Re: [ox] Reality Check -- individuelle Produktion (was: Umsonstlaeden)
- From: f.nahrada magnet.at (Franz J. Nahrada)
- Date: Mon, 18 Feb 2002 11:10:45 +0100
liste oekonux.de schreibt:
Tatsächlich gibt es diesen Trend auch gar nicht. Vielmehr werden
Massenprodukte nachträglich individualisiert, z.B. durch den
Aufdruck eines individuellen Motivs auf ein standardisiertes
T-Shirt. Ebenso werden, wenn der Kunde bei der Autoausstattung
zwischen Extras wählen kann, nicht die Autos komplett
individuell hergestellt: zum einen ist ein Großteil des Autos
standardisiert, wie das T-Shirt im Beispiel zu vor, aber auch
die Extras werden meistens nicht individuell eingebaut, sondern
gängige Kombinationen in Serie produziert. Somit ist der
nachträgliche Einbau eines Schiebedachs oder ein Ändern der
Farbe bei einem Gebrauchtwagen nicht zu dem Aufpreis möglich wie
bei einem Neuwagen. BTW: In unseren Trabant hatten wir einen
Drehzahlmesser, eine Batteriespannungsanzeige, einen
Anhänger-Lichtschalter, sowie eine Bremslicht-Kontrolleuchte
selbst eingebaut. Solch individuelle Extras müßte man sich auch
heute noch selbst einbauen.
...
....können! (sag ich mal, ohne Deine Gefühle verletzen zu wollen)
Ich habe nicht schlecht gestaunt auf der heurigen Exponet,
als ich das neue Pace Book (ein sehr interessantes notebook
von pace blade technologies mit einer transmeta cpu und
5 stunden batterielebensdauer) gesehen habe.
Das Tolle war nämlich weniger, daß der LCD Schirm abnehmbar ist
und am Schreibtisch an einem Ständer befestigbar; nein, die wahre
Sensation: mit handelsüblichen Photoständern!! Das muß man heute
schon wieder lobend vermerken; denn wie leicht hätte Paceblade
eine eigene Geschäftssphäre mit Subfirmen und einer eigenen
Gewindegröße aufmachen können!!!
Das ist der wichtige Punkt; es geht um eine komplette Redefinition
der Zusammenhänge zwischen industriellen Produkten. Die passen
nämlich üblicherweise nicht mehr zusammen, die hochgelobte
"Individualisierung en masse" führt gerade zu dem Unsinn, den Du
beschrieben hast und dem Abnehmen des Gebrauchswerts von Gütern.
(wenn man diesen Schwammbegriff mal mit Leben füllen wollte; jeder
von uns kennt das: "Kaum hast Du es gekauft ist es schon nur mehr
die Hälfte wert...")
Tatsächlich geht das irrsinnig tief; Marcus März beschrieb daß z.B.
die Chasis von Golf und Polo individuell sind, also nicht mehr modular.
Schlechte Bedingungen für OSCAR ....oder auch wieder nicht, denn
die Zulieferindustrie würde sich ganz gerne ein zusätzliches
Standbein verschaffen.....
Im Grunde genommen ist dieser industrielle Customisation Wahn
die größte Materialverschwendung, Energieverschwendung und vor
allem der größte Zeit- und Gelddiebstahl der Weltgeschichte!
Denn wenn ich mit den Gütern dasitze, passen sie mit vielem anderen
was ich habe nicht zusammen und ich brauch wahnsinnig viele
"Tips" und "Tricks" um sie nachträglich vielleicht doch füreinander
Nutzbar zu machen oder ich muß mir ständig neuen Ramsch kaufen.
DAs führt schließlich in die vielbeschworene "Komplexitätsfalle",
eine informationsökologische Katastrophe die wir alle am eigenen
Leib verspüren...
Die hast Du ja auch benannt: aber so als ob es um eine Utopie
von uns ginge und nicht um die gängige Praxis:
Ferner habe ich bei zu starker Individualisierung die
Befürchtung, daß die Produkte weniger servicefähig werden. Aus
zwei defekten Fernsehgeräten einen funktionsfähigen zu machen,
ist nur dann effektiv möglich, wenn es sich um das selbe Modell
handelt. Dies ist aber um so unwahrscheinlicher, je mehr Modelle
es gibt. Und dies ist dann am extremsten, wenn es überhaupt
keine zwei gleichen Fernseher gibt. Natürlich wäre es unsinnig
zu fordern, der Kompatiblität wegen 30 Jahre lang das gleiche
Standardmodell zu bauen; es gibt aber IMHO zu einem Zeitpunkt
für eine Aufgabe keinen Grund für mehrere Lösungen. Besser wäre
IMHO, nur die beste Lösung herzustellen.
Wo, bitte schön wird denn das heute denn noch getan? wir sind doch schon
längst in einem absoluten Verfall von qualitativer Ökonomie zugunsten
kasuistischer "Problemlösung".
deswegen stimme ich Dir völlig zu wenn Du schreibst:
In der freien Software kann ich übrigens auch keinen Trend zu
einer Individualisierung sehen, eher im Gegenteil.
Zum einen werden die Programme zumeist im Originalzustand
kopiert, zum großen Teil sogar im Preßwerk, auf Halde, und auch
in diesem Zustand benutzt. Nur wenige machen von ihrem Recht,
die Software zu ändern, Gebrauch. Von diesen geben jedoch viele
die Verbesserungspläne zurück zum ursprünglichen Projekt, so daß
es weiterhin heißt: Die beste Lösung für alle!
