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[ox] Zur Wissensgesellschaft



Hallo,

auf der Suche nach einer "Wissenschaftstheorie für OpenTheory" hab ich
geschmökert, u.a. in einem Buch, das ich von unserem Übernachtungsgastgeber
von Dortmund bekommen hatte. Und ich bin bezüglich eines m.E. sehr
zutreffenden Einschätzung dessen, was wir heute mit "Wissensgesellschaft"
beschreiben, fündig geworden:

Zitat:
"Eine auf die technologische Umwälzung von ökonomischer Produktion und
Reproduktion fixierte Wahrnehmung kommt der Dialektik des Prozesses nicht
auf die Spur, die sich in mystifizierenden Redeweisen ausspricht, welche die
Revolution zum Subjekt ihrer selbst erheben. Nicht die Revolution erweitert
ein Wissen, das sich den Individuen entzieht; zu fragen ist, wer diesen
Prozeß mit gerade diesem Ergebnis steuert. Die Neuartigkeit der Mittel, die
in dieser Revolution erzeugt werden, Expertensystem etwa und hegemoniale
Informationsvernetzung, führt zu keiner spontanen Erneuerung menschlicher
Zwecke, nicht dazu, dass durch Wissen mündige Bürger die Revolution in
Selbstbestimmung meistern. Die Brüche zwischen Herrschaft und Konsens, in
denen sich Freizeit der Arbeit, Privatheit dem öffentlichen politischen
Leben und Subjekt Überzeugung öffentlicher Meinung widersetzen, sind - so
defizitär dieses Drängen nach Autonomie ist - Antworten auf Zwänge, die
nicht von "der Sache", sondern von politischer Gestaltung der Revolution
ausgehen. Arbeitsteilung und Spezialisierung, Desintegration der
Wissenschaften und ihre Trennung von Alltagskultur, Segmentierung
gesellschaftlicher Erfahrung und Resignation vor einer in sich struktur- und
bedeutungslosen Masse an Daten vertiefende  Entfremdung vom Wissen, das in
bisher nicht gekanntem Maße für die Individuen fiktiv wird. Wissen ist nicht
mehr kundige Teilhabe des Bewusstseins an der Wirklichkeit, sondern gerät
zum neuen Fetischismus: Die abstrakte Mannigfaltigkeit des technisch
reproduzierten Wissens erscheint als Zustand ohne epistemisches Subjekt und
ohne jene Bedeutung, wie sie erst Weldbildsemantiken verleihen können.
Wirklichkeit tritt in Zeichen und Modellen auf, in denen die Spuren des
Gesamtzusammenhangs gelöscht sind; Pluralismus der Zeichen und Modelle ist
die Dekonstruktion von Einheit und Ganzheit. Getrennt von der
selbstreflexiven Erfahrung der Individuen wird Wissen zur abstrakten
Möglichkeit ohne Subjekt, Sinn und Ziel. Die Individuen fallen unter das -
oft schlecht als "Bildung" kaschierte - Diktat der Wissensbeherrscher;
Wissen ist nicht mehr subjektive Konstruktion der Wirklichkeit, sondern
Objekt des Konsums, in ökonomischem und politischem Interesse zugeteilte
Ware, "Gut", hegemonial verwaltetes "Erbe"."

  Quelle:

Sandkühler, Hans Jörg (1989): Krise des Marxismus. Über Probleme, Defizite
und neue Wege dialektischer Theorie. In: Schriftenreihe der
Marx-Engels-Stiftung 15: Neues Denken und marxistische Philosophie. AG
Materialistische Dialektik, Wuppertal 1990, S. 31-61, S. 45



Viele Grüße und

Ahoi Annette



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