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Re: Arbeit, Produktion, Wert? - war: Re(2): [ox] Krise oder nicht?



Hallo Franz,

"Franz J. Nahrada" schrieb:

ingoh. schreibt:
Das sehe ich anders. Marx und Engels haben in der "Deutschen Ideologie
(MEW,Bd 3) Produktion und Arbeit unterschieden, in  der Kritik der
politischen Ökonomie (3 Bände des "Kapital") jedoch Produktion auf
Arbeit reduziert. Dieser Konkretionsreduktionismus ist meines Wissens
bisher nur von Werner Loh angesprochen worden. Ich halte aber die
Beachtung dieses Unterschiedes für fundamental wichtig.

Von einem "Konkretionsreduktionismus" im "Kapital" kann ich eigentlich
nichts bemerken, ganz im Gegenteil ist dort die Entfaltung verschiedener
Formen von Produktion (Agrikultur, Handwerk, Manufaktur, Maschine, große
Industrie) bis hin zum historischen Punkt, an dem sich Marx eben befand,
sehr materialreich dargestellt und begrifflich differenziert. 
Du bist nicht auf meine Argumente eingegangen. Deshalb werde ich meine
Auffassung nochmals ausführlicher und mit Zitaten hinterlegt, darlegen.
Marx und Engels haben in der -Deutschen Ideologie- folgenden Begriff von
Produktion entwickelt:
--- Zitat Anfang ------
Die Voraussetzungen, mit denen wir beginnen, sind keine willkürlichen,
keine Dogmen, es sind wirkliche Voraussetzungen, von denen man nur in
der Einbildung abstrahieren kann. Es sind die wirklichen Individuen,
ihre Aktion und ihre materiellen Lebensbedingungen, sowohl die
vorgefundenen wie die durch ihre eigne Aktion erzeugten. Diese
Voraussetzungen sind also auf rein empirischem Wege konstatierbar.
Die erste Voraussetzung aller Menschengeschichte ist natürlich die
Existenz lebendiger menschlicher Individuen (4). Der erste zu
konstatierende Tat- <21> bestand ist also die körperliche Organisation
dieser Individuen und ihr dadurch gegebenes Verhältnis zur übrigen
Natur. Wir können hier natürlich weder auf die physische Beschaffenheit
der Menschen selbst noch auf die von den Menschen vorgefundenen
Naturbedingungen, die geologischen, orohydrographischen, klimatischen
und andern Verhältnisse, eingehen (5). Alle Geschichtschreibung muß von
diesen natürlichen Grundlagen und ihrer Modifikation im Lauf der
Geschichte durch die Aktion der Menschen ausgehen.
Man kann die Menschen durch das Bewußtsein, durch die Religion, durch
was man sonst will, von den Tieren unterscheiden. Sie selbst fangen an,
sich von den Tieren zu unterscheiden, sobald sie anfangen, ihre
Lebensmittel zu produzieren, ein Schritt, der durch ihre körperliche
Organisation bedingt ist. Indem die Menschen ihre Lebensmittel
produzieren, produzieren sie indirekt ihr materielles Leben selbst.
Die Weise, in der die Menschen ihre Lebensmittel produzieren, hängt
zunächst von der Beschaffenheit der vorgefundenen und zu
reproduzierenden Lebensmittel selbst ab. Diese Weise der Produktion ist
nicht bloß nach der Seite hin zu betrachten, daß sie die Reproduktion
der physischen Existenz der Individuen ist. Sie ist vielmehr schon eine
bestimmte Art der Tätigkeit dieser Individuen, eine bestimmte Art, ihr
Leben zu äußern, eine bestimmte Lebensweise derselben. Wie die
Individuen ihr Leben äußern, so sind sie. Was sie sind, fällt also
zusammen mit ihrer Produktion, sowohl damit, was sie produzieren, als
auch damit, wie sie produzieren. Was die Individuen also sind, das hängt
ab von den materiellen Bedingungen ihrer Produktion.
Diese Produktion tritt erst ein mit der Vermehrung der Bevölkerung. Sie
setzt selbst wieder einen Verkehr der Individuen untereinander voraus.
Die Form dieses Verkehrs ist wieder durch die Produktion bedingt.
Die Beziehungen verschiedener Nationen untereinander hängen davon ab,
wie weit jede von ihnen ihre Produktivkräfte, die Teilung der Arbeit und
den innern Verkehr entwickelt hat. Dieser Satz ist allgemein anerkannt.
Aber nicht nur die Beziehung einer Nation zu anderen, sondern auch die
ganze innere Gliederung dieser Nation selbst hängt von der
Entwicklungsstufe ihrer Produktion und ihres innern und äußern Verkehrs
ab.
Wie weit die Produktionskräfte einer Nation entwickelt sind, zeigt am
augenscheinlichsten der <22> Grad, bis zu dem die Teilung der Arbeit
entwickelt ist. Jede neue Produktivkraft, sofern sie nicht eine bloß
quantitative Ausdehnung der bisher schon bekannten Produktivkräfte ist
(z.B. Urbarmachung von Ländereien), hat eine neue Ausbildung der Teilung
der Arbeit zur Folge.
--- Zitat Ende ----- (MEW Bd. 3, S. 20/21)

