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[ox] Reality Check -- individuelle Produktion (was: Umsonstlaeden)



Hi, Stefan!

On Thursday, 14. February 2002 00:50, Stefan Merten wrote:

In deinem Gedankenexperiment hast du allerdings Jeans auf
Halde produziert. Wozu? Produktion on demand ist
ressourcenschonend (keine Halde), hochindividuell
(Einzelstücke planbar) und beim Stand der Technik
(Informatisierung der Produktion) relativ leicht auf schon
breiter Basis zu haben.

Wie kommst du darauf?

Welche im heutigen Alltagsleben vorkommenden Gegenstände sind 
nicht auf Halde produziert? Mir fallen Immobilien (Straßen, 
Häuser usw.) und bestimmte medizinische Artikel (Brillen, 
Prothesen usw.) ein. Aber sonst? Bücher, Kleidung, technische 
Geräte, Teppiche, Möbel, das Essen in der Mensa, Fahrzeuge,  
Schreibpapier, Toilettenbecken usw. All dies wird 
hochindustriell hergestellt. 

Und das ist IMHO gut so. Nicht nur, daß es unmöglich ist, diese 
Dinge in der selben Qualität individuell herzustellen, es wäre 
auch eine wahnsinnige Verschwendung von Ressourcen. Wenn man 
z.B. eine Currysoße mit ca. zwei Scheiben Banane pro Teller 
kochen will, lohnt sich das erst ab einer bestimmten Menge, denn 
sonst muß man die restliche Banane wegwerfen. Also wird man die 
Soße ohne Banane oder nur mit Bananensaft anrühren. Desweiteren 
werden beim individuellen Kochen mehr Energie und Lebenszeit 
verbraucht.

Mit welch einer Materialverschwendung individuelle Produktion 
einhergeht, habe ich bei einem Praktikum im Zahntechniklabor 
gesehen. Bei jeder Prothese fällt dabei ein Kilo Müll an 
(Gipsmodelle, Silikonmasse usw.). Dagegen möchte ich zwar nichts 
einwenden -- die Alternative, das Industriestandardgebiß, wäre 
sicher sehr schrecklich -- aber daß Gegenstände, die durchaus in 
Massenproduktion hergestellt werden könnten, weil sie keinerlei 
Individualität erfordern, wie z.B. Flaschenöffner, 
Kugelschreiber oder utopische Klos, individuell hergestellt 
werden sollen, halte ich für eine irrsinnige Forderung.

Tatsächlich gibt es diesen Trend auch gar nicht. Vielmehr werden 
Massenprodukte nachträglich individualisiert, z.B. durch den 
Aufdruck eines individuellen Motivs auf ein standardisiertes 
T-Shirt. Ebenso werden, wenn der Kunde bei der Autoausstattung 
zwischen Extras wählen kann, nicht die Autos komplett 
individuell hergestellt: zum einen ist ein Großteil des Autos 
standardisiert, wie das T-Shirt im Beispiel zu vor, aber auch 
die Extras werden meistens nicht individuell eingebaut, sondern 
gängige Kombinationen in Serie produziert. Somit ist der 
nachträgliche Einbau eines Schiebedachs oder ein Ändern der 
Farbe bei einem Gebrauchtwagen nicht zu dem Aufpreis möglich wie 
bei einem Neuwagen. BTW: In unseren Trabant hatten wir einen 
Drehzahlmesser, eine Batteriespannungsanzeige, einen 
Anhänger-Lichtschalter, sowie eine Bremslicht-Kontrolleuchte 
selbst eingebaut. Solch individuelle Extras müßte man sich auch 
heute noch selbst einbauen.

Ferner habe ich bei zu starker Individualisierung die 
Befürchtung, daß die Produkte weniger servicefähig werden. Aus 
zwei defekten Fernsehgeräten einen funktionsfähigen zu machen, 
ist nur dann effektiv möglich, wenn es sich um das selbe Modell 
handelt. Dies ist aber um so unwahrscheinlicher, je mehr Modelle 
es gibt. Und dies ist dann am extremsten, wenn es überhaupt 
keine zwei gleichen Fernseher gibt. Natürlich wäre es unsinnig 
zu fordern, der Kompatiblität wegen 30 Jahre lang das gleiche 
Standardmodell zu bauen; es gibt aber IMHO zu einem Zeitpunkt 
für eine Aufgabe keinen Grund für mehrere Lösungen. Besser wäre 
IMHO, nur die beste Lösung herzustellen.

In der freien Software kann ich übrigens auch keinen Trend zu 
einer Individualisierung sehen, eher im Gegenteil. 

Zum einen werden die Programme zumeist im Originalzustand 
kopiert, zum großen Teil sogar im Preßwerk, auf Halde, und auch 
in diesem Zustand benutzt. Nur wenige machen von ihrem Recht, 
die Software zu ändern, Gebrauch. Von diesen geben jedoch viele 
die Verbesserungspläne zurück zum ursprünglichen Projekt, so daß 
es weiterhin heißt: Die beste Lösung für alle!

Zum anderen gibt es auch zwischen den einzelnen Programmen einen 
Trend zur Standardisierung. Dies äußert sich z.B. in der weit 
verbreiteten Verwendung vom GNU C(++)-Compiler oder von 
Autoconf, in der einheitlichen Ablage der Dokumentation in 
/usr/doc (außer KDE-Programme), gemeinsam verwendeten Toolkits 
usw.

Hier besteht also Klärungsbedarf.

Tschüß,
Thomas
 }:o{#
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Organisation: projekt oekonux.de


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