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Re: [ox] Konferenz-Beitrag: Warum Freie Software dem Kapitalismus nicht viel anhaben kann - aber vielleicht trotzdem etwas mit



Hallo Stefan Mn., hallo Liste,

Das ist ganz schön viel und sicher kann ich nicht in aller 
Ausführlichkeit auf Deine Einwände eingehen. Bei einigen ist mir 
aber daran gelegen. Ich leg mal los. Damit man noch folgen kann, 
kürze ich den Thread ein wenig (ohne den Sinn zu entstellen, hoffe 
ich). 


Warum Freie Software dem Kapitalismus nicht viel anhaben kann
Oekonux-Vortrag von Sabine und Michael 
=============================================================

Stefan Mn. schrieb:

Ist zwar schon eine ganze Weile her, aber ich hatte mir beim Lesen ein
paar Notizen gemacht, die ich doch noch einbringen will. Viel
wesentliches ist aber schon gesagt worden - na, ich schieb's halt mal
raus.

Ich hoffe, daß ich großzügig genug zitiere, so daß der Kontext noch
erhalten bleibt.

I. Freie Software als `Anomalie'
================================
...
Während Unternehmen versuchen, die traditionellen Intellectual
Property Rights (IPR) mittels technischer Sicherungsinstrumente
(Kopierschutz) auch im Cyberland durchzusetzen und damit eine Art
virtueller Enclosures[2] (Aneignung von Datenland) initiieren,

Nun, das ist zumindest ein wenig unscharf. Was m.E. zunehmend
stattfindet ist die technische Unterstützung von IPRs - genauer: von
Verwertungsinteressen. Das Copyright gibt es aber solange es
proprietäre Software gibt und wird seitdem eingesetzt.

Was ist jetzt genau der Unterschied zwischen meinem

 "traditionellen Intellectual Property Rights (IPR) mittels 
technischer Sicherungsinstrumente
..durchzusetzen" 

und Deinem:

" technische Unterstützung von IPRs -"

"Durchsetzung" und "Unterstützung" ist da der 
Unterschied.....hmmm...

Ich meine nicht, dass das Copyright auch für das Netz erst neu 
geschrieben werden muss, sondern _technisch_  besser gesichert 
werden muss. Im Sinne von: ?Schwach ist nicht das Urheberrecht. 
Schwach sind vielmehr die technischen Möglichkeiten, die immer 
raffinierteren Methoden der Copyrightverletzer zu verfolgen.? (so ein 
Rechtsanwalt in der FAZ). 
Aber das muss man vielleicht wirklich genauer unterscheiden, da 
hast Du wohl recht.


während
zugleich die Staaten Nutzer und Anbieter von frei zugänglichen
digitalen Inhalten illegalisieren, um auch das Cyberland der
herrschenden Rechtsordnung zu unterwerfen,

Wait a minute. Hier setzt ihr "frei zugänglich" mit "legal" gleich -
oder ich verstehe euren Punkt überhaupt nicht :-( . Es gab und gibt
frei zugängliche Inhalte, die illegal angeboten werden. Oder meint
ihr, daß jetzt daran gegangen wird, die Legalität auch durchzusetzen?
Davon ist m.E. wenig zu spüren - vor allem von staatlicher Seite her.

Wenn Napster-User frei zugänglich Musik laden oder 
Programmierer einen Entschlüsselungscode frei zugänglich ins 
Netz stellen, so war das noch eine Weile lang so, dass zumindest 
mir nicht klar war, ob das nun legal ist oder nicht. Ich gehörte auch 
(als begeisterte Napser-Userin) zu jenen, denen man ein 
"mangelndes Unrechtsbewußtsein" vorwerfen kann und hatte das 
Gefühl (wenn ich von Klagen und Hausdurchsuchungen, usw. 
hörte), hier wird etwas "kriminalisiert", was doch eigentlich gar 
nicht kriminell ist - nach meinem Empfinden. Inzwischen musste 
ich mich von Anwälten und diversen Rechtsauslegungen belehren 
lassen, dass die herrschende Rechtssprechung sehr wohl alles 
abdeckt und kein neues Recht speziell für das Internet geschrieben 
werden muss, nur technisch muss mehr passieren. Tja. Wenn ich 
das mal so hinnehme (ich bin ja kein Jurist), habe ich natürlich 
unrecht mit "illegalisieren", weil es ja wirklich illegal ist, was die 
Leute da machen mit unkontrolliertem P2P von Musik und Texten 
und ich habe mich geirrt. Allerdings wundere ich mich dann, wieso 
gerade in den vergangenen Jahren dann doch einiges an neuer 
Gesetzgebung in diesem Bereich rumgebastelt wird. Naja.     

