Re: [ox] Knappheit_und_andere_Einsprueche
- From: Hans-Gert Graebe <graebe informatik.uni-leipzig.de>
- Date: Fri, 18 May 2001 15:47:28 +0200 (MET DST)
Annette Schlemm (Fri, 18 May 2001) schrieb
"Stattdessen wird für den Markt produziert, was das Zeug hält - und
zwar unabhängig von jeder realen Relation auf das Bedürfnis,
sondern um die Konkurrenz aus dem Feld zu schlagen. Schlagendes
Fakt ist, daß zumindest gemessen am zahlungskräftigen Bedürfnis von
allem und jedem ZUVIEL da ist - Milchseen, Butterberge,
Fleischmassen. Für nicht zahlungsfähiges Bedürfnis ist das
natürlich alles zu schade. Das ist doch die heutige, zeitgemäße
Elementarerfahrung!"
Für die Leute, die den real gewesenen Sozialismus erlebten,
allerdings nicht! Hier erlebten wir, daß es auf zumindest einem
nichtkapitalistischem Wege nicht klappt. ...
Plan statt Markt war also nicht die richtige Alternative. Und alle
Diskussionen über das, was man aus den Wirtschaftsmodellen des "real
gehabten" lernen könne, (wenigstens die Diskussionen, die ich kenne)
laufen heute darauf hinaus, dass NÖS, NEP, Ota Sik und Prager Frühling
etc., interessante Ansätze enthalten, deren Nichtverfolgung (auch) dem
System letztlich das Kreuz gebrochen hat. Also scheinen
Marktmechanismen doch ein interessantes zivilisatorisches Element zu
enthalten, das bei der ganzen Debatte um die abstrakte Wertform des
Geldes, die letztlich zu den - europäischen - Milchseen, Butterberge,
Fleischmassen führt, noch herauszupräparieren ist, wenn das Kind nicht
mit dem Bade ausgeschüttet werden soll.
Klar waren viele Bedürfnisse auch zu konsumistisch und zu sehr am
Westen orientiert. Aber wir haben wirklich ganz stark das Gefühl,
daß es nicht "einfach so läuft". Die Probleme lagen ja nicht nur an
eventuell übertriebenen Bedürfnissen, sondern wir haben ganz stark
überall ständig nur das Erlebnis des Mangels gehabt. Gerade in der
Produktion: nicht genug Werkzeug, Rohstoffmangel, Zulieferengpässe,
...
Eben. Und das kann man nicht erst jedesmal verhandeln (oder doch?
Vitamin B als klassische Metapher in der DDR?).
Selbstentfaltung in Deinem Sinne (die freie Entwicklung des Einzelnen)
braucht einen Kontext (die freie Entwicklung aller). In den
"Emanzipationsthesen" steht das so:
Emanzipation bildet eine Einheit aus Freiräumen und Kompetenz, aus
Vertrauen und Verantwortlichkeit.
In diesem Begriff verbindet sich damit sowohl individuell als auch
gesellschaftsbezogen Anspruch und Herausforderung. Die
hauptsächliche individuelle Herausforderung besteht in der
Aneignung und Entwicklung von Kompetenz, um Freiräume
verantwortlich zu gestalten. Die hauptsächliche gesellschaftliche
Herausforderung besteht in der Schaffung und Sicherung von
Freiräumen, in denen kompetente Individuen Verantwortung übernehmen
können, sowie von Bedingungen, unter denen sich Kompetenz
eigenverantwortlich reproduzieren und weiter entwickeln lässt.
Beides ist nur zusammen zu haben, im Sinne von Ko-Evolution.
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Mit freundlichen Gruessen, Hans-Gert Graebe
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