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Re: [ox] Notizen zur Selbstentfaltung



Hallo!

On Sun, Mar 03, 2002 at 05:24:37PM [PHONE NUMBER REMOVED], Stefan Merten wrote:
Ich habe übrigens heute begonnen, die Aufzeichnungen zu
digitalisieren. Jetzt wo die neue 80GB-Platte da ist ;-) .

Na, da bin ich ja schon schwer gespannt.

Einige sehr interessante Stellen möchte ich zwar mit Verspätung aber
dennoch kommentieren. Ich zitiere die entsprechenden Passagen
ausführlich. Bevor mir's wieder entfleucht auch vor StefanMz'
Kommentare gelesen zu haben.

Danke!

 Selbstentfaltung und Aufklärung

Das finde ich eine interessante Betrachtung, Selbstentfaltung zur
Aufklärung in Beziehung zu setzen!

Ja, interessant, das das Thema jetzt parallel auch im
"Geschlechterproporz"-Thread auftaucht.

Aufklärung wurde von Kant bezeichnet als ``die Befreiung des Menschen
aus selbstverschuldeter Unmündigkeit''. Das liesse sich durchaus auch
auf Selbstentfaltung anwenden.

Hmm... Die Mündigkeit klingt für mich erstmal nach einer Befreiung von
Herrschaft und evt. auch (Natur-)Notwendigkeit. Dabei bleibt's dann
aber auch stehen und der nackte Mensch mit seiner Freiheit im Regen.

Selbstentfaltung beschreibt für mich in diesem Raster mehr das, was
aus emanzipatorischem Denken der nächste Schritt sein müßte, nachdem
die Mündigkeit erreicht ist. Und das finde ich durchaus nicht a priori
klar.

Also für mich ist es auch eine Form von Unmündigkeit, die anderen zu
ignorieren, weil es bedeutet meine eigene Gesellschaftlichkeit zu
negieren. 

Bei Dir klingt das jetzt so, als sei da erst der Mensch, dann wird er
mündig und erst dann kommt die Gesellschaftlichkeit dazu. So meinst Du
das aber wohl nicht, oder?

Außerdem braucht man für eine
Gesellschaft, die auf Selbstentfaltung basiert, auch keinen Rückgriff
auf Götter, die natürlichen Feinde jeden Aufklärers, ja noch nicht mal
auf Moral, da es - ganz ähnlich wie im Liberalismus - jedes Menschen
Eigennutz ist, seiner Selbstentfaltung zu folgen.

Bingo! Die Moral brauchst du nämlich genau dann, wenn die Leute nackt
im Regen stehen!

Anders als im
Liberalismus wird jedoch die Selbstentfaltung der Anderen für mich
unmittelbar bedeutsam.

Und zwar - und das unterscheidet wirklich vom Liberalismus - in einer
*positiven* Rückkopplung.

Hier unterscheiden wir uns wohl. Für mich ist nur die Unmittelbarkeit
wichtig, Selbstentfaltung kann durchaus auch in negativer Rückkopplung
entstehen. So könnte man vielleicht auch das beschreiben, was ich in
der Freien Kooperation sehe: Eine negative Rückkopplung zur
Selbstentfaltung. Jetzt sind wir schon wieder beim leidigen Thema...

Zunächst sieht es also so aus, als sei
Selbstentfaltung die Fortführung der Aufklärung.

Yep! Das ist ja eine faszinierende Perspektive :-) .

Du gehst ja jeden rhetorischen Trick in meinem Text voll mit ;-)

Doch stimmt das wirklich? Es handelt sich bei Selbstentfaltung ja um
eine Einstellung, die Menschen gegenüber ihren Beziehungen zu anderen
Menschen einnehmen und zwar eine empathische Einstellung. Das
verallgemeinerte Ich versucht in einem wie auch immer gearteten
kommunikativen Prozeß zu erahnen, was denn ein der Selbstentfaltung
des Anderen entsprechendes vorgehen wäre.

