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Re: [ox] Re: Macht in der Freien Software



Hallo!

On Tue, Feb 26, 2002 at 09:09:49PM [PHONE NUMBER REMOVED], Stefan Merten wrote:
Schon wieder nahe an der Ewigkeit her :-( . Ich zitiere mal
ausführlich und antworte auf zwei Mails auf einmal.

Findest Du das bei gleich zwei so Monstermails eigentlich
übersichtlich? Na, egal. Ich lösche recht viel und hab nur ein paar
Anmerkungen:

3 weeks (25 days) ago B Fallenstein wrote:
Das ist bei Freier Software aber wohl anders. Wenn da eine wichtige,
anerkannte Person, (zu lange) anfängt rumzuspinnen, dann ist sie nicht
nur das Ansehen, sondern *auch* die von euch behauptete Macht los.
Nehmen wir doch mal den aktuellen Fall im Kernel. Was ich davon bisher
mitbekommen habe, hat Linus Torvalds in letzter Zeit einfach ein paar
richtig falsche Entscheidungen getroffen und das wird von vielen so
gesehen. Alan Cox hat er damit schon weggeekelt. Was glaubt ihr, wie
lange sich selbst Super-Ikone Linus das leisten kann? Nicht lange wenn
ihr mich fragt. Hätte er aber reale Macht, würde ihn das überhaupt
nicht jucken. Er würde es einfach durchsetzen - kann er aber nicht,
weil ihm die Machtmittel dazu fehlen - u.a. weil z.B. Alan Cox de
facto geforkt hat und er sich abgewandt hat - völlig unabhängig davon,
was Linux gerne gewollt hätte.

Das sind alles aussagen, die so auch auf jeden Chef einer halbwegs
modernen Firma zutrifft. Der kann sich auch nicht alles leisten und
muss Rücksicht auf seine Angestellten nehmen. Wo soll darin das tolle
emanzipatorische Potential stecken?

Vielleicht wäre auch Meritokratie nochmal zu klären. Wegen der
"-kratie" hat es für mich etwas mit Macht zu tun, die aber
Durchsetzungsfähigkeit / Gewalt braucht.

Herrschaft funktioniert auf unterschiedlichste Weise. Direkte
physische Gewalt ist nur eine davon. Im Alienbuch ist das übrigens
sehr schön aufgedröselt, was es für unterschiedliche Formen und Mittel
von Herrschaft gibt.

Zugespitzt würde ich sogar sagen: In der Freien Software lohnt sich
Leistung (endlich) (wieder). Vielleicht hilft diese Zuspitzung ja
weiter?

Weil mir dann das Kotzen kommt? Sorry für die direkten Worte, aber
wenn das der Kern der ganzen FS-Revolution sein soll, dann nehm ich
meinen Hut und geh zu Microsoft :-(

... und dann kommt ein paar Absätze weiter unten noch:

Na ja, mit Ablehnung umgehen lernen, ist nun mal eine Aufgabe für
jeden Menschen - oder?

Das nenn´ ich dann nur noch Zynismus.

Irgendetwas ist mir an dieser Sache auch suspekt, auf der anderen Seite
finde ich das System in der Praxis aber durchaus gut. Ich bin mir also
im Moment unsicher. Thomas, könntest du mir helfen, indem du etwas
präzisierst, warum genau die Meritokratie suspekt ist und du in einer
GPL-Gesellschaft vielleicht nicht leben möchtest?

Na, daß er da nicht leben möchte, hat er jedenfalls nicht (nochmal?)
unterstrichen ;-) .

Er hat geschrieben, dass er zur Zeit fast keine Zeit für [ox] hat.


3 weeks (25 days) ago Thomas Berker wrote:
Das erfolgreiche Projektmanagement ist eine Grundqualifikation, die  alle 
MaintainerInnen aufweisen werden, ergibt sich also insofern nicht aus den 
jeweiligen Erfodernissen des je spezifischen Projekts. Aber das ist 
eigentlich nicht der Punkt: Wichtiger in diesem Zusammenhang ist mir, dass 
es in der FS-Szene einen, sagen wir mal ideologischen Ueberschuss gibt 
innerhalb der Definition, was wertvolle Faehig- und Fertigkeiten sind. Der 
haelt das Haeuflein zusammen und alle glauben daran. Stimmen tut es deshalb 
noch nicht. Ich meine die Fetischisierung bestimmter Technologien als 
ueberlegen.

