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Re: [ox] Re: Freiheit und Grundsicherung (was: Urheberrecht und Wissenschaft)



Hallo Reinhard, hallo Listen.

Ich antworte noch ein letztes Mal mit Crossposting, schlage aber vor,
dass wir die Diskussion danach auf liste oekonux.de weiterführen, weil
es da am besten zum Thema passt und ich niemanden mit Sachen nerven
will, den es nicht interessiert. Wie man sich einträgt, steht auf
www.oekonux.de.

On Wed, Apr 24, 2002 at 07:11:37PM [PHONE NUMBER REMOVED], Reinhard Wiesemann wrote:
Am Mittwoch, 24. April 2002 13:40 schrieb Benni Baermann:
On Wed, Apr 24, 2002 at 09:43:05AM [PHONE NUMBER REMOVED], Reinhard Wiesemann wrote:
a) eine freie Grundversorgung existiert schon seit langer langer Zeit in
Deutschland. 
...
Du beschönigst. Vielen ist die Sozialhilfe zum Sterben zu viel und zum
Leben zu wenig. Ausserdem ist sie mit enormer und zunehmender
Stigmatisierung ("Faulenzerdebatte") sowie enormem bürokratischen
Aufwand verbunden und an vielfältige Bedingungen geknüpft. Das geht
soweit, dass in D inzwischen eher ein Zwang zur Arbeit als ein Recht
zu leben besteht. Und noch schlimmer wird es, wenn man Leute, die
keinen gesicherten oder einen prekären Aufenthaltsstatus haben mit
einbezieht. Und ganz abwegig wird Deine Behauptung, wenn man die
globale Perspektive hinzuzieht und das ist IMHO heute die einzig
sinnvolle.

Ich halte meine Behauptung für richtig, auch nachdem ich Deine obenstehende 
Erwiderung gelesen und, soweit ich das beurteilen kann, verstanden habe. Du 
bezweifelst meine Aussage "Grundversorgung für alle existiert in Deutschland" 
überhaupt nicht, sondern behauptest lediglich Unperfektionen an den Rändern 
der Aussage ("gilt nicht außerhalb Deutschlands" und "ist für viele Personen 
innerhalb Deutschlands lästig"). Wir scheinen in diesem Punkt wohl einer 
Meinung zu sein.

Nein, ganz und garnicht. Es gibt Formen von "Unperfektion", die
einfach die ganze Behauptung diskreditieren. Das ist wie zu behaupten,
Windows sei im wesentlichen Fehlerfrei und habe nur "Unperfektion an
den Rändern" ;-)

Und zum Thema "ausserhalb Deutschlands" habe ich ja gerade versucht zu
sagen, dass man das Thema eben nicht sinnvoll nur auf Deutschland
(oder irgend ein anderes Land) beschränkt behandeln kann.

b) Wenn man über die Grundversorgung eine Ebene hinausgeht, dann müssen
zwei weitere Probleme gelöst werden:

b1) Ganz viele Menschen sind vom Druck gesteuert. Wenn sie Beiträge zur
Gemeinschaft liefern sollen, dann muß da in irgendeiner Form Druck oder
Anreiz sein.

Ganz viele Menschen sind vom Druck gesteuert, weil sie ihr Leben lang
unter Druck standen. Freie Software zeigt doch gerade, wozu Menschen
in der Lage sind, wenn man sie machen lässt, worauf sie Lust haben.

Hier erweiterst Du die Fragestellung. Meine Aussage beschäftigte sich nur mit 
der Beobachtung, _daß_ ganz viele Menschen vom Druck/Anreiz gesteuert werden. 
Du überlegst, wie es dazu gekommen ist und wie man es ändern kann.

Insofern sind wir auch hier kaum voneinander entfernt: Ich meine, solange die 
Menschen eben von Druck/Anreiz gesteuert sind, brauchen wir ein System, das 
diese Tatsache berücksichtigt. Gleichzeitig habe ich aber überhaupt nichts 
dagegen und plädiere gern auch heftig dafür, daß man in Ausbildung und 
gesellschaftlichen Umgangsformen dringend dazu kommen sollte, Druckstrukturen 
unnötig zu machen. Sobald wir soweit sind, bin ich unter den ersten, die eine 
erneute Systemänderung fordern.