Im ersten Band des 'Kapital' hat Marx die Arbeit folgendermassen
definiert:

--- Zitant Anfang ---
Die Arbeit ist zunächst ein Prozeß zwischen Mensch und Natur, ein
Prozeß, worin der Mensch seinen Stoffwechsel mit der Natur durch seine
eigne Tat vermittelt, regelt und kontrolliert. Er tritt dem Naturstoff
selbst als eine Naturmacht gegenüber. Die seiner Leiblichkeit
angehörigen Naturkräfte, Arme und Beine, Kopf und Hand, setzt er in
Bewegung, um sich den Naturstoff in einer für sein eignes Leben
brauchbaren Form anzueignen. Indem er durch diese Bewegung auf die Natur
außer ihm wirkt und sie verändert, verändert er zugleich seine eigne
Natur. Er entwickelt die in ihr schlummernden Potenzen und unterwirft
das Spiel ihrer Kräfte seiner eignen Botmäßigkeit. Wir haben es hier
nicht mit den ersten tierartig instinktmäßigen Formen der Arbeit zu tun.
Dem Zustand, worin der Arbeiter als Verkäufer seiner eignen Arbeitskraft
auf dem Warenmarkt auftritt, ist in urzeitlichen Hintergrund der Zustand
entrückt, worin die menschliche Arbeit <193> ihre erste instinktartige
Form noch nicht abgestreift hatte. Wir unterstellen die Arbeit in einer
Form, worin sie dem Menschen ausschließlich angehört. Eine Spinne
verrichtet Operationen, die denen des Webers ähneln, und eine Biene
beschämt durch den Bau ihrer Wachszellen manchen menschlichen
Baumeister.
Was aber von vornherein den schlechtesten Baumeister vor der besten
Biene auszeichnet, ist, daß er die Zelle in seinem Kopf gebaut hat,
bevor er sie in Wachs baut. Am Ende des Arbeitsprozesses kommt ein
Resultat heraus, das beim Beginn desselben schon in der Vorstellung
des Arbeiters, also schon ideell vorhanden war. Nicht daß er nur eine
Formveränderung des Natürlichen bewirkt; er verwirklicht im Natürlichen
zugleich seinen Zweck, den er weiß, der die Art und Weise seines Tuns
als Gesetz bestimmt und dem er seine Willen unterordnen muß. Und
diese Unterordnung ist kein vereinzelter Akt. Außer der Anstrengung der
Organe, die arbeiten, ist der zweckmäßige Wille, der sich als
Aufmerksamkeit äußert, für die ganze Dauer der Arbeit erheischt, und um
so mehr, je weniger sie durch den eignen Inhalt und die Art und Weise
ihrer Ausführung den Arbeiter mit sich fortreißt, je weniger er sie
daher als Spiel seiner eignen körperlichen und geistigen Kräfte genießt.
--- Zitat Ende --- (MEW Bd. 23, S. 192/193)

Dies zeigt, dass Arbeit ein spezieller Begriff von Produktion ist, das
heißt der Arbeitsbegriff ist konkreter als der Produktionsbegriff.
Marx hat zum Beispiel die Tätigkeit des Lehrers als Arbeit bezeichnet:

--- Zitat Anfang ---
Weitere Belege findet man in Seniors Rede auf dem soziologischen Kongreß
zu Edinburgh 1863. Er zeigt hier auch u.a. noch, wie der einseitige
unproduktive und verlängerte Schultag der Kinder der höhern und mittlern
Klassen die Arbeit der Lehrer nutzlos vermehrt, "während er Zeit,
Gesundheit und Energie der Kinder nicht nur fruchtlos, sondern absolut
schädlich verwüstet" (300). Aus dem Fabriksystem, wie man im Detail bei
Robert Owen <508> verfolgen kann, entsproß der Keim der Erziehung der
Zukunft, welcher für alle Kinder über einem gewissen Alter produktive
Arbeit mit Unterricht und Gymnastik verbinden wird, nicht nur als eine
Methode zur Steigerung der gesellschaftlichen Produktion, sondern als
die einzige Methode zur Produktion vollseitig entwickelter Menschen.
--- Zitat Ende --- (MEW Bd. 23, S. 507/508)

