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Wert- vs. Herrschaftskritik (was: [ox] Re: [ox] Re: [ox] Freie Resourcen fü)



Hi Benni, Horst, Spehr- und Krisisfraktionen, Rest!

Eigentlich ein spannendes Thema das. Ich glaube auch wichtig für
unsere Debatte. Aber irgendwie fühle ich mich bei den bisherigen
Setzungen nicht so wohl. Irgendwie scheinen mir beide Schwerpunkte -
Herrschaftskritik und Wertkritik - gleich abstrakt - und beide
wichtig. Mal sehen.

Die Frage ist doch zunächst mal, worum es uns eigentlich geht, wenn
wir uns über eine neue Gesellschaftsformation reden, was unsere
Wünsche, Bedürfnisse, Anforderungen sind. Und natürlich was das alles
mit Freier Software zu tun hat. Und da würde ich gerne zuerst mal
hinschauen.

Die Wertkritik erledigt die Freie Software so en passant und sehr
praktisch und konkret. Genauer gesagt ist die Freie Software in ihrem
Kern halt jenseits des Werts angesiedelt und kann daher nicht
eigentlicher Gegenstand von Wertkritik sein. Vielmehr bildet sie eben
- so diskutieren wir das ja hier - eine Keimform einer solchen
jenseitigen Gesellschaftsformation.

Mit der Herrschaftkritik ist das schon durchaus nicht mehr so einfach.
Wenn ich das recht überblicke, dann ist Herrschaft in der Freien
Software zunächst mal schlicht kein Thema. Es gibt sie in gewisser
Weise ganz sicher - würde mensch zumindest klassisch so analysieren -,
aber andererseits unterwerfen sich die Leute diesen Formen freiwillig
und sind nicht dazu gezwungen. Das scheint mir irgendwie mit dem
klassischen Blick nicht mehr zu fassen zu sein.

Gleichzeitig erledigt die Freie Software die Herrschaftskritik ebenso
praktisch und konkret wie die Wertkritik. Es gibt halt auch kein
(ausgeprägtes) Unten und Oben mehr, das überhaupt Herrschaft erst
ermöglichen würde - und damit nebenbei auch den von einigen so
heißgeliebten Widerstand überflüssig macht. Vielmehr ist konkrete
Selbsttätigkeit angesagt, konkretes Einmischen in ganz praktische und
- in klassischen Terms - sehr ökonomische Aspekte eines Prozesses -
von Bug-Reports über Patches bis hin zur Eigenproduktion Freier
Software.

BTW: Nun wird mich der eine oder die andere sicher der Idealisierung
zeihen. Geschenkt. Ich versuche halt, die spannenden, neuen Sachen
aufzuspüren und den Spot auf diese zu richten. Daß es andere Linien
auch gibt ist mir schon klar.

Aber nochmal zurück zu der Frage, was wir eigentlich wollen. Ich
fürchte die Antwort darauf muß ein bißchen komplexer ausfallen - ohne
daß ich das jetzt hier auch nur andeuten könnte. Als globalstes Ziel
können wir uns vermutlich schnell auf so etwas wie ein glückliches
Leben für alle einigen. Die Frage ist dann, wie das zu erreichen ist.

Wir hier im Westen würden Herrschaft vermutlich als Einschränkung
individueller Freiheit ablehnen. Individuelle Freiheit ist halt seit
der Aufklärung ein wichtiges Ziel.

Aber andererseits ist individuelle Freiheit natürlich nicht mal die
halbe Miete. Eine gesicherte materielle Lebensgrundlage würde ich nach
wie vor erstmal für noch deutlich wichtiger halten. Weiterhin wäre
eine Erhaltung der Umwelt heutzutage sicher auch ein extrem wichtiges
Ziel. Und da finde ich die Herrschaftsfreiheit durchaus schon
zweifelhaft. Ich sage mal: Wenn uns die Ökodiktatur vor der
Umweltkatastrophe bewahren würde, dann wäre sie in Erwägung zu ziehen.
Ich glaube nicht, daß sie das leistet, aber das Argument wäre mir von
der Stoßrichtung her wichtig.

Well, ich laß es erstmal dabei.

Last week (10 days ago) Benni Baermann wrote:
Hallo Horst und alle anderen,

On Sun, Feb 25, 2001 at 02:52:02PM -0500, Horibbeck aol.com wrote:
Wenn auch mein (wertkritischer) Ausgangspunkt, nähmlich die grundsätzliche
Kritik der Produktionsverhältnisse (heute Warenproduktion) erstmal als
"ziemlich
abstrakt" daherkommt, mag das an der Kraftlosigkeit oder der mangelnden
Plausibilität meiner Argumentation liegen oder an der mangelnden
Vorstellungskraft der "vielen Leute" oder an der Komplexität des Themas
selbst - wichtig ist mir, daß diese Theorie die Herrschaft von Menschen über
Menschen als zwangsläufige
F o l g e  der Warenproduktion nicht nur in ihr Gesamtbildnis einschließt,
sondern auch erklären kann.

Jaja, ich versteh euch Krisisleute schon, ihr braucht mir das nicht
immer wieder zu erklären :-)

Nun, meine persönliche Meinung ist auch, daß die Analyse des Werts in
kapitalistischen Gesellschaften eine zentrale Kategorie sein muß.
Ansonsten würde ich sagen, daß ist wie eine Kritik der Herrschaft im
Feudalismus, die den Adel, Leibeigenschaft etc. einfach ignoriert.
Damit bliebe jede Kritik halt sehr abstrakt und letztlich politisch
unwirksam.