Wo meinst du das zu entdecken? Mir fallen da keine Beispiele ein.
Gegenbeispiele dafür sofort: Der Netzwerk-Code im Linux-Kernel wurde
dreimal neu gemacht - was für alle Betroffenen wenig verlockend war.

Wie ich ihn kenne meint er eher das ganze kulturelle Drumrum in der
Hackerszene. Eben das, was dort "cool" ist und was "uncool" und das
damit schon eine ganze Menge transportiert wird.

Der "one best way", die schoenste oder pfiffigste Loesung eines 
Problems existiert einfach nicht.

Wo siehst du denn den "one best way"? Perl z.B. tritt ganz explizit
mit der Devise an: "There are many ways to do it".

Perl ist ja auch von einem Geisteswissenschaftler geschrieben ;-) Das
mag ich ja auch so an der Perl-Szene, das die Leute da deutlich
offener sind als sonst in der FS (ist zumindestens meine Wahrnehmung). 

Ein Problem zu loesen, ist nicht nur eine 
Frage erfolgreichen Tueftelns. Das ist Ingenieursideologie, die auf die 
gesamte Gesellschaft angewendet zur Technokratie gerinnt. Wie? Es gibt zu 
wenig Raeume? Lasst uns eine pfiffige Loesung finden! Der mit der 
pfiffigsten Loesung darf dann gemaess seiner Expertise fuer 
Raumverteilungsfragen die Raeume verteilen.

Wait a minute, hier wird's wieder kurzschlüssig. Eine pfiffige Lösung
ist doch erstmal nichts Schlechtes - oder? Die Aufgabenzuweisung, die
du da so munter anschließt ist aber nichts notgedrungenes - oder?

Genau, nicht notgedrungen. Aber die meritokratische FS-Ideologie legt
das sehr, sehr nahe und genau darin besteht die Macht.

Eine Gesellschaft wirklich 
rational zu organisieren halte ich uebrigens nicht fuer das Duemmste.
Aber:
Es ist kein Zufall, dass (auch auf dieser Liste) das Bauen kleiner idealer 
Welten auf dem Reissbrett (Utopismus) ein gerne gerittenes Steckenpferd 
ist. Wir finden hier haeufig Jungs, die sich zum Oberingenieur einer ganzen 
Welt hochtraeumen. Das klingt abschaetziger als es gemeint ist, Spiele 
dieser Art koennen als Mittel gegen die Verwalter des Bestehenden sehr 
produktiv sein kann. Diese Verwalter leben naemlich u.a. davon, dass sie 
unsere, wie sie gerne eingestehen: mangelhafte Welt als die einzig 
moegliche stilisieren. Das ist vielleicht sogar der vorherrschende Typus 
von (legitimer) Herrschaft, dem wir heute gegenueber stehen. Sachzwaenge 
der verwalteten Welt und die sie verwaltenden Ingenieure sind allueberall, 
zu einem unangefochtenen Ausmass, das sich ihre Erzkritiker der Frankfurter 
Schule nicht vorgestellt haben.

Ja.

Dieses "Ja" halten wir mal fest!

Dagegen stehen nun also die kritischen Ingenieure, die bessere Gegenwelten 
basteln wollen.

Wollen sie ja nicht. Die meisten wollen einfach nur Freie Software
schreiben und nutzen und möglichst Geld damit verdienen. Wir hier mit
unserem politischen Blick sehen das Ganze als Keimform.

Also zunächst mal kann man durchaus auch uns [ox]ler als solche
"kritischen Ingenieure" verstehen und ausserdem gibt es eben sehr wohl
auch viele FSler die sich als Weltverbesserer verstehen (ca. ein Viertel
nach der Umfrage neulich) und der Rest ist wahrscheinlich so eng in
seiner Technowelt gefangen, dass er das für die Realität hält.

Sie lieben Science Fiction und Rollenspiele, das ist 
manchmal mythisch entrueckt, manchmal hochtechnisiert, gerne auch beides 
gemeinsam. Wie gesagt, darin steckt ein Potential, das ueber das Bestehende 
hinausweist.

