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Re: [ox] notizen zur keimform



Hallo,

ich empfand die Bedenken/Kritiken von Sabine und Norbert auch wichtig.
Nicht, weil das Konzept von Stefan damit gut getroffen worden wäre - aber es
warnt vor naheliegenden verkürzenden Mißverständnissen.

Norbert T. sprach davon, dass eine neue gesellschaft nur
"negatorisch" auf die wertvergesellschaftung bezug nehmen könne.

Bei der Frage, ob man gar nichts Positives für die Zukunft aussagen könne,
oder sogar "Ermutigung" nicht wollen soll (wie bei Sabine und Michael gesagt
wurde), muß man auch unterscheiden (was im Diskurs zu wenig getan wird):
Wann befinden wir uns in wissenschaftlichen Ableitungen, und wann sagen wir
etwas als Subjekte der Geschichte. Aus der wissenschaftlichen Ableitung
ergibt sich das Positive und die Ermutigung wirklich NICHT. Aber deshalb
werde ich selbst z.B. immer als Mensch auftreten und kann das von mir
gewünschte Ermutigende nicht abtrennen und mich als Wissenschaftlerin nur
negativ verhalten. Aber ich werde künftig auch stärker darauf achten, diese
verschiedenen Ebenen deutlicher transparent zu machen.

"keimform" beinhaltet im wort eine analogie zur biologie, legt einen
entwicklungsprozess zumindest nahe, der bei allen veränderungen im ablauf
einem bauplan, sozusagen einer DNA, folgt.

Deshalb die wichtige Unterscheidung von Stefan in seinem abschließenden
Vortrag zwischen "Keim" und "Keimform".
Ansonsten: Auch in der Biologie erfolgt Evolution i.a. ja gerade nicht nach
einem Bauplan (außer bei Individualmorphogenese...) - sondern
unbestimmt-sich verzweigend...

das unterschlägt aber die von Stefan Mz. sonst betonte wesentliche
differenz
eines offenen gesellschaftlichen vorgangs zu einem determiniert
biologischen
prozess.

Nun, Stefan kann nicht jedesmal einen ausführlichen
philosophisch-wissenschaftlichen Metadiskurs mit ausführen. Aber in allen
Schriften, die ich von ihm kenne, unterschlägt er diese Differenz nie,
sondern ich habe sie immer im Hinterkopf (weil ich ja auch genau weiß, daß
sein "Menschenbild" aus der Kritischen Psychologie genau dies absolut
ausschließt).

vielleicht kommt das daher, dass der begriff aus dem historischen
materialismus zu stammen scheint, nach dem ja der kapitalismus trotz aller
greuel die historische mission hat, die vorbedingungen einer Freien
Gesellschaft zu schaffen, die sich aus der alten "entwickeln" lässt. Marx
selbst spricht ja in diesem zusammenhang von naturgeschichte der
menschheit.
dieser meinung bin ich nicht (mehr),

Bei Engels findet sich wirklich:
"Erst die Sklaverei machte die Teilung der Arbeit zwischen Ackerbau und
Industrie auf größerm Maßstab möglich, und damit die Blüte der alten Welt,
das Griechentum. "... "In diesem Sinne sind wir berechtigt zu sagen: Ohne
antike Sklaverei kein moderner Sozialismus." (Engels: Herrn Eugen Dührings
Umwälzung der Wissenschaft, in: MEW Bd. 20, S. 168).
Marx jedoch wendet sich auch eindeutig gegen jene, die seine historischen
Skizzen "in eine geschichtsphilosophische Theorie des allgemeinen
Entwicklungsganges verwandeln, der allen Völkern schicksalsmäßig
vorgeschrieben ist" (Marx, MEW 19, S. 111).

Wie läßt sich dieser Widerspruch verstehen?
Ich denke aus dem Unterschied von logisch-historischer Analyse und
historischem Ablauf.
In der realen Geschichte stehen wir immer im Moment der Gegenwart. Die
Zukunft ist zwar durch das jeweils Gegebene bedingt, aber das Gegebene (die
Bedingungen) ändern sich selbst ständig mit und deshalb ist immer nur die
Gegenwart (und Vergangenheit) bestimmt, mit Notwendigkeit realisert - aber
jede Zukunft relativ (nicht absolut) offen.
Blicke ich jedoch analytisch in die Vergangenheit, zeigt sich, daß nichts
Gewordenes "aus Nichts" oder einem Wunder heraus entstand, sondern ich immer
in der relativen Vergangenheit gerade jene Bedingungen realiert sehe, die
das Gewordene ermöglicht und bestimmt haben. So, wie die Menschheit in
Europa sich entwickelt hat, war halt die Sklaverei eine Grundlage des
Gegenwärtigen. Das ist eine analytische Aussage, die noch gar nicht
automatisch alles Gewesene rechtfertigt!!!
Diese Unterscheidung von Analyse und Wertung geht bei Trenkle m.M. nach
verloren, wenn er aus lauter Angst, wir könnten den Kapitalismus
rechtfertigen, wenn wir irgendwas von ihm positiv nutzen wollen, die
positiven Anknüpfungsmöglichkeiten negiert.

der konferenz referierten gedanken zu, dass die produktivkraftentwicklung
als entscheidende determinante der gesellschaftlichen entwicklung nur für
die vom wert beherrschte gesellschaft gilt, aber nicht exprapoliert werden
darf (so jedenfalls hab ichs verstanden).