An anderer Stelle hat Marx auch die Tätigkeit von Pfaffen und Huren als
Arbeit bezeichnet. 
In allen Fällen ist ersichtlich, dass die Marxsche Definition des
Arbeitsbegriffs auf diese Tätigkeiten insgesamt nicht zutreffen.
Z. B.: Unbestritten ist, dass manche Tätigkeiten des Lehrers Arbeit ist.
Die Vervielfältigung von Arbeitsblättern ist Arbeit. Aber die Konzeption
des Arbeitsblattes selbst ist keine Arbeit, sondern produktive
Tätigkeit, die sich damit beschäftigt, wie bringe ich das meinen
SchülerInnen bei. Hierbei geht es um Kommunikation, nicht um die Formung
eines Naturstoffes nach einem vorher erstellten Plan.
Alle diese produktiven Tätigkeiten hat Marx im 'Kapital' auf Arbeit
reduziert.
Dies habe ich als Konkretionsreduktionismus bezeichnet (Nach Werner
Loh).

Dagegen ist
die Deutsche Ideologie immer nur ein Programmheft mit einem Haufen von
Desideraten, aber nicht die Analyse selbst. ("wenn wir uns aber der
wirklichen Produktion und nicht den ideologischen Abstraktionen zuwenden
bla bla bla")

Dort haben Marx und Engels ihre Konzeption als allgemeinen Entwurf
dargelegt.
Anders als Du sehen die Autoren die Wichtikeit dieser Schrift:

--- Zitat Anfang ---
<10> Friedrich Engels, mit dem ich seit dem Erscheinen seiner genialen
Skizze zur Kritik der ökonomischen Kategorien (in den
"Deutsch-Französischen Jahrbüchern") einen steten schriftlichen
Ideenaustausch unterhielt, war auf anderm Wege (vergleiche seine "Lage
der
arbeitenden Klasse in England") mit mir zu demselben Resultat gelangt,
und als er sich im Frühling 1845 ebenfalls in Brüssel niederließ,
beschlossen wir, den Gegensatz unsrer Ansicht gegen die ideologische der
deutschen Philosophie gemeinschaftlich auszuarbeiten, in der Tat
mit unserm ehemaligen philosophischen Gewissen abzurechnen. Der Vorsatz
ward ausgeführt in der Form einer Kritik der nachhegelschen Philosophie.
Das Manuskript <"Die deutsche Ideologie">, zwei starke Oktavbände, war
längst an seinem Verlagsort in Westphalen angelangt, als wir die
Nachricht erhielten, daß veränderte Umstände den Druck nicht erlaubten.
Wir überließen das Manuskript der nagenden Kritik der Mäuse um so
williger, als wir unsern Hauptzweck erreicht hatten -
Selbstverständigung. 
--- Zitat Ende --- (MEW Bd. 13, S. 10)

Produktion kommt im ersten Band des Kapitals laufend vor,
aber eben als Produktion die unter eine bestimmte Sachgesetzlichkeit (was
etwas anderes ist als eine Urteilsform oder Sinnform) subsummiert ist, und
dabei hat tatsächlich der Begriff der Arbeit eine entscheidende Rolle.
...Wenn Du im "Kapital" im Maschinenkapitel die Aussagen über
Flußgeisterchen und antike Formen der Automation liest, dann wird auch
immer betont, daß *diese* Produktionsweise eben nicht darin besteht, "die
Tagesmühe eines menschlichen Wesens zu erleichtern" (zumindest nicht bis
wir ins Kapitel über die "Revenuen und ihre Quellen" in K3 vorgedrungen
sind) sondern von jedem Fortschritt in der Maschinentechnologie sofort zu
neuen Produktionsschlachten und zum Hochskalieren zu schreiten, koste es
was es wolle. Es ist als sei diese Produktionsweise auf das einsaugen von
Arbeit geil und nicht auf ihr Resultat. Offensichtlich ist die Produktion
per se nicht der Zweck, sondern die Produktion im Verhältnis zu einem
Maßstab, der durch Produktivitätsfortschritte laufend revolutioniert wird.


