[ox] Re: Gesetzesauslegung vs Rechtsfortbildung
- From: apfeiffer beetz.com
- Date: 22 May 2001 12:26:15 UT
[1 <text/plain; iso-8859-1 (quoted-printable)>]
PA Pfeiffer iterierte zum 10xn-ten mal:
(2) Konkret auf den Fall softwareimplementierbarer Erfindungen bezogen
ist es meine Auffassung, daß die Ämter und Gerichte mit ihrer
Spruchpraxis dem Willen des Gesetzgebers folgen, und zwar nicht mit
Müh und Not, sondern akkurat. Mit seinem "als solche"-Nachsatz hat der
Gesetzgeber klargemacht, daß der Ausschluß eng zu verstehen ist, und
genauso eng wird nun die Ausnahme durch die Ämter und Gerichte
angewendet. "Programme für Datenverarbeitungsanlagen ... als solche"
sind von der Patentierung ausgeschlossen, und demzufolge findet man in
praktisch keinem Patent "Programme für Datenverarbeitungsanlagen ...
als solche" geschützt oder auch nur beschrieben. Beschrieben und
geschützt sind Erfindungen, die durch Software implementierbar sind.
DAS wollte der Gesetzgeber nicht von der Patentierung ausnehmen.
Diese Behauptung haben wir hier schon oft widerlegt.
Nein, das hätten/würden sie nur gerne.
Ihre Interpretation hat folgende Nachteile
- Sie macht Art 52.2 EPUe zu einer belanglosen Auflistung, in die
man schreiben koennte, was man wollte, ohne dass dadurch irgendetwas
ausgeschlossen wuerde
Nein. Der Unterschied zwischen "Programme für Datenverarbeitungsanlagen" und "Programme für
Datenverarbeitungsanlagen ... als solche" ist, daß ersteres im Zweifel weiter, letzteres im
Zweifel enger ist. Kein belangloses Gelaber im Gesetzestext, sondern Bedeutungsgewinn.
- Sie wird durch zahlreiche Urteile von 1976 bis heute widerlegt, in
denen sich Gerichte tatsaechlich die Muehe machen "Organisations-
und Rechenregeln" sowie ihre Verkoerperungen in DV-Programmen nicht
zur Patentierbarkeit zuzulassen.
Das ist der Punkt, aus dem Sie für Ihre Position in der Tat noch am ehesten Honig saugen können.
Der 17. Senat des BPatG war lange Zeit eher restriktiv in der Erteilung softwareimplementierbarer
Erfindungen. Heute ist er das weniger, siehe den auf derffii-Seite zitierte Beschluß. Soweit Sie
auf das EPA oder den BGH schauen, werden Sie in Sachen Rechtsprechung wenig Freude haben.
- "software-implementierbare Erfindungen" ist ein nichtssagender
Begriff. Alles und nichts ist "software-implementierbar" oder
"computer-implementierbar".
Unsinnige Wortjongliererei. Ein Getriebe ist wohl nicht softwareimplementierbar, und RSA ist wohl
nicht eisenimplementierbar, wohl aber softwareimplementierbar.
Aber manche neuen Ideen enthalten neue
naturwissenschaftliche Erkenntnisse und sind and materielle
Verkoerperungen gebunden. Andere sind wiederum rein abstrakt
logisch/mathematisch.
Spätestens wenn jemand damit Knete verdienen will, wird's materiell, zB Software auf einem
Datenträger in einem Rechner zur Implementierung der Erfindung.
Ausfuehrliche Argumentation und Dokumentation s.
http://swpat.ffii.org/stidi/korcu/
Genau Ihre Art der Rechtsauffassung ist ein hervorragendes Beispiel fuer
das, was ich zuvor ueber die "Rechtswissenschaft" sagte: sie operiert
haeufig mit diffusen Begriffen, die dem Missbrauch Tuer und Tor oeffnen.
Die Tatsache, daß man komplexes Leben nicht in einfache, KLARE Regeln packen kann, wollen Sie wohl
nicht leugnen, oder? Oder doch? Glauben Sie immer noch an das eine tolle und sonnenklare
Kriterium, die Technizität?
Bernhard Reiter schrieb:
Wenn dann vom Gesetzgeber bemerkt wird, dass Auslegung von Intention
zu stark auseinanderdriften kann und muss dies halt wieder durch
Gesetze bzw deren Nachbesserung richtig gestellt werden.
