Re: [ox] Re: Macht in der Freien Software
- From: Thomas Berker <thomas.berker gmx.de>
- Date: Fri, 01 Feb 2002 17:13:05 +0100
Hallo Benja, Benni, Stefan, alle,
bin jetzt wieder im Normalstress, der zur Zeit v.a. bedeutet, mehr oder
minder schlaue Texte zu schreiben, da bleibt dann nicht mehr so viel Zeit
und Lust, hier mitzuschreiben. Es kommt halt (noch seltener) was, hiermit:
tschuldigung.
Aber zur Sache: Danke, Benja fuer deinen Beitrag. Lass uns doch Stefans
'Einschraenkende Bedingung' statt Macht uebernehmen, das scheint mir
erstmal fuer alles, was du und ich bisher beschrieben haben, zu passen -
auch fuer dein Raumbeispiel aus dem "Maintainership-Konflikte jenseits von
Software" - Threat.
Ja, Stefan, vielleicht wird so ein Schuh daraus. Auf deine letzte Mail fiel
mir gar nichts ein, was ja in der Tat ein Zeichen fuer 'Ueberkreuzliegen'
ist. Uebrigens finde ich, dass das Ganze hier recht viel mit
'Reality-Check' zu tun hat, also mal genau zu schauen, was Freie Software
zu entwickeln heute bedeutet, wie es funktioniert und wie es sich in diese
Welt einfuegt.
Also:
At 23:12 31.01.02 [PHONE NUMBER REMOVED], Stefan Merten wrote:
Das Mißverständnis scheint mir jetzt darin zu liegen, einfach *jede*
Form von Einschränkung von Handlungsmöglichkeiten als Macht zu
bezeichnen. Immerhin gibt es viele Gründe, die Handlungsmöglichkeiten
einschränken können. Bei Freier Software scheint mir die (u.a.
technische) Befähigung und ein gewisses verfügbares
Zeit-/Energiebudget dominant zu sein.
Einverstanden. Ich mach da mal weiter: Wenn wir das Dreieck Zeitbudget
-Technische Expertise - Lust (mit Lust bezeichne ich deine Energie)
wirklich ernst nehmen, dann wird das Hausfrauen-Beispiel aus deiner letzten
Mail fraglich.
1. Zeitbudget:
Es gibt in dieser unserer Gesellschaft so um die drei verschiedenen
Gruende, warum manche mehr freie Zeit haben als andere (und das laesst sich
natuerlich nicht nach Stunden zaehlen, es geht mehr um sowas wie gefuehlte
Zeit, Zeit, die uebrig bleibt, nachdem all das Notwendige - inkl.
Reproduktion = Einkaufen, Putzen, Geschlechtsverkehr - getan ist, irgendsowas):
a) Ganz besondere Privilegiertheit: Der Rentier (nicht das Rentier), diese
aufgeblasenen Typen, die von den laufenden oder zuvor angehaeuften
Einnahmen ihrer Daddies leben. Gibts schon laenger, dafuer aber recht
selten, ist irgenwie irrelevant.
b) Einige Bereiche dieser Gesellschaft erlauben eng begrenzte aber intern
relativ freie Spielraeume: Allen voran die F&E (Forschung und Entwicklung),
aber vielleicht auch im weiteren Sinne kuenstlerische/kreative
Taetigkeiten. Die Leute da drin zu sehr von aussen zu disziplinieren hat
sich als kontraproduktiv erwiesen. Allerdings sehen wir seit ein paar
Jahrzehnten die Tendenz, dass diese Freiraeume immer selektiver
strukturiert werden. Das heisst innerhalb der sie gewaehrenden
Institutionen, dass nur noch einzelne Bereiche frei sind, andere werden ins
sonst uebliche Korsett raum-zeitlicher Kontrolle ("Sei zum Zeitpunkt X am
Ort Y) gezwungen. Ein Beispiel sind die allfaelligen Masterstudiengaenge,
wo richtige Forschung erst spaeter erwuenscht ist, vorher (also bis zum BA)
ist halt Schule, die bekanntlich die Raum-Zeit-Disziplinierungsmaschine
ueberhaupt ist.