Na ja, nicht jedes Aussteigen weist gleich - im emanzipatorischen
Sinne - über das Bestehende hinaus.

Siehe den Abschnitt "Selbstentfaltung und Spiel" in meinem "Notizen zur
Selbstentfaltung":
http://co-forum.de/index.php4?Notizen%20zur%20Selbstentfaltung

Gleichzeitig bleibt es aber erstaunlich gebunden an den 
Ingenieursethos der herrschenden Verwalter.

Wie? Die herrschenden Verwalter und Ingenieursethos? Das kann ich aber
gar nicht erkennen. Wo ist denn Schröder auch nur ansatzweise
Ingenieur-like z.B.? Der überlebt doch nur noch als - zugegeben:
bessere - Besetzung der Kanzlerrolle.

Es wäre ja geradezu zu wünschen, daß echtes Ingenieursdenken auch in
der Politik wieder eine Rolle spielen würde. 

Uh? Warst Du je in einem Fachbereichsrat in einem
ingenieurwissenschaftlichen Fachbereich? Dann wüsstest Du, das die
Hölle ein paar Grad kälter wäre, als die Gesellschaft, die uns diese
Herren bescheren würden.

Das wäre wohl das, was
Attac gerne will.

Hä? Also man wird mich sicherlich nicht als Verteidiger von Attac
finden, aber mit Ingenieursethos haben die nun wirklich nix am Hut,
oder? Was genau meinst Du denn da jetzt? Tobin-Steuer als Bugfix für
die Finanzmärkte?

Wenn mit Klauen und Zaehnen die 
kleine Linuxwelt als technisch besser (stabiler, freier und ueberhaupt 
besser) als die boese Windowswelt verteidigt wird, dann bleibt wirklich nur 
noch der Wettbewerb um die "pfiffigere Loesung" unserer Probleme, der Kampf 
darum, wer der bessere Ingenieur ist.

Auf einer sachlichen Ebene: Was ist daran falsch?

Schon die "sachliche Ebene" ist falsch. Es geht nicht um Sachen
sondern um Menschen. Und genau das ist es was die FS-Nerds und andere
Technokraten eben manchmal einfach nicht schnallen.

Und warum kann mensch die politische Ebene nicht auch ingenieur-mäßig
- - d.h. für mich vor allem: sachbezogen und kenntnisreich - betrachten?
Auch bei politischen Problemen sind pfiffige Lösungen immer gefragt -
oder? Was wäre die Alternative?

Um mit Deinen Konsensworten zu sprechen: "Lösungen, bei denen niemand
widersprechen muss". Dabei ist es scheissegal ob sie pfiffig sind, oder
nicht. Genauso ist es scheissegal ob eine Lösung "efizient" ist, wenn
dabei Menschen unter den Teppich gekehrt werden.

Aber vielleicht noch eine Frage: Was verstehst du denn unter
Ingenieursethos?

Für mich ist das ganze auch eine Variante der "Dialektik der
Aufklärung" (siehe "Selbstentfaltung und Aufklärung" in obigem Text). 

Ich verstehe Petras Einwurf "Schön, 
dann kann Mann sich ja im hiesigen Kontext der 'Kontrolle' der 
Gesellschaftsmaschine zuwenden" in diesem Zusammenhang als Kritik an der 
Tendenz, sich als pfiffigerer Ingenieur der Gesellschaftsmaschine zu empfehlen.

Jetzt flieg' ich ganz aus der Kurve. Daß es Leute in der Freien
Software gibt, die damit ihren Marktwert steigern (wollen) ist klar.
Aber um die geht's bei uns ja eigentlich nicht so zentral. Ägypten?

Wir hier machen doch genau das: Kapitalismus kaputt? [ox] repariert.
Ganz der Servicegedanke ;-)

3. Und Lust:
Da steckt die 'Selbstentfaltung' drin, die im Oekonux-Projekt ja eine 
wichtige Rolle spielt - und an der ist wirklich etwas dran. Erstmal aber 
kann ich mir schwer vorstellen, dass sie sich, wenn Zeit und technische 
Befaehigung fehlen,  so schnell einstellt.

