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[ox] Re: Gesetzesauslegung vs "Rechtsfortbildung"



Ihre Interpretation hat folgende Nachteile
- Sie macht Art 52.2 EPUe zu einer belanglosen Auflistung, in die
 man schreiben koennte, was man wollte, ohne dass dadurch irgendetwas
 ausgeschlossen wuerde

Nein. Der Unterschied zwischen "Programme für
Datenverarbeitungsanlagen" und "Programme für
Datenverarbeitungsanlagen ... als solche" ist, daß ersteres im Zweifel
weiter, letzteres im Zweifel enger ist. Kein belangloses Gelaber im
Gesetzestext, sondern Bedeutungsgewinn.

Eine "softwareimplementierbare" Rechenregel ist Ihrer Auffassung nach kein
"Programm als solches" und daher patentierbar.
D.h.  Sie koennen in die Liste von Art 52.2 auch Chemikalien oder
Gartenschlaeuche (Ihr Lieblingsbeispiel) oder was Sie wollen
hineinschreiben, und trotzdem bliebe alles patentierbar, was heute
patentierbar ist.  Aendern wuerden sich nicht einmal die
Anspruchsformulierungen, denn wer beansprucht schon einen
"Gartenschlauch als solchen" ?

- Sie wird durch zahlreiche Urteile von 1976 bis heute widerlegt, in
 denen sich Gerichte tatsaechlich die Muehe machen "Organisations-
 und Rechenregeln" sowie ihre Verkoerperungen in DV-Programmen nicht
 zur Patentierbarkeit zuzulassen.

Das ist der Punkt, aus dem Sie für Ihre Position in der Tat noch am
ehesten Honig saugen können. Der 17. Senat des BPatG war lange Zeit
eher restriktiv in der Erteilung softwareimplementierbarer
Erfindungen. Heute ist er das weniger, siehe den auf derffii-Seite
zitierte Beschluß. Soweit Sie auf das EPA oder den BGH schauen, werden
Sie in Sachen Rechtsprechung wenig Freude haben.

Am meisten Freude bereiten mir BGH-Urteile wie "Dispositionsprogramm"
(1976), "Flugkostenminimierung" (1981) und "Chinesische Schriftzeichen"
(1991).  Auch "Antiblockiersystem" (1980) gehoert mit zu der Serie von
Urteilen, die Ihre Interpretation widerlegen.  Und die BPatG-Urteile
sowieso alle bis 2000, in hoechstem Masse allderdings "Antiblockiersystem"
von 1978.

- "software-implementierbare Erfindungen" ist ein nichtssagender
 Begriff.  Alles und nichts ist "software-implementierbar" oder
 "computer-implementierbar".

Unsinnige Wortjongliererei. Ein Getriebe ist wohl nicht
softwareimplementierbar, und RSA ist wohl nicht eisenimplementierbar,
wohl aber softwareimplementierbar.

RSA ist natuerlich "eisenimplementierbar".  Der Algorithmus laeuft ja auf
Geraeten aus Eisen ab, und die kann ich sogar nach Jules-Vernes-scher
Manier als mechanische Zaubermaschinen festverdrahten.  Zugleich ist jedes
wiederholbare Verfahren auch "software-implementierbar", und
Produktansprueche leiten sich normalerweise aus Verfahrensanspruechen her.

 Aber manche neuen Ideen enthalten neue
 naturwissenschaftliche Erkenntnisse und sind and materielle
 Verkoerperungen gebunden.  Andere sind wiederum rein abstrakt
 logisch/mathematisch.

Spätestens wenn jemand damit Knete verdienen will, wird's materiell,
zB Software auf einem Datenträger in einem Rechner zur Implementierung
der Erfindung.

Damit wird der Gegenstand noch immer nicht materiell. Goethes Faust wird
nicht dadurch etwas materielles, dass man das Werk zwischen zwei
Buchdeckeln abbilden kann.  Der erfinderische Wert einer Rechenregel liegt
nicht in dem Material des Datentraegers oder im Energieumsetzungsmuster
des Prozessors.

Ausfuehrliche Argumentation und Dokumentation s.

	http://swpat.ffii.org/stidi/korcu/

Genau Ihre Art der Rechtsauffassung ist ein hervorragendes Beispiel fuer
das, was ich zuvor ueber die "Rechtswissenschaft" sagte:  sie operiert
haeufig mit diffusen Begriffen, die dem Missbrauch Tuer und Tor oeffnen.