Wobei auch bei ihm nicht gesagt wird, was er unter Produktivität,
Produktivkraft und Entwicklung überhaupt versteht. Wenn ich darunter nur
technischen Fortschritt, technische Mittel etc. verstehe, hat er klarerweise
Recht. D.h. - so klar ist es wirklich noch nicht allen, deshalb muß es wohl
auch oft wiederholt werden.
Aber Produktivität kann auch bedeuten:
"Produktiv ist Arbeit dann, wenn sie eine nachhaltige Erhöhung der
Handlungsspielräume für den Menschen mit sich bringt. " (U.Sigor: "Utopie
der Arbeit", in Internet: http://www.thur.de/philo/arbeit9.htm).

Produktivkräfte sind nicht die Summe der in der Arbeit/Produktion
verwendeten Mittel, wie es oft vorgestellt wird, sondern das qualitative
Verhältnis zwischen Menschen, Natur und Mitteln... (auch in der Physik ist
es ein herrschendes Vorurteil, daß die Kraft etwas dem Körper von außen
Zugefügtes sei - während es in Wirklichkeit die Wirkungsfähigkeit der
Objekte selbst kennzeichnet). Das bedeutet - etwas genauer philosophiert -
daß jedes der Momente des Verhältnisses seinen Grund in den jeweils anderen
Momenten findet ...(wers genauer lesen will: Hegel: Wissenschaft der Logik,
in Werke Bd. 6, S. 166). Es ist eben keine Subsumtion oder Aufzählung von
irgendetwas, sondern jedes existiert in diesem Verhältnis nur durch die
anderen...
Dann kann es eigentlich gar nicht mehr mißverstanden werden, als ob (allein)
die Mittel die menschlichen Beziehungen determinierten oder so ähnlich.

Und zur "Entwicklung" gibts auch vieles zu sagen. Wenn dieses Wort mit dem
Wort "automatischer Fortschritt" identifziert wird, ist wenig verstanden von
der Tiefe und Fülle wissenschaftlicher Entwicklungstheorie...

freie selbstentfaltung ist kein letztlich uneingelöstes versprechen der
produktivkraftentwicklung in der wertgesellschaftlichen form (wie ich
Stefan
Mz. [miss?]verstanden habe).

Ich habe Stefan immer so verstanden, daß er es nie als "Versprechen"
interpretiert hat, gleich gar nicht als nur noch nicht eingelöstes (was ja
vielleicht noch einzulösen wäre), sondern er hat immer die
Widersprüchlichkeit der Beziehung von Selbstentfaltung und Selbstverwertung
betont.

(Während ich solche Sachen ja vielleicht auch mal schlampig dahinformuliere
bin ich mir bei Stefan sicher, daß er es immer sauber formuliert hat. Beim
Zuhören/Lesen geschieht es aber wohl oft, daß nicht immer auf alle
Feinheiten geachtet wird, sie überlesen werden , oder die üblichere Lesart
hineininterpretiert wird -  die sich dann gut kritisieren läßt...).

Sie [freie Selbstentfaltung] ist ein von menschen empfundenes bedürfnis,
das
(seit langem) in widerspruch zu den gesellschaftlichen verhältnissen
steht.
wenn das von diesen menschen so gesehen wird, können sie sich dazu stellen
(bewusst anpassen, ausweichen, konfrontieren, einen mix daraus).

Ja, immer und überall!
Da wir nun aber hier und heute leben, beziehen wir dies auf die aktuellen
Bedingungen, die der Kapitalismus strukturell prägt.

die Freien Software-Bewegung kann nur dann ein beitrag zu einer Freien
Gesellschaft sein, wenn die beteiligten menschen das wollen, wenn sie sich
bewusst dazu entscheiden.

Ja!
Erfahrungsgemäß können sie es aber erst wollen, wenn sie es als Möglichkeit
erkennen (eben als positiven Anknüpfungspunkt).

Wir können auf wissenschaftlichen Konferenzen unbegründeten Utopismus
tausendmal kritisieren. Wenn wir die politisch aktiven Leute fragen, was sie
zu ihrer Aktivität geführt hat, war es fast nie nur die negative Bestimmung
des Gegebenen, sondern die Vorstellung, daß es auch anders sein könnte.

Beispielsweise war in der "Wende" der DDR wirklich ausschlaggebend, daß die
BRD plötzlich als das Vorbild, wie man selber leben wollte, sich
herauskristallisierte aus dem vorher noch unbestimmten Protest. Das "So
nicht" bekam seine explosive Dynamik erst durch die Zündung des "So wollen
wirs!".

Negativ erlebe ich dies in meinem weiteren (durch ABM-Jobs etc.) erzwungenen
Bekanntenkreis. Die wissen fast alle, daß der Kapitalismus letzendlich
Scheiße ist (zumindest hier in meinem Umfeld, da ist das Gefühl und das
Wissen um die Verursachung des weltweiten Elends durch die kapitalistische
Weltwirtschaft noch weit verbreitet). Aber alle hängen ab: "Naja, es geht
doch aber nicht anders... alles andere wird doch noch schlimmer...".

Vor zu hochfliegendem Utopismus hab ich viel weniger Angst als vor dieser
entmutigten Passivität...

Ahoi Annette






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Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


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