Re: Re: [ox] Ein paar Gedanken zum Freiheitsverständnis
- From: Robert Gehring <zoroaster snafu.de>
- Date: Sat, 25 Aug 2001 14:05:31 +0000
Hi Stefan!
Am Freitag, 24. August 2001 18:47 schrieben Sie:
-----BEGIN PGP SIGNED MESSAGE-----
Handlungen haben Akteure, d.h. man kann den Freiheitsbegriff in Bezug zu
den Akteuren setzen. Ein Freiheitsbegriff ohne Akteure scheint m.E.
absurd zu sein. [Wer sollte da frei sein? "Der Stein, der auf dem Feld
liegt, ist so frei"?]
Ja. Wieder sehr wichtig. Wir müßten also immer fragen "Freiheit - für
wen?".
Kommt darauf an, was man für eine Antwort haben will.
Freiheit läßt sich an (den Folgen von) Handlungen festmachen. Insofern läßt
sich auch immer feststellen, für wen es welchen Freiheitsgrad in seinen
Handlungen gab/gibt, ja. Aber ein objektives Maß gibt es da nicht, das kann
man als Antwort nicht erwarten.
Für die Betrachtung von Handlungsoptionen benötigt man noch keinen wertenden
Freiheitsbegriff und mit einem objektiven (der per definitionem nicht auf das
Subjekt abstellen dürfte) kommt man erst recht nicht weiter.
Ich meine, daß man immer eine bestimmte Vorstellung davon, wie Freiheit sein
sollte (oder wo es sie nicht gibt), im Kopf hat, wenn man -so wie hier-
darüber mit Formulierungen wie "Freiheit von/zu" redet. Und in diesen
Vorstellungen spielen Akteure eine signifikante Rolle (wenn man sich nicht
gerade über einen objektiven Freiheitsbegriff den Kopf zerbricht, der nicht
unbedingt mit Sinn zu füllen ist).
Dieser Grenze der Erkennbarkeit -Diskutierbarkeit- sollte man sich einfach
bewußt sein. Und wenn man also über praktische Freiheitsgrade diskutiert,
dann wird die Diskussion m.E. nicht mit einem "Top-down"-Modell von Freiheit
enden können. Sie wird sich irgendwie verlaufen.
Es wird z.B. immer eine Möglichkeit geben, festzustellen, daß die eine
konkrete Freiheit im Gegensatz zu einer anderen konkreten Freiheit steht -
wechselseitige Ausschließlichkeit von Handlungsoptionen. Ist die eine deshalb
"besser" als die andere? Wohl nicht in Bezug auf ihren abstrakten Gehalt,
denn das wäre m.E. paradox.
Nur in der Bewertung der im Rahmen dieser Freiheit vollzogenen Handlungen
(oder nicht vollziehbaren Handlungen) kann man die _Bedeutung der Freiheit_
diskutieren. Ein "bottom-up"-Modell, das nicht einem von den Akteuren und
ihren Handlungen abstrahiertem Freiheitsmodell folgt, scheint da am ehesten
erfolgversprechend. Ein solches Modell wird aber ein bestimmtes
Abstraktionsniveau nie erreichen können, wenn es nicht beliebig werden soll.
(1) Die subjektive Perspektive, die vom Handelnden ausgeht.
(2) Die soziale Perspektive, die von der Handlung der Gesellschaft
ausgeht.
(3) Die "objektive" Perspektive eines von den Handlungsbezügen
ausgenommenen Beobachters (schwierig zu erreichen, als Idee, als
Konstrukt, aber z.T. machbar).
Die "objektive" Perspektive scheint mir nicht wirklich Sinn zu machen.
Das wollte ich auch damit sagen. Ein _praktischer_ Sinn findet sich darin
wohl nicht. [_Darf_ aber trotzdem drüber nachgedacht werden.]
Man kann in diesem Modell "Freiheit zu" und "Freiheit von" also zwei
Seiten eines Interaktions-/Kommunikationsprozesses zwischen Individuum
und der sich aus den Individuen konstituierenden Gesellschaft sehen.
Dieser "Prozeß Freiheit" äußert sich dann als wechselseitige Herstellung
bzw.
Nicht-Herstellung von Handlungsoptionen (und ggf. ihrem Vollzug).
Einen Widerspruch gibt es bei dieser Betrachtungsweise nicht mehr auf der
Ebene der Freiheit, sondern auf der Ebene der _Bewertung_ der Handlungen.
Bingo! Ganz wichtiger Punkt in deinen Ausführungen. Das heißt also,
daß wenn wir über Freiheit reden, wir eigentlich über die Bewertung
von Handlungen reden? Oder ist das zu verkürzt.
Ja (s.o.). Man redet über "Freiheit", meint aber Handlungen. Die
Schwierigkeiten in der Beurteilung von "Freiheit" sind aber in Wirklichkeiten
die Schwierigkeiten in der Beurteilung bestimmter Handlungen. Freiheit
braucht per se keine Moral oder Ethik.
