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[ox] Konferenz-Beitrag: Wie kommen wir zu einer Tasse Kaffee? - Zur produktiven Informationsgesellschaft



Wie kommen wir zu einer Tasse Kaffee?
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Wolf Göhring [wolf.goehring gmd.de]

Zur produktiven Informationsgesellschaft
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Ich will nicht gleich ins Allgemeine einsteigen und dort versacken,
sondern erstmal über einer Tasse Kaffee etwas praktisches bereden,
nämlich wie man eigentlich zu Kaffee kommt. Danach ist Gelegenheit,
entlang dieser Praxis zwei wesentliche Züge unserer Zeit zu behandeln,
nicht ohne Nachhilfe bei Marx zu nehmen. Das eine ist die Produktion
der Güter als Waren, die erst nach einem Tausch brauchbar werden. Das
andere ist, daß alle versuchen, den Tausch "irgendwie" so in den Griff
zu bekommen, daß man hinterher nicht der Gelackmeierte ist.

Wie kommen wir zu unserm Frühstückskaffee?
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Ganz einfach: Wasser in die Kanne zapfen, in die Maschine schütten,
etwas gemahlenen Kaffee aus der Tüte in den Filter, Filter auf die
Kanne, Maschine einschalten, kurz warten, fertig. Wie kommen wir zur
Tasse Kaffee, wenn die Kaffeetüte leer ist? Ganz einfach, im
Supermarkt eine neue kaufen. Oder wenn die Kanne zu Boden gegangen und
zerschellt ist? Ganz einfach, in der Elektroabteilung eine neue
kaufen. Oder wenn... ? Auf jeden Fall: ganz einfach.

Im Supermarkt fehlt Kaffee nie. Wie kommt der dorthin? Dort sieht man
manchmal LKWs, von denen Paletten abgeladen werden, da wird auch der
Kaffee dabei sein. Wo die Paletten herkommen? Da gibt es ein zentrales
Großlager mit allem möglichen, da lagert auch Kaffe. Der Grossist
bezieht ihn von der Rösterei. An der Küste gibt es viele Röstereien,
wegen der Häfen. Der Kaffee kommt mit dem Schiff, aus Übersee, aus
Brasilien, aus Mittelamerika. Irgendwie arbeiten dort Campesinos auf
den Haziendas. Sechsmal sortieren die Familien der Campesinos die
frischen Kaffeebohnen, bevor sie getrocknet und "die guten ins
Säckchen" für die Westeuropäer gefüllt werden. Wo kommen die Säcke
her? Jute aus Indien? Wie werden die vollen Säcke eingeladen? Auf den
Schultern der Einheimischen? Wie werden die vollen Säcke ausgeladen?
Mit den Kränen der andern Einheimischen? Wo kommen die Kräne her? Der
Stahl der Kräne, der Schiffe und dieses Bandes, das sich um die Kanne
schlingt und den Griff hält? Das Erz für den Stahl? Siegerland?
Lothringen? Kiruna? Minas Gerais? Kenia?

Im Supermarkt gibt es Kaffee für 6,40 DM im Sonderangebot. An der
Kasse wird mit dem Markierungsleser eine Nummer an der Tüte gelesen.
Ein kleiner Computer in der Kasse fragt einen großen Computer im
Supermarkt, was das kosten soll und druckt es auf den Quittungszettel.
10 Mark hin. "Dreimarksechzig zurück", sagt der Computer. Der große
Computer verbucht den Abgang einer Tüte und merkt, daß nur noch
höchstens zehn im Regal stehen, also nachfüllen aus dem Lager, und
weil im Lager auch so wenig, nachbestellen beim Großhändler -
elektronisch. "Natürlich," möchte man sagen. Von des Großhändlers
Computer geht irgendwann eine Email an die Kaffeerösterei. Dort werden
Marktanteile untersucht und Aufkäufer in Gang gesetzt. Die erschauen
in ihren Bildschirmen, daß sie bei den Warentermingeschäften nicht
draufzahlen. Und irgendwo ist ein Kaffeeproduzent froh, daß er sein
Zeugs losgeworden ist.

Es werden Kontrakte geschlossen: soundsoviel Kaffee geht von A nach B,
ohne den Kaffee einen Meter bewegen zu müssen. Soundsoviel Geld von B
nach A, ohne einen Pfennig bewegen zu müssen. Es genügt die
Computerbuchung. Aber irgendwo wird auch transportiert, nicht nur
virtuell und mit Mausklick. Die Kaffeetüte kommt zum Kaffee, worin er
frisch gemahlen aromasicher vakuumverpackt wird. Die 640 Pfennige für
die volle Kaffeetüte werden virtuell über den Globus verstreut, um
sich als Cents, Centavos oder allerlei anderes Geld wieder zu
materialisieren. Genau besehen: Aus einer dampfenden Tasse Kaffee
zieht eine ganze Welt herauf.

Muß man das so genau sehen und wissen? Es läuft doch gut, auch wenn
man es nicht genau weiß: Man geht zum Supermarkt und kauft sich dort
seinen Kaffee. Basta. Und wenn mal kein Kaffee da sein sollte, kauft
man woanders oder beschwert sich. Globalisierung, vernetzte Welt?
Brauchen wir diese? Sollten wir nicht lieber echt deutsche Zitronen
essen, wozu uns Tucholsky schon spottend riet? Aber nein. Was wir
brauchen, ist mehr Geld und billigeren Kaffee. Wieso ist der Kaffee
trotz Sonderangebot noch so teuer?!

Statt über Kaffee hätte ich auch über Schuhe, Kerzenständer oder
Zahnpasta sprechen können. Oder über Bohrmaschinen, Gabelstapler,
Kinderwagen. Was macht diese Gebrauchsgegenstände käuflich, zu Waren?

Ich spare mir Anmerkungen dazu, wie es im Laufe der Jahrtausende dazu
gekommen ist und was die Menschen dazu getrieben hat, immer mehr
Produkte nicht mehr für den eigenen, unmittelbaren Verbrauch in einer
kleinen Gruppe, sondern als Waren für den Tausch herzustellen. Bekannt
ist, daß diese Entwicklung von scharfen Auseinandersetzungen begleitet
war. Dazu nur eine Episode: der deutsche Kaiser Otto III. zog vor
tausend Jahren nach Rom, um den meist nur noch symbolischen Pachtzins
für Ackerland kräftig anzuheben. Landbesitzender Adel und Klerus
sollten zu Geld kommen, die Bauern hätten mehr auf den Markt bringen
und verkaufen müssen. Der höhere Pachtzins hätte das Preis-, Sozial-
und Produktionsgefüge dramatisch verändert. Die Römer pfiffen auf
diese "Wiederherstellung des römischen Reiches", wie es Otto III. in
einer Rede benannte und bekriegten ihn.





Ware, Gebrauchswert und Tauschwert[1] [2]
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Es hat historische und natürliche Gründe, daß der Ort, wo die Produkte
entstehen, und der Ort, wo sie verbraucht werden, ganz verschiedene
sind. Schon die antiken Städter konnten nicht mehr selbst auf die
entlegenen Felder ziehen, um dort das Korn anzubauen, das sie
verzehrten. Das Korn für das antike Rom kam aus Lybien. Produkte, auch
die modernsten, die in isolierter Arbeit aufgehäuft werden, müssen
erst zu den Verbrauchern geschafft werden. Gebrauchsgegenstände wie
Kaffee oder Kinderwagen werden überhaupt nur Waren, weil sie Produkte
von einander unabhängig betriebener Arbeiten - Marx nennt sie
Privatarbeiten (MEW 23, S. 87) - sind. Sie sind Nicht-Gebrauchswerte
für ihre Erst-Besitzer, Gebrauchswerte für ihre Nicht-Besitzer. Ein
Campesino, der Kaffee anbaut und von Kaffee "lebt", kann gar nicht
soviel Kaffee trinken, wie er erntet. Er muß ihn los werden, aber er
kann ihn nicht verschenken. Und uns läßt es kalt, ob der Campesino bei
der Kaffeeernte schwitzte, wenn wir das Geld für die Tüte Kaffee über
den Ladentisch schieben. Man hat mit dem Campesino nichts zu schaffen,
auch wenn man sich seine Arbeit mit einer Tasse Kaffee einverleibt.

Die Herstellung der Produkte ist nicht ohne Arbeit und nicht ohne
Verbrauch an Lebenszeit der Produzenten zu haben. In dieser Zeit
werden die Produzenten müde, hungrig und durstig. Es verschleißen ihre
Kleider, ihre Häuser wollen renoviert werden. Und irgendwie muß auch
das erledigt werden. Die Produzenten drängen darauf, daß sie für die
Produkte, die sie hergeben (müssen), in irgend einer Weise so
entschädigt werden, daß sie weiterleben können, daß das, was während
der Produktion für andere liegengeblieben ist, irgendwie doch erledigt
oder ersetzt werden kann.