Habe ich irgendwo bestritten, dass Produktion im ersten Band des
'Kapital' laufend vorkommt? Oder was sollen diese Ausführungen belegen?
Ich meine nur, dass Marx im 'Kapital' dort, wo er den Begriff Produktion
verwendet, die konkrete Produktionsform 'Arbeit' im Sinn hat. Die oben
angeführten Beispiele sollen das belegen. Das habe ich
'Konkretionsreduktionismus genannt. Die Bezeichnung einer spezifischen
konkreten) Produktion durch den allgemeinen (abstrakten) Begriff.

Eine sehr erhellende Passage zur Natur dieses Maßstabes und zu seinem sehr
eigentümlichen Verhältnis zur "Produktion" habe ich unlängst im
"Gegenstandpunkt" gefunden: dort heißt es in der Diskussion mit jemandem,
der den Marx'schen Standpunkt scheinbar teilt....( wobei auch klar wird
daß das Konzept der "abstrakten Arbeit" also nicht nur bei der Krisis
Gruppe einen entscheidenden Stellenwert hat sondern tatsächlich der
Knackpunkt des Verständnisses des Umstandes wird, warum ein Moment der
Produktion, nämlich die Arbeit, quasi zur Formbestimmung und
Sinnbestimmung der gesamten Produktion wird.

Das Konzept der 'abstrakten Arbeit' wird ja in Bezug auf Sinnformen
verwendet, nicht auf Urteilsformen (oder Begriffen). Sinnformen können
nich mit abstrakt-konkret verglichen werden, sondern mit
unbestimmt-bestimmt. In den Marxschen Analysen des prozessierenden
Kapitals geht es ja bei der Arbeit um Sinnformen (Arbeit ist hier ein
Bezeichner und kein Begiff).
Mei Vorhalt an die Krisis-Gruppe und allen, welche deren Konzept teilen:
Sie unterscheiden nicht zwischen Sinn- und Urteilsform.

Aber vielleicht ist Dir diese
"abstrakte Arbeit" als Konzept zuwider weil Du sie anders dargestellt
bekommen hast als in der folgenden Passage...) :

Nein. 'zuwider' benutze ich eher dann, wenn es um die Gefühlsebene geht.
Hier geht es ums Verständnis. Ich lege hier Widerspruch ein. Ist ja
irgendwo verwandt mit 'zuwider'.
Wenn ich etwas dargestellt bekomme, dann kann ich mich damit reflexiv
auseinandersetzen.
 
"Wahrscheinlich können wir uns schnell auf das Stichwort
"vergegenständlichte Arbeit? einigen; 

Ja

wohl auch darüber, dass es sich bei
der Größe, die in der beim Kaufen und Verkaufen praktizierten
Gleichsetzung unterschiedlicher Güter das "substanziell? Identische
ausmacht, nicht um die "konkrete? Arbeit handelt, die sich in der
besonderen Beschaffenheit eines Produkts niederschlägt und insoweit
dinglich auffinden lässt, sondern um "abstrakte Arbeit?, "Arbeit
überhaupt?, die eben unterschiedslos in allen Elementen der kapitalistisch
hergestellten Warenwelt "drinsteckt?. Was ist das für eine "Substanz?,
diese "Arbeit überhaupt?? Gehen wir die Sache durch, so kurz es geht, und
so prinzipiell, wie es hier offenbar notwendig ist...

Nein. Darauf kann ich mich nicht einigen. Das ist ja gerade einer der
zentralen Kritikpunkte an der Krisisposition, die ich in meiner mail
schon angesprochen habe.
--- Zitat Anfang ---
Das Konzept der Krisis-Gruppe basiert wesentlich auf dem Konzept
"Abstrakte Arbeit". Der Ausdruck ist bei Marx an einigen Stellen zu
finden, hat aber meiner Meinung nach keinen Stellenwert. In der linken
Diskussion gründet diese Konzeption auf Sohn-Rethel. Ich denke, dass
hier bestimmt-unbestimmt mit konkret-abstrakt verwechselt wird. Die
Differenzierung konkret-abstrakt bezieht sich auf die Urteilsformen,
während bestimmt-unbestimmt sich auf Sinnformen bezieht. In der
Wertformanalyse im ersten Band des "Kapitals" geht es aber um Sinnformen
und nicht um Urteilsformen.
--- Zitat Ende --- (meine mail vom 'Fri, 05 Oct 2001 22:54:26 +0200')

Den Rest habe ich abgeschnitten.

Gruß Ingo.
________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


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