entstehen andererseits
Produkte und Produktionsformen, die sich diesen Enclosures und der
Verwertung (zu) entziehen (meinen?): Die Freie Software.

Dieser Punkt durchzieht euren ganzen Text: Die Freie-Software-Bewegung
meint das gar nicht.

Aber da steht doch auch gar nicht die "Freie Software Bewegung", 
sondern die "Freie Software". Im ganzen Text (nur weil du sagst, 
dieser Punkt zöge sich durch unseren Text durch) kommt das 
Wort "Freie Software Bewegung" nur zweimal vor, beide mal aus 
Zitaten von Dir und Stefan Mz. Das weiß ich schon, dass Oekonux 
nicht für die Freie Software Bewegung spricht, daher habe ich ja 
gerade von "Keinformtheoretikern" und nicht von der "Freien 
Software Bewegung" gesprochen. Ist mir jetzt nicht ganz klar, wie 
Du darauf kommst, dass sich gerade dieser Punkt durch unseren 
Text zieht. 

Aber dennoch ist der Satz grammatisch natürlich saublöd. Wenn 
ich den umdrehe und zusammenziehe, heißt er ja: "Die Freie 
Software meint, sie könne sich der Verwertung zu entziehen". Das 
ist eigentlich Quatsch, weil die Freie Software kann gar nix 
meinen, weil die nicht denkt. Peinlich. ;-)  
 
III. Entgegnungen
=================

BTW: Mir fiel auf, daß dieser Teil eures Artikels leider wesentlich
unsachlicher und polemischer und insgesamt argumentativ schwächer
gehalten war. Mich bringt das jedenfalls nicht vorwärts :-( und
irgendwie habe ich das Gefühl, daß solcher Tonfall eher dazu geeignet
ist, (Schützen)gräben auszuheben :-( .

Hm. "Polemik" ist eine Kritik, wogegen man  - argumentativ - 
wegen ausrichten oder richtig stellen kann. Das ist glaub ich 
Geschmackssache. Aber: Wenn ich Deiner Ansicht nach damit 
(ich finds übrigens gar nicht so polemisch, aber egal) "Gräben 
aushebe", dann wohl nur, weil da einer ist, und das stimmt ja auch, 
inhaltlich gibt es Differenzen - das ist aber doch nicht tragisch, 
man muss die Auseinandersetzung darüber dann nur vom 
Persönlichen trennen, denke ich.

Bei aller Unterschiedlichkeit der genannten Konzepte gibt es einen
gemeinsamen Nenner: Der positive Bezug auf Freie Software. Sei es
Freie Software als Keim einer künftigen nicht-kapitalistischen
Gesellschaft, oder als Keim einer künftigen Wissensgesellschaft mit
kleinem Marktanteil oder freie Software als "sozialistisches
Prinzip" - in allen Überlegungen taucht sie als Hoffnungsträger für
eine irgendwie "bessere" Welt auf. Wie kommt es, dass der Freien
Software eine solch wichtige Vorreiterrolle zuerkannt wird? Erst mal
ist Freie Software nichts als ein Produkt mit spezifischen
Anwendungsprofilen zur Ausführung und Regulation von
Arbeitsprozessen (oder Spielen). Freie Software ist also als
fertiges Produkt, in seinen technischen Eigenschaften von
proprietärer Software in nichts zu unterscheiden.