The real price of every thing, what every thing really costs to the
man who wants to acquire it, is the toil and trouble of acquiring it.
What every thing is really worth to the man who has acquired it, and
who wants to dispose of it or exchange it for something else, is the
toil and trouble which it can save to himself, and which it can impose
upon other people. What is bought with money or with goods is
purchased by labour, as much as what we acquire by the toil of our own
body. That money or those goods indeed save us this toil. They contain
the value of a certain quantitiy of labour which we exchange for what
is supposed at the time to contain the value of an equal quantity.

(Adam Smith: a.a.O., Chap. V, p 36)

Die Produzenten können ihr Produkt nicht umsonst hergeben, sie
benötigen soviel, um anderntags weiterleben zu können. Die Produzenten
ver"wahren" ihre Produkte solange, bis gleichwertiges ansteht. Erst
dann wird getauscht, erst dann ist der andere zum Gebrauch des
Produkts befugt: Das verwahrte Produkt ist eine Ware geworden (s. a.
Grimm?sches Wörterbuch der deutschen Sprache).

Die Kaufleute schaffen das Produkt vom Ort seiner Entstehung an den
seines Verbrauchs; sie vermitteln zwischen Hersteller und Verbraucher,
die sich beide unbekannt, fremd und gleichgültig bleiben, wo der eine
etwas hat, das er nicht gebrauchen kann, das ein andrer gebrauchen
könnte, aber zunächst nicht hat. Die auf einen Gebrauchswert, Kaffee
oder Zahnpasta beispielsweise verausgabte menschliche Arbeit zählt
nur, soweit sie in einer für andre nützlichen Form verausgabt ist. Ob
sie andren nützlich, ihr Produkt daher fremde Bedürfnisse befriedigt,
kann aber nur ihr Austausch beweisen. (MEW 23, S. 100, 101) Mit Bezug
auf den Gebrauchswert gilt die in der Ware - im Kaffee, in der
Zahnpasta - enthaltene Arbeit nur qualitativ. Beim Gebrauchswert geht
es um das Wie und Was der Arbeit, beim Tauschwert um ihr Wieviel, ihre
Zeitdauer (S. 60) Da der Handel überhaupt nichts ist als der Austausch
einer Arbeit gegen andere Arbeit, wird der Wert aller Dinge am
richtigsten geschätzt in Arbeit. (The works of Benjamin Franklin, ed.
by Sparks, 1836, v. II, S. 267) Arbeit bedeutet bei Franklin wie oben
bei Smith "labour" und "toil and trouble", aber nicht die konkrete
individuelle Arbeit, die die Einzelnen vollbracht hatten, als sie das
auszutauschende Stück herstellten. Beim Tausch, Verkauf eines schönen
handgeknüpften Teppichs ist es dem Käufer egal, mit wieviel Fantasie,
Begeisterung und Hingabe das gute Sück geknüpft wurde. Es zählt sein
Preis im Vergleich zu andern Stücken, es zählt, ob viele oder wenige
angeboten werden und wieviele die Gesellschaft gebrauchen kann oder
will. Mit Blick auf den Tausch tragen nur die hineingesteckten
Arbeitsstunden, gleichgültig von welcher Art und Person, zum
(Tausch-)Wert des Produkts bei. Mit Bezug auf den (Tausch-)Wert gilt
die hineingesteckte Arbeit nur quantitativ, nachdem sie bereits auf
menschliche Arbeit ohne weitere Qualität reduziert ist. Im Austausch
werden die Waren als (Tausch-)Werte aufeinander bezogen und als
(Tausch-)Werte realisiert (S. 100). Moderne Betriebswirtschaft und
Kostenrechnung haben daran nichts geändert. Mit 17 Arbeitsstunden wird
ein Auto montiert; das ist zusammen mit dem Verbrauch anderer
(Tausch-)Werte ein Eckpunkt seines (Tausch-)Werts, den es schnell
verliert, wenn es andere in 16 Stunden montieren oder wenn zuviele
gebaut werden. Wenn an allen Ecken Kiwi feilgeboten werden, so sind
sie in den Augen der Käufer nichts mehr wert, auch wenn ihr Wert für
die menschliche Ernährung in nichts nachgelassen hat.

Die zur Produktion der Waren gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit
und die Nützlichkeit der Waren spricht sich zwar herum, doch erst im
Austausch zeigt sich, ob und wieweit die einzelne Ware einen Nutzen
hat, ob sie die eingesetzte Arbeitszeit wert ist. Was nichts taugt,
nimmt man, wenn es sich herumgesprochen hat, nicht mal mehr geschenkt.
Die Waren müssen im Tausch Gleichwertiges gefunden haben, sie müssen
ihren (Tausch-)Wert bewiesen und realisiert haben, bevor sie verwendet
werden können. Andrerseits müssen sie sich als Gebrauchswerte
bewähren, bevor sie sich als (Tausch-)Werte realisieren können. Aber
erst nach dem Tausch, wobei die Dinge als Tauschwerte aufeinander
bezogen werden, erweist sich das eingetauschte Produkt als tauglich,
zeigt sich sein Gebrauchswert.

Geld und Preis, Fetischismus der Waren
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Persönliche und geburtliche Abhängigkeit, Treue-, Fürsorge- und
Unterhaltspflicht bestimmen heutzutage außer in Familie oder in
persönlichen Partnerschaften nicht mehr, wem welche und wieviele
Produkte zugute kommen, sondern das sachliche Kriterium einer
gleichwertigen Gegenleistung für das hergestellte Ding, für das
verwahrte Produkt. Jedoch: Wieviel Sack Weizen für einen Kupferkessel?
Wieviele Denare, Schillinge, Euro für einen Sack Weizen und wieviele
für den Kupferkessel? Oder für Kaffee, Schuhe, Kerzenständer oder
Zahnpasta. Oder für Bohrmaschinen, Gabelstapler, Kinderwagen? Was tut
man, was gibt man dafür, was ist es einem wert, Kaffee trinken zu
können? Für welches Angebot gibt der Produzent seinen Kaffee preis
oder muß er ihn preisgeben?

Jeder Warenbesitzer will seine Ware nur veräußern gegen andre Ware,
deren Gebrauchswert sein Bedürfnis befriedigt. ... Aber andrerseits
will er seine Ware als Wert realisieren, also in jeder ihm beliebigen
andren Ware von demselben Wert, ob seine eigne Ware nun für den
Besitzer der andren Ware Gebrauchswert habe oder nicht.

so gilt jedem Warenbesitzer jede fremde Ware als besonderes Äquivalent
seiner Ware, seine Ware daher als allgemeines Äquivalent. Da aber alle
Warenbesitzer dasselbe tun, ist keine Ware allgemeines Äquivalent und
besitzen die Waren daher auch keine allgemeine relative Wertform,
worin sie sich als Werte gleichsetzen und als Wertgrößen vergleichen.
... Die Gesetze der Warennatur betätigten sich im Naturinstinkt der
Warenbesitzer. Sie können ihre Waren nur als Werte und darum nur als
Waren aufeinander beziehn, indem sie dieselben gegensätzlich auf
irgendeine andre Ware als allgemeines Äquivalent beziehn. ... Aber nur
die gesellschaftliche Tat kann eine bestimmte Ware zum allgemeinen
Äquivalent machen. Die gesellschaftliche Aktion aller andren Waren
schließt daher eine bestimmte Ware aus, worin sie allseitig ihre Werte
darstellen. Dadurch wird die Naturalform dieser Ware gesellschaftlich
gültige Äquivalentform. ... So wird sie - Geld.

Der Geldkristall ist ein notwendiges Produkt des Austauschprozesses,
worin verschiedenartige Arbeitsprodukte einander tatsächlich
gleichgesetzt und daher tatsächlich in Waren verwandelt werden. Die
historische Ausweitung und Vertiefung des Austausches entwickelt den
in der Warennatur schlummernden Gegensatz von Gebrauchswert und Wert.
Das Bedürfnis, diesen Gegensatz für den Verkehr äußerlich
darzustellen, treibt zu einer vollständigen Form des Warenwerts und
ruht und rastet nicht, bis sie endgültig erzielt ist durch die
Verdopplung der Ware in Ware und Geld. In demselben Maße daher, worin
sich die Verwandlung der Arbeitsprodukte in Waren, vollzieht sich die
Verwandlung von Ware in Geld.

(MEW 23, S. 101f.)

Die Teilung der Arbeit in unabhängige Privatarbeiten oder besser: die
bloße Anhäufung unabhängiger Privatarbeiten verwandelt die
Arbeitsprodukte in Waren und macht dadurch ihre Verwandlung in Geld
notwendig (S. 122).