Handlungen in sozialen Zusammenhängen dagegen brauchen sie und werden
moralisch (besser: ethisch) zu bewerten sein - anhand ihrer möglichen
(Aus-)Wirkungen. Hier gibt es die Widersprüche, die zu lösen sind.
[Wenn man diese Lösungen zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht absehen kann,
müßte man m.E. davon Abstand nehmen, da eine vernünftige (Be-)Wertung nicht
möglich ist.]
Freiheit als per se positiv (oder negativ) zu determinieren, entzieht einer
sinnvollen und notwendigen Bewertung der möglichen Handlungen den Boden.
Man kommt z.B. in elementare Schwierigkeiten, negativen Folgen der Handlungen
im Rahmen einer "positiv" determinierten Freiheit vorzubeugen (das heißt
sonst sofort "Gewalt"). "Freiheit über alles" führt (in der Zukunft) nicht
notwendig zu einem Erhalt oder einer Mehrung von Freiheit.
<-- Beispiel -->
Extrembeispiel Menschen-Kloning: Wenn die "positive" Freiheit der Forschung
das höchste Ziel sein sollte, dann gäbe es keinen vernünftigen Grund, das
Klonen von Menschen schlecht zu finden. Man könnte sich dann aus jeder
Verantwortung entlassen.
Es läßt sich wohl aber absehen, daß das Klonen von Menschen mit seinen
unmittelbaren und mittelbaren Konsequenzen die Freiheit der Mensch[ en | heit
] -zumindest in mancher- Hinsicht verringern würde. Der Mensch würde einem
Optimierungsdruck und -prozeß ausgesetzt werden, in dem er zum Gegenstand
würde.
Verlagert man dagegen die Bewertung in die Handlungen, so kann man
vernünftigerweise gegen das Klonen argumentieren, ohne die Freiheit der
Forschung (die ja mehr Handlungsoptionen eröffnen kann als nur die des
Klonens) als solche in Frage stellen zu müssen. _Das_ wäre zu bewerten.
_Dort_ müßte die Auseinandersetzung stattfinden.
In der Konsequenz:
Die Forschung in den Dienst bestimmter Zwecke zu stellen, bedeutet per se,
die daraus möglicherweise hervorgehenden Handlungsoptionen _zweckbestimmt_
einzuschränken. Von Freiheit kann dann genaugenommen nicht mehr die Rede
sein. So in etwa lautet ja auch eine Kritik an der zunehmenden
Kommerzialisierung universitärer Forschung.
<-- /Beispiel -->
Dieser tritt dann auf, wenn die Bewertungen der Handlung(en) nicht
kohärent ausfallen, was heute, in unserer Kultur, aus verschiedensten
Gründen eher die Regel als die Ausnahme ist. [Je höher die Kohärenz,
desto weniger stellt sich z.B. die Frage der Gewalt.]
Ja, unsere Kultur ist als eine Konkurrenzkultur, eine
Gegeneinanderkultur konstruiert.
Im ökonomischen Bereich. Nicht überall, oder konkurrierst Du immer und
überall, der Du doch auch im Rahmen dieser Kultur lebst? Wohl nicht. ;-)
Mit der Anwendung eines bloß ökonomischen Menschenbildes auf
nicht-ökonomische Bereiche, bzw. mit der Ökonomisierung aller möglichen
(Handlungs-)Bereiche, erlangt Konkurrenz natürlich zunehmend Bedeutung.
Ich bin mir aber nicht sicher, ob die Konkurrenz das Problem bildet.
Bsp.: Freie Software steht natürlich in Konkurrenz zu nicht freier Software
(im allgemeinen) und oft auch zu anderer freier Software (im speziellen). Im
Ergebnis führt das jedoch zu mehr Freiheit (was man mit der Software machen
kann). Konkurrenz dient hier der Herstellung von Freiheit in einer Situation,
Das eigentliche Problem könnte darin liegen, wenn die Konkurrenz so
verwirklicht wird, daß sie darauf abzielt, Handlungsoptionen einzuschränken
(statt zu eröffnen), Erkenntnisse zu beschränken (statt zu fördern) usw.
Die aktuellen Entwicklungen im Bereich des Patentwesens illustrieren das
Problem sehr schön.
Bestimmte Ausdrucksformen der Konkurrenz führen zur Einschränkung von
Freiheit, andere zur Herstellung von Freiheit, scheint es. Es käme dann
letztlich auf das konkrete Ziel eines Konkurrierens an.
Die Gesellschaft in der die Freiheit
der Einzelnen die Bedingung der Freiheit aller wird, wäre aber wohl
kaum als Gegeneinanderkultur zu denken. Auch nicht als simple
"Miteinanderkultur" im übrigen.