Als aktuelles Beispiel mag die Öko-Steuer dienen, die in der Theorie
vielleicht eine nette Idee ist. In der Praxis aber muß die Auspreisung
der bisher kostenlosen Umwelt an der Macht der Kapitalinteressen
scheitern.

Ich glaube Spehr erklärt eben diese Herrschaft von Menschen über Menschen zum
ursprünglichen Übel, eine fundamentale Wertkritik, fehlt bei ihm aber
weitgehend. Sozusagen die offene Flanke seiner Theorie.

Richtig an dieser Bemerkung ist, dass Spehr keine "fundamentale
Wertkritik" betreibt. Man kann das aber genausogut als Vorteil wie
als Nachteil betrachten. Die "fundamentale Wertkritik" ist nämlich
auch ziemlich blind gegenüber anderen Herrschaftsformen, von denen
einige älter als der kapitalistische Wert sind.

Spehr immer noch nicht gelesen habend finde ich das aber schon einen
Nachteil. Die Verengung auf die Herrschaftsfrage finde ich einfach zu
kurz. Mit einer Abschaffung von Herrschaft ist erstmal nichts gewonnen
- schon gar nicht mit einer bloßen Abschaffung der momentan
etablierten Formen. Was dabei rauskommt, kann in vielen Krisenregionen
der Welt täglich beobachtet werden.

Klar, eine Herrschaftskritik ist für ein emanzipatives Projekt
natürlich wichtig. Aber dann muß es eine multidimensionale sein und
die Verkürzung / Verengung auf eine Form mag zwar schnell eine
Anhängerschar schaffen, helfen tuen solche Vereinfachungen aber
letztlich nicht.

Darüber hinaus sehe ich aber diese zur zweiten Natur gewordenen (gemachten)
Produktionsverhältnisse selbst als erstmal subjektlose Herrschafts"matrix",
die medusenartig Herrschaft von Menschen über Menschen immer wieder neu
erzwingt.

Ja, die Formulierung von "Herrschaft von Menschen über Menschen"
stammt von mir und ist so nicht ganz korrekt. Natürlich sind es
keine Menschen die Herrschen sondern ein abstraktes Programm. Es ist
nur eben ein allgemeineres Herrschaftsprogramm der Aneignung,
Konzentration und Verwaltung von Arbeit und Natur anderer.

Du sagst selbst, daß die Herrschaft von Menschen über Menschen nicht
(mehr) das Entscheidende ist, sondern die kybernetische,
selbstlaufende Maschine. Das ist m.E. seit dem Kapitalismus so und für
die ist die (fundamentale) Wertkritik m.E. schon das richtige
Instrument.

Vielleicht ist die Differenz da garnicht so gross. An der
"fundamentalen Wertkritik" stört mich vor allem dass sie eben in
meinen Augen verzweifelt versucht ein einzelnes "Gesetz" zu finden,
dass alle Unvernunft erklären soll. Ein solches Gesetz gibt es aber
nicht. Es gibt nicht "Das Böse".

Klar gibt es nicht "Das Böse". Aber das gilt dann auch für die
Herrschaft. Und BTW ist die Krisisargumentation da durchaus nicht so
kurz wie du das hier darstellst. Da kommen schon viele Dinge zusammen.

Oder anders gesagt:
Die Behauptung, zumindest im Westen sei eine monetäre Grundsicherung bei
etwas mehr Vernunft und gutem Willen (der Reichen) leicht und sofort zu
verwirklichen, es sei schließlich genug Geld da, ist schon rein logisch
falsch. Erstens steckt hinter dieser Ansicht der Glaube an Emanzipation durch
"gerechte Verteilung des Mehrwertes" Und zweitens ginge der zu verteilende
Mehrwert, rein systemimmanent gedacht, mehr in den Konsum und weniger in
Reinvestition. Die Folge: Inflation bis hin zum Finanzkollaps (siehe SU).
Und: - Nur deshalb, weil diese Forderung systemimmanent nicht zu
verwirklichen ist, wird sie noch lange nicht systemsprengend. Selbst der
Diskurs hierüber führt nicht automatisch zum wenigstens gedanklichen
Überschreiten des Warenhorizontes, sondern bleibt ihm eher merkwürdig zäh
verhaftet.

Naja, langsam drehen wir uns glaub ich im Kreise. In meinen Augen
kann die Krisisfraktion (sorry für diese und alle vorangegangenen
wie folgenden Verallgemeinerungen) da nicht viel mehr bieten als die
Gewissheit, das es eben dieses eine alles beherrschende Gesetz gäbe
und man sein Handeln danach auszurichten habe (und sei es auch in
Negation). Sorry, ich kann dem nicht folgen.

Kannst du dafür noch nähere Gründe angeben?

Die Krisistheorie hat
durchaus ihren Wert als ökonomische und historische Theorie aber als
Welterklärung ist sie mir eben einfach zu ökonomistisch.

Daß sie ökonomistisch ist, ist ja zunächst mal kein Argument.
Entscheidend wäre ja, ob mit ihrer Hilfe die Welt besser zu verstehen
ist. Und das leistet sie m.E. schon. Nicht für alles - klar. Aber doch
für vieles.


						Mit Freien Grüßen

						Stefan


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Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


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