Der Witz liegt doch aber genau darin, dass jede Form, die
"Druckstrukturen" berücksichtigt sie immer auch reproduziert. Wenn man
die Frage also wirklich ernsthaft angehen will bleibt einem nix
anderes übrig, als diese Strukturen offensiv zu beseitigen und nicht
nur da wo es die Druckstrukturen nicht stört auch tolleranterweise
druckfreie Strukturen zuzulassen.

...
b2) Ganz viele Dinge sind knapp. Es muß irgendwelche Kriterien geben,
warum der eine die Fabrik leiten und besitzen darf und nicht der andere.

"Leiten und Besitzen einer Fabrik" ist nichts, was getan werden muss.
Das ist umgekehrt schon Folge des Systems.

Das sehe ich anders. Wenn Du mir helfen willst, Deine Sicht zu verstehen, 
dann müßtest Du erklären, welchen Mechanismus Du installieren möchtest, um zu 
entscheiden, welcher der 80 Millionen Deutschen z.B. die Imbißbude im Essener 
Hauptbahnhof leiten und besitzen sollte.

Einen ähnlichen nach dem auch entschieden wird, welcher von den
Tausenden Entwickler Freier Software ein konkretes Projekt macht,
sprich: Im wesentlichen, wer Bock drauf hat bzw. ein konkretes Problem
damit, dass es keine Würstchen im Essener Hbf gibt. Btw: Ich hab
zufälligerweise tatsächlich vor nicht allzulanger Zeit an genau dieser
Imbißbude ein Würstchen vertilgt und kann nur sagen, wenn das eine
Freie Würstchenbude gewesen wäre, hätte das bestimmt besser
geschmeckt. Zum Glück war ich sehr hungrig, ...

Viele Dinge werden künstlich verknappt und das betrifft bei weitem
nicht nur immaterielle Güter, nur ist es dort am offensichtlichsten.

Diesen Gedankengang verstehe ich nicht: Ich spreche davon, daß man sich 
Gedanken über die Verwaltung knapper Güter machen muß und Du sagst, daß nicht 
alles knapp ist.

Das macht dann Sinn, wenn es eine Tendenz gibt, dass immer weniger
Güter knapp sind und das man daran auch aktiv arbeiten kann, dass
diese Tendenz verstärkt wird. Beides halte ich für möglich. Ausserdem
kann man unterscheiden zwischen "Knappheit" und "Begrenztheit". Siehe:
http://co-forum.de/index.php4?Knappheit

Doch, zugegeben: Sicherlich wird es immer Ressourcenbegrenzungen
geben, nur ist unser heutiges Geld- (besser: Wert-) System alles
andere als eine rationale Steuerung dieser begrenzten Ressourcen. Im
Gegenteil werden wirklich begrenzte Ressource verblasen und
verschwendet wohingegen weniger begrenzte künstlich knapp gehalten
werden.

Auch der Gedankengang ist mir unklar: Aus der Tatsache, daß ein System nicht 
perfekt funktioniert, schließe ich nicht auf sein allgemeines Ungeeignet-Sein.

Nun, das ist eben eine Frage der Sichtweise. Ich denke, dass unser
System eben in enormen (und historisch einmaligem) Umfang Ressourcen
verschwendet und Elend produziert und das es bessere Möglichkeiten
gibt.

Zugegeben, die Marktwirtschaft funktioniert tatsächlich, allerdings
sind die Massgaben dieser Funktionsweise nicht die Menschen und ihre
Bedürfnisse sondern nur eine Regel: Aus Geld mehr Geld machen.
Menschen kommen darin nur als notwendiges Übel vor.

Laß Dich doch mal auf das Denkmodell ein: In der Marktwirtschaft geht man 
davon aus, daß der Austausch von Geld den Ausdruck von Zustimmung eines 
Menschen einem anderen gegenüber impliziert. 

Nun, komischerweise kriegen die Leute, denen ich am meisten zustimme
am wenigsten Geld von mir und diejenigen, denen ich am wenigsten
zustimme am meisten. Ich weiss das und kann da nur sehr begrenzt was
dran ändern. Was nun?

Die Tatsache, daß das nicht 
perfekt funktioniert, widerspricht dem Modell nicht. Kennst Du die Bedeutung 
von Modellen in der Wissenschaft?

Ja, sehr gut. Mich interessieren aber nur Modelