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Thread: oxdeT04038 Message: 24/29 L11 [In index]
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Re: [ox] Re: Macht in der Freien Software



Hallo Benja, Benni, Stefan, alle,

bin jetzt wieder im Normalstress, der zur Zeit v.a. bedeutet, mehr oder minder schlaue Texte zu schreiben, da bleibt dann nicht mehr so viel Zeit und Lust, hier mitzuschreiben. Es kommt halt (noch seltener) was, hiermit: tschuldigung.

Aber zur Sache: Danke, Benja fuer deinen Beitrag. Lass uns doch Stefans 'Einschraenkende Bedingung' statt Macht uebernehmen, das scheint mir erstmal fuer alles, was du und ich bisher beschrieben haben, zu passen - auch fuer dein Raumbeispiel aus dem "Maintainership-Konflikte jenseits von Software" - Threat.

Ja, Stefan, vielleicht wird so ein Schuh daraus. Auf deine letzte Mail fiel mir gar nichts ein, was ja in der Tat ein Zeichen fuer 'Ueberkreuzliegen' ist. Uebrigens finde ich, dass das Ganze hier recht viel mit 'Reality-Check' zu tun hat, also mal genau zu schauen, was Freie Software zu entwickeln heute bedeutet, wie es funktioniert und wie es sich in diese Welt einfuegt.

Also:

At 23:12 31.01.02 [PHONE NUMBER REMOVED], Stefan Merten wrote:
Das Mißverständnis scheint mir jetzt darin zu liegen, einfach *jede*
Form von Einschränkung von Handlungsmöglichkeiten als Macht zu
bezeichnen. Immerhin gibt es viele Gründe, die Handlungsmöglichkeiten
einschränken können. Bei Freier Software scheint mir die (u.a.
technische) Befähigung und ein gewisses verfügbares
Zeit-/Energiebudget dominant zu sein.

Einverstanden. Ich mach da mal weiter: Wenn wir das Dreieck Zeitbudget -Technische Expertise - Lust (mit Lust bezeichne ich deine Energie) wirklich ernst nehmen, dann wird das Hausfrauen-Beispiel aus deiner letzten Mail fraglich.

1. Zeitbudget:
Es gibt in dieser unserer Gesellschaft so um die drei verschiedenen Gruende, warum manche mehr freie Zeit haben als andere (und das laesst sich natuerlich nicht nach Stunden zaehlen, es geht mehr um sowas wie gefuehlte Zeit, Zeit, die uebrig bleibt, nachdem all das Notwendige - inkl. Reproduktion = Einkaufen, Putzen, Geschlechtsverkehr - getan ist, irgendsowas): a) Ganz besondere Privilegiertheit: Der Rentier (nicht das Rentier), diese aufgeblasenen Typen, die von den laufenden oder zuvor angehaeuften Einnahmen ihrer Daddies leben. Gibts schon laenger, dafuer aber recht selten, ist irgenwie irrelevant. b) Einige Bereiche dieser Gesellschaft erlauben eng begrenzte aber intern relativ freie Spielraeume: Allen voran die F&E (Forschung und Entwicklung), aber vielleicht auch im weiteren Sinne kuenstlerische/kreative Taetigkeiten. Die Leute da drin zu sehr von aussen zu disziplinieren hat sich als kontraproduktiv erwiesen. Allerdings sehen wir seit ein paar Jahrzehnten die Tendenz, dass diese Freiraeume immer selektiver strukturiert werden. Das heisst innerhalb der sie gewaehrenden Institutionen, dass nur noch einzelne Bereiche frei sind, andere werden ins sonst uebliche Korsett raum-zeitlicher Kontrolle ("Sei zum Zeitpunkt X am Ort Y) gezwungen. Ein Beispiel sind die allfaelligen Masterstudiengaenge, wo richtige Forschung erst spaeter erwuenscht ist, vorher (also bis zum BA) ist halt Schule, die bekanntlich die Raum-Zeit-Disziplinierungsmaschine ueberhaupt ist. Ob jemand 'freigelassen' wird, hat dann immer viel mit der erfolgreichen Selbstdisziplinierung zu tun. Ein anderer Mechanismus der Selektion ist der allgemeine Nutzen in seinem rechenhaftigen Sinne, der sich von den Produkten der freien Kreativen erhofft wird. Kreativer A kostet zwar mehr, ermoeglicht aber durch seine Produkte irgendein Surplus, das noch groesser ist. c) Die "unnuetzen" Leute haben auch viel Zeit, von denen will niemand mehr was, die haben nichts, was jemand wollen koennte. Oder sie haben nur was, was keiner will. In unseren Breiten hungern die oft nicht, das ist ja auch schon mal was.

2. Technik:
Die Faehigkeiten, die zur Produktion (freier) Software benoetigt werden, stehen allesamt in hohem Kurs heutzutage. Alle! Auch das Dokumentieren oder das Lokalisieren, das immer als Beispiel gebracht wird fuer 'einfachere' Taetigkeiten. Nach dem Dotcom-Tod wird vielleicht jemand, der/die Javascripteln kann, schwerer einen Job finden, zumindest sind die Preise dafuer rapide gesunken. Aber mit 'hoeheren' Programmiersprachen auf dem Kasten und der Faehigkeit gute technische Dokumentationen, vielleicht sogar mehrsprachig, zu schreiben, sollte es immer noch ein geringeres Problem sein, gute Preise zu erzielen. Ganz zu schweigen von den Faehigkeiten, die einE MaintainerIn hat. 'Erfolgreiches Projektmanagement in virtuellen, multinationalen Teams', nach jemand, der/die das kann, lecken sich doch alle miteinander die Finger! Die Leute aus (1a und 1c) haben meist keine dieser Faehigkeiten. Das erfolgreiche Projektmanagement ist eine Grundqualifikation, die alle MaintainerInnen aufweisen werden, ergibt sich also insofern nicht aus den jeweiligen Erfodernissen des je spezifischen Projekts. Aber das ist eigentlich nicht der Punkt: Wichtiger in diesem Zusammenhang ist mir, dass es in der FS-Szene einen, sagen wir mal ideologischen Ueberschuss gibt innerhalb der Definition, was wertvolle Faehig- und Fertigkeiten sind. Der haelt das Haeuflein zusammen und alle glauben daran. Stimmen tut es deshalb noch nicht. Ich meine die Fetischisierung bestimmter Technologien als ueberlegen. Der "one best way", die schoenste oder pfiffigste Loesung eines Problems existiert einfach nicht. Ein Problem zu loesen, ist nicht nur eine Frage erfolgreichen Tueftelns. Das ist Ingenieursideologie, die auf die gesamte Gesellschaft angewendet zur Technokratie gerinnt. Wie? Es gibt zu wenig Raeume? Lasst uns eine pfiffige Loesung finden! Der mit der pfiffigsten Loesung darf dann gemaess seiner Expertise fuer Raumverteilungsfragen die Raeume verteilen. Eine Gesellschaft wirklich rational zu organisieren halte ich uebrigens nicht fuer das Duemmste.
Aber:
Es ist kein Zufall, dass (auch auf dieser Liste) das Bauen kleiner idealer Welten auf dem Reissbrett (Utopismus) ein gerne gerittenes Steckenpferd ist. Wir finden hier haeufig Jungs, die sich zum Oberingenieur einer ganzen Welt hochtraeumen. Das klingt abschaetziger als es gemeint ist, Spiele dieser Art koennen als Mittel gegen die Verwalter des Bestehenden sehr produktiv sein kann. Diese Verwalter leben naemlich u.a. davon, dass sie unsere, wie sie gerne eingestehen: mangelhafte Welt als die einzig moegliche stilisieren. Das ist vielleicht sogar der vorherrschende Typus von (legitimer) Herrschaft, dem wir heute gegenueber stehen. Sachzwaenge der verwalteten Welt und die sie verwaltenden Ingenieure sind allueberall, zu einem unangefochtenen Ausmass, das sich ihre Erzkritiker der Frankfurter Schule nicht vorgestellt haben. Dagegen stehen nun also die kritischen Ingenieure, die bessere Gegenwelten basteln wollen. Sie lieben Science Fiction und Rollenspiele, das ist manchmal mythisch entrueckt, manchmal hochtechnisiert, gerne auch beides gemeinsam. Wie gesagt, darin steckt ein Potential, das ueber das Bestehende hinausweist. Gleichzeitig bleibt es aber erstaunlich gebunden an den Ingenieursethos der herrschenden Verwalter. Wenn mit Klauen und Zaehnen die kleine Linuxwelt als technisch besser (stabiler, freier und ueberhaupt besser) als die boese Windowswelt verteidigt wird, dann bleibt wirklich nur noch der Wettbewerb um die "pfiffigere Loesung" unserer Probleme, der Kampf darum, wer der bessere Ingenieur ist. Ich verstehe Petras Einwurf "Schön, dann kann Mann sich ja im hiesigen Kontext der 'Kontrolle' der Gesellschaftsmaschine zuwenden" in diesem Zusammenhang als Kritik an der Tendenz, sich als pfiffigerer Ingenieur der Gesellschaftsmaschine zu empfehlen.

3. Und Lust:
Da steckt die 'Selbstentfaltung' drin, die im Oekonux-Projekt ja eine wichtige Rolle spielt - und an der ist wirklich etwas dran. Erstmal aber kann ich mir schwer vorstellen, dass sie sich, wenn Zeit und technische Befaehigung fehlen, so schnell einstellt.

Jede Einschränkung von Handlungsmöglichkeiten als Macht zu bezeichnen,
halte ich aber nicht für sinnvoll, weil dann - wie andernmails
ausgeführt - auch die Naturgesetze, Nichtwissen, etc. Macht haben. Das
kann mensch natürlich so definieren, aber damit verliert mensch halt
jegliche Trennung zwischen /menschlicher) Handlung und anderen
Phänomenen und ich würde Menschen da doch nicht so gerne aus ihrer
Verantwortung entlassen.

Ein Hundsfott, wer das will!

Festzuhalten bleibt erstmal, dass die Beschraenkungen von Handlungsmoeglichkeiten innerhalb real existierenden FS-Projekten keineswegs minimal sind, sich nur um die Grenze der Naturgesetzlichkeiten herum bewegen oder lediglich aus dem Projekt heraus ergeben. In dem Schnittpunkt aus den Beschraenkungen 1-3 (Zeit, Technik, Lust, s.o.) finden wir eine sozial recht gut eingezirkelte Gruppe. Sie ist nicht nur intrinsisch ueber die Erfordernisse des jeweiligen Projekts bestimmt, sondern auch ueber externe Zwaenge dieser unserer heutigen Gesellschaften. Die These ist ja weiterhin, dass darueber nicht nur Ausschluss aus FS-Projekten stattfindet, sondern dass auch innerhalb der Projekte Hierarchisierung genau ueber das Mass an 1-3 bestimmt ist. Meritokratie ("derjenige bestimmt ueber die Richtung des Projekts, wer am meisten dafuer leistet und das beste" - alles rein intrinsisch) ist die Ideologie, die die Bedingungen 1-3 verschleiert. Zudem traegt sie einen Ueberschuss an Ingenieursethik mithin Technokratie mit sich herum.

Dass Revolutionen von relativ privilegierten Gruppen getragen werden, ist nichts Neues und erstmal nicht prinzipiell schlimm. Dass diese Gruppen ihre Revolution nach ihrem Geschmack (Beduerfnissen, Interessen, Wertvorstellungen) modellieren, ueberrascht auch nicht. Die besten Seiten z.B. der buergerlichen Revolution allerdings sind die, in denen ihre Traeger sich ihrer Partikularitaet bewusst wurden und die neuen Ausschluesse und Hierarchien, die sie selbst produziert haben, reflektiert haben.

Thomas

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Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


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