Nach diesem Ausflug zu Marx eine seiner Fußnoten: Danach beurteile man
die Pfiffigkeit des kleinbürgerlichen Sozialismus, der die
Warenproduktion verewigen und zugleich den `Gegensatz von Geld und
Ware?, also das Geld selbst, denn es ist nur in diesem Gegensatze,
abschaffen will. Ebensogut könnte man den Papst abschaffen und den
Katholizismus bestehen lassen. (Fußnote S. 102)

Erst in vollständig entwickelter Warenproduktion wird einsichtig, daß
die unabhängig voneinander betriebenen, aber als naturwüchsige Glieder
der gesellschaftlichen Teilung der Arbeit allseitig voneinander
abhängigen Privatarbeiten fortwährend auf ihr gesellschaftlich
notwendiges Maß gestutzt werden, weil in den zufälligen und stets
schwankenden Austauschverhältnissen der Produkte die zu deren
Produktion gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit von den
Austauschenden gewaltsam wie ein Naturgesetz durchgesetzt wird (S.
89). Nur vermittels der Entwertung oder Überwertung der Produkte
werden die Produzenten mit der Nase darauf gestoßen, was und wieviel
davon die Gesellschaft braucht oder nicht braucht. (Friedrich Engels,
Vorwort zu Marx: Elend der Philosophie, MEW 4, S. 566). Der Preis
einer Ware kann deshalb von ihrem Wert abweichen. Die Preisform der
Waren ist einer Produktionsweise angemessenen, worin sich die Regel
nur als blindwirkendes Durchschnittsgesetz der Regellosigkeit
durchsetzen kann (Marx: Das Kapital, MEW 23, S. 117).

Gesellschaftlicher Zusammenhang, Versachlichung, Entfremdung und Warenfetischismus
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Trotz Unabhängigkeit und Isoliertheit der Arbeiten bleibt die
Produktion jedes einzelnen abhängig von der Produktion aller andern:
Das eigne Produkt, die eigne Tätigkeit werden nur nützlich, wenn
ausgetauscht, wenn fremder, nicht der eigne Bedarf befriedigt wird.
Umgekehrt wird der eigne Bedarf durch ein fremdes Produkt befriedigt,
das nur im Tausch gegen eignes gewonnen werden kann. Dieser
gesellschaftliche Charakter der Tätigkeit, diese gesellschaftliche
Form des Produkts und dieser Anteil des Individuums an der
gesellschaftlichen Produktion - auch des produzierten Abfalls, denn
das Produkt von heute ist der Müll von morgen - erscheinen in der
heutigen, voll entwickelten kapitalistischen Gesellschaft nicht mehr
als das persönliche Verhalten der Individuen gegeneinander, sondern
als ihnen gegenüber Fremdes, Sachliches, als ihr Unterordnen unter
Verhältnisse (z. B. Lohnarbeit), die unabhängig von ihnen bestehen und
aus dem Anstoß der gleichgültigen Individuen aufeinander entstehen.
Diese wechselseitige und allseitige Abhängigkeit der Individuen bildet
ihren heutigen gesellschaftlichen Zusammenhang, ausgedrückt - wie Marx
betont - im Tauschwert oder, wenn man ihn isoliert und
individualisiert, Geld. Erst darin wird Tätigkeit oder Produkt eines
jeden Individuums eine Tätigkeit und ein Produkt für es selbst. Der
gesellschaftliche Charakter zeigt sich auch hinterrücks über die Natur
der verbrauchten Waren: Der Gebrauch der Produkte verwandelt sie zu
Müll, einer plötzlich global und gemeinschaftlich zu tragenden Last.
Die mit dem erzeugten Kohlendioxid verbundene globale Klimaveränderung
liefert ein schlagendes Beispiel.

Die Warenwelt findet mit dem Geld ihre fertige Form. Eine Sache, das
Geld in der Tasche, gibt die Macht, sich ein Produkt anzueignen und
sich einen Dienst erweisen zu lassen. Diese Geldform verschleiert in
einer sachlichen Weise den gesellschaftlichen Charakter der
unabhängigen, isolierten Arbeiten und daher die gesellschaftlichen
Verhältnisse der Privatarbeiter, statt sie zu offenbaren (MEW 23, S.
90). Wer im Supermarkt Kaffee einkauft, muß nichts vom Job all derer
wissen, die für den Kaffee sorgten. Geld genügt. Und kaum einer dieser
Leute, die den Kaffee vom Strauch zum Bauch schaffen, weiß etwas vom
Job des andern auf dieser Strecke. Man hat mit jenem Landarbeiter
nichts zu schaffen, dessen Arbeit man sich zu Hause als Tasse Kaffee
einverleibt, was trotzdem nicht ohne eigenes Zutun abgeht. Dieses
Zutun - das bezahlte Geld - kommt umgekehrt abstrakt, unpersönlich,
fremdartig, nüchtern-sachlich jenen Stellen zugute, wo der Kaffee
geerntet, transportiert, geröstet und vakuumverpackt wird. Ob es dort
diejenigen Menschen sind, die zuvor Erzeugung und Lieferung des
Kaffees besorgten, ist bedeutungslos. Auch wer Benzin tankt, muß
nichts vom Job des Ölarbeiters wissen. Auch hier genügt Geld, aber die
Macht des Geldes ist gesellschaftlich. Auf ungültige oder unbekannte
Währung wird nichts gegeben, so als spräche man eine fremde Sprache.
Und mancherorts ist man mit seiner Kreditkarte arm dran.

Diese Versachlichung des gesellschaftlichen Charakters der
Privatarbeiten ist gepaart mit einer Entfremdung: Die Produkte werden
für einen fremden, unbekannten Gebrauch gefertigt. Das Produkt wird
den Produzenten entzogen, es bleibt nicht ihr Eigentum, es wird ihnen
fremd, es wird abtransportiert. Die Produktion wird dem Erwerber des
Produkts fremd und gleichgültig, er tauscht das Produkt eines Fremden
ein, auf das er mehr oder weniger zufällig stößt:

Das Wertverhältnis der zu Waren gemachten Arbeitsprodukte hat mit
deren physischer Natur, den daraus entspringenden dinglichen und
persönlichen Beziehungen der Produktion sowie mit ihren
Gebrauchswerten nichts zu schaffen. Das Wertverhältnis erfüllt die
Produkte der menschlichen Hand scheinbar mit einem eignem Leben, läßt
sie als scheinbar selbständige Gebilde untereinander und mit den
Menschen in ein Verhältnis treten. Barbie und Tamasgotchis geben dem
einen skurrilen und absurden Ausdruck. Das gesellschaftliche
Verhältnis der Menschen nimmt die Form eines Verhältnisses von Dingen
an: Ich und mein neuer Fernseher, für den ich mein gutes Geld gegeben
habe. Marx nennt dies den Fetischismus, der den Arbeitsprodukten
anklebt, sobald sie als Waren produziert werden, und der daher von der
Warenproduktion unzertrennlich ist (S. 86, 87).

Warenproduktion, Produktivkräfte, Gesellschaftsformation
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Die Warenproduktion und Handel konnten in der Vergangenheit nur in dem
Maß ausgedehnt werden, wie die Mittel dazu vorhanden waren, - und wenn
es zunächst Waffen und Festungswerke waren. Die Eroberung der Sachsen
durch Karl d. Gr., Englands durch Wilhelm den Eroberer und Ostpreußens
durch den Deutschen Ritterorden dienten diesem Zweck. Die
mittelalterliche Produktion konnte ein natürliches Maß, bestimmt durch
die Kräfte von Menschen, Tieren und einfachen Segelschiffen nicht
übersteigen.

A broad-wheeled waggon, attended by two men, and drawn by eight
horses, in about six weeks time carries and brings back between London
and Edinburgh near four ton weight of goods. In about the same time a
ship navigated by six or eight men, and sailing between the ports of
London and Leith, frequently carries and brings back two hundred ton
weight of goods. Six or eight men, therefore by the help of
water-carriage, can carry and bring back in the same time the same
quantity of goods between London and Edinburgh, as fifty broad-wheeled
waggons, attended by a hundred men and drawn by four hundred hoarses.

