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Re: [ox] Begriffsklärung: Kooperation, Macht, Gewalt



Hi Benni, Ralf, alle!

5 days ago Benni Bärmann wrote:
In der Diskussion um freie Kooperation scheinen zwei Begriffe immer mehr
zentral zu werden: "Macht" und "Kooperation".

Da ist was dran.

Ich habe beide Begriffe in der
bisherigen Diskussion sehr weit gefasst und Lutz hat mich in Berlin bei dem
WOS-Workshop teilweise zu Recht darauf aufmerksam gemacht, dass Begriffe,
die man zu weit fasst, schnell zu Nullbegriffen werden, da man damit dann
alles oder nichts meint.

Vollste Zustimmung :-) .

Ich bin also ins Grübeln gekommen und hab
angefangen Wörterbücher zu lesen.

Das finde ich ganz toll. Danke für deine Bemühungen. Nur wenn wir -
einigermaßen - wissen wovon wir reden, haben wir eine Chance, nicht
nur nutzlos aneinander vorbei zu reden.

Hier jetzt also mal meine Gedanken dazu:

Kooperation
-----------

Die in den Wörterbüchern und im allgemeinen Sprachgebrauch gefundenen
Bedeutungen dieses Begriffes sind sehr unterschiedlich und reichen von
jeglichem gemeinsamen Handeln bis hin zu nur positiv aufeinander bezogenem
zielgerichteten arbeitsmäßigem gemeinsamen Handeln. Wenn ich also einen
Begriff von Kooperation verwenden will, muß ich den irgendwo in diesem
Kontinuum verorten.

Ja.

Ich tendiere stark zu dem letztgenannten, wohl eher engen Pol. Ralfs
Marx-Zitat scheint mir auch dahin zu tendieren.

Im Kontext einer Theorie der freien Kooperation muss dieser Begriff
zwangsläufig zentral sein. Wenn ich anhand der Theorie entscheiden können
will, welche Kooperationen erzwungen sind und welche frei, dann gebe ich mit
dieser Begriffsbildung sozusagen den Definitionsbereich der Theorie an. Ich
sage, worüber ich mit dieser Theorie Aussagen machen will und worüber nicht.

Ja.

Aus diesem Grund halte ich auch im Fall der Kooperation an einem sehr weiten
Begriff, der jegliches gemeinsames Handeln umfasst, fest. Denn eine
Einengung dieses Begriffes hätte eine Einengung der Theorie zur Folge und
Dinge wie Liebe, Sexualität, Musizieren, Diskutieren, etc... würden nicht
mehr erfasst. Und das kann ja nicht unser Ziel sein.

Da würde ich nicht folgen, denn hier machst du den Wunsch zur Mutter
des Gedanken: Du willst eine Theorie, die möglichst alles umfaßt und
hast dir schon einen Begriff gesucht, der diese Theorie benamsen soll.
Jetzt den Begriff auszuweiten, damit er auf den Wunsch paßt, halte ich
nicht gerade für die gelungenste Herangehensweise. Lieber würde ich
einen passenden Begriff nehmen, der das Gewünschte bezeichnet.

Man kann natürlich, wenn man - so wie Stefan Mz. - eine Differenzierung
zwischen Kooperationen, die Dinge verwenden und solchen die das nicht tun,
für wichtig hält, diese Differenzierung trotzdem vornehmen, nur eben dann
als eine weitere Eigenschaft, die Kooperationen haben können oder eben
nicht.

Na, ich finde das nicht so beliebig. Es kann ja sein, daß du nur über
bestimmte Arten von Kooperation in dem o.g. weiten
Definitionskontinuum spannende Aussagen machen kann. Wenn alles qua
Definition unter diesen Leitbegriff passen muß, dann kannst du diese
spannenden Aussagen aber nicht halten, weil sie eben auf andere Teile
des Kontinuums nicht passen.

Und ich denke in der Tat, daß es erhebliche, für unseren Zusammenhang
wesentliche Unterschiede zwischen einzelnen Kooperationen des o.g.
Kontinuums gibt. Wenn du einfach postulierst, daß das nicht so ist -
wie es der "Gleicher als andere"-Text tut - dann würdest du
voraussetzen, was eigentlich erst zu zeigen wäre. Das halte ich
ebenfalls nicht für sonderlich nützlich.

Deswegen müßten wir uns nach meiner Auffassung entscheiden, was wir
wollen und welchen Kooperationsbegriff wir benutzen wollen. Mit einem
weiten lassen sich nach meinem Dafürhalten keine interessanten
Aussagen machen, mit einem engen läßt sich halt nicht die ganze Welt
in einen Begriff packen. Mit letzterem hätte ich aber kein Problem,
denn es gibt ja auch noch viele andere schöne Begriffe :-) .

Macht
-----

Im Falle des Machtbegriffs gebe ich Lutz schon eher recht. Das was ich in
manchen Beispielen als Macht bezeichnet habe (Reden, Mails schreiben, etc.)
könnte man wohl eher als "Einfluß" bezeichnen oder sogar nur als "möglichen
Einfluß".

Ja.

Dennoch denke ich, dass der Machtbegriff, den Stefan Mn., Petra und andere
in der Diskussion verwendet haben zu negativ ist.

Ich hatte in einer Mail darauf hingewiesen, daß ich Macht durchaus
nicht nur für negativ halte.

Nach der Lektüre eines interessanten Artikels von Johannes Schwartländer
über Macht im "Handbuch für philosophische Grundbegriffe"

Ich finde es BTW gut, auch mal das explizit heranzuziehen, was andere
zu solchen, ja nun wahrlich nicht neuen Themen gedacht haben.

meine ich auch die
Ursache dieser unterschiedlichen Auffassungen von Macht herausgefunden zu
haben: Es dreht sich um eine Vermischung mit dem Gewalt-Begriff.

