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Re: [ox] Dschungel, Version 2




Hallo Stefan,

Du schreibst

 > Ich hatte schon darauf hingewiesen, dass auch in Marktprozessen
 > Elemente freier Kooperation stecken, nämlich, wenn es um die dingliche
 > Seite geht. Sie sind auf eigentümliche Weise mit der Wertseite
 > verquickt, bei Marx über W-G-W bzw. G-W-G'. Letzteres ist das
 > eigentliche Übel, aus dem sich die "tautologische
 > Selbstbewegungsstruktur des Geldes" ergibt.

Deine These halte ich für problematisch und auch gefährlich. Da steckt
noch ziemlich die "alte" ML-Denke drin, die davon ausgeht, die dingliche
Seite - die Gebrauchswertseite - sei die "reine", nur die Wertseite
macht den Ärger. Man müsse also nur die Dingseite von ihrer "Werthülle"
befreien. Das kannst du IMHO knicken.

Du weißt, dass du mich damit zu kurz interpretierst. Klar ist die
Werthülle um alles drum rum und mit tausend Fäden auch im Inneren
verankert.  Meine Frage (und die halte ich im Keimformansatz für
wichtig) ist folgende: gibt es unter dieser Werthülle Tendenzen,
diesen engen Zusammenhang zwischen dinglicher und Verwertungsseite zu
relativieren? Und gibt es vor allem Gründe dafür?

Eine solche Verselbstständigung, allerdings in die falsche Richtung,
ist die Finanzsphäre, die sich überhaupt nicht mehr mit der dinglichen
Seite befasst (und so für "die Welt" ein enormes finanzterroristisches
Potenzial entwickelt).

Die "eigentümliche Verquickung", von der du sprichst, und die Marx
"Fetischismus" nennt, besteht doch gerade darin, dass die Dinge nicht
Resultat einer sozialen Verständigung, sondern umgekehrt die soziale
Struktur Resultat der Selbstbewegung der (Wert-)Dinge ist. Was sich da
tautologisch selbst bewegt ist doch nicht nur das Geld! Mit in diese
Bewegung einbezogen sind alle Aggregatzustände des Werts: Ware, Arbeit,
Geld, Kapital. Das heisst, auch die Dingseite der Ware ist "von Übel".

Das hört sich ja richtig krisis-like an. Sorry, so deterministisch ist
das nicht. Ding- und Geldseite haben mE. durchaus je eigene Dynamiken,
die in den Motiven der Handelnden subtil miteinander verwoben sind.
Auch die soziale Struktur ist nicht _nur_ Abklatsch der
"Selbstbewegung der (Wert-)Dinge", weil sie ja nicht von der
dinglichen Kausalität abstrahieren kann (König-Midas-Effekt) -
jedenfalls so lange sie nicht gänzlich die Verbindung zu letzterer
verloren hat.  Der Handwerker (abhängig Beschäftigter), der meine
Heizung wartet, interessiert sich wenig für die Wertseite, denn dafür
gibt es vorher ein Festpreis-Angebot und hinterher eine Abrechnung
durch die Buchhaltung. Und macht diese Arbeit vielleicht sogar mit
Freude und Selbstentfaltung, weil er dauernd was dazulernt. Und gibt
mir noch Tipps, was ich beachten sollte. Geht natürlich auch alles
ganz anders, wenn er von der Firma unter Druck gesetzt wird, sich
wertförmig zu verhalten. Aber die Firma macht das nicht, weil sie
weiß, dass gute Leute unter solchem Druck nicht lange bleiben.  Warum
verhalten die sich nicht alle, wie es die Theorie verlangt? Was geht
da ab an einigen Stellen unter der Werthülle?

Hier bekommen einzelne Leute Freiräume, den ständigen
Perspektivwechsel zwischen der dinglichen Seite und der abstrakten
Tauschwertseite nicht mitzumachen.  Natürlich auch deshalb, weil das
andere für sie übernehmen. Aber das ist ja bei FS ähnlich, wenn auch
dort der Schwerpunkt schon deutlich weiter in Richtung
Selbstentfaltung verschoben ist. Die materielle Basis (Rechnerzugang,
Serverkapazität) muss da allerdings auch stimmen.

Die dingliche Seite einer Ware ist auch abstrakt: sie dient als Mittel
der Verwertung und abstrahiert von Mensch und Natur. 

Die Verwertung der dinglichen Seite abstrahiert von Mensch und Natur,
die dingliche Seite selbst kann das gar nicht.

Die "Nützlichkeit" ist bestenfalls Abfallprodukt, aber nicht Ziel
(auch wenn die Ideologen anderes erzählen).

Bei G-W-G'. Im Prozessansatz hast Du aber eine relative Autonomie von
W-Prozess (Vorhalten und Reproduktion des Instrumentenparks und des
Know-How) und G-Prozess (Akquirieren und Abrechnen von Aufträgen). 
 
 > Das ist allerdings besonders typisch für ein Denken in Produkten.
 > Ändert sich daran etwas mit dem Übergang von einer
 > produktorientierten zu einer prozessorientierten Ökonomie?

Nein, sehe ich nicht. Was meinst du?

So lange du das auf einzelne verkaufbare Produkte runterbrichst, hat
der G-Prozess den W-Prozess voll im Griff.  Was passiert aber, wenn
der "Kunde" nicht fertige Produkte will, sondern bereits im
Produktionsstadium mitmischen möchte? Oder gar, wie bei Software als
Prozess, die Grenzen zwischen Produzent und Konsument verschwimmen und
nicht mehr so unidirektional sind?  Das ist Durchgriff durch die
G-Prozesse, deren Vermittlungsfunktion damit in Frage gestellt ist.
Wolf Göhring hat dazu hübsche Folien gemacht.  

Die dingliche Seite verlangt, dass sich die Buchhaltung auf die
Organisation des Cash-Flows konzentriert und anderen nicht dauernd
"reinredet".  Ist natürlich in der Realität komplizierter, aber
gewisse Elemente einer relativen Autonomie glaube ich zu erkennen, die
sich aus dem Übergang von Produkt zu Prozess ergibt.  Damit entstehen
aber Räume, die nach den Prinzipien der FK organisiert werden können. 

Besonders deutlich wird das bei gemeinsam bewirtschafteter
Infrastruktur.  Dazu hat Hort Müller im Oktoberheft von Utopie kreativ
(132) unter dem Begriff "sozialwirtschaftliche Dienstleistungen" einen
sehr interessanten Aufsatz stehen, siehe
http://www.rosalux.de/Bib/uk/Archiv.  Der "Cash-flow" muss da vom
Staat als Transferleistung organisiert werden, die Quote beträgt heute
- nach verschiedenen Rechnungen ergeben sich unterschiedliche Werte -
mehr als 50%. Neoliberale Politik versucht, das zurückzudrängen, aber
das schlägt negativ auf die Qualität dieser "sozialwirtschaftlichen
Dienstleistungen" durch.  Also eine recht explosive Gemengelage.

-- 
Mit freundlichen Gruessen, Hans-Gert Graebe
________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


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