(Adam Smith, a.a.O. Chap. III, S. 24)

Mit großen, hochseetauglichen Schiffen im Verkehr mit den Kolonien und
mit Wind- und Wasserkraft zum Antrieb von Maschinerie (Mühlen,
Hammer-, Säge- und Bohrwerke) änderte sich dies. In einer Werkhalle
konnten jetzt mehrere, auch schwere, von Hand kaum zu bewegende Geräte
aufgestellt und "betrieben" werden. Die Dampfmaschine ermöglichte eine
weitere Zentralisierung und Spezialisierung der Produktion in großen
Produktionsstätten. Die Produktpalette dieser Werke war schmal, die
Stückzahl aber groß. Die Produkte konnten weder dem Unterhalt der
Produzenten noch einer Herrschaft dienen. Die Produkte waren, um ihre
Verwender zu finden, in den Handel zu werfen, der wiederum nach großen
Transportmitteln, Umschlagsystemen und Wegen verlangte. Die
Gesellschaft entwickelte die Antriebs- und Transporttechnik bis hin zu
Elektrizität, Eisenbahnen, Motorschiffen und Flugzeugen, sie erneuerte
die angetriebene Maschinerie und die Werkstoffe, sie entwarf neue
Produktlinien und dehnte die industrielle Warenproduktion auf jedwede
Utensilie bis hin zum Wäschekorb aus Plastik, zur Zinkpille als
Nahrungsergänzung und zur elektrischen Zahnbürste aus: Die
Warenproduktion hat ebenso wie der Verbrauch an Ressourcen in der
heutigen kapitalistischen Gesellschaft einen Höhepunkt erreicht. Die
Dinge werden nicht mehr als unmittelbare Subsistenzmittel einer
kleinen Gruppe von Menschen oder als Tributleistung hergestellt.
Alles, was sich technisch und gewinnbringend zu Waren machen läßt,
wird zur Ware.

Bereits vor 150 Jahren resumierte Marx:

Die sozialen Verhältnisse sind eng verknüpft mit den Produktivkräften.
Mit der Erwerbung neuer Produktivkräfte verändern die Menschen ihre
Produktionsweise, und mit der Veränderung der Produktionsweise, der
Art, ihren Lebensunterhalt zu gewinnen, verändern sie alle ihre
gesellschaftlichen Verhältnisse. Die Handmühle ergibt eine
Gesellschaft mit Feudalherren, die Dampfmühle eine Gesellschaft mit
industriellen Kapitalisten.

(Das Elend der Philosophie, MEW 4, S. 130)



Die Informatisierung der Warenproduktion[3]
===========================================

Mit der Ausdehnung der Warenproduktion konnten die Konstruktion und
Steuerung der Maschinerie, die Planung großer Gebäude, das
innerbetriebliche Wirtschaften und die Verbindung der Unternehmen zum
Markt nicht mehr bloß in den Köpfen der Menschen abgewickelt werden,
sondern mußten einen nachvollziehbaren, mitteilbaren, dauerhaften
Niederschlag finden.

Daran lassen sich drei Hauptlinien aufzeigen, die zur
Informatisierung, d. h. zur technischen, digitalen Speicherung,
Übermittlung und Verarbeitung von Information, zu dieser
weltumspannenden einzigartigen Informations- und
Kommunikationsmaschine geführt haben:

Die industrielle Produktion benötigt industriell hergestellte
Maschinen, deren bewegte Teile schneller als bei Handbetrieb laufen:
die Verschleißfestigkeit muß höher sein, auftretende Kräfte erfordern
hohe Paßgenauigkeit der Einzelteile, Stahl als Material wird nötig,
seine Formgebung ist langwierig. Die Herstellung liegt in vielen
Händen, die Übersicht in vielen Köpfen. Das verlangte nach
sorgfältiger, d. h. geplanter und berechneter Konstruktion. Die
Produktion, schon immer in den Köpfen der Produzenten gespiegelt,
mußte nicht zuletzt wegen der Beschränktheit eines Individuums ein
äußerliches, produziertes, dokumentiertes Spiegelbild in technischen
Zeichnungen und Beschreibungen finden. In der Lochstreifensteuerung
für Webstühle hat Jaquard zum ersten Mal eine technische Beschreibung,
nämlich die eines Webmusters, informatisiert, was später
beispielsweise in der numerischen Steuerung von Maschinen fortgesetzt
wurde. Die realitätsnahe Simulation von Crash-Tests für eine am
Computer entworfene Karosserie möge den erreichten Stand der
Informatisierung bei der Konstruktion verdeutlichen. Künftig soll ein
einheitliches, computergestütztes "Wissensmanagement" großtechnische
Anlagen in ihrem gesamten Lebenszyklus von der Planung bis zum Abriß
begleiten.



Die mittelalterlichen Kaufleute wußten um Überschüsse hier und
Bedürfnisse dort und um Mittel und Wege, um beides zu verbinden: Durch
ihr persönliches Wirken, ihre Reisen stellten sie den Zusammenhang und
den gesellschaftlichen Bezug her. Die Händler benötigten und
entwickelten neben dem eigentlichen Verkehr eine rationelle
Kommunikation, eine virtuelle Verbindung des in der Warenproduktion
räumlich, zeitlich und persönlich so weit Auseinanderliegenden. Die
Entfremdung in der Warenproduktion einerseits und der
gesellschaftliche Zusammenhang andererseits bilden einen Widerspruch,
und so wird gleichzeitig mit der Entwicklung dieser Entfremdung und
auf ihrem eignen Boden versucht, sie aufzuheben: Preislisten,
Wechselkurse, Verbindungen der Handelstreibenden untereinander durch
Briefe, Telegraphen etc. - die Kommunikationsmittel wachsen natürlich
gleichzeitig -, worin jeder einzelne sich Auskunft über die Tätigkeit
aller andren verschafft und seine eigne danach auszugleichen sucht. D.
h., obgleich die Nachfrage und Zufuhr aller von allen unabhängig vor
sich geht, so sucht sich jeder über den Stand der allgemeinen
Nachfrage und Zufuhr zu unterrichten; und dies Wissen wirkt dann
wieder praktisch auf sie ein. (Marx: Grundrisse. MEW 42, S. 94) Die
Kommunikation wird mit Beginn der industriellen Produktion selbst
industrialisiert: Optische Signalstrecken, Verkabelung von
Kontinenten, Meeren, Ozeanen unter teils abenteuerlichen Umständen
[4]. Telegraph und Fernschreiber markierten erste Schritte zu einer
Informatisierung der Kommunikation. Im Weltmarkt hat sich der
Zusammenhang des einzelnen mit allen, aber auch zugleich die
Unabhängigkeit dieses Zusammenhangs von den einzelnen selbst zu einer
solchen Höhe entwickelt, daß seine Bildung zugleich schon die
Übergangsbedingung aus ihm selbst enthält. (Hervorhebung bei Marx, S.
94, 95) Die erreichte Unabhängigkeit dieses Zusammenhangs von den
Individuen und seine Versachlichung, das ist heute die
Informatisierung der Verbindung von Unternehmen und Markt, wie sie in
dieser Werbung von IBM ausgedrückt wird: Es muß schon eine starke
Software sein, die den Kunden ihres Kunden mit dem Lieferanten Ihres
Lieferanten verbindet. (Computer Zeitung, 11. Mai 2000).

Der dritte Bereich einer Informatisierung betrifft das betriebliche
Wirtschaften, die Organisierung der Produktion selbst: Buchhaltung der
Finanzen, der Materialien und der Läger, Bestellungen, Pflege, Wartung
und Reparatur von Maschinen, Investitionen, Arbeitsvorbereitung,
NC-Programmierung, Maschinen- und Personaleinsatz, Lohnbuchhaltung.
Dieses innerbetriebliche Wirtschaften berührt sich einerseits mit der
Konstruktion von Geräten und Anlagen, andererseits mit der Verbindung
zum Markt, wenn es um Lieferungen, Bestellungen, Einkauf, Verkauf und
Zahlungen geht. Beginnend mit dem frühen zwanzigsten Jahrhundert
wurden die betrieblichen Vorgänge schrittweise informatisiert, indem
Lochkarten, Adrema und später Buchungsautomaten eingesetzt wurden.
Standardanwenderprogramme, Datenbanken, Geschäftsprozeßmodelle,
Workflow-Systeme und Computer-supported-collaborative-work setzen
diese Entwicklungen heute fort.