Ob jemand 'freigelassen' wird, hat dann immer viel mit der erfolgreichen
Selbstdisziplinierung zu tun. Ein anderer Mechanismus der Selektion ist der
allgemeine Nutzen in seinem rechenhaftigen Sinne, der sich von den
Produkten der freien Kreativen erhofft wird. Kreativer A kostet zwar mehr,
ermoeglicht aber durch seine Produkte irgendein Surplus, das noch groesser ist.
c) Die "unnuetzen" Leute haben auch viel Zeit, von denen will niemand mehr
was, die haben nichts, was jemand wollen koennte. Oder sie haben nur was,
was keiner will. In unseren Breiten hungern die oft nicht, das ist ja auch
schon mal was.
2. Technik:
Die Faehigkeiten, die zur Produktion (freier) Software benoetigt werden,
stehen allesamt in hohem Kurs heutzutage. Alle! Auch das Dokumentieren oder
das Lokalisieren, das immer als Beispiel gebracht wird fuer 'einfachere'
Taetigkeiten. Nach dem Dotcom-Tod wird vielleicht jemand, der/die
Javascripteln kann, schwerer einen Job finden, zumindest sind die Preise
dafuer rapide gesunken. Aber mit 'hoeheren' Programmiersprachen auf dem
Kasten und der Faehigkeit gute technische Dokumentationen, vielleicht sogar
mehrsprachig, zu schreiben, sollte es immer noch ein geringeres Problem
sein, gute Preise zu erzielen. Ganz zu schweigen von den Faehigkeiten, die
einE MaintainerIn hat. 'Erfolgreiches Projektmanagement in virtuellen,
multinationalen Teams', nach jemand, der/die das kann, lecken sich doch
alle miteinander die Finger! Die Leute aus (1a und 1c) haben meist keine
dieser Faehigkeiten.
Das erfolgreiche Projektmanagement ist eine Grundqualifikation, die alle
MaintainerInnen aufweisen werden, ergibt sich also insofern nicht aus den
jeweiligen Erfodernissen des je spezifischen Projekts. Aber das ist
eigentlich nicht der Punkt: Wichtiger in diesem Zusammenhang ist mir, dass
es in der FS-Szene einen, sagen wir mal ideologischen Ueberschuss gibt
innerhalb der Definition, was wertvolle Faehig- und Fertigkeiten sind. Der
haelt das Haeuflein zusammen und alle glauben daran. Stimmen tut es deshalb
noch nicht. Ich meine die Fetischisierung bestimmter Technologien als
ueberlegen. Der "one best way", die schoenste oder pfiffigste Loesung eines
Problems existiert einfach nicht. Ein Problem zu loesen, ist nicht nur eine
Frage erfolgreichen Tueftelns. Das ist Ingenieursideologie, die auf die
gesamte Gesellschaft angewendet zur Technokratie gerinnt. Wie? Es gibt zu
wenig Raeume? Lasst uns eine pfiffige Loesung finden! Der mit der
pfiffigsten Loesung darf dann gemaess seiner Expertise fuer
Raumverteilungsfragen die Raeume verteilen. Eine Gesellschaft wirklich
rational zu organisieren halte ich uebrigens nicht fuer das Duemmste.
Aber:
Es ist kein Zufall, dass (auch auf dieser Liste) das Bauen kleiner idealer
Welten auf dem Reissbrett (Utopismus) ein gerne gerittenes Steckenpferd
ist. Wir finden hier haeufig Jungs, die sich zum Oberingenieur einer ganzen
Welt hochtraeumen. Das klingt abschaetziger als es gemeint ist, Spiele
dieser Art koennen als Mittel gegen die Verwalter des Bestehenden sehr
produktiv sein kann. Diese Verwalter leben naemlich u.a. davon, dass sie
unsere, wie sie gerne eingestehen: mangelhafte Welt als die einzig
moegliche stilisieren. Das ist vielleicht sogar der vorherrschende Typus
von (legitimer) Herrschaft, dem wir heute gegenueber stehen. Sachzwaenge
der verwalteten Welt und die sie verwaltenden Ingenieure sind allueberall,
zu einem unangefochtenen Ausmass, das sich ihre Erzkritiker der Frankfurter
Schule nicht vorgestellt haben.