Das klingt zwar versoehnlich, kompromissbereit und "vernuenftig", oeffnet
aber wiederum dem Missbrauch Tuer und Tor.
Wenn etwas aus dem Ruder läuft, muß korrigiert werden. Das ist doch kein Mißbrauch.
Ich bin nach wie vor der
Meinung, dass die Justiz sich auf eine moeglichst widerspruchsfreie
Gesetzesauslegung zu beschraenken hat. So steht es uebrigens auch im
Kommentar zum PatG von Georg Benkard.
Da haben Sie vollkommen recht. Sehen Sie einen Unterschied zwischen Rechtsauslegung und
Rechtsfortbildung? Ich nicht.
Es wird immer der Fall auftreten, daß eine Frage zum ersten Mal zu den Gerichten hochschwimmt, zB
- neulich diskutiert - unter welchen Umständen Inhalte von web sites als offenkundig anzusehen
sind, siehe der Begriff "Stand der Technik" im EPUe ...
http://www.european-patent-office.org/legal/epc/d/ar54.html
Wenn das befaßte Gericht die Frage zu beantworten hat, muß es das Recht unter Heranziehung aller
Rechtsquellen auslegen, und wenn dann der Spruch da ist, ist insoweit das Recht fortgebildet.
Alles andere ist Anmassung einer Judikative, die gerne Legislative spielen
will. Das muss der Gesetzgeber nicht nur korrigieren sondern ruegen.
Schmarrn. Die Legislative kann nicht alles ins Gesetz hineinschreiben oder permanent neuen
Lebenswirklichkeiten hinterher-legis-lieren.
Selbst wenn einige Gesetze veraltet sind, ist es besser, diese anzuwenden
und unbefriedigende Urteile zu erzeugen.
Donnerzack!
Dann ist der Gesetzgeber
aufgerufen, den Missstand zu korrigieren. Und zwar in systematischerer
und demokratisch soliderer Weise als den Gerichten das je gelingen kann.
Als Lausbuben haben wir mit Lehmbatz gerne den Wurmbach bei uns hinter dem Haus aufgestaut. Als
die Staumauer und der Wasserdruck dahinter immer größer wurden, sickerte es hier und da durch, und
wir haben hier und da nachgepappt, im Laufe des Nachmittags immer schneller und öfter, weil es
immer öfter und schneller irgendwo durchsickerte. So ungefähr stellen Sie sich die Rechtsfindung
für konkrete Probleme durch das Parlament vor, oder?
Ohne RFB geht's nicht, denn im Gesetz kann nicht alles drin
stehen, was gebraucht wird. Würde man dies auch nur ansatzweise
versuchen, würden die Gesetze sofort unhandhabbar dick, und alle
müßten durch den Bundestag als dem legislativen Organ.
In den Gesetzen muss nicht alles drin stehen.
Natuerlich bleibt Spielraum fuer die widerspruchsfreie Interpretation.
Und es gibt eine Rechtsgueterabwaegung, die es erlaubt, in gewissem Masse
hoeheren Werten und somit auch den Erfordernissen der Zeit Rechnung
zu tragen. Zu diesen hoeheren Werten gehoeren aber nicht Ueberlegungen
ueber die oekonomischen Erfordernisse der Softwareindustrie, wie sie
etwa Melullis in
http://swpat.ffii.org/vreji/papri/grur-mellu98/
anstellt. Solche Ueberlegungen sollten die Richter tunlichst Leuten
ueberlassen, die etwas davon verstehen. Melullis spielt hier
Wirtschaftspolitiker um nicht zu sagen Gott.
Offensichtlich stören Sie sich mehr an der Person des Antwortenden als an der gestellten Frage.
Warum soll die Frage illegitim sein?
Dies stellt uebrigens auch Kolle 1977
http://swpat.ffii.org/vreji/papri/grur-kolle77/
fest, indem er zu konservativen Urteilen raet. Kolle meint, das EPUe
erlaube durchaus eine Aushoehlung des Technikbegriffes, aber eine solche
Entscheidung stehe keinem Richter zu.
http://www.ffii.org/archive/mails/swpat/2000/Nov/0196.html
Die genannten Begriffe "unverzüglich" und "Erfindungshöhe" sind
Beispiele für sog. "unbestimmte Rechtsbegriffe". Der Gesetzgeber
(Legislative) verwendet sie absichtlich, weil er weiß, daß es ihm
selbst unmöglich ist, für alle denkbaren realen Konstellationen
explizit die Lösung zu nennen.