Siehe oben. Klar, auf der Ebene von Byte-Strömen unterscheidet sich
Freie Software sicher nicht von proprietärer - aber jenseits dessen
ganz sicher.

Deshalb heißt es ja, "als fertiges Produkt". Ich als Laie schnall das 
doch nicht, ob ein Programm "frei" ist oder nicht, wenn ich es 
benutze. Das kann ich doch gar nicht beurteilen (außer es steht 
irgendwo geschrieben). Selbst wenn die Qualität besser ist, weiß 
ich - als Normaluser - nicht, ob das an der Herstellungsweise liegt 
oder an was anderem. 

Was für Freie Programme benutzt ihr denn üblicherweise,
daß sich euer Eindruck herausbilden konnte?

Sicher eine Menge, von denen ich es gar nicht weiß, Protokolle 
und son Hintergrund-Lauf-Kram. Dann muss man ja bei "Freie 
Programme" nochmal unterscheiden, was genau damit gemeint ist, 
oder? Wenn ich Pegasus benutze, dann weiß ich zwar, das ist 
irgendwie "frei", aber ist es auch Quellcode-offen oder nur 
kostenlos, wenn ich mit Linux arbeite, dann weiß ich schon eher, 
dass es "frei" ist, weil es so bekannt ist, usw....Du siehst: Am 
fertigen Programm selbst kann ich es nicht sehen. Aber der Punkt 
ist gar nicht so wichtig, finde ich, weil wir schrieben, in seinen 
"technischen Eigenschaften ..nicht zu unterscheiden"...usw. um 
quasi dramaturgisch dann im Text auf die eigentlichen 
Unterschiede zu kommen.
 
Ich denke schon, daß alleine wegen der höheren Qualität BenutzerInnen
anders mit Freier Software umgehen als mit proprietärer.

s.o. ---- Wenn ich von "BenutzerInnen" rede, habe ich eigentlich 
automatisch immer die Leute im Kopf, die echt keine Ahnung 
haben von Computer, aber zwangsläufig in ihrem Job damit 
arbeiten müssen. Du gehst meistenteils von Dir selbst aus und da 
glaube ich sicher, dass Du mit Deinem Wissen im fertigen Produkt 
Unterschiede zwischen "Freier Software" und proprietärer Software 
wahrnimmst (ich meine _hier_ immer Unterschiede in der 
Funktionalität, nicht im Preis, nicht im Herstellungsverfahren, 
usw.). 

III a) Entzieht sich Freie Software der Verwertung?
---------------------------------------------------

Dass sich "Freie Software" der Verwertung entziehen würde, ist ein
oft gehörtes Argument bei jenen, die der Freien Software
systemsprengendes Potential beimessen: Die Tatsache, dass die GPL
den privaten Eigentumsanspruch verhindert, so das Argument, führe zu
einem "Überfluß" an Freier Software, sie ist jedermann frei
zugänglich und verunmögliche daher die künstliche Verknappung als
Voraussetzung für kapitalistische Verwertung - etwas, was alle haben
können, ist natürlich schwer verkäuflich. In dieser Wahrnehmung wird
offensichtlich "Verkauf" mit "Verwertung" gleichgesetzt.

Das ist natürlich Quark. Verkauf hat mit Verwertung nur in der Regel
was zu tun.

Im Verkauf, das heißt im Austausch (nichts anderes ist "Verkauf", 
der Tausch von Ware gegen Geld), stellt sich erst raus, ob sich ein 
Produkt verwertet oder nicht. Generell war hier der Punkt, worauf 
es ankam: Du kannst die Zirkulation nicht von der Produktion 
trennen, es ist ein Ganzes und wenn sich etwas nicht verkauft, 
heißt es noch lange nicht, dass es sich einer Verwertung 
"entzieht", im Sinne von, dass es sich irgendwie außerhalb des 
Verwertungsprozesses, also der Totalität des Kapitalismus, 
bewegen würde. Das bitte jetzt hier im Zitieren unseres Textes 
nicht auseinanderreißen. Es geht ja auch gleich weiter mit:

"> > Nun ist aber
mit den Schwierigkeiten beim Verkauf nur eine Seite des
Verwertungszusammenhangs `verwundet' und zwar jene, die in der
Zirkulation stattfindet. In der Produktionssphäre kann Freie
Software aber ohne weiteres eingesetzt und zum Bes,tandteil des
kapitalistischen Verwertungsprozesses werden.