Vernetzung pro und contra Tauschwert
====================================

Die Organisierung von Konstruktion, Produktion und Handel war lange
Zeit nur ein notwendiges Zubehör der kapitalistischen
Vervollständigung der Welt. Seit 30 Jahren wird die - weit verstandene
- Organisationstechnik zu einem eigenen, besonderen, enorm wachsenden
Element der kapitalistischen Warenproduktion entwickelt. Die
Möglichkeiten, die drei Zweige Konstruktion, Produktion und
Kommunikation zusammenzuführen und auf eine einheitliche Grundlage zu
stellen, sind erheblich gestiegen - und sie werden genutzt. "Im
heutigen globalen Wettbewerb ist das Wissen in seiner Relevanz für die
Wettbewerbsfähigkeit nicht mehr zu überbieten. Das richtige Wissen zur
richtigen Zeit am richtigen Ort kann heute den entscheidenden
Wettbewerbsvorteil bringen. Da diese Umstände jedoch nur selten
gegeben sind, gilt es, aus Datenbanken, Online-Diensten, Inter- und
Intranet das relevante Wissen herauszufiltern und zusammen mit dem
unternehmensinternen Erfahrungs- bzw. impliziten Wissen in
Wissensdatenbanken zugänglich zu machen," wirbt die Management Circle
GmbH im Mai 2000 für eine Schulung, wo auch der "Head of Intranet" der
Deutschen Bank referieren soll. "Pures Gold wert," liest man an
anderer Stelle, "sind die Informationen, die Datenmineure aus dem
Internet filtern." Vernetzung soll Produktion und Absatz von
Tauschwerten stützen, Vorteile im Wettbewerb einbringen, also
isoliertes, privates und trotzdem bedarfsgerechtes, auf die
Gesellschaft gerichtetes Produzieren ermöglichen. Obgleich alles dies
auf dem gegebnen Standpunkt die Fremdartigkeit nicht aufhebt, so führt
es Verhältnisse und Verbindungen herbei, die die Möglichkeit, den
alten Standpunkt aufzuheben, in sich einschließen. (MEW 42, S. 94)

Nach diesem Rückblick auf Marx kann man wieder "online gehen":
Unternehmen verbinden sich elektronisch mit Kunden, Verbrauchern,
Konsumenten, und zwar gleichgültig, ob es individuelle Endverbraucher
oder andere Unternehmen sind, bei diesen wiederum gleichgültig, ob die
in der technischen Kommunikation vermittelten Produkte als
Betriebsmittel oder als Vorprodukte in der weiteren Fertigung genutzt
werden. Wettlauf um Kunden, Customer-relationship-management,
Manufacturing-on-demand, Katalogmanagement, Kundenfocus als
Wettbewerbsfaktor sind einige der Stichworte, unter denen weitere
Vernetzung angesagt ist, die auch Lieferanten mit einbezieht, wo als
weitere Stichworte genannt werden: Industriestandards für den
Datenaustausch wie etwa CORBA, Supply-chain-management, Lieferung
just-in-time und just-in-line, unternehmens- und
lieferantenübergreifende Geschäftsprozesse, integrierte Vertriebs-,
Produktions- und Logistikprozesse, Supply-chain-management, E-commerce
mit business-to-business und business-to-customer und schließlich
virtuelle Unternehmen.

Etwa 1972 ist diese Entwicklung im zivilen Bereich mit dem
Bankensystem SWIFT in Gang gekommen. SWIFT ermöglichte es den Banken,
den Rhythmus im internationalen Zahlungsverkehr, der heute bei einer
halben Stunde liegt, auf unter einen Tag zu verkürzen. Kurz danach
wurde das Abkommen von Bretton Woods zur Kontrolle des internationalen
Kapitalverkehrs aufgegeben. Einerseits führten die Schulden der USA,
die diese zur Finanzierung des Vietnamkrieges machten, zu einem
andauernden Abfluß ihrer Goldbestände. Andererseits hätte jene
Kontrolle das Kapital an der technisch ermöglichten schnelleren
Zirkulation gehindert. Dieser Trend, die Zirkulation zu beschleunigen
oder das in der Zirkulation gebundene Kapital zu vermindern (und
dadurch die Profitrate zu steigern), wurde in den folgenden Jahren mit
Hilfe der Datenverarbeitung erheblich verstärkt. Beispielsweise bindet
ein großes Lager Kapital und birgt die Gefahr, daß Lagerbestände
unbrauchbar und das in ihnen vergegenständlichte Kapital entwertet
werden. Bei hohen Lagerbeständen sind Produktion und Verbrauch nicht
aufeinander abgestimmt.



Zum anderen führt die durch Vernetzung bewirkte Verkürzung der
Innovationszyklen zu einer Verschärfung des Wettbewerbes. Es entsteht
ein sich selbst verstärkender Prozeß, da der so verschärfte Wettbewerb
wiederum eine Tendenz zu stärkerer Vernetzung auslöst: Die
Wettbewerber suchen einen zeitlichen Vorsprung gegenüber den sich auch
vernetzenden Konkurrenten (...) zu erzielen.[5]

Der hierin ausgedrückte Widerspruch geht noch viel tiefer: Die
Unabhängigkeit der unabhängig betriebenen Privatarbeiten soll durch
Information und Kommunikation zurückgedrängt werden, ohne die
Privatheit aufzuheben. Die Privatheit und die mit ihr verbundene
Konkurrenz verlangen umgekehrt darnach, Information zurückzuhalten,
nicht alles Wissen preiszugeben, um die Unabhängigkeit zu wahren. Als
Arbeitnehmer werden die Menschen in den Betrieben zunehmend darauf
geschult, das Wie und Was der Produktion kooperativ zu klären und auf
technisch gespeicherte Information zurückzugreifen. Als individuelle
Konsumenten sollen sie sich mit halber Sache zufriedengeben, obwohl
sie nur ein Paßwort weit von der Gebrauchsinformation entfernt sind.
In fusionierenden Unternehmen wird die Informationsbasis mit großem
Aufwand vereinheitlicht; fremde Datenbestände sollen mit einem Mal
zugänglich und genutzt werden. Beim outsourcing läuft es umgekehrt:
Was gestern gemeinsame Information war, darf heute dem früheren
Kollegen nicht mehr zugänglich sein. Die Konkurrenz der Kapitale wird
seltsame Blüten treiben.



Dieser Trend wird solange anhalten, solange die Zirkulationszyklen
verkürzt, durch ein Mehr an Produktinformation Marktanteile gewonnen
und durch Serviceinformation Kunden gehalten werden können - und bis
jeder am Internet hängt. Weil gerade in Schwellen- und
Entwicklungsländern die Versorgung mit Telefonen weit unter dem
Standard der Industrieländer liegt, ist mit solch milliardenschweren
Investitionen (Satellitentelefonie, W. G.) dennoch ein Geschäft zu
machen.[6]

Die Informations- und Kommunikationstechnik wird nolens volens in
Richtung Aufhebung der Warenproduktion entwickelt. Nolens - weil die
Macher dieser Technik die Aufhebung der unabhängig voneinander
betriebenen Privatarbeiten und der Warenproduktion nicht im Sinn
haben, sondern nur für sich selbst perfektionieren wollen. Volens -
weil die Macher ideologisch, praktisch und technisch alles zu dieser
Aufhebung vorbereiten und aufgrund der ökonomischen Zwänge gar nicht
anders können: die private Perfektionierung der Warenproduktion durch
Vernetzung wird Ware und allen Konkurrenten gleichermaßen zugänglich.

Die Produktion von Tauschwerten ist darin noch nicht aufgehoben. Im
Gegenteil, man bemüht sich "nur" um ihre Vervollkommnung. Es fließt
also nach wie vor Geld, "natürlich" elektronisches Geld, leichter
herzustellen - und auch zu fälschen - als Banknoten. "Natürlich" will
der Konsument im Internet Information finden: Stadt- und Fahrpläne,
Hotelführer für seine Reisen, Kochrezepte, Gesundheitsdaten und
medizinische Beschreibungen. Der Konsument surft zur Schnäppchenjagd
über den Globus: Wo sind heute Laptops am billigsten? Wo auf der Welt
findet man ein bestimmtes Produkt, etwa das vermaledeite Lämpchen für
die Hintergrundbeleuchtung eines Flüssigkristalldisplays, das seinen
Geist aufgegeben hat? Gibt es einen Testbericht für ein bestimmtes
Produkt, eine genauere Beschreibung des Produkts? Ist eine
Aufbauanleitung zu finden? Wer sind die Konstrukteure? Ließe sich mit
ihnen über eine konstruktive Änderung verhandeln? Das sind einige
Fragen, die die Konsumenten an das Internet stellen, zum großen Teil
noch sehr spontan, individualistisch, untrainiert im Umgang mit diesem
Medium, aber dauernd die Grenzen ertastend und darüberhinaus drängend.
Man fragt eine anonyme, universelle Fachmaschine, die maschinell
antwortet, und man bestückt sie - freiwillig oder auch unwissend - mit
eigener Information.

In der Freizeit wird sich der Umgang mit dem Netz prinzipiell nicht
von dem während der Arbeitszeit unterscheiden. Zwar sind die Zugänge
in der Freizeit zu bestimmten Informationen aus der Produktion derzeit
beschränkt, aber nur weil die Produktion zwanghaft privat, isoliert,
unabhängig von der Gesellschaft gehalten wird, weil die Produktion
Tauschwerte hervorbringen soll, die zuerst einmal - dummerweise - erst
ihren Wert realisieren, verkauft werden müssen, bevor sie brauchbar
werden. Andererseits wird in den Betrieben, in der Organisation der
Produktion vermöge Vernetzung alles unternommen, um die Produktion
äußerst zweckmäßig zu gestalten: Kein Teilprodukt wird als Wert auf
einen innerbetrieblichen Markt geworfen, um seinen Wert zu
realisieren, sondern es ist ein geplantes Stück des Ganzen, das in dem
Ganzen verwendet, eingefügt, konsumiert wird. Die Tätigkeiten der
Produzenten sind ganz auf diese Verwendbarkeit hin organisiert. Im
Supply-chain-management führen Organisation und Planung über den
Betrieb hinaus bis zu den Zulieferern einschließlich des Entwurfs
extern zu produzierender Teile und des sie umfassenden Ganzen.

