Re: [ox] WOS2 -- Wohlstand
- From: Robert Gehring <zoroaster snafu.de>
- Date: Tue, 16 Oct 2001 21:48:06 +0000
Am Dienstag, 16. Oktober 2001 20:58 schrieb Gregor Zeitlinger:
On Tue, 16 Oct 2001, Robert Gehring wrote:
Ich möchte im Hinblick auf diese Überlegung auf einen sehr interessanten
-und m.E. sehr relevanten- Aufsatz von Robert E. Lane hinweisen: "The
joyless market economy", pp 461-488, in A. Ben-Ner, L. Putterman (eds.):
Economics, Values, and Organization, Cambridge University Press, 1999.
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Ich weiß nicht genau, ob daß ein Gegenargument zu meinem sein sollte.
Falls dem so ist, ist das ein Mißverständnis.
Sollte kein Gegenargument sein, sondern lediglich auf die "begriffliche
Ambivalenz" von Wohlstand hinweisen. Eine abstrakte Wohlstandsdefinition im
Sinne von soundsoviel verfügbarem Einkommen oder dergleichen tut es
wahrscheinlich nicht, sondern würde ev. -nach Lane: mit Sicherheit- in die
Irre führen. Dabei würde das "Wohl" aus "Wohlstand" herausfallen, übrig
bliebe ein besser ausgestatteter "Stand".
Der Fakt, daß Open Source an sich zu höherem Wohlstand führt, reflektiert
lediglich den Fakt, daß die gleiche Arbeit weniger Aufwand erfordert.
Ich würde da vorsichtiger sein und eher von mehr Effizienz statt von mehr
Wohlstand sprechen. Es kommt für das Mehr an Wohlstand m.E. darauf an, aus
diesen Effizienzgewinnen ("weniger Aufwand" = höhere Effizienz) etwas zu
machen, was zu Wohlstand führt.
Wenn
die gewonne Zeit Freizeit ist, ist das ja schon ein Wohlstandszuwachs.
Auch hier wäre ich vorsichtig. Das gilt nur, wenn Freizeit per se als ein
Wohlstandsfaktor definiert ist. Nach Lane müßte man stattdessen primär über
die Art der _Freizeitaktivität(en)_ nachdenken und nicht über den _Umfang_
der verfügbaren Freizeit. Mehr Freizeit zieht nicht notwendig mehr
befriedigende Freizeitaktivität(en) nach sich, aus den verschiedensten
Ursachen.
Mit
recht würde ich dir zustimmen, daß traditionelle Wohlstandsindikatoren
ungünstig sind.
Wenn man z.B. das Bruttoinlandsprodut (BIP) als Wohlstandsindikator nehmen
würde, würde dies nicht die Umweltqualität, die Freizeit oder das
psychologische Wohlbefinden der Bevölkerung insgesamt berücksichigen. Man
kann da sehr perverse Beispiele konstruieren. Z.B. würde eine Erhöhung
von Unfällen das BIP erhöhen, weil die Krankenhäuser mehr leisten müßten.
Dass das keine Wohlstandserhöung sein kann, ist natürlich klar.
_Sollte_ nicht so sein. Es lassen sich aber auch da Grenzbereiche finden. So
ist z.B. eine gewisse Anzahl von Unfällen notwendig, um die Existenz einer
Unfallstation ökonomisch (nicht: moralisch) zu rechtfertigen. Auch würde die
Vermeidung von Unfällen, wo sie machbar ist, nicht jeden Aufwand
rechtfertigen (wieder: ökonomisch, nicht moralisch). Eine reine ökonomische
Betrachtung hat nun mal ihre Tücken, wenn es es um Bereiche jenseits des
Quantifizierbaren und Operablen geht.
Tansaktionen die nicht über den Markt abgewickelt werden (wie z.B. wenn
man sich selbt oder die Eltern kochen) werden auch nicht im BIP erfaßt.
Im Prinzip ja, aber auch daran gibt es Kritik von Ökonomen. Ausgehend von
dieser Kritik wird versucht, immer mehr Transaktionen durch geeignete
Definitionen in Märkte zu transferieren (Bildungsmarkt, legal markets, u.a.),
was sie in der Konsequenz in eine verbesserte BIP-Rechnung einbeziehbar
macht. Auch dazu gibt es Versuche. Die Betrachtung aller (Re-)Aktionen als
"Transaktionen" ist nicht in jedem Falle hilfreich.
Es gibt aber alternative Wohlstandsindikatoren, z.B. das "grüne" BIP.
In diesem Sinne (der meiner Meinung nach auch intiuitiver ist) habe ich
Wohlstand verwendet.
Dagegen ist -intuititiv gesehen- nichts einzuwenden. Schwierig wird es
vielleicht, wenn man weiterdenken will, sei es zur Theoriebildung, sei es zur
Bestimmung von Handlungsmöglichkeiten.
Es gibt m.E. ein "Konstruktionsproblem" für Wohlstand.
Wohlstand läßt sich erst als Resultat "messen", nicht etwa vorgeben. Vorgeben
lassen sich z.B. Ziele für das Pro-Kopf-Einkommen, die Arbeitszeit usw. Sucht
man nach einem Gestaltungsansatz für Wohlstand, sollte man darauf achten,
nicht bloß diese (Etappen-)Ziele erreichen zu wollen und -mit den gewählten
Maßnahmen- erreichen zu können.
[Das gilt schon für jede(n) Einzelne(n). Es gilt die "hedonistic treadmill"
zu vermeiden, wie Lane das formuliert, bei der quantifizierte Ziele
angestrebt werden, von denen man sich Wohlbefinden erhofft. Sind diese Ziele
erreicht, stellt man fest, daß das Wohlbefinden sich nicht eingestellt hat.
Dann folgt der Schluß, man hätte bloß nicht genug erreicht, setzt die
Zielgrößen auf einen höheren Wert und fängt von vorn an.]
Gestaltung entlang der "klassischen" Wohlstandsindikatoren (die ja nach Lane
nicht unbedingt welche sind) ist einfach: Man erhöhe z.B. das verfügbare
Einkommen durch diese oder jene Umverteilung, dann werden die Leute schon
glücklicher.
Andere, nicht so einfach zu induzierende Wohlstandsgrößen (siehe
vorangegangene Mail) bereiten da wahrscheinlich Probleme, die schwieriger zu
behandeln sind.
Gruß, Robert
--
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