"Nur _eine_ Seite verwundet..." - darauf kommt es an.
 
Wenn etwas zum Bestandteil des Verwertungsprozesses wird, bedeutet das
noch lange keine Verwertung. Auch die Luft, die KapitalistInnen wie
ArbeiterInnen arbeiten ist Bestandteil des Verwertungsprozesses, wird
aber nicht verwertet.

Hmm. Und wo liest Du in dem Text raus, dass ich sage, Freie 
Software wird im Produktionsprozess "verwertet"? Jetzt muss ich 
mal kurz selbst zitieren aus unserem Text, also :

"Die Freie Software hat sich zwar nicht verwertet, weil kein Kapital 
dafür aufgewendet wurde, sie bildete in diesem Fall aber die 
Grundlage dafür, dass ein Verwertungsprozeß überhaupt in Gang 
kam."  



Freie Software wird bereits
auf beide Weisen seit längerem verwendet, Tendenz steigend.[11]
Werner Winzerling machte in seinem Vortrag bei der Oekonux-Konferenz
noch einen weiteren Grund für das Interesse gerade von
Computerherstellern an Linux deutlich: da Microsoft ein
Quasi-Monopol für PC-Betriebssysteme besitzt, sei Linux ein
willkommenes Gegengewicht.

Nun, was M$ zu Freier Software unter der GPL meint, dürfte ja
mittlerweile hinlänglich bekannt sein. Von Willkommen keine Spur...
Leider ist Werners Beitrag immer noch nicht da, so daß wir uns nicht
mit ihm auseinandersetzen können :-( .

Hm. Den Einwand verstehe ich nicht. Es war hier von den 
Computerherstellern die Rede, denen Linux willkommen ist, nicht 
von MS. 

III b) Keimform
---------------

Über Freie Software als `Keimform' einer neuen Entwicklung wurde im
Rahmen von Oekonux schon viel debattiert (siehe
http://www.oekonux-konferenz.de/, Subjekt Keimform). Wenn wir diese
Debatten richtig verstanden haben, ist dabei mit `Keimform' ein
neues Prinzip gemeint, das zum einen mit dem bestehenden System
prinzipiell unverträglich ist

Freie Software ist nicht "prinzipiell unverträglich" - sonst könnte es
als Keimform gar nicht im Alten existieren oder nur in kleiner Nische
- - wie BTW die vielen alten Alternativprojekte.

Wenn Freie Software nicht unverträglich ist mit Kapitalismus (und 
diese Ansicht teile ich durchaus), dann ist die Keimform also 
etwas, was sich in den Kapitalismus eingliedert, oder? Aber dann 
verstehe ich wiederum nicht, was die Keimform sein soll, weil es 
soll ja dann doch "das Neue" in sich tragen und aus dem Alten 
herauswachsen, wenn es aber in das Alte hineinwächst, ist das ein 
dem "Herauswachsen" entgegengesetzter Prozess....unsäglich, 
dieses "Keimform", das werde ich wohl nie verstehen, wie genau 
ihr das meint. Das ist aber im Text extra hervorgehoben, dieser 
Zweifel mit "wenn wir diese Debatten richtig verstanden haben".
 
und das zum anderen zum Ausgangspunkt einer
Unterminierung und schließlich einer Überwindung des alten Systems
werden kann. Dass Freie Software zwar einerseits eine `Anomalie' für
das Privateigentumsparadigma darstellt, dass sie aber mit dem alten
System - der Kapitalverwertung - keineswegs unverträglich ist, haben
wir oben zu zeigen versucht. Wie steht es aber nun mit der
Ausbreitung der `Anomalie'? Als Ansatz dafür, wie man der
"kybernetischen Maschine" weitere Bereiche "abtrotzen" könne, wird
auf freie Projekte im Internet verwiesen, wie z.B. freie Literatur,
freie Musik, eine freie Enzyklopädie, usw.