Zum anderen gibt es auch zwischen den einzelnen Programmen einen
Trend zur Standardisierung. Dies äußert sich z.B. in der weit
verbreiteten Verwendung vom GNU C(++)-Compiler oder von
Autoconf, in der einheitlichen Ablage der Dokumentation in
/usr/doc (außer KDE-Programme), gemeinsam verwendeten Toolkits
usw.
Hier besteht also Klärungsbedarf.
Ich denke auch daß dem so ist.
Ulrich Sigor hat diese Dinge übrigens schon von sieben JAhren durchdacht:
er schrieb damals am Beispiel der Küchentechnik (....hallo Heinz!):
"Wenn eine Gruppe wirklich konsequent gesunde Ernährung
mit den Mitteln heutiger Küchentechnik praktizieren wollte,
wird ein Zeitaufwand sichtbar, der nicht mehr vertretbar ist;
und es wird auch sichtbar, daß dieser Aufwand nicht durch
rein logistische Maßnahmen hinreichend verringerbar ist.
Der (Zeit)Aufwand, die "Versklavung durch den Handlungskontext"
ist in der grundsätzlichen Unzulänglichkeit der Details der Objekte,
ja in der Gliederung, der "Auslegung" der Objektwelten, der
Sachverhaltswelten verankert, die traditional und industriell-
marktlich bedingt entstanden sind.
Bedingungen des Einkaufs, Transports, die Gefäßungssysteme, die
Voraussetzungen der Häuser, die ihre Inneneinrichtung vorstrukturieren,
die Form von Armaturen und Arbeitsflächen der vermeintlichen Küchen, usw.;
das alles entpuppt sich unter echter funktioneller Belastung als Spielzeug
oder als bloße Attrappe.
Konzeptionelle Kreativität - unabdingbar in Kooperation - weil die
Standards bis zu Kleinigkeiten, wie Schrauben und Nägeln verdorben sind -
kann hier wirklich so viel Spielräume freisetzen, daß veritable
Produktion dabei
herauskommt; und sie ist wirklich auf eine eigene Produktion angewiesen,
weil weit und breit keine industrielle in Sicht ist, die das Nötige liefert
Eigenarbeit ist hier nicht einmal primär der ökonomische Ausstieg,
ondern conditio sine qua non - man ist zwangsweise Robinson inmitten
von autistischer selbstreferentieller Technologie mit Gebrauchskulisse.
Hier hilft auch kein Mittelstand und keine existenzgründelnden Klein-
unternehmer, die nur die Blechpatscher sind für den Halbzeugschrott
der Industrie. Wir brauchen auch keine Dienstleister, die uns davon
abhalten sollen, mit dem Chaos aufzuräumen oder davon ablenken."
Für mich ist eine freie Hardware nur denkbar unter einer grundlegenden
Neu-Aufrollung dieser Handlungskontexte - mit den beiden Imperativen
Modularität (Standards, auf die man sich verlassen kann und derer
man sich bedienen kann) und Individualität. Genau das vermag
übrigens industrielle Vorarbeit zu leisten!!!! Wieder Uli Sigor:
"Die Produktion eines jeden Gegenstands oder Sachverhalts läßt
sich so in ein Urbild (Konzeption) und dessen Realisierung (Fertigung)
zerlegt vorstellen. Die Fertigung einer gewissen Menge realisiert die
sog. Bedarfsdeckung.
Das Verhältnis von konzeptionellen Spielräumen und Fertigungs-
voraussetzungen kann auf sehr differente Weise ausgelegt werden.
Z.B. läßt sich nach der Lösung suchen, die ein Maximum an konzeptionellen
Spielräumen und ein Minimum an Fertigungsvoraussetzungen aufweist
und zwar so, daß sinnvolle Stückzahlen nicht von vorneherein
durch die Anlage (Fertigungseinrichtung) diskriminiert werden.
Das (hier zum Zwecke des Verständnisses) vorzustellende Ideal
ist die "rentable" Spontanproduktion, bei der sich die Bemühungen
nur noch auf Verwendungskontexte eines Gegenstands und die daraus
folgenden Anforderungen konzentrieren brauchen und die Herstellung
des Gegenstands dann individuell einfach angefordert/"ausgelöst" wird.
Das ist kein Plädoyer gegen Standards und Normen - im Gegenteil;
die Konzeptionen stellen auf Anpassungsfähigkeit, Vorausschau der
Zwecke und der Implementierung von Merkmalen (Universalität),
Robustheit gegenüber Wandel - auf eine Dauerhaftigkeit der Tauglichkeit
ab: auf nachhaltige Qualität in sinnvollen Zweckwelten und sinnvollen
Kontexten - also auf eine nachhaltige Qualität der Lebenswelten selbst."
können wir uns darauf einigen?
Denn dann wäre viel zu tun!! Mehr als Du und ich jemals schaffen
könnten....
Im übrigen wird vielleicht klarer was "kooperativer Kreislaufschluß"
heißt und warum die wiederholten Anwürfe, wir würden einer Tauschwirtschaft
das Wort reden, sagenhaft blöd sind.
Franz
________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de