Würde ich auch denken. Die Freiheit bedingt sich wechselseitig in
individueller und in sozialer Präsenz. Die Freiheit eines jeden, alles zu
tun, ist als "Leitbild" genauso ungeeignet, wie die Freiheit der
Gesellschaft, alles mit jedem zu tun usw.
Und da sagst du auch was, was mir intuitiv klar wird: Wenn die
Kohärenz niedrig ist, dann öffnet sich überhaupt erst die Schere, in
der Begriffe wie Freiheit und Unfreiheit eine Rolle spielen können.
Exakt.
Genau das ist vor dem Beginn der freien Softwarebewegung ja auch geschehen.
Wie man aus Richard Stallmans historischen Beschreibungen entnehmen kann,
zerfiel die Community am MIT innerhalb dessen bestimmte Handlungsoptionen (in
Bezug auf Kommunikation und Code-Austausch etc.) gegeben waren. Die Kohärenz
nahm ab und das Gefühl von Unfreiheit zog ein.
In der Analyse dessen entwickelte Stallman eine Vorstellung von Freiheit,
d.h. eine Vorstellung über einen bestimmten
Kommunikations-/Interaktionsprozeß, mit dem Freiheit hergestellt (d.h. ein
Abbild des alten Zustandes, in dem die Unfreiheit, die später zu den
Kohärenzproblemen führte, nicht vorhanden war) werden sollte.
Das Konstruktionsprinzip dafür steckt in der GPL und ihrer Virulenz, die
dafür sorgt, daß die Handlungsoptionen (konkret für die Software) nicht
wieder abzuschaffen sind, mit jeder neuen Zeile GPLed Code immer wieder auf's
Neue hergestellt werden.
Allerdings kommt es natürlich darauf an, die Handlungsoptionen
_wahrzunehmen_, denn ohne dieses benötigte man ja die entsprechenden
Freiheitsgrade gar nicht und dann würde die Freiheit (als Prozeß)
nicht am Leben erhalten.
Der Verzicht auf eine Wertung innerhalb der GPL (in Bezug auf den _Einsatz_
der Software) ermöglicht somit einerseits die Herstellung der größtmöglichen
Varianz an Handlungsoptionen, andererseits verweist er darauf, daß die
Bewertung andernorts -in Bezug auf konkrete Handlungen- erfolgen muß. Und
dort ist sie kulturabhängig, während die GPL-Software die Kulturspezifika
-weitgehend- transzendieren kann.
Wenn Individuen und Gesellschaft über eine hohe Kohärenz bzgl. der
Bewertungen verfügen, wenn der gesellschaftliche Konsens also hoch
ist, dann braucht sich (Sicht 1) niemensch unfrei zu fühlen, weil er
die gesellschaftlichen Anforderungen als in Übereinstimmung mit den
eigenen Bedürfnissen empfindet und niemensch (Sicht 2) handelt gegen
die gesellschaftlichen Anforderungen, so daß die Schaffung von
Unfreiheit gar nicht notwendig ist.
Das haut hin.
Das wäre nicht nur hohe Kohärenz, sondern vollständige Kohärenz, wenn niemand
sich unfrei fühlt (in Bezug auf jede seiner möglichen Handlungen) und die
Gesellschaft niemanden in die Situation bringen würde, sich unfrei zu
fühlen.
Praktisch wohl nicht erreichbar, weil das Verhalten von Menschen nicht durch
bloße Anforderungen determinierbar ist. Aber die stellbare Aufgabe, Kohärenz
zu steigern indem entprechende Umstände geschaffen werden, wird damit
natürlich nicht überflüssig.
Eine Präferierung der einen oder anderen Seite -individueller/subjektiver
ggü. sozialer Freiheit- wird sich wohl immer daran messen lassen müssen,
ob sie zu einem höheren Grad an Kohärenz der Bewertungen führt oder
nicht, d.h. ob sich das Individuum in seiner Bewertung als durch die
Gesellschaft vergegenständlicht (als _Objekt_ sozialer Maßstäbe) erfährt
oder eben nicht.
D.h. um das Leiden zu minimieren müßten wir eine höhere Kohärenz
haben. Das klingt plausibel.
In der Art, ja. Aber das läßt sich eben nicht verordnen, sondern nur
praktizieren.R
Und an der Stelle kommt auch die (individuelle) Verantwortung in's Spiel, die
man im Freiheitsbegriff nur sehr schwer unterbringen kann, wie die
jahrhundertealte Diskussion über das Verhältnis von Freiheit und
Verantwortung ja zeigt. Freiheit ist etwas, was sozial hergestellt werden
muß, nicht etwas, was definiert werden kann. So in etwa verstehe ich auch die
Ideen von rms.
Grüße, Robert
--
Von/From: Dipl.-Inform. Robert Gehring
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