Diese Vorgänge sind hochgradig informatisiert, das heißt digital und
vernetzt. Sicherlich ist diese Vernetzung noch nicht vollständig, aber
die Konkurrenz um die Realisierung der Tauschwerte erzwingt es, diese
Vernetzung ständig zu erweitern und bis in den Freizeitbereich zu
öffnen. Wenn die Individuen als Produzenten die Informatisierung
vervollständigen und vollständig nutzen sollen, um konkurrenzfähige
Tauschwerte zu produzieren, so werden die Individuen als Konsumenten
mittels der Vernetzung günstig an günstige Tauschwerte heran kommen
wollen. Oder, wie Thilo Weichert in Bezug auf die Grundrechte
schreibt: Es geht vor allem um die Neudefinition der sozialen Rollen
der Menschen in einer neuen informationstechnisch global gewordenen
Umwelt. Informationelle Selbstbestimmung setzt Zugang zu Informationen
und deren demokratische Nutzung voraus. (Grundrechte in der
Informationsgesellschaft - vergiss es? In: Datenschutz Nachrichten
1/2000, 5-7)

Die Tätigkeiten aller einzelnen bilden den Weltmarkt, der sich
gegenüber dem einzelnen mit der Fortentwicklung des Tauschwerts und
seiner Geldverhältnisse verselbständigt hat. Die Konsumierenden und
Produzierenden werden unabhängiger und gleichgültiger zueinander,
während Produktion und Konsumtion zusammenhängender und abhängiger
werden. Virus-Attaken im Internet und die Möglichkeiten eines
Information-war unterstreichen den hergestellten Zusammenhang und die
persönliche Gleichgültigkeit. Der Zusammenhang ist durch und durch
materiell und findet in der Vernetzung ein virtuelles Spiegelbild, das
zugleich einen ganz materiellen Apparat bildet: Der Zusammenhang wird
technisiert, mechanisiert, maschinisiert; er wird ein allseits
zugängliches, ein allgemeines und gleichzeitig ein einziges Gerät.
Zusammen mit den Transportmitteln ergeben sich neue
Verkehrsverhältnisse, die auf den Punkt zuführen könnten, von dem an
nicht mehr einsichtig ist, warum isoliert, unabhängig voneinander und
aneinander vorbei produziert werden soll, obwohl die Produktion
sichtlich vernetzt ist, obwohl die Pflege der "Customer-relationship"
auch die Konsumtion mit der Produktion verbindet sowie Konsumenten und
Produzenten - diese zwei Seiten der Individuen - miteinander
diskutieren läßt. Soll man die Produktion weiterhin in Isolation und
Unabhängigkeit halten und dadurch zufällige und schwankende
Austauschverhältnisse provozieren, wo man andererseits mittels
Informatisierung und Vernetzung der Produktion alles unternimmt, um
diese Zufälle und Schwankungen auszuschließen? Von dem Moment an, wo
diese Frage zu verneinen ist, wird für den Tauschwert die Sinnfrage
gestellt. Oder in Marx? Worten: Es kann also nichts falscher sein, als
auf der Grundlage des Tauschwerts, des Geldes, die Kontrolle der
vereinigten Individuen über ihre Gesamtproduktion vorauszusetzen. (MEW
42, S. 92) Die Produktion von Tauschwerten wird dann keinen Sinn mehr
machen, wenn individuelles, lokales, regionales Wissen sowie die
Darstellung des produktiven Vermögens in einer überall zugänglichen
Informationsmaschine verfügbar sind, wenn jedes Individuum auf diesen
Schatz an Information zugreifen und sich zweckgerichtet mit anderen zu
praktischem Tun verabreden kann - und zur Sicherung seines
Lebensunterhalts auch muß. Virus-Attacken und Information-war dürften
in einer solchen Gesellschaft keine Vorteile mehr einbringen; die
Verursacher würden sich selbst schaden.

Zur Aufhebung der Warenproduktion
=================================

Persönliche Abhängigkeitsverhältnisse - zuerst ganz naturwüchsig -
sind die ersten Gesellschaftsformen, in denen sich die menschliche
Produktivität entwickelt, jedoch nur in geringem Umfang und isoliert,
schreibt Marx (MEW 42, S. 91). Diese Verhältnisse wurden, wie eingangs
skizziert, in der Neuzeit aufgelöst. Persönliche Unabhängigkeit, auf
sachlicher Abhängigkeit gegründet, ist für Marx die zweite Form,
gegeben in der kapitalisitischen Gesellschaft, worin sich erstmals ein
System des allgemeinen gesellschaftlichen Stoffwechsels, der
universellen Beziehungen allseitiger Bedürfnisse und universeller
Vermögen gebildet hat (ebd).

Die Notwendigkeit (in der zweiten Form, W.G.), Produkt und Tätigkeit
der Individuen erst in Tauschwert, in Geld, zu verwandeln, und daß sie
erst in dieser sachlichen Form ihre gesellschaftliche Macht erhalten
und beweisen, beweist zweierlei: 1. daß die Individuen nur noch für
die Gesellschaft und in der Gesellschaft produzieren; 2. daß ihre
Produktion nicht unmittelbar gesellschaftlich ist, nicht das Ergebnis
ihrer Assoziation, die die Arbeit unter sich verteilt. Die Individuen
sind unter die gesellschaftliche Produktion subsumiert, aber die
gesellschaftliche Produktion ist nicht unter die Individuen
subsumiert, die sie als ihr gemeinsames Vermögen handhaben. Die
gesellschaftliche Produktion besteht als ein Verhältnis außer ihnen.

(Hervorhebung bei Marx, S. 92)

Innerhalb dieser Form, der auf dem Tauschwert beruhenden Gesellschaft
erzeugt diese sowohl Verkehrs- als auch Produktionsverhältnisse, die
den Schritt auf die dritte Stufe gestatten (S. 93), die Marx so
charakterisiert: Freie Individualität, gegründet auf die universelle
Entwicklung der Individuen und die Unterordnung ihrer
gemeinschaftlichen, gesellschaftlichen Produktivität als ihres
gesellschaftlichen Vermögens, ist die dritte Stufe. (S. 91)

Das folgende ist dieser Marx?schen Prognose über die dritte Stufe
gewidmet, auf der die Produktion von Tauschwerten entfällt. Die
Warenproduktion wird nicht durch Dekret aufgehoben (Das Elend der
Philosophie, MEW 4, S. 159), sondern um dorthin zu gelangen, muß es
Mittel und Wege geben, mit denen man Mängel in der Produktion der
Waren und Kraftakte bei ihrem Austausch vermeiden kann, ohne sich neue
und gröbere Mängel und Kraftakte einzuhandeln. Anderes wäre - nach
Marx - Donquichoterie (S. 93). Will man enttäuschenden Austausch der
Waren vermeiden, so ist zuvor untereinander zu verabreden, was wie und
wozu zu produzieren ist. Diese Planung ist zeitaufwendig und wird nur
in dem Maß geleistet, wie sie möglich ist und wie sich ein Nutzen
erwarten läßt, wie sich ein Vorteil gegenüber weniger verbundener,
isolierter Arbeit einstellt. Die Verabredungszeit gehört zur
Arbeitszeit in der Produktion. In dem Maß, in dem diese
Gesamtarbeitszeit unter derjenigen bei isolierter Arbeit liegt
(einschließlich der Behebung der Schäden, die Zufälle und Konkurrenz
beim Austausch der Produkte hervorrufen), und in dem Maß, in dem die
verabredeten Tätigkeiten zumindest zu gleich nützlichen Produkten
führen, werden solche Verabredungen getroffen. Die Vernetzung scheint,
wie oben dargelegt, auf solche Verabredungen hinzuführen, die Marx den
"Austausch von Tätigkeiten" anstelle von Produkten nannte. Der
Austausch von Tätigkeiten, die durch gemeinschaftliche Bedürfnisse und
Zwecke bestimmt sind, ist kein Austausch von Tauschwerten und schließt
von vorneherein die Teilnahme des einzelnen an der gemeinschaftlichen
Produktenwelt ein. Sein Produkt wird nicht erst in eine besondere Form
- Geld - umgesetzt, um einen allgemeinen Charakter für den einzelnen
zu erhalten. Seine Arbeit ist von vorneherein gesellschaftlich (S.
104, 105), weil mit anderen Individuen verabredet, die sich ihrerseits
mit weiteren verabreden usw:

So naheliegend der Umkehrpunkt der Produktionsweise hier gezeichnet
erscheinen mochte, so schwierig dürfte der Weg sein, der bis dahin zu
beschreiten wäre. Ein virtuelles Unternehmen beispielsweise, verteilt
über den Globus, kann Grandioses planen, konstruieren und dessen Bau
managen: Das größte Flugzeug, den höchsten Wolkenkratzer, die längste
Brücke. Doch alle Operationen im Netz sind virtuell, flüchtig wie ein
Mausklick. Nur die Bauarbeiter, die aus allen Ländern kommen, vermögen
dem virtuellen Unternehmen realen Sinn zu geben, indem sie die Brücke
über den Sund schlagen. Wenn diese Produzenten gemeinsam mit allen
andern Individuen zugleich ihre eignen "virtuellen" Unternehmer wären,
dann könnte man wohl sagen, daß "die Unterordnung ihrer
gemeinschaftlichen, gesellschaftlichen Produktivität als ihres
gesellschaftlichen Vermögens" stattgefunden hat, wenn auch dieses neue
Verhältnis nicht total sein kann, denn die universelle
Informationsmaschine, auf die sich abstützen, läßt sich individuell
immer nur beschränkt, partiell nutzen. Die Individuen können trotz
aller Informiertheit keine absoluten Verabredungen treffen, sondern
nur relativ richtige, einigermaßen zweckmäßige. Ihre verabredeten
Tätigkeiten werden darum zu Widersprüchen führen, die jedoch von
anderer Natur sein dürften, als die Widersprüche, die zu erleben sind,
wenn Tauschwerte post festum gegen einander gerückt werden (vgl. Wolf
Göhring: Informationsurwald).



Gemeinschaftlicher Plan, Dialektik von Abgrenzung und Zusammenhang [7]
======================================================================

Indem sich die Individuen mit anderen verabreden, die sich ihrerseits
mit weiteren verabreden usw:, entwickeln sie einen gemeinschaftlichen
Plan wie Marx ihn verschiedentlich nannte, der Dreh-und Angelpunkt für
die Individuen ist und worin sie sich bewußt gesellschaftlich
betätigen. Der Plan wird inmitten der Gesellschaft erzeugt, er ist in
dieser Weise gesellschaftlich und zentral, nicht zu verwechseln mit
einem zentralistischen oder mit einem totalen Plan. Es genügt nicht,
daß der Plan von einer Gruppe von Individuen stellvertretend für die
andern erzeugt wird, er wäre nicht gesellschaftlich. Kein Individuum
erhält Planvorgaben von anderen, die es zu erfüllen hätte; die einzige
"Vorgabe" resultiert aus seinen eigenen Bedürfnissen. Sie zu erfüllen
muß er sich mit anderen über die dazu notwendigen Tätigkeiten
verabreden.

Im Plan werden Zusammenhänge hergestellt: zwischen individuellen
Tätigkeiten, Produktionsmitteln, Rohstoffen, Einzelteilen, um
Leistungen und Produkte zu erhalten. Beim Entwurf einer Maschine,
Anlage oder eines sonstigen Produkts bezieht sich der Plan vor allem
auf die Gestaltung anhand von Einzelteilen. Bei der Produktion geht es
darum, diese Teile in einzelnen Arbeitsgängen aus einfacheren oder
anderen mit geeigneten Mitteln herzustellen und zusammenzufügen,
darunter können auch chemische Prozesse sein. Beim Austausch fertiger
Produkte werden Käufer und Verkäufer zusammengebracht und das Produkt
vom Ort der Herstellung zum Ort seines Verbrauchs geschafft. In allen
drei Bereichen werden zweckmäßige Zusammenhänge unter Beteiligung der
Individuen hergestellt. Ebenso bestehen zwischen diesen Bereichen
Zusammenhänge: Es wird nicht wild drauflos produziert, sondern
Produkte und Leistungen werden nach einem Konstruktionsplan, nach
einem Entwurf, nach einer Methode realisiert. Und das, was sich auf
dem Markt wiederfindet, wurde nicht zufällig am Wegrand gefunden,
sondern ist Produkt vorangeganger, in sich geplanter Produktion und
Konstruktion.

Der Plan ist, so objektiv er ist, kein einzelnes Objekt, das irgendwo,
wen er fertig ist, auf eine große Tafel gepinnt wird, nach dem sich
dann 6 Milliarden oder mehr Menschen richten wollen. Der Plan kann nur
aus einer Vielzahl einzelner, aber bewußt lose ineinander
verschränkter Teilpläne bestehen, die auch keinesfalls zum gleichen
Zeitpunkt den gleichen Reifegrad haben: Der eine ist soweit fertig,
daß man danach handeln kann, bei dem andern fängt man mit ersten
Überlegungen an. Ein Individuum kann nur das für sich überschaubare
realisieren - woraus Widersprüche zu dem entfernteren entstehen. Diese
Widersprüche können und werden bewußt in Kauf genommen werden, sie
führen zu einer Weiterentwicklung. Entscheidend ist, daß der
verabredete Austausch von Tätigkeiten so viel Sicherheit und Komfort
bietet, daß nicht doch Hoffnung besteht, durch den Austausch fertiger
Produkte etwas besser wegkommen zu können. Die Teilpläne selbst sind
Erzeugnisse, Produkte menschlicher Tätigkeit, aber nicht um diese
Produkte auszutauschen. Pläne machen nur Sinn, haben Gebrauchswert nur
für diejenigen, die sie gemeinschaftlich entwickelt haben und die auf
dieser Grundlage gemeinschaftlich tätig sein wollen.



Zur Illustrierung der Unmöglichkeit eines einzigen, allumfassenden
totalen Plans sei eine Anleihe in der Geometrie gemacht: Jeder kennt
einen Atlas, der auf vielen Kartenblättern die Erdoberfläche zeigt.
Versucht man die Darstellung auf einem einzigen, so geht das nur,
indem man zusammenhängendes auseinanderreißt, ähnlich so wie man eine
Apfelsine schält. Trotzdem kann man die kugelförmige Erdoberfläche
getreu auf ebenem Papier darstellen. Man muß nur darauf verzichten, es
gewaltsam auf einem Blatt zu versuchen; es genügen zwei. Bei
komplizierteren Gebilden wie einer Brezel muß man noch ein paar Blatt
hinzunehmen.[8]

Der Computer wurde zunächst gezielt für die Konstruktion entwickelt:
Konrad Zuse wollte Tragflächenprofile für Kampfflugzeuge berechnen.
John von Neumann ging es um die Berechnung der Kettenreaktion für die
Atombombe. Mit Beginn des Korea-Krieges ließen US-amerikanische
Behörden durchrechnen, ob die Wirtschaft für eine vollständige oder
nur für eine Teilmobilmachung gerüstet wäre. Das Rechenergebnis
lautete auf Teilmobilmachung. Kurze Zeit später entdeckte auch IBM den
Computer als nützliches Produkt und vermarktete ihn für Buchhaltungs-
und Planungsaufgaben. Neben zivilen Anwendungen standen immer auch die
militärischen, zwei Beispiele seien genannt: Im Vietnamkrieg
versuchten die USA ihre Bomberflotten vom Terminal aus zu dirigieren
und die Gefechtsfeldlage auf Bildschirmen und Projektionsleinwänden
(fast) on-line darzustellen. Die BRD lieferte seinerzeit Computer an
die Kriegsmarine der Republik Südafrika, um den gesamten
Schiffsverkehr um das südliche Afrika zu kontrollieren und in ein
System der NATO einzuspeisen - trotz UN-Embargo gegenüber Südafrika.
In beiden Fällen ging es technisch-formal darum, Zusammenhänge durch
Vernetzung sichtbar und kontrollierbar zu machen. Auf der zivilen
Seite entstanden seinerzeit mit dem Bankennetz SWIFT und mit den
Buchungssystemen der Luftlinien die ersten weltumspannenden digitalen
Netze und Informationssysteme - nach Telegrafie und Fernschreiber.

Es ist kein Zufall, daß der Computer und mit ihm die Informations- und
Kommunikationstechnik in den genannten Bereichen so gut einsetzbar
sind. Es geht stets darum, Zusammenhänge zwischen abgegrenzten Dingen
und Personen darzustellen; in vielen Fällen auch die Veränderungen der
Dinge und Zusammenhänge. Der Computer wurde konstruiert, um solche
Verhältnisse darstellen und kalkulieren zu können. Dabei ging es nicht
darum, ein einziges Mal ein bestimmtes Verhältnis darzustellen,
sondern Verhältnisse überhaupt, um bei Bedarf das jeweilige im
Computer durchspielen zu können. Mit Bit und Algorithmus, mit der
großen Zahl an Bits und mit der hohen Rechengeschwindigkeit, mit der
hohen Stückzahl und mit der Vielzahl der Verbindungen ist der Computer
oder - allgemeiner: die Informations- und Kommunikationstechnik die
Technik geworden, um all die skizzierten Planungsaufgaben zu
unterstützen. In Bit und Algorithmus ist die Dialektik von Abgrenzung
und Zusammenhang rein dargestellt, eine Dialektik, die sich in allen
genannten Planungsaufgaben wiederfindet. In der Verbindung mit den
Individuen, die diese Technik entwickeln, produzieren, installieren
und anwenden, haben wir es mit einer neuen Produktivkraft zu tun: Der
Produktivkraft der Planung.