Es geht nicht um "abtrotzen" - das ist eine völlig falsche, letztlich
militaristische Sichtweise.

Ähm. Damit habe ich eigentlich Stefan Meretz zitiert (siehe Zitat 
weiter oben im Text). Trifft also nicht mich, der Militarismusvorwurf.  
;-)

Interessant wird es dann aber beim Hinweis
auf "Freie materielle Güter", dort gäbe es auch schon Projekte, die
versuchen, die Prinzipien Freier Software auf die Produktion
materieller Güter umzusetzen: "Zunächst scheint dies eine
unüberwindliche Hürde, da materielle Güter nicht den Bedingungen der
digitalen Kopie unterliegen." (Merten a.a.O.) Dennoch seien einige
interessante Entwicklungen zu beobachten. Als Beispiel wird OSCar,
die Entwicklung eines Autos, oder die Entwicklung von Entwurfsplänen
für elektronische Schaltungen genannt. In diesem Zusammenhang wird
dann aber wieder darauf verwiesen, dass zur Realisierung dieser
Ideen kommerzielle Firmen den Vorteil hätten, Entwicklungskosten zu
sparen: "So gibt es inzwischen mehrere Projekte, die sich mit dem
Design materieller Güter befassen. Sie entwerfen dabei ein Gut, das
dann von kommerziellen Firmen hergestellt werden kann. Der Vorteil
für eine Herstellerfirma liegt darin, daß sie die Kosten für eine
Produktentwicklung nicht selbst aufbringen muß." (Merten a.a.O.).
Von dem befremdlich wirkenden Umstand abgesehen, dass hier die
Kostenersparnis eines kapitalistischen Unternehmens als "Vorteil"
der Freien Software gepriesen wird, erscheint uns die von Merten als
nur "zunächst" unüberwindlich bezeichnete Hürde vielmehr konstant
unüberwindlich zu sein.

Festzuhalten bleibt: Der Entwicklungsprozeß Freier Software hat nach
und nach immer mehr beFreit. Ob es bei materiellen Gütern
grundsätzlich gehen kann, weiß heute keineR. Aber alleine aus der
Ausbreitungsidee heraus kann es m.E. funktionieren.

Hm. Das ist etwas vage, "aus der Ausbreitungsidee heraus". Und 
mit "beFreit" habe ich noch viel größere Probleme. Das zeigt doch 
auch der Freiheits-Thread in der Liste, dass diese ständige "Frei"-
Terminologie ziemlich haarig ist, vielseitig zu besetzen und sehr 
ideologisch konnotiert.....aber das auszubreiten, geht hier jetzt zu 
weit. Ich belasse es mal bei diesem Einwand.
 
Um nochmal den Vergleich mit dem Übergang zum Kapitalismus zu bemühen:
Eure Argumentation klingt für mich in etwa wie: "Die
Nahrungsmittelproduktion wird aber für immer feudal organisiert
bleiben".

Wie etwas "für immer" sein wird, darüber steht nichts in unserem 
Text, ich würde das wohl auch niemals sagen können wollen, wie 
etwas "für immer" sein oder nicht sein kann. Was in dem Text 
gesagt wird, ist, dass sich Freie Software beobachtbar in den 
Kapitalismus integriert und welches Potential für eine Modifikation 
(nicht Überwindung) der herrschenden Wirtschaftsordnung darin 
liegt. Gerade der letzte Abschnitt übrigens ist stark im Konjunktiv 
gehalten.  
 