Der Gesetzgeber verwendet den Begriff "Erfindungshoehe" m.E. nicht.
Sie haben recht. Es heißt "erfinderische Tätigkeit".
http://www.european-patent-office.org/legal/epc/d/ar52.html
http://www.european-patent-office.org/legal/epc/d/ar56.html
Und niemand bestreitet, dass die Anwendung von Gesetzesregeln eine
hohe Auslegungskunst erfordert, s. oben. Das ist aber etwas anderes
als jene "Rechtsfortbildung", welche die Regeln selber aendert und
am Schluss als "veraltet" erklaeren und abschaffen moechte.
Grober Fehlschluß. RFB hangelt sich immer vorsichtig am Gesetzeswortlaut entlang, im Bild:
schippert vorsichtig auf den Leuchtturm zu. Regeländerung ist nicht das Ziel.
Wenn das EPUe veraltet waere, so gaebe es nur einen korrekten Weg, auf
seine Aenderung zu draengen: man wende es stur und korrekt an, wie das
BPatG/17 das stets zu tun bemueht war. Dann warte man, dass sich eine
Gruppe der Unzufriedenen formiere und beim *Gesetzgeber* (nicht beim
BGH) auf Aenderung der Regeln draenge.
Selbst wenn 100000 Juristen die RFB in obigem Sinne fuer normal und
anstaendig halten sollten, ist sie es nicht.
"No intelligent life down here. Beamy, scott me up!" (Captain Kirk auf Caladan)
Es gab auch ein Jahrzehnt,
da hielten alle Leute die Nuernberger Gesetze fuer normal. Ein
Jahrtausend lang hielt man in China das Verkrueppeln von Frauenfuessen
fuer selbstverstaendlich.
Was hat das mit RFB zu tun?
Um so schlimmer fuer die Schriftgelehrten,
denen nicht auffiel, dass da etwas nicht stimmt. Dass sind insoweit eben
keine Wissenschaftler.
???
Sehr bejammernswert sind auch diejenigen, die meinen, ihre Argumente
irgendeiner "Realitaet" beugen zu muessen, um dann als "besonnene
Gespraechspartner" anerkannt zu werden. Argumente beugen sich nicht
vor Realitaeten sondern nur vor Argumenten.
Herrje. Ihr Selbstbewußtsein möchte ich haben.
Alles andere funktioniert nicht.
Es mag sein, dass wir dieses Jahr von ein paar "Realitaeten" ueberrollt
werden. Das wuerden wir dann aber so oder so. Indem wir uns der Wahrheit
Zumindest ist Realität sehr wahr und dann wohl von Argumenten zu berücksichtigende Wahrheit, oder?
bewusst werden und dieses Bewusstsein verbreiten, koennen wir in ein paar
Jahren siegen. Jeder Richtlinie, die neue Rechtsunsicherheit zugunsten
des EPA verbreitet statt die bisher klare Gesetzesregel zu bestaetigen,
wird der Ruch des Rechtsmissbrauchs anhaften. Davor haben Pfeiffer, Horns
und andere Patentanwaelte grosse Angst, weshalb sie jede Gelegenheit
nutzen, um die um sich greifenden Bewusstseinskeime im Embryonalstadium zu
ersticken. Dafuer ist es aber schon zu spaet.
Ein META:
Sie machen es sich zu leicht, wenn Sie alles, was Ihnen nicht paßt (Spruchpraxis der Behörden und
Gerichte, RFB, EU-RiLi ...) als illegitim bzw. ungesetzlich abkanzeln. Es steht Ihnen frei, etwas
anderes als das, was derzeit von anderen gemacht wird, zu wünschen und sich dafür einzusetzen.
Aber wenn man dann den anderen immer "illegal" zurufen zu müssen meint, dann sollte man sich schon
einigermaßen auskennen. Das tun Sie nicht - und Ihre Position ist insoweit nicht einmal knapp
daneben, sondern meilenweit.
AP
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