Ich denke, daß Macht mit Gewalt zusammenhängt. Aber es sind dennoch
unterschiedliche Begriffe - also keine Vermischung bei mir.

Es gab ja
hier letztens schon mal eine ausufernde Diskussion um "Gewalt", die ich
zugegebenermaßen nur teilweise verfolgt habe. Ich will das jetzt nicht
nochmal auswalzen, sondern nur kurz darlegen, wie "Gewalt" in obigem Artikel
gesehen wird und wo das was mit Macht zu tun hat und wo nicht. Alle Zitate
aus dem genannten Artikel:

Exkurs: Gewalt
--------------

"Die Bedeutung von Gewalt ist allgemein: über etwas verfügen können." Wenn
man über etwas Gewalt hat, kann man es für beliebige Zwecke gebrauchen.
"Darin gründet der instrumentelle Charakter der Gewalt. [...] Das gibt der
Gewalt auch den Grundzug der Willkür." Im Folgenden wird besonders darauf
hingewiesen, dass Gewalt bedeutet, Widerstand zu überwinden (also genau das,
worauf ihr euch in eurer Machtdefinition stützt)

Das finde ich alles ziemlich richtig. Macht hatte ich allerdings als
die *Fähigkeit* Widerstände zu überwinden bezeichnet. Nach obiger
Definition also die Fähigkeit Gewalt einzusetzen. Da ist für mich der
Zusammenhang zur Gewalt.

und dann heisst es:
"Eindeutig negativ wird das Verhältnis dann, wenn die Gewalt sich auf den
anderen Menschen bezieht und zwar bereits dadurch, dass sie ihn zu einem
Etwas macht, über das sie verfügt. [...] Der Mensch, der sich nur auf seine
Gewalt stützt, ist daher der personalen Begegnung nicht fähig, er
verschliesst sich von vorneherein den Raum möglichen freien Handelns." Das
verstehe ich ganz im Selbstentfaltungssinne: Wer Gewalt über andere ausübt,
verletzt die Bedingung der eigenen Selbstentfaltung.

Sehr gut!

Für Macht gilt das
jedoch nicht immer, da sie "kein instrumentelles Verfügen über etwas ist".

Moment, was war Macht noch? Ach, kommt gleich ;-) .

btw: Wenn Christoph Spehr von "Gewalt" spricht und sie in Ausnahmefällen
"erlaubt" handelt es sich immer um "Notwehr", also "Gegengewalt" und die ist
zwar instrumentell, aber nicht immer zu vermeiden.

Notwehr / Gegengewalt ist natürlich auch schon anrüchig. Hier
verschiebst du das Problem bei der Gewaltanwendung auf die Zwecke die
damit erreicht werden sollen. M.E. müßte es uns um Bedingungen gehen,
in denen es *nicht zweckmäßig* ist, Gewalt / Macht / etc. einzusetzen.
Und zwar sowohl im je eigenen Interesse nicht als auch im
gesamtgesellschaftlichen. Um in deiner Diktion zu sprechen: Die
Ausnahmefälle *strukturell* zu minimieren.

Zurück zur Macht
----------------

"Macht kommt dem Menschen als Willen zu. [...] Näher umfaßt Wille immer
schon zwei Wirkrichtungen: [...] Zwecktätigkeit [...] und [...] freier
Wille [...]. Zwecktätigkeit [...] kann [...] darin gesetzt werden, alle Anlagen
und Kräfte der Natur, der äußeren und der eigenen, zu entwickeln, und zwar
so, dass dem Menschen eine Verfügungsmacht zuwächst. [...]

Das verstehe ich nicht ganz und bin nicht sicher, ob ich es nicht
kapieren kann oder nicht kapieren will.

Daß ihm Verfügungsmacht zuwächst läßt sich übersetzen mit Gewalt
zuwächst - oder?

Freier Wille
steht hier für anthropologische Grunderfahrungen, wie dass der Mensch nicht
nur lebt, sondern sein Leben führt [...]. Grundlegend für diese
Erfahrungen ist aber die Begegnung mit andern Menschen, die mit der
gegenseitigen Anerkennung überhaupt erst den Raum möglichen freien Handelns
entstehen läßt" Für diese Erfahrung gibt es einen Namen: Autonomie (oder
Selbstentfaltung).

Bei Autonomie ist der Teil der Begegnung aber nicht selbstverständlich
drin. Bei dem - auch inhaltlich ziemlich weiten - Begriff der
Selbstentfaltung schon eher.

Im folgenden werden dann drei unterschiedliche Erscheinungsweisen der Macht
differenziert:

- Befehl und Gehorsam
- Autorität
- Kooperation

Letztere ist die Macht die ich meine (und ich denke auch Christoph Spehr
spricht von dieser Macht und ich verstehe auch Selbstentfaltung genau so:
als gegenseitiges Ermächtigen. Im Handbuch heisst es dazu: "Es ist
offensichtlich, dass sich hier eine geschichtlich neue Form der Macht
ankündigt, in der die Gegenseitigkeit prinzipielle Bedeutung gewinnt." Es
geht um eine "Macht der Menschen", die sich "gleichsam als Herrschaft aller
über alle entfalten kann". Im letzten Satz finde ich "Herrschaft" etwas
unglücklich gewählt, weil Herrschaft für mich Asymmetrie beinhaltet
(Ausbeutung). Aber man könnte auch da von der "Macht aller über alle"
sprechen.

Hupps, jetzt habe ich den Faden wohl zu sehr verloren. Würdest du
nochmal genauer erläutern, was du mit Macht meinst?


						Mit Freien Grüßen

						Stefan

________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


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