Dass Freie Software auf (relativ) breiter Basis produziert werden
kann, hat zur Voraussetzung, dass ihre Produktionsmittel - PC und
Netzzugang - in den entwickelten kapitalistischen Ländern billig zu
haben sind (in den meisten Entwicklungsländern sieht dies erheblich
anders aus). Dass die Produktionsmittel für Freie Software so billig
sind, liegt letzten Endes daran, dass es sich hier um
`Informationsprodukte' handelt: das eigentliche Produkt ist die
Information (das Programm, oder auch der Plan eines Autos),
materiell ist lediglich der Träger der Information. Die Bearbeitung,
Speicherung und das Kopieren von Information sind aber relativ
einfach, mit wenig Material- und Arbeitsaufwand durchführbar und
dadurch billig geworden. Ganz anders sieht es aber bei materiellen
Produkten aus. Ein Auto zu bauen erfordert erheblich "mehr" Aufwand
an Produktionsmitteln (und damit auch an Kosten), als ein
Software-Tool zu programmieren: ein PC steht auf vielen
Schreibtischen, eine Montagehalle mitsamt den entsprechenden
Maschinen kann sich nur eine Autofirma leisten. Insofern findet die
`Keimform' an der Welt der kostenaufwendigen und arbeitsintensiven
materiellen Produkte ihre Schranke.

Festzuhalten bleibt: Auch die materielle Produktion beruht immer mehr
auf Information. Der Feudalismus wurde letztlich dadurch abgelöst, daß
immer größere Teile des wirtschaftlichen Gesamtprozesses auf Geld
beruhten.

Hm. Das würde jetzt den Platz sprengen, hierauf einzugehen. Aber 
wenigstens kurz: Dieser Übergang war ein wenig komplexer und 
lange nicht so friedlich, wie das hier klingt. 

So gingen die Gesetze des Geldes immer mehr auf die gesamte
Wirtschaft und damit auch die Gesellschaft über. Kann das mit dem
Übergang zur Information nicht auch so sein?

Information ist wirklich der leerste derzeit kursierende Begriff und 
das auch noch mit gegenwärtig unerträglicher Hochkonjunktur 
("Informationsgesellschaft"). Ich weiß nicht, was ein "Übergang zur 
Information" ist. Damit wird so ziemlich alles ausgeblendet, was 
die gegenwärtige Dynamik eigentlich antreibt. 


Von einer
Unterminierung kapitalistischer Verhältnisse ist nichts zu sehen.

Nun, die Arbeitsintensität sinkt permanent. Heute sind noch - wenn ich
es recht erinnere - ca. 24 menschliche Arbeitsstunden für die
Produktion eines Autos notwendig. Ein Ergebnis ist die ständig
steigende Arbeitslosigkeit, die bereits im System permanent selbiges
unterminiert...

Was willst Du damit sagen? Das spricht doch alles nicht gegen 
(eher für - siehe auch Thread Automatisierung geht zurück, usw) 
eine Einführung von Niedrigstniedrigstniedrigstbezahlten Jobs, was 
derzeit von einigen Politikern in diesem Lande stark vermisst wird 
(siehe auch Debatte um Wisconsin-Work). Aber im Grunde ist 
darin Technikdeterminismus versteckt. Veränderungen in der 
Technik führen mitnichten irgendwie diffus *wie von selbst zu* einer 
Überwindung der Verhältnisse, in denen die Verwertung des Werts 
den Produktionszweck bildet. 


...erationsformen - aber auch nicht
mehr. Weder kann sich dieses Beispiel dem kapitalistischen Zugriff
entziehen, noch stellt es eine `Keimform' dar.

Auch dieses Beispiel ist in den kapitalistischen Kontext integriert.

Nun, im luftleeren Raum *kann* sich nichts entwickeln - schon
deswegen, weil da keineR leben kann. Eine Keimform muß sich also immer
im Alten entwickeln - ihr das vorzuwerfen ist also wenig sinnvoll.

Aber mal eine Gegenfrage: Wie muß denn eine Keimform aussehen? Welche
Kriterien müßte sie denn erfüllen? Es ist ja nicht gerade fair, alles
abzuqualifizieren, aber die Kriterien nicht anzugeben, nach denen ihr
qualifiziert.

