Message 04647 [Homepage] [Navigation]
Thread: oxdeT04647 Message: 1/2 L0 [In index]
[First in Thread] [Last in Thread] [Date Next] [Date Prev]
[Next in Thread] [Prev in Thread] [Next Thread] [Prev Thread]

Re: [ox] Re: Geschlechterproporz und GPL-Gesellschaft



[1  <text/plain; ISO-8859-1 (quoted-printable)>]
Hallo,

das ist ja ein interessanter Thread, der sich da auftut! Zumal wir ja auf dem 
Workshop in Kaiserslautern auch irgendwie auf dieses Problem gestossen sind.

Ich kann ja mal sagen, wie sich das aus meiner Sicht im Lichte einer Theorie 
der freien Kooperation darstellt ... das löst vielleicht ein paar der 
Widersprüche.

Grundsätzlich gibt es in einer freien Gesellschaft natürlich keinen Zwang, 
dass sich alle an allem beteiligen müssen, und dass in allen Bereichen die 
Menschen entsprechend ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung vertreten sein 
müssen - die Menschen können machen, was sie wollen. 

Aber.

Erstens: wenn eine Gruppe (und Frauen wie Männer sind nun mal eine Gruppe, 
weniger wegen der Biologie, sondern wegen der Geschichte: die Geschichte der 
Geschlechtertrennung ist ein Fakt, sie wirkt und hat weiter eine Geschichte, 
egal was wir erst mal machen in der Zukunft) - wenn eine Gruppe also in einem 
Bereich deutlich unterrepräsentiert ist, dann ist das erst mal ein Indiz. Ein 
Verdachtsmoment, dass hier möglicherweise keine freie Kooperation vorliegt, 
sondern Formen von Ausschluss vorhanden sind. Denn, und das werde ich ja 
nicht müde zu betonen, der Teufel ist ein Eichkatzel und das Böse ist immer 
und überall, und wir werden nie einen Zustand erreichen der herrschaftssicher 
ist, wo also Herrschaft, ungleiche Macht, Ausschluss usw. zuverlässig und für 
alle Zeiten abgeschafft sind. Ungleichheit und Herrschaft können immer 
entstehen, sie mögen sich mehr spontan bilden aus asymmetrischen 
Arbeitsteilungen oder sie mögen halb bewusst, halb faktisch akzeptierend 
ausgebildet und verstärkt werden - es passiert und muss immer wieder aktiv 
zurückgedrängt werden. Deshalb ist ungleiche Partizipation ein Indiz, dass 
was faul sein kann. Muss nicht. Aber kann. Und ist meistens.

Zweitens. Wenn mehr Männer als Frauen in einer freien Gesellschaft kochen 
oder Bilder malen, ist das weniger bedenklich, als wenn es um Bereiche geht, 
die in der Verwertungskette von Arbeit - oder wenn ihr das lieber nicht sagen 
wollt für eine freie Gesellschaft, dann in der Organisation der 
gesellschaftlichen Arbeit - relativ weit "oben" stehen - oder sagen wir 
einfach, Bereiche, die gesellschaftlich ziemlich wichtig und einflussreich 
sind und ohne deren Arbeit die anderen nicht so gut können. Dann geht es 
nämlich um Macht. Dass es in solchen Bereichen keine deutliche 
Unterrepräsentation von Gruppen gibt, ist dann wichtig und eine Sache, an der 
ein gemeinsames Interesse besteht - ein gemeinsames politisches Interesse, 
nicht unbedingt ein persönliches. Deshalb macht Quotieren hier durchaus Sinn, 
nebst anderen Instrumenten etc., weil es hier um Bedingungen freier 
Kooperation geht. Ist wie mit der Polizei oder mit der Zentralstelle zur 
Registrierung von Umweltgefahren: die sollten in einer gemischten 
Gesellschaft auch nicht bloß aus weißen Männern bestehen. Und man muss sich 
aktiv drum kümmern, dass das nicht so ist. Auch wenn das vielleicht gar nicht 
so einfach ist, weil erstmal keiner will etc. (Die Gründe für so was sind ja 
bekannt: wenn ein Bereich unter Ausschlussbedingungen aufgebaut wurde, dann 
passen die "Anderen" da objektiv wie subjektiv erstmal nicht so gut rein. 
Nützt aber nichts.)

Drittens: die Partizipation ist, wie alles, auch eine Sache der Verhandlung. 
Persönlich finde ich Kooperationen auch nicht so spannend und gut, wenn sie 
extrem einseitig besetzt sind. Auch das ist ein Grund, zu verhandeln, wieso 
das denn nicht anders sein kann. Da kommen dann meistens auch Gründe zum 
Vorschein. Also, auch wenn sich die Verdachtsmomente auf Ausschluss nicht 
erhärten lassen (da ginge es um das Interesse derer "draussen"), und auch 
wenn es kein machtrelevanter Bereich ist (da geht es um das Interesse aller, 
die eine freie Gesellschaft und freie Kooperation wollen), kann es trotzdem 
für mich so sein, dass ich in einer einseitig besetzten Kooperation nicht so 
gern arbeiten, leben etc. mag (das ist dann das Interesse derer "drinnen"). 

Aus all dem ergibt sich, dass der Frage, wieso FS so schlechten 
Geschlechterproporz hat und wie sich das ändern lässt, weiter nachzugehen 
ist, und dass hier auch Initiativen gefragt sind. Ich finde "FS für 
Frauen"-Kampagnen, -Seminare, -Workshops etc. überhaupt nicht albern, wenn 
das ersthaft gemeint ist und wenn es die Bereitschaft signalisiert, auch 
darüber zu verhandeln, was an der eingeschliffenen Praxis möglicherweise 
geändert werden muss. 

Beste Grüße,

Christoph


[2  <text/html; ISO-8859-1 (quoted-printable)>]

________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


[English translation]
Thread: oxdeT04647 Message: 1/2 L0 [In index]
Message 04647 [Homepage] [Navigation]