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[ox] OpferNutz statt TäterFetz!





   Hallo!

Ich möchte mich über einen Satz, den ich
falsch finde, in euren klugen Diskurs
einmischen und grüße alle Teilis!
Es sei hoffentlich das noch erquickliche in
eurem täglichen Lesepensum.


: "Was Gewalt ist, kann nur das (potentielle)
Opfer definieren."


Man kennt das tatsächlich. In Berlin geht es
seit 2 Jahren wieder mal um Sexismus anhand
eines "Falles". Was das ExPärchen da genau
gemacht hat, ist in den weiteren Kreisen, die
das zog, unklar. Jedenfalls ziehen die
DefinitionsmachtVerfechterInnen ganz gern als
Mob umher, schreiben auf Wände: "Florian, wir
kriegen dich", trillerpfeifen Diskussionen
aus, wo andere sich auf sie einliessen,
fordern lebenslänglichen Ausschluss des
Schurken aus allen linken Zusammenhängen,
boykottieren die Befassung mit denen, die das
nicht so finden, in wirklich allem, was die
so machen, und prügeln -ernsthaft!- auch
gerne mal - irgendwen.
Ganz zufällig hätte ein Übeltäter, selbst ein
tatsächlicher, von der gerechten Rache des
Staates, die schon nicht fortschrittlich ist,
geringeres und fast vollständig ableidbares
zu fürchten, und hätten die eigenen Eltern
eine weit angstfreiere, unprüdere &
großzügigere Sexualität leben können, als es
sich diese so rechten Linken selber zumuten.

Von alten Eltern war sogar zu hören, exakt:
"Opferschutz statt Täterschutz" sei eine
originäre Parole desjenigen Staates, der so
tapfer die ihn so beutelnde jüdische
Weltverschwörung zurückschlug, und auch
ebensogern Verfahrensweisen unklar, und dem
Ermessen im Einzelnen über-ließ.


Wieso eine Forderung, das Opfer möge
bestimmen, wie Schlimmes genau ihm
wiederfuhr, erstmal so fortschrittlich und
richtig klingt, ist einfach: 
-Es gibt keine Zentralvernetzung aller
menschlichen Nervenzellen zum unmittelbaren
Erfahrungsabgleich & das Fühlen ist
Schwerbeschreibliches & Uneinheitliches; die
erlittene Brutalitätsauwirkung kennt
tatsächlich nur der Geschundene.
-Man denkt dabei an vom Gericht gedemütigte
Vergewaltigte
und überträgt das am Erhabenen der beliebten
vollständigen Induktion in 2 Schritten auf
seine eklen Freunde.
-Gilt in diesem ganzen angstmachenden
Unklarheitsterror als heikel böse
unsolidarisch, in irgendeinem, selbst
entferntesten Punkt was gegen Leute zu sagen,
die ansonsten etwa schwarz, verfolgt oder
FrauenLesbe sind.

Man bedaure also, das Erlittene nicht
fortsalben zu können, und gehe, bei was immer
man jetzt macht, tatsächlich vom allgemein
Feststellbaren aus.



META: Zumal das mit dem "Definieren",wenn man
das wirklich tut, und nicht nur so nennt,
allgemein schon bedeutet, einen Begriff
leicht brutal auf möglichst präzise
Stichpunkte zu bringen, alles Überstehende:
das Nichtidentische, abzuschneiden, und sich
über das Gefühl, daß es dann doch nicht so
genau eigentlich passt, wie es bemüht war,
mit der eigenen Spracheleganz und der
Kompliziertheit der Welt zu beruhigen. 
Man hört es selber knacken.
: Was nicht Mathe ist, EXPLIZIERE man. Das
meiste, etwa "Gewalt" ist onehin so ganz
unklar, unbekannt, nie gehört, unverstanden
doch nicht, und in dem noch über alle klaren
Sachen bei Befassung automatisch entstehenden
GigaBabelSprachZerwirrungsSalat kommt man
noch am elegantesten und
punktBegreiflichMachendsten voran, indem man
am Begriff zur Verständigung über genau
etwas, auf gerade das gemeinte Moment
darunter, oder die gute Verwendung, hinweist,
die man gerade haben will, und den
BedeutungsTransporter ansonsten so allbekannt
& unklar läßt, wie er empirisch über alle
Definitionsbemühungen sowieso bleibt.
Man lasse auch, als naheliegendes Beispiel,
die beliebte, aber leider über die Zeiten als
arg Verschiedenes gebrauchte, "Dialektik" im
Schillern ihrer Tradition, verwende sie eben
wie zu erläutern, auf das sie auch kommende
Köpfe mit ihrem irisierenden Geheimnis zum
Beschreiben und tieferen Nachharken anrege.
(detailliertere Haarspalterei zum Definieren:
Adorno: Philosophische Terminologie 1,
lesefreundlichst, ganz vorne.)