Diese Dialektik verweist auch auf Grenzen. Die Darstellung eines
Zusammenhangs ist ein neues Ding. Offenkundig ist dies an einer
technischen Zeichnung, bei einem Atlas von Karten der Erdoberfläche,
an einem Holzmodell eines geplanten Stadtviertels. Diese
Dinghaftigkeit gilt auch für Modelle im Computer. Aber jedes Ding
steht im Zusammenhang mit dem ROW, "rest of the world". Modell und
Plan können daher aus logischen Gründen nie vollständig sein! In der
Praxis wird der Zusammenhang des Plans mit der Wirklichkeit, der einen
Zusammenhang einer gedachten Wirklichkeit zeigt, durch die tätigen
Individuen hergestellt.



Ein mehr technisches Argument spricht ebenfalls dagegen, übergroße
Pläne machen zu wollen. Nehmen wir das Beispiel des
Handlungsreisenden, der eine Reihe von Städten bereisen will und dazu
die kürzeste Route sucht. Das ist eine typische "kleine"
Planungsaufgabe. In der Praxis zeigt es sich, daß sie sehr "zäh" ist.
Sie ist, wie man mittlerweile weiß, der Prototyp für tausende,
zunächst ganz verschieden aussehende Planungsaufgaben, allesamt aber
ähnlich zäh. Die Aufgabe ist für zwei oder drei Städte banal,
kinderleicht. Bei zehn ist sie tückisch, und bald wird sie praktisch
unlösbar, zumindest kann es bis zum Tod der Enkel des
Handlungsreisenden dauern, bis die optimale Lösung gefunden ist. Der
Rechenaufwand zur Suche der kürzesten Route verdoppelt sich, wenn nur
eine Stadt hinzukommt.[9] Aber, so haben die Tüfftler herausgefunden,
eine Lösung, bei der man zufrieden ist, wenn die Route höchstens
doppelt so lang als die kürzeste wäre, ist schnell gefunden.

Schlußbemerkung
===============

Die skizzierten Zusammenhänge lassen ein Bild erkennen, das sich weit
von den sonst gezeichneten unterscheidet. Die "Zukunft der Arbeit"
sieht anders aus, als wenn sie nur mit Blick auf die Produktion von
Tauschwerten erörtert wird, denn Lohnarbeit und Arbeitslosigkeit
werden entfallen, wenn die Individuen die gesellschaftliche Produktion
"als ihr gemeinsames Vermögen handhaben". Die kapitalistische
Produktionsweise, in scheinbar unbesiegbarer Höhe, produziert in der
Informationstechnik die Mittel ihrer eigenen Aufhebung und animiert zu
Verknüpfungen in der Produktion, die den Tauschwert antiquiert
erscheinen lassen können. Gleichwohl erlaubt das gegebene Bild kein
geduldiges Abwarten, bis die Zeit die Verhältnisse irgendwie neu
geordnet hat. Hunger und Armut, 800 Millionen Arbeitslose und
Unterbeschäftigte, die ökologischen Probleme und die Kriege auf dieser
einen Erde drängen nach Lösungen. Die Widersprüche, mit denen die
kapitalistische Ökonomie jedes Individuum überhäuft, lassen jedes
Individuum nach persönlichen Auswegen suchen. In dieser Weise geht die
Entwicklung naturwüchsig voran.

Zu klären wäre, welche besonderen Zweige der Informations- und
Kommunikationstechnik, welche Anwendungen, welche theoretischen Fragen
besonders zu behandeln wären, um mehr Aufschluß über die skizzierte
Entwicklung zu gewinnen. Dabei wären auch die Bildung, die
Sozialleistungen bei Kindheit, Krankheit und Alter und die
Gesundheitssysteme einzubeziehen. Diese sollten weder in
Übergangsperioden noch späterhin zu Bruch gehen; ihr solidarischer
Charakter muß Bestand haben.



Ausgespart wurden in diesem Papier bürokratische Kontrollstrukturen,
die mit der Informatisierung enorm anwachsen; ebenso die militärische
Informatisierung. Die Gefahr von Monopolisierungen wurde hier nicht
näher behandelt, wenngleich es auch eine Gegenbewegung gibt, indem
sich das Kapital immer wieder aufspaltet, um die profitabelsten
Produktionslinien herauszufinden. Es ist hier auch nichts zu
nachhaltigem Wirtschaften[10], zu den besonderen Bereichen der
Rohstoff- und Nahrungsgewinnung, zu einer notwendigen
Vorratswirtschaft, zu den bestehenden umfassenden Verkehrssystemen wie
Straßen, Bahnen, Luftfahrt, Nachrichtensatelliten geschrieben worden.

Und überhaupt: Wie käme man in einer Gesellschaft, in der es nichts
mehr zu kaufen gäbe, zu einem Paar Socken? Die Skizze möge anregen,
auch solche "weißen Flecken" zu behandeln.

______________________________________________________________________

[1] Vgl. Karl Marx: Das Kapital, Band I, MEW 23, S. 49-118 und ders.:
Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, MEW 42, S. 89-95.

[2] The word value, it is to be observed, has two different meanings,
and sometimes expresses the utility of some particular object, and
sometimes the power of purchasing other goods which the possession of
that object conveys. The one may be called `value in use', the other
`value in exchange'. Adam Shmith, Wealth of Nations, Prometheus Books,
New York 1991, Chap. IV, S. 34,35.

[3] Zu diesem Abschnitt vgl. auch: Peter Brödner: Fabrik 2000:
Alternative Entwicklungspfade in die Zukunft der Fabrik. Edition Sigma
Bohn, Berlin 1985; Andreas Boes: Zukunft der "Arbeit" in der
Informationsgesellschaft. In: Jörg Becker, Wolf Göhring (Hg.):
Kommunikation statt Markt: Zu einer alternativen Theorie der
Informationsgesellschaft. GMD-Report 61, Sankt Augustin 1999, S.
53-66; Wolf Göhring: Informationsurwald. Marxistische Blätter 6-99, S.
57-63; ders.: Entwicklung von Personalinformationssystemen im
Widerstreit von Interessen. Unveröff. Manuskript. Sankt Augustin
1982/1991, 64 Seiten

[4] Werner v. Siemens: Lebenserinnerungen. Reclam, Leipzig 1943.
Erstauflage ca. 1890.; George Kennan: Zeltleben in Sibirien (Tentlife
in Sibiria) Bibliographisches Institut. Leipzig und Wien, ca. 1890.

[5] Peter Buxmann et al., aaO., S. 199

[6] Satelliten im Erdorbit: Telefon, Fernsehen und Aufklärung im
Weltall, Prospekt einer Veranstaltung von Haus der Technik e. V. am
22.6.1999 in München

[7] In diesem Abschnitt schreibe ich erstmals einige Gedanken auf, die
ich schon länger im Kopf hatte. Manches ist deshalb noch etwas roh,
vielleicht auch mißverständlich, vieles sicher auch ziemlich ungenau.
Ergänzender Stoff ist in "Informationsurwald" zu finden, siehe
http://ais.gmd.de/~goehring.

[8] Die erforderliche höhere Mathematik dazu findet man in der
Topologie und Differentialgeometrie.

[9] In der theoretischen Informatik hat man, nachdem man einige
Planungsaufgaben in den Computer gesteckt und explodierenden Aufwand
feststellte, eine Theorie der Komplexität von Rechenaufgaben
entwickelt. Die Aufgabe des Handlungsreisenden gehört in die Gattung
der sogenannten NP-vollständigen Probleme. Ein offenes, mathematisches
Problem ist heute der formelle Nachweis, daß der Rechenaufwand bei
NP-vollständigen Problemen tatsächlich wie oben im Text behauptet,
exponentiell wächst. Ohne daß dieser Beweis vorliegt, geht man heute
aber allgemein davon aus, daß dem so ist. Die Komplexität praktischer
Aufgaben und praktischer Lösungsverfahren wird heute in der Informatik
regelmäßig untersucht, gleichwohl sind diese Fragen "sperrig", d. h.
auch komplex.

[10] In dem Papier "The productive information society: a basis for
sustainability" hat der Autor die skizzierte Entwicklung mit
nachhaltigem Wirtschaften in Verbindung gebracht. Außerdem:
Nachhaltigkeit und Warenproduktion (siehe auch:
http://ais.gmd.de/~goehring)


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Organisation: projekt oekonux.de


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