[ox] Reality Check -- individuelle Produktion (was: Umsonstlaeden)
- From: Thomas Uwe Gruettmueller <sloyment gmx.net>
- Date: Mon, 18 Feb 2002 09:20:38 +0100
Hi, Stefan!
On Thursday, 14. February 2002 00:50, Stefan Merten wrote:
In deinem Gedankenexperiment hast du allerdings Jeans auf
Halde produziert. Wozu? Produktion on demand ist
ressourcenschonend (keine Halde), hochindividuell
(Einzelstücke planbar) und beim Stand der Technik
(Informatisierung der Produktion) relativ leicht auf schon
breiter Basis zu haben.
Wie kommst du darauf?
Welche im heutigen Alltagsleben vorkommenden Gegenstände sind
nicht auf Halde produziert? Mir fallen Immobilien (Straßen,
Häuser usw.) und bestimmte medizinische Artikel (Brillen,
Prothesen usw.) ein. Aber sonst? Bücher, Kleidung, technische
Geräte, Teppiche, Möbel, das Essen in der Mensa, Fahrzeuge,
Schreibpapier, Toilettenbecken usw. All dies wird
hochindustriell hergestellt.
Und das ist IMHO gut so. Nicht nur, daß es unmöglich ist, diese
Dinge in der selben Qualität individuell herzustellen, es wäre
auch eine wahnsinnige Verschwendung von Ressourcen. Wenn man
z.B. eine Currysoße mit ca. zwei Scheiben Banane pro Teller
kochen will, lohnt sich das erst ab einer bestimmten Menge, denn
sonst muß man die restliche Banane wegwerfen. Also wird man die
Soße ohne Banane oder nur mit Bananensaft anrühren. Desweiteren
werden beim individuellen Kochen mehr Energie und Lebenszeit
verbraucht.
Mit welch einer Materialverschwendung individuelle Produktion
einhergeht, habe ich bei einem Praktikum im Zahntechniklabor
gesehen. Bei jeder Prothese fällt dabei ein Kilo Müll an
(Gipsmodelle, Silikonmasse usw.). Dagegen möchte ich zwar nichts
einwenden -- die Alternative, das Industriestandardgebiß, wäre
sicher sehr schrecklich -- aber daß Gegenstände, die durchaus in
Massenproduktion hergestellt werden könnten, weil sie keinerlei
Individualität erfordern, wie z.B. Flaschenöffner,
Kugelschreiber oder utopische Klos, individuell hergestellt
werden sollen, halte ich für eine irrsinnige Forderung.
Tatsächlich gibt es diesen Trend auch gar nicht. Vielmehr werden
Massenprodukte nachträglich individualisiert, z.B. durch den
Aufdruck eines individuellen Motivs auf ein standardisiertes
T-Shirt. Ebenso werden, wenn der Kunde bei der Autoausstattung
zwischen Extras wählen kann, nicht die Autos komplett
individuell hergestellt: zum einen ist ein Großteil des Autos
standardisiert, wie das T-Shirt im Beispiel zu vor, aber auch
die Extras werden meistens nicht individuell eingebaut, sondern
gängige Kombinationen in Serie produziert. Somit ist der
nachträgliche Einbau eines Schiebedachs oder ein Ändern der
Farbe bei einem Gebrauchtwagen nicht zu dem Aufpreis möglich wie
bei einem Neuwagen. BTW: In unseren Trabant hatten wir einen
Drehzahlmesser, eine Batteriespannungsanzeige, einen
Anhänger-Lichtschalter, sowie eine Bremslicht-Kontrolleuchte
selbst eingebaut. Solch individuelle Extras müßte man sich auch
heute noch selbst einbauen.
Ferner habe ich bei zu starker Individualisierung die
Befürchtung, daß die Produkte weniger servicefähig werden. Aus
zwei defekten Fernsehgeräten einen funktionsfähigen zu machen,
ist nur dann effektiv möglich, wenn es sich um das selbe Modell
handelt. Dies ist aber um so unwahrscheinlicher, je mehr Modelle
es gibt. Und dies ist dann am extremsten, wenn es überhaupt
keine zwei gleichen Fernseher gibt. Natürlich wäre es unsinnig
zu fordern, der Kompatiblität wegen 30 Jahre lang das gleiche
Standardmodell zu bauen; es gibt aber IMHO zu einem Zeitpunkt
für eine Aufgabe keinen Grund für mehrere Lösungen. Besser wäre
IMHO, nur die beste Lösung herzustellen.
In der freien Software kann ich übrigens auch keinen Trend zu
einer Individualisierung sehen, eher im Gegenteil.
Zum einen werden die Programme zumeist im Originalzustand
kopiert, zum großen Teil sogar im Preßwerk, auf Halde, und auch
in diesem Zustand benutzt. Nur wenige machen von ihrem Recht,
die Software zu ändern, Gebrauch. Von diesen geben jedoch viele
die Verbesserungspläne zurück zum ursprünglichen Projekt, so daß
es weiterhin heißt: Die beste Lösung für alle!
Zum anderen gibt es auch zwischen den einzelnen Programmen einen
Trend zur Standardisierung. Dies äußert sich z.B. in der weit
verbreiteten Verwendung vom GNU C(++)-Compiler oder von
Autoconf, in der einheitlichen Ablage der Dokumentation in
/usr/doc (außer KDE-Programme), gemeinsam verwendeten Toolkits
usw.
Hier besteht also Klärungsbedarf.
Tschüß,
Thomas
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