Hier würde ich widersprechen. Wieso so megamäßig empathisch? Wieso
kann mensch sich denn nicht verständigen darüber, was meine / deine /
unsere Selbstentfaltung begünstigt? 

Du kannst Dich jetzt am Wort "empathisch" aufhängen, aber ich schrieb
ja sogar selber von "kommunikativem Prozeß". Da ist also garkein
Widerspruch.

Das ist doch vielmehr der Modus im
Kapitalismus, wo eben die ProduzentInnen die Vorlieben der
KonsumentInnen im Vorhinein erahnen müssen. 

Also "empathie" hatte für mich in diesem Kontext nix mit "erahnen" zu
tun. Aber die Wortwahl scheint tatsächlich ungeschickt zu sein, wenn
Du das so interpretiert hast.

In der ``Dialektik der Aufklärung'' bezeichnen Horkheimer und Adorno

Noch was, was mir fehlt :-( .

Unbedingt lesen! Ein echter Augenöffner gerade für Ingenieure wie Dich
und Mich. Allerdings wirklich kein leichtes Brot. Aber lohnt sich.
Eines der besten Bücher überhaupt IMHO.

Aufklärung meiner Interpretation nach als dem widersprechend, da sie
ein Prozeß der immer größeren Distanz zu den Dingen und letzten Endes
auch zu den Menschen ist: ``Ihr Ideal ist das System, aus dem alles
und jedes folgt.''

Vielleicht ist das ja auch nur der Überschwinger nach einer religiösen
Zeit?

Nein, das ist ja heute noch immer so. "Theory of everything" ist
immernoch topaktuell und nicht nur in der Physik. 

Dann verwundert es auch nicht, daß eine aufgeklärte
Gesellschaft eine ist, die auf dem Individuum und seinem Eigennutz
basiert.

Ich finde das nicht naheliegend. Wie geht der Schluß?

Hm. Ja, vielleicht etwas hoppladihopp. Ungefähr so: Durch zunehmende
Distanz, entfernen sich die Menschen immer weiter voneinander, so dass
am Ende nur noch ihr Eigennutz bleibt. Leibniz, Selber Früh- und
Oberaufklärer, hat das dann zugespitzt in seinem monadischen Weltbild.
Gott als Obermonade ist da dann das "System, aus dem alles und jedes
folgt,"

Jetzt klarer? Vielleicht muss ich das noch etwas explizieren im Text.

Dem gegenüber steht der Mythos und die Zauberei., die mit
Nachahmung (Mimesis) sich versucht in das Objekt - ob Mensch, Tier,
Pflanze oder Ding - hineinzuversetzen um so die eigene
Handlungsfähigkeit zu verbessern.

Na ja, Anwendung von Naturgesetzen (vulgo: Technik) ist aber auch
nicht wesentlich vom Hineinversetzen unterschieden - eben in andere
Kategorien als bei vorherigen Wissenschaftssystemen.

IMHO falsch. Ein Verstehen von Natur auf dem Umweg über Naturgesetze
setzt ein Distanz des Beobachters zum Experiment voraus. Das gilt auch
noch für die Quantentheorie, nur dort muss man halt auf statistische
Aussagen ausweichen.

Und genau das ist es ja, was
Selbstentfaltung als empathische Praxis versucht.

Hmm... Na ja, ein gewisses Hineinversetzen in die anderen ist
natürlich schon von Vorteil. Vielleicht ist das doch ein bißchen
empathisch. Na ja, das klingt für mich irgendwie so magisch /
intuitiv. 

Hm, vielleicht ist die Wortwahl doch geschickt ;-) Es geht ja gerade
um das Magische.

Aber wahrscheinlich ist es in vielen Fällen auch technisch.

Technisches hineinversetzen? Was meinst Du denn damit?

Grüße, Benni
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Organisation: projekt oekonux.de


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