Dagegen stehen nun also die kritischen Ingenieure, die bessere Gegenwelten
basteln wollen. Sie lieben Science Fiction und Rollenspiele, das ist
manchmal mythisch entrueckt, manchmal hochtechnisiert, gerne auch beides
gemeinsam. Wie gesagt, darin steckt ein Potential, das ueber das Bestehende
hinausweist. Gleichzeitig bleibt es aber erstaunlich gebunden an den
Ingenieursethos der herrschenden Verwalter. Wenn mit Klauen und Zaehnen die
kleine Linuxwelt als technisch besser (stabiler, freier und ueberhaupt
besser) als die boese Windowswelt verteidigt wird, dann bleibt wirklich nur
noch der Wettbewerb um die "pfiffigere Loesung" unserer Probleme, der Kampf
darum, wer der bessere Ingenieur ist. Ich verstehe Petras Einwurf "Schön,
dann kann Mann sich ja im hiesigen Kontext der 'Kontrolle' der
Gesellschaftsmaschine zuwenden" in diesem Zusammenhang als Kritik an der
Tendenz, sich als pfiffigerer Ingenieur der Gesellschaftsmaschine zu empfehlen.
3. Und Lust:
Da steckt die 'Selbstentfaltung' drin, die im Oekonux-Projekt ja eine
wichtige Rolle spielt - und an der ist wirklich etwas dran. Erstmal aber
kann ich mir schwer vorstellen, dass sie sich, wenn Zeit und technische
Befaehigung fehlen, so schnell einstellt.
Jede Einschränkung von Handlungsmöglichkeiten als Macht zu bezeichnen,
halte ich aber nicht für sinnvoll, weil dann - wie andernmails
ausgeführt - auch die Naturgesetze, Nichtwissen, etc. Macht haben. Das
kann mensch natürlich so definieren, aber damit verliert mensch halt
jegliche Trennung zwischen /menschlicher) Handlung und anderen
Phänomenen und ich würde Menschen da doch nicht so gerne aus ihrer
Verantwortung entlassen.
Ein Hundsfott, wer das will!
Festzuhalten bleibt erstmal, dass die Beschraenkungen von
Handlungsmoeglichkeiten innerhalb real existierenden FS-Projekten
keineswegs minimal sind, sich nur um die Grenze der Naturgesetzlichkeiten
herum bewegen oder lediglich aus dem Projekt heraus ergeben. In dem
Schnittpunkt aus den Beschraenkungen 1-3 (Zeit, Technik, Lust, s.o.) finden
wir eine sozial recht gut eingezirkelte Gruppe. Sie ist nicht nur
intrinsisch ueber die Erfordernisse des jeweiligen Projekts bestimmt,
sondern auch ueber externe Zwaenge dieser unserer heutigen Gesellschaften.
Die These ist ja weiterhin, dass darueber nicht nur Ausschluss aus
FS-Projekten stattfindet, sondern dass auch innerhalb der Projekte
Hierarchisierung genau ueber das Mass an 1-3 bestimmt ist. Meritokratie
("derjenige bestimmt ueber die Richtung des Projekts, wer am meisten dafuer
leistet und das beste" - alles rein intrinsisch) ist die Ideologie, die die
Bedingungen 1-3 verschleiert. Zudem traegt sie einen Ueberschuss an
Ingenieursethik mithin Technokratie mit sich herum.
Dass Revolutionen von relativ privilegierten Gruppen getragen werden, ist
nichts Neues und erstmal nicht prinzipiell schlimm. Dass diese Gruppen ihre
Revolution nach ihrem Geschmack (Beduerfnissen, Interessen,
Wertvorstellungen) modellieren, ueberrascht auch nicht. Die besten Seiten
z.B. der buergerlichen Revolution allerdings sind die, in denen ihre
Traeger sich ihrer Partikularitaet bewusst wurden und die neuen
Ausschluesse und Hierarchien, die sie selbst produziert haben, reflektiert
haben.
Thomas
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Organisation: projekt oekonux.de