Message 03306 [Homepage] [Navigation]
Thread: oxdeT03282 Message: 2/6 L1 [In index]
[First in Thread] [Last in Thread] [Date Next] [Date Prev]
[Next in Thread] [Prev in Thread] [Next Thread] [Prev Thread]

Re: [ox] Re: Gewaltformen und noch mehr Beispiele...



Hallo Christoph!

Es war Tue, Aug 28, 2001 at 02:44:00AM [PHONE NUMBER REMOVED], als Christoph Reuss schrieb:
Hallo Casimir,

         ..., obwohl Du mich nicht überzeugt hast...

Lies mal weiter, vielleicht klappt's ja diesmal.  ;-)


:-)


[...] 
Ich hatte ja geschrieben, dass "Gewalt" und "Schaden" _nicht_
synonym sind, sondern der jeweilige Schaden von der viktimologischen
Prädisposition der Opfer abhängt.  Dein Krimi-Beispiel ist allerdings
allzu weit hergeholt:  Zum Zeitpunkt des Diebstahls _schädigt_ der
Diebstahl natürlich das Opfer -- der Einbrecher wusste ja auch nichts
vom Mordplan der Ehefrau.  Eine Tat kann immer nur zum Zeitpunkt der
Begehung beurteilt werden -- hellseherische Kräfte gibt's ja nicht.


In ähnlicher Relativierung könnte ich dieses Argument nun aber auch 
umdrehen:
 Zum Zeitpunkt der Verdummung schädigt die Demagogie-Institution
(das Propaganda-Ministerium oder die Kirche / die Journaille /
das Fernsehen / ...) das Opfer nicht!  -- Denn zum Zeitpunkt der
Einwirkung "weiß sie ja nichts" bspw. von den Ausbeutungsplänen
der (direkten) Ausbeuter usw.; -- im Gegenteil können die
genannten Akteure sich ja dann darauf berufen, daß ihnen ja nur
der Lebensmut und Spaß (oder die Fähigkeit, sich in den
gesellschaftlichen Zusammenhang einzuordnen, oder so) ihrer
Schäfchen am Herzen liegt...  Nein, nein, nein! so einfach sollen
mir die hier nicht davon kommen!

Die Tat später dann rückwirkend "UMzubeurteilen", ist ohnehin nicht
sinnvoll/möglich:  ...

Exakt! Deshalb bin ich ja der Meinung, ein Opfer kann auch ohne
Gewalt (ob direkt oder indirekt, akut oder zeitlich versetzt,
punktuell oder strukturell usw. usw.) ein Opfer sein, denn es
gibt nicht nur Opfer von Gewalt (s.u.)...

Noch später könnte ja der Dieb gefasst und die
Erbstücke zurückgegeben werden, woraufhin der Plan der Ehefrau dann
doch noch zur Ausführung kommt.  [...]

[...]

Wie bzw. warum es zur Auflösung des Klosters kam, muss man sowieso im
Gesamtkontext betrachten -- das ist kein Zufall, sondern lag wohl an
einer Schwäche der Kirchenvertreter in jener Region oder am Zustand
der Kirche insgesamt.  Viktimologisch immunere (VI) Individuen werden
diese Entwicklung rechtzeitig erkannt haben, und sich in andere Klöster
abgesetzt haben.  Nur ein VP-Kloster wird überhaupt geschlossen.


Naja, das hängt auch wieder von der Definition ab. Denn über kurz
oder lang werden nunmal alle Klöster geschlossen (Umgründungen
und Sinnänderungen sollen hier miteingeschlossen sein). Konkreter
hatte ich aber historische Epochen mit eindeutiger _Tendenz_ vor
Augen, als ich das schrieb: z.B. die Säkularisierung in England
oder die "Aufklärung von Oben" in Österreich... Da war, glaube
ich, ein Sich-Absetzen schwierig, außer in Richtung Freimaurer
und Konsorten

Aber man könnte sich mal vorstellen, daß durch das Raubkopieren
(also durch die zunehmende Inadequanz von
Produktivkraftentwicklung (inkl. Technik und Infrastruktur) und
Produktionsverhältnissen (v.a. Eigentums-, Aneignungs- und
Motivationsverhältnissen)) die "Klöster des Geldes" zunehmend
"pleite gehen". Auch da hängt wahrscheinlich der Grad der
Schädigungs-Erfahrung seitens der Betroffenen entscheidend von
der (Un-)Möglichkeit des rechtzeitigen Sich-Absetzens (in andere
soziale oder ökonomische Zusammenhänge) ab.

Ich würde behaupten, daß es zu den genannten Zeiten "nicht
genügend Platz" gab, für die Klosterbrüder, "sich
abzusetzen". Wie kann man das für die Lohnarbeiter und
Kapitalisten im Zuge der "Be-Frei-ung" der Produktion verhindern?
Vielleicht hätte _Gewalt_ ja in einem solchen Zusammenhang den
Nutzen, das drohende gesellschaftliche Aus der Betroffenen durch
ein 'gelenktes Versetzen' zu verhindern --?

[...]
Man kann, in meinem Verständnis, Opfer einer Intrige werden,
deren ganzer Zweck es gerade ist, die Täter ohne Gewalt zum Ziel
                                              ^^^^^^^^^^^
Du meinst "ohne _physische_ Gewalt", also wieder den umgangssprachlichen
Begriff.  

Nein, meinte ich nicht. 

