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Re: [ox] Re: Gewalt



Hi Stefan &alle,

Stefan Merten schrieb gestern:
Ich habe vor vielen Jahren mal mit Freunden eine Definition von Gewalt
entdeckt, die ich zumindest als Ausgangsbasis sehr nützlich fand: Was
Gewalt ist, kann nur das (potentielle) Opfer definieren. Alles andere
macht keinen Sinn.

Diese Definition versagt aber gerade bei struktureller Gewalt.  Diese
wird nämlich oft von den Opfern nicht als Gewalt wahrgenommen, weil
die sich der Zusammenhänge nicht bewusst sind  und/oder  weil sie
gesellschaftlich so konditioniert wurden, die betreffende Gewalt
nicht als Gewalt zu bezeichnen/empfinden.  (Das ist ja gerade der Trick
der Ausübenden von struktureller Gewalt!)
Beispiele: Religion, Steuern, Wehrpflicht.


Natürlich funktioniert diese Definition nur für Wesen, die in der Lage
sind überhaupt irgendwas zu definieren - mithin also z.B. nicht für
die Natur.

Naja, also ein Gnu merkt wohl durchaus, dass die Löwin die hinter ihm
herrennt (bzw. es anfällt), ihm Gewalt antun will (bzw. antut)...
und ein Hirsch, der von einem Rivalen aus dessen Revier hinausgefochten
wird, weiss auch was unter Gewalt zu verstehen ist...

Ausserdem: Menschen sind immernoch Teil der Natur, auch wenn sich einige
da rauszudefinieren versuchen. ;-}


Aber Gewalt und Natur finde ich sowieso ein sehr
schwieriges Begriffspaar. Gibt es in der Natur überhaupt Gewalt oder
macht dieser moralische Begriff nicht nur in einer (menschlichen)
Kultur überhaupt Sinn.

Natürlich gibt es auch bei Tieren (und Pflanzen, Pilzen, Protozoen etc.)
Gewalt.  Nur scheint sie dort auf das "absolut notwendige Mindestmass"
reduziert zu sein:  Zur Nahrungsbeschaffung und "Nachkommenselektion".

Der wesentliche Unterschied zum Menschen ist, dass Tiere (ausser vielleicht
in seltenen Ausnahmen) keine Artgenossen töten -- weder individuell (Mord)
noch organisiert (Krieg); -- das ist auch nicht "nötig", weil die
jeweils zuständigen natürlichen Feinde bzw. der Nahrungsmangel das
erledigen.  Auch Nicht-Artgenossen werden von Tieren _nur_ zur nötigen
Nahrungsaufnahme getötet (Raubtier tötet Beutetier), vom Mensch hingegen
unnötigerweise -- zum Sport (->Jäger(*)) oder zum unnötigen/ungesunden
"Genuss" (->Fleischesser).   Auch Vergewaltigungen scheinen bei Tieren
im Gegensatz zum Menschen höchst unüblich zu sein.

(*) domestizierte Katzen/Hunde bilden hier bezeichnenderweise eine Ausnahme
    -- die Domestizierung und Fütterung lässt sie ihren Jagdtrieb sinnlos
    ausleben:  sie töten Mäuse/Vögel, ohne sie zu fressen.

Auch strukturelle Gewalt gibt's da:  Die Hierarchie in Rudeln ("Hackordnung"),
die Beschränkung auf gewisse Lebensräume/Reviere, das Nahrungsangebot, etc.
-- aber auch dabei ist das "Mindestmass" wohl viel besser eingehalten als
bei den Menschen.



Last week (9 days ago) Christoph Reuss wrote:
(Machen wir uns nichts vor:  Indem wir leben, essen etc., akzeptieren
 wir alle  sogar physische Gewalt als einen Teil unseres Lebensstils !
 Sogar Vegetarier leben auf Kosten von Kleinstlebewesen... [das soll
 jetzt keine Kritik an Veg's sein -- bin ja selber einer ;-} ]
 In der real existierenden Welt (und sogar in der virtuellen ;-})
 kann _niemand_ Gewalt völlig vermeiden... nur versuchen zu minimieren.)

Ganz genau.

Die Frage, die uns hier eigentlich umtreibt scheint mir aber eher:
Wann ist Gewaltausübung legitim?

Oder (im Sinne der Minimierung):  Wann ist Gewaltausübung _nötig_/vermeidbar?


                                  Und da wird's sofort massiv kulturell
und historisch. Die Hexenverbrennung war beispielsweise mal ein
Menschenrecht - damals gab's den Begriff wohl noch nicht -, weil nur
so die unsterbliche Seele der Hexe gerettet werden konnte - nur mal so
als drastisches Beispiel.

Die Hexenverbrennung ist ein "schönes" Beispiel dafür, wie pseudo-
rationale Vorwände (man will "nur das Beste" für die Allgemeinheit
oder gar für die Opfer) für die Durchsetzung von struktureller Gewalt
eingesetzt werden.  Wer denkt, heute seien wir viel weiter, der soll
nochmal denken:  Auch heute werden "Menschenrechte" als Vorwand für
Gewaltausübung missbraucht (z.B. Kosovo-Krieg).  Was sich "massiv
kulturell und historisch" ändert, sind nur Erscheinungsformen, nicht die
zugrundeliegenden Prinzipien.  Daher die zeitlos gültige IAC-Theorie ;-)

( http://www.iac-research.ch/SEF/Papier.html
  -- gemeinsame viktimologische Strukturen bewaffneter Konflikte des
     Zeitraumes von 2885 v.Chr. bis 1973 (also von fast 5 Jahrtausenden) )

Grüsse,
Christoph R


________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


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