Diese Gegenfrage würde mich zwingen, einer Denkkategorie eine 
Definition zu verpassen (die dann irgendwie anders oder besser 
sein soll), die ich grundsätzlich in Frage stelle. Ich kann 
"Keimform" nicht einfach anders besetzen, weil ich "Keimform" als 
Gedankenkonstrukt wenig gehaltvoll finde. "Keimform" beinhaltet 
so viele vorweggenommene Annahmen - speziell auf die Zukunft 
bezogen - das ist eine Denkweise, die ich nicht teile, egal, worauf 
das nun bezogen ist. Was werden wird, kann niemand mit 
Gewissheit sagen, im Umkehrschluss kann man auch keine 
Keimform behaupten, weil die schon beinhaltet, was werden wird. 
Wenn man sich dann aber zurückzieht auf: Na, genau wissen wir 
das auch nicht, ob es eine Keimform sein kann oder nicht, dann 
kann man den Begriff der Keimform nicht mehr benutzen, oder? 

besteht immer die Gefahr, dass sich ihre Situation aufgrund von
Krisenprozessen ändert: dass sie arbeitslos werden oder die
Arbeitsintensität steigt, dass Ausbildungsförderung gestrichen oder
der Druck in den Ausbildungsinstitutionen erhöht wird. Insofern
liegen auch die ProduzentInnen Freier Software lediglich an der (im
Moment recht langen) Leine des Kapitals.

Nun, die Leine des Kapitals war schon deutlich länger als sie heute
ist. Oder würdet ihr z.B. den permanenten Sozialabbau, den Abbau der
Systeme, die in den 70ern geschaffen wurden, auch noch als eine
Verlängerung der Leine sehen? Jedenfalls hat sich in "besseren" Zeiten
nichts entwickelt.

Für bestimmte Qualifikationen ist die Leine des Kapitals recht 
lange, das ist aber immer auch Veränderungen unterworfen. Es war 
hier nicht von einer allgemeingesellschaftlichen Leine des Kapitals 
die Rede. 

Wie die Idee der Freien Software, bzw. die damit zusammenhängende
"Selbstentfaltung" von der real existierenden Welt vereinnahmt wird,

Nun, sie wird nicht vereinnahmt - siehe oben.

Deine Argumente oben habe ich - soweit ich das jetzt so schnell 
im Überfliegen sehe - auf einiges von Dir an unserem Text 
Missverstandene zurückgeführt. Anderes habe ich versucht zu 
entkräften. Insofern bin ich eigentlich nicht überzeugt davon, dass 
Du sagst "sie wird nicht vereinnahmt".    

So. Soweit zu meinen Einwänden. Etwas ganz Grundsätzliches 
möchte ich hier nochmal kurz zu der Auseinandersetzung sagen: 

Ich bin da wirklich in einer blöden Rolle, ausgerechnet gegen jene 
immer wieder anzureden, denen im Grunde meine politische 
Sympathie natürlich mehr gilt, als den Verteidigern des 
Kapitalismus. Aber dennoch denke ich, sollte die Kritik auf einem 
analytisch festen Sattel sitzen und nicht auf Moral, Verklärung, 
Wunschdenken, usw. Und dann bin ich noch der Ansicht, dass 
Kritik (im Sinne von Dekonstruktion der Verhältnisse und nicht 
Konstruktion neuer Verhältnisse, die an der Realität vorbeigehen) 
der erste und wichtigste Schritt ist, der zweite kann sich nur aus 
der Kritik ergeben und wie der aussieht kann ich solange nicht 
genau sagen, solange die Kritik nicht durch exerziert ist und in 
weiten Teilen Verbreitung gefunden hat. Ich rede hier, wenn ich 
Kritik sage, nicht von irgendeinem diffusen "ich find das schlecht, 
was hier läuft", sondern von einem richtigen Begriff (im Sinne von 
begreifen) des Kapitalismus, in seiner ganzen Totalität und 
Auswirkung. Ich rede hier so stark gegen die Argumentation von 
Keimform, Freie Welt und Freie Software, usw. an, weil sie meines 
Erachtens auf einen nicht richtigen Begriff verweist. Das ist jetzt 
pauschal -  aber einige Argumente trifft es.

Liebe Grüße
Sabine 
________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


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