Natürlich nicht. Lustempfindung ergibt sich hier aus der erfolgreichen
Anwendung von Fähigkeiten. Wenn entweder die Fähigkeiten oder die Zeit
zur Anwendung derselben fehlt ist's natürlich Essig mit der
Lustempfindung.

Ja und? Was ist jetzt mit denen die da runterfallen? 

Sie ist nicht nur 
intrinsisch ueber die Erfordernisse des jeweiligen Projekts bestimmt, 
sondern auch ueber externe Zwaenge dieser unserer heutigen Gesellschaften. 

Ja.

Aber das ist nicht der Freien Software anzulasten, sondern der
heutigen Gesellschaft, die nicht allen Menschen dieses Planeten diese
Chancen bietet. Und selbst wenn sie sie allen böte, würde die deswegen
noch nicht von allen wahrgenommen.

Es geht aber um Ausschlüsse, die FS _zusätzlich_ zu den
Defaultausschlüssen produziert. Darüber reden wir. Und das sind eben
die ganzen Dinge wie Nerdkultur, Wissen ist Macht, usw.

Die These ist ja weiterhin, dass darueber nicht nur Ausschluss aus 
FS-Projekten stattfindet, sondern dass auch innerhalb der Projekte 
Hierarchisierung genau ueber das Mass an 1-3 bestimmt ist.

Daß Maß an Einfluß ist über 1-3 bestimmt. Hierarchisierung finde ich
hier irreführend.

Es gibt also unterschiedlichen Einfluss aber keine Hierarchie? _Das_
finde ich irreführend.

Meritokratie 
("derjenige bestimmt ueber die Richtung des Projekts, wer am meisten dafuer 
leistet und das beste" - alles rein intrinsisch) ist die Ideologie, die die 
Bedingungen 1-3 verschleiert.

Wieso verschleiert sie die Bedingungen? Verstehe ich nicht. Für mich
sind das einfach zwei, voneinander unabhängige, richtige
Betrachtungsweisen.

Eine sozial eingegrenzte, jederzeit von allen änderbare,
vertrauensbasierte Leistungsbasis ist doch auch erstmal nichts
Schlechtes - oder? 

Was genau meinst Du denn mit "sozial eingegrenzt"? Wie bitte soll man
denn eine seit Jahrzehnten gewachsene Kultur "jederzeit von allen
ändern" können? Und die Frage die ich Dir schon mehrfach auch im
Zusammenhang mit der FK-Diskussion gestellt habe, und die Du IMHo
immer noch nicht beantwortet hast: "Woher kommt denn das Vertrauen?" 

Ist halt nicht direkt demokratisch, 

Das ist wahrscheinlich noch das positivste was man darüber sagen kann.

aber wenn du
das auf politische Prozesse überträgst, hast du über die
Vertrauensbasis und all das andere ja den Konsensprozeß schlechthin -
oder? Wenn ja: Wie könnte es besser / emanzipatorischer gehen?

In dem Macht nicht verschleiert wird, sondern benannt.

Die besten Seiten 
z.B. der buergerlichen Revolution allerdings sind die, in denen ihre 
Traeger sich ihrer Partikularitaet bewusst wurden und die neuen 
Ausschluesse und Hierarchien, die sie selbst produziert haben, reflektiert 
haben.

Nun, momentan kann ich jedenfalls nicht erkennen, wo das Motto
"entfalte dich selbst" jemenschen ausgrenzt. Da die Selbstentfaltung
der anderen wie einige hier glauben, ja die eigene Selbstentfaltung
begünstigt, gibt es auch ein Interesse aller, die Selbstentfaltung der
anderen zu fördern.

Gegen Selbstentfaltung hat ja niemand was. Nur ist die vielleicht ein
Moment bei FS aber eben nicht ihr alleiniger Antrieb. Für mich macht
es Sinn zu gucken, wo entfalten sich die Leute und dann kann ich auch
sagen, dass das bei FS durchaus vorkommt nur eben auch ein ganzer
Haufen Scheisse. Du scheinst mir oft den umgekehrten Ansatz zu haben:
FS ist was tolles also ist alles toll, was da passiert, also ist auch
Selbstentfaltung toll.

Grüße, Benni
________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


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