Eine Intrige ist aber psychische Gewalt, also auch Gewalt.
Psychische Gewalt kann sogar viel schlimmer sein als physische Gewalt.
[...]

Das bestreite ich nicht. 

[...]
Mal umgekehrt gefragt:  Würdest Du psychische Gewalt _nicht_ als
Gewalt definieren ?  Das wäre eine Verharmlosung, denn diese kann
wie gesagt _schlimmere_ Schädigungen bewirken als physische Gewalt,
und bildet den Hauptteil der heute vorkommenden Gewalt.


Nichts liegt mir ferner, als psychische Gewalt zu leugnen. Aber
ich meine, daß bspw. Demagogie keine psychische Gewalt ist,
obwohl ich sie für sehr schädlich halte, und obwohl ich weiß, daß
Leute durch sie willenlos und gefügig gemacht werden können und
so. Aber ich würde sie eben als Opfer von Demagogie bezeichnen
und nicht als Opfer von Gewalt.

[...]

Genauer: _Physische_ Gewalt ist *eine* Form von all diesem, _psychische_
Gewalt ist eine *andere* Form von all diesem.


Nein, nein: die Form der Einwirkung ist dieselbe (Gewalt), aber
der Gegenstand der Einwirkung ist verschieden: Physis oder Psyche
des Objekts der Einwirkung. (Und der Inhalt ist die Beziehung
zwischen Subjekt und Objekt der Einwirkung, bzw.: das Verhältnis
zwischen diesen, welches sich aus der von der gewaltsamen Form
geprägten Beziehung zwischen ihnen ergibt.)

Mein Fischer-Lexikon definiert Gewalt (im soziologischen Sinne) als
"Ausübung von Macht durch Anwendung von Zwangsmitteln".  Also: Gewalt
_ist_ "die Ausübung....";  die _Form_ ist physisch oder nicht-physisch
(psychisch).

Dazu fallen mir drei Sachen ein:

 1. die Definition greift zu kurz, sie reicht nicht aus 
    ("imho", versteht sich); 

 2. sie schließt Natur als Täter generell aus (--> Ausübung von
    _Macht_), was gegen Dein Verständis spräche -- ?;

 3. Die Wechselwirkung einschließlich ihrer "Ausübung" sind die
    Erscheinungs-_formen_ einer Beziehung (Machtstruktur).


Ich kann einen Wächter K.O. schlagen oder ihn in den Schlaf
singen. Und in beiden Fällen habe ich ihn meinem Willen
unterworfen ("in die Knie gezwungen" sozusagen), aber nur in einem
Falle habe ich es gewaltsam getan.

Im ersten Fall ist der Schaden für das Opfer = den Wächter grösser, weil
er dabei verletzt wird (mit evtl. bleibenden Schäden, zumindest psychischen
in Form einer Traumatisierung).
Diese erste Variante ist also (auch nach meiner Definition) gewaltsamER
als die zweite (singen).  Aber auch die zweite Variante ist gewaltsam,
denn Du schädigst den Wächter bereits dadurch, dass Du seinen Job
vereitelst  (mit absehbaren Folgen seitens des Arbeitgebers).

Nein! Da sind wir wieder bei der Vermittlung: der Arbeitgeber
schädigt ihn durch diesen job und seine Einstellung zur
"Pflicht"-Erfüllung, die Gesellschaft schädigt ihn dadurch, daß
sie es für ihn notwendig macht, einem solchen job nachzugehen,
und es ihn notwendigerweise sogar als Verlust empfinden läßt,
wenn der job flöten geht... Und jetzt soll ich, der erste, der
ihm (in seinen Augen) seit Jahren das erste Mal ein bischen
persönliche Aufmerksamkeit schenke und nur für ihn ein
wohlgefälliges Liedchen trällere, -- ich soll nun der Gewalttäter
sein?!

Auch wenn ihm Gewalt im Resultat meiner Tat widerfährt, bin ich
weder der, der sie ausübt, noch der, der sie verschuldet
(bzw. verursacht)! Ich bin hier kein Gewalttäter! Im besten Falle
kann man hier von Auslöser sprechen... -- nicht unschuldig und
auch nicht ehrlich (von wegen Aufmerksamkeit gegenüber den
Bedürfnissen des Wächters und so), aber dennoch auch nicht
gewalttätig (auch nicht psychisch!). Die Gewalt geht trotz allem
auf eine andere Kappe (auch und vor allem die psychische Gewalt).


Dies zeigt den Fehler Deiner Definition (Gewalt ist nur physische Gewalt):
Du tust so, als ob die Absenz von physischer Gewalt identisch wäre mit der
Absenz von Gewalt.  Das verharmlost aber die nicht-physische / strukturelle
Gewalt  (definiert sie einfach weg) -- nützt also den Herrschenden.
Deshalb bin ich gegen diese (Über-)Vereinfachung.

Nein, ich versuche gegen eine Vereinfachung vorzugehen, die da
versucht zu suggerieren, Herrschaft müsse sich immer auf Gewalt
gründen! Denn das nützt den Herrschenden sobald ihre Herrschafts-
und Machtmittel nicht mehr vorwiegend dem Gewaltspektrum
entspringen! 
 (z.B. in der Situation, wo die Top-Manager selber "nur"
Lohnarbeiter sind und selbst der Bundeskanzler nur eine Art
Angestellter ist usw.)


Grüße,
Casimir.
________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


[English translation]
Thread: oxdeT03282 Message: 2/6 L1 [In index]
Message 03306 [Homepage] [Navigation]