Die Tatsache, daß man komplexes Leben nicht in einfache, KLARE Regeln
packen kann, wollen Sie wohl nicht leugnen, oder? Oder doch?

Wo man das nicht kann, sollte man sich ernsthaft ueberlegen, ob man lieber
ganz auf eine rechtliche Regelung verzichtet.

Glauben Sie immer noch an das eine tolle und sonnenklare Kriterium,
die Technizität?

Dieses Kriterium ist in der Tat einer der klarsten Rechtsbegriffe, die das
Patentrecht jemals entwickelt hat.

Dass es dennoch ausgehoehlt wurde, wirft ein schlechtes Licht auf die
"Rechtswissenschaft" (oder ihre Vertreter).

Ich bin nach wie vor der
Meinung, dass die Justiz sich auf eine moeglichst widerspruchsfreie
Gesetzesauslegung zu beschraenken hat.  So steht es uebrigens auch im
Kommentar zum PatG von Georg Benkard.

Da haben Sie vollkommen recht. Sehen Sie einen Unterschied zwischen
Rechtsauslegung und Rechtsfortbildung? Ich nicht.

Es muss keinen geben.  Das ist eine Definitionsfrage.
Jede legitime Rechtsauslegung bildet auch das Recht zumindest in dem
Sinne fort, dass es seine Anwendung auf bestimmte Faelle verfeinert
und dabei vielleicht hilfreiche Grundsaetze erschliesst, die natuerlich
im Dienste einer widerspruchsarmen Auslegung zu stehen haben.

Unter dem Etikett RFB laesst sich allerdings leichter Konfusion schaffen
und das Schuldbewusstsein bei Kompetenzueberschreitung vernebeln.

Natuerlich bleibt Spielraum fuer die widerspruchsfreie Interpretation.
Und es gibt eine Rechtsgueterabwaegung, die es erlaubt, in gewissem Masse
hoeheren Werten und somit auch den Erfordernissen der Zeit Rechnung
zu tragen.  Zu diesen hoeheren Werten gehoeren aber nicht Ueberlegungen
ueber die oekonomischen Erfordernisse der Softwareindustrie, wie sie
etwa Melullis in

	http://swpat.ffii.org/vreji/papri/grur-mellu98/

anstellt.  Solche Ueberlegungen sollten die Richter tunlichst Leuten
ueberlassen, die etwas davon verstehen.  Melullis spielt hier
Wirtschaftspolitiker um nicht zu sagen Gott.

Offensichtlich stören Sie sich mehr an der Person des Antwortenden als
an der gestellten Frage. Warum soll die Frage illegitim sein?

Melullis stellt hier die Frage, um Gruende fuer eine Aenderung der
bisherigen Regeln zu suchen (z.B. geht es hier um die Verwerfung der
Differenzbetrachtung/Kerntheorie, wonach die Neuerung im Technischen
liegen aka ein Beitrag zum Stand der Technik vorliegen muss).

Die Frage, ob die gewachsene Bedeutung der Softwareindustrie (Bsp
Microsoft) auch die Patentierbarkeit untechnischer Beitraege erforderlich
macht, ist legitim, aber ihre Beantwortung ist kaum die Sache eines
hoechsten Richters.

Sie sollte vom Gesetzgeber in angemessenem Rahmen unter Hinzuziehung der
Oeffentlichkeit und kompetenter Experten beantwortet werden.  Melullis
zeigt in dem Artikel, dass ihm diese Kompetenz fehlt.  Das ist nicht
weiter schlimm oder verwunderlich, aber man sollte wissen, was man nicht
weiss.

Sie machen es sich zu leicht, wenn Sie alles, was Ihnen nicht paßt
(Spruchpraxis der Behörden und Gerichte, RFB, EU-RiLi ...) als
illegitim bzw. ungesetzlich abkanzeln.  ... Aber wenn man dann den
anderen immer "illegal" zurufen zu müssen meint, dann sollte man sich
schon einigermaßen auskennen. Das tun Sie nicht - und Ihre Position
ist insoweit nicht einmal knapp daneben, sondern meilenweit.

Wie leicht ich es mir mache, moege jeder anhand von

	http://swpat.ffii.org/stidi/korcu/

selber beurteilen.

--
Hartmut Pilch                                      http://phm.ffii.org/
Pflege statt Pluenderung der Informationsallmende: http://www.ffii.org/
77800 Unterschriften gegen Logikpatente: http://petition.eurolinux.org/



________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


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