht darum, einen neuen
Reproduktionszusammenhang zu schaffen - aus den Ruinen des Alten (ob
Existenzgeld eine solche alte nutzbare Ruine ist, ist z.B. ein
Streit). Da kommst Du aber nicht ran, wenn Du immer wieder alles in
den alten Formen zu denken versuchst. Deine Argumente laufen immer
wieder darauf hinaus: Der Kapitalismus ist der quasi-naturale
Zusammenhang, der nicht aufhebbar, sondern nur verbesserbar ist.
Wenn Du das so siehst, ok., dann reden hier etliche Menschen auf der
Liste (nicht nur ich mit dir) aneinander vorbei. Wenn Du das nicht
so siehst, wird mich Deine Vorstellung einer neuen Qualität, einer
neuen Vergesellschaftungsform interessieren.

Bei  3. wird sich kein naturwüchsiger Konsens herstellen, das müsste jeweils
gegen Teile der Gesellschaft durchgesetzt werden.

Paff! Wieder abgesehen von der Vermischung von Natur und
Gesellschaft - wie kommst Du zu der Behauptung anders als über die
Extrapolation der jetzigen Formen? Was ist denn "Konsens",
"Mehrheitentscheidung", "Demokratie" etc. denn überhaupt? Warum
funktioniert die Freie Software in der Regel genau nicht nach diesen
Mechanismen? Ist eine gesellschaftliche Vermittlung vorstellbar, in
der individuelle Interessen und Bedürfnisse gesellschaftlich sind?
Eine Vermittlungsform, die strukturell nicht auf dem "Durchsetzen
auf Kosten anderer", sondern der "individuellen Entfaltung als
Voraussetzung für die Entfaltung aller" basiert?

So sollte m.E. nur ein Teil
der Produktion bestimmt werden, indem a) bestimte Produktionen verboten
werden und b) bestimmte Produktionen von der Gesellschaft, konkret im
Wesentlichen organisiert als Staat auf verschiedenen Ebenen, unmittelbar
selbst organisiert oder bezahlt werden oder durch andere regulierende
Eingriffe zuwege gebracht werden. Beides passiert bereits, b) sollte m.E.
ausgedehnt werden, aber darum geht es dir wohl nicht. Es wäre m.E. auch kein
Fortschritt, dies ohne Staat und damit scheinbar mit weniger Zwang
durchzusetzen (soweit das funktionieren könnte), nämlich mit unmittelbarer
sozialer Kontrolle in überschaubaren Gemeinschaften. Da ist mir ein
Rechtsstaat allemal lieber und bietet mehr Freiheitsmöglichkeiten.

Mir ist jeder Staat unlieb, denn er nimmt mir die
Entfaltungsmöglichkeiten, die ich brauche und die alle brauchen. Es
bleibt nur die "Freiheit" des "vereinzelten Einzelnen" sich als
Warensubjekt ("Monade") zu verhalten. Hat Marx schön in den
Grundrissen beschrieben.

(...)

davon aus, dass sich ohne Markt und Warenproduktion entweder diese
Übereinstimmung weitgehend auf der Basis dessen, was die Individuen sinnvoll
finden und was ihnen Spaß macht, von alleine herstellen wird (aus göttlicher
Fügung oder wie auch immer) oder in unmittelbarer Verhandlung zwischen den
KonsumentInnen und den ProduzentInnen hergestellt werden könne.

Das halte ich beides für gänzlich unrealistisch.

In der Logik von Warenproduktion und Markt gedacht ist das logisch.
Die Argumentation ist an dieser Stelle aber tautologisch: Der
Kapitalismus produziert eine Vergesellschaftungsform, deren
Bedingungen nur er daselbst erfüllen kann. Das passiert, wenn man
Warenproduktion naturalisiert.

Ersteres ist auf
gesellschaftlcher Ebene mindestens ebenso unrealistisch wie schon auf
individueller, wo man - wie du ja auch zugibst - auch oft Tätigkeiten
verrichten verrichten muss, die einem keinen Spaß machen, z.B. im Haushalt,
aber auch wenn man selber seine Lebensmittel produziert.

Das ist wieder so eine Robinsonade. Du ignorierst komplett die
gesellschaftlichen Formen, Bedingungen und Möglichkeiten (alles drei
zusammen!), in denen sich Menschen (re-)produzierend bewegen. Du
stellst dann folgelogisch Individuum und Gesellschaft in ein
Ausschliessungverhältnis - doch schon der individuelle Mensch bewegt
sich qua seiner gesellschaftlichen Natur _immer_ in den
gesellschaftlichen Vermittlungsformen. Die "individuelle Ebene"
_ist_ also zugleich immer auch die "gesellschaftliche Ebene".

... Der Ausweg über die unmittelbare Vereinbarung, also
Zweiteres, ist auf dem gegenwärtigen Stand der gesellschaftlichen und
internationalen Arbeitsteilung ebenfalls geradezu absurde Vorstellung.

Aus der Perspektive der warenproduzierenden Gesellschaft erscheint
alles absurd, was nicht durch diese Form hindurchgeht. Wenn wir uns
nicht mindestens im Kopfe von dieser Perspektive losmachen, dann hat
alles Argumentieren wenig Sinn.

So erscheint Dir zur alternativlosen gesellschaftlichen Form der
Ware nur die "Unmittelbarkeit" (des Tausches? des Vereinbarens der
Ziele? der Produktion?) die Opposition zu bilden. Dabei ist es
genuin menschlich, das Leben vermittels der Gesellschaft zu
(re-)produzieren. Die Form, in der das geschieht, ist dabei
keineswegs festgelegt, und sie hat sich historisch auch schon oft
geändert. Ich kapiere immer wieder nicht, warum die jetzige quasi
die endgültige, die naturale Form sein soll.

Hier - genau hier - gilt es auf die alternativen wertfreien
Vermittlungsformen der Freien Software zu gucken. Das ist IMO das
Spannende.

Ciao,
Stefan

-- 
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