Für Objektivität in der Fassung, was eine
einzelne Gewalt so sei!

Fürschtet euch nicht, denn der HERR schmeißt
Baldrian vom Himmel! Danket und verteilet es
unter den Armen.


liebe Grüße, Christine






Stefan Merten wrote:

-----BEGIN PGP SIGNED MESSAGE-----

Hi Christoph, KW, alle!

Ich habe vor vielen Jahren mal mit Freunden eine Definition von Gewalt
entdeckt, die ich zumindest als Ausgangsbasis sehr nützlich fand: Was
Gewalt ist, kann nur das (potentielle) Opfer definieren. Alles andere
macht keinen Sinn.

Natürlich funktioniert diese Definition nur für Wesen, die in der Lage
sind überhaupt irgendwas zu definieren - mithin also z.B. nicht für
die Natur. Aber Gewalt und Natur finde ich sowieso ein sehr
schwieriges Begriffspaar. Gibt es in der Natur überhaupt Gewalt oder
macht dieser moralische Begriff nicht nur in einer (menschlichen)
Kultur überhaupt Sinn.

Last week (9 days ago) Christoph Reuss wrote:
(Machen wir uns nichts vor:  Indem wir leben, essen etc., akzeptieren
 wir alle  sogar physische Gewalt als einen Teil unseres Lebensstils !
 Sogar Vegetarier leben auf Kosten von Kleinstlebewesen... [das soll
 jetzt keine Kritik an Veg's sein -- bin ja selber einer ;-} ]
 In der real existierenden Welt (und sogar in der virtuellen ;-})
 kann _niemand_ Gewalt völlig vermeiden... nur versuchen zu minimieren.)

Ganz genau.

Die Frage, die uns hier eigentlich umtreibt scheint mir aber eher:
Wann ist Gewaltausübung legitim? Und da wird's sofort massiv kulturell
und historisch. Die Hexenverbrennung war beispielsweise mal ein
Menschenrecht - damals gab's den Begriff wohl noch nicht -, weil nur
so die unsterbliche Seele der Hexe gerettet werden konnte - nur mal so
als drastisches Beispiel.

Hier befinden wir uns also mitten im gesellschaftlichen Diskurs - und
der ändert sich halt. Die Frage der Raubkopien / Intellectual Property
Rights / Copyright / Patente ist dabei eine der aktuell heißen Fragen.
Technisch ist es mittlerweile so stinkeinfach geworden Kopien (vor
allem digitaler) Informationen zu ziehen, daß die Sinnhaftigkeit einer
Eigentumsordnung in diesem Bereich mittlerweile massiv in Frage steht.
Hier steht eigentlich eine Neufassung eines ganzen Gedankengebäudes an
- - aber wir rackern uns daran ja schon ab ;-) .

Last week (9 days ago) KXX4493553 wrote:
strukturelle Gewalt ist die
Differenz zwischen den potenziellen und den realen
Verwirklichungsmöglichkeiten von Menschen, die Differenz zwischen dem, was
Menschen an Selbstentfaltung möglich ist, und dem, was für sie möglich sein
könnte, würden sie durch gesellschaftliche (Gewalt-)Strukturen nicht daran
gehindert.

Das ist mal eine gute Definition, dieses schillernden Begriffs :-) .

Andererseits ist natürlich auch das ausgesprochen dehnbar.
Naturgesetze z.B. als Gewalt zu bezeichnen macht irgendwie keinen
Sinn. Wenn mir ein Apfel auf den Kopf fällt, ist das schließlich keine
Gewalt. Aber zu Natur und Gewalt s.o. und das hattest du auch nicht
gesagt.

Dennoch finde ich die Definition auch irgendwie schwierig - es ergeben
sich sofort unzählige Grauzonen :-( . Vielleicht müssen wir es einfach
mit meinen obigen Bemerkungen zur gesellschaftlich-historischen
Bedingtheit von Gewaltdefinitionen zusammennehmen. Dann würde
strukturelle Gewalt bedeuten, daß es eine Einschränkung Einzelner ist,
die unbillig ist - d.h., die ihnen im Rahmen der bestehenden
gesellschaftlichen Definition nicht zukommt. Macht das Sinn?

                                                Mit Freien Grüßen

                                                Stefan

________________________________
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Organisation: projekt oekonux.de


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