[ox] moralkodex & freiheitsethik (dirk raith)
- From: dirk raith <direkTor fussluemmelkaiser2001.cjb.net>
- Date: Sun, 2 Sep 2001 21:17:26 +0200
[1 <text/plain; iso-8859-1 (quoted-printable)>]
(beziehe mich hier v.a. auf joachim merkels beitrag vom samstag...)
das ist ja gut & schoen, die güldene mitte wieder mal, aber ich
denke, die alternative, die uns joachim da anbietet, ist weder
moralisch (weil nicht proskriptiv) noch ethisch relevant, weil sie
rein deskriptiv ist. d.h. sie kann uns zwar veranschaulichen, wie
moralische werte in wirklichkeit begründet werden, und dass da
praktisch wirklich kein unterschied zur konstruktion anderer
"sozialer tatsachen" besteht. allerdings lassen sich daraus keinerlei
richtlinien fuer "richtiges handeln" ableiten. konformismus &
rebellion sind beide durchaus denkbare konsequenzen aus der einsicht,
dass moralische postulate zeit-raeumlich kontngent sind.
der versuch, objektive normen zu begruenden, ist damit freilich als
sinnlos herausgestellt. so wie joachim es stehen laesst, ist das aber
ethischer relativismus in reinform. das bedeutet doch aber implizit,
dass "moralische gesetze" dann doch zu unterscheiden sind von
"physikalischen gesetzen" (weil da eben nicht "alles geht", was man
will), wenngleich beide nicht als "objektiv" im sinne des
erkenntnistheoretischen realismus bezeichnet werden koennen.
moralische aussagen sind aber eben - im unterschied zu
erfahrungswissenschaftlichen - metaphysische aussagen. sie sind zwar
weder empirisch noch logisch zu beweisen/falsifizieren, das bedeutet
aber eben umgekehrt, dass wir in ethischen fragen praktisch wirklich
frei sind (vgl. dazu heinz v. foersters "metaphysisches postulat":
"Nur die Fragen, die im Prinzip unentscheidbar sind, können wir
entscheiden." (73) )
in ethischen fragen kann sich niemand sinnvoll auf objektive zwaenge
oder notwendigkeiten berufen, hier beginnt - was unser denken &
handeln betrifft - recht eigentlich das "reich der freiheit". was
umgekehrt bedeutet, dass wir ganz allein verantwortlich sind fuer
unser handeln, uns nicht auf ausser uns liegende "sachzwaenge" bzw.
"objektive moralkodices" usw. berufen koennen.
dieses "jeder ist fuer sein handeln selbst verantwortlich" klingt
womoeglich unsympathisch nach radikal-libertärer freiheitsideologie a
la "schuhputzersyndrom". natürlich ist empirisch gesehen - und darauf
weist uns nicht zuletzt der voon joachim angeführte moralische
institutionalismus hin - niemand "wirklich frei" in seinen
entscheidungen. aber dieses "metaphysische postulat" ist eben gerade
nicht deskriptiv, sondern als emanzipatorisches postulat aufzufassen,
als utopie (oder "starkes wahnbild" im nietzscheshcen sinn), die nur
dann verwirklicht werden kann, wenn sie von menschen gelebt wird. mir
erscheint das jedenfalls als die bessere oder konsequentere
alternative/synthese zwischen ethischem solipsismus & absolutismus,
als bloss darauf hinzuweisen, dass moralische aussagen eben
"konstruiert" sind, und dass deshalb sowieso alles mach- &
veerantwortbar waere. dahinter verbirgt sich oft ein unfreiwilliger
essentialismus, der dann doch wiederum davon auszugehen scheint, dass
es im unterschied zu solchen "konstrukten" dann doch so etwas geben
wuerdse wie transzendentale wahrheiten. und das "konstruierte" wird
dann oftmals mit dem "beliebigen" gleichgesetzt. dass das, wenn man
den erkenntnistheoretischen konstruktivismus konsequent, d.h. radikal
auf alle kulturbereiche ausdehnt, nicht stimmt, ist klar. wir koennen
eben nicht alles, was wir wollen. im bereich des
metaphysischen/ethischen erscheint mir der begriff der
"verantwortung" als bestandteil von "freiheit" unabdingbar. eine
freiheit ohne selbstbestimmung, ohne selbstgesetzte grenzen ist eben
keine mehr.
mlg
dirk
[2 <text/html; iso-8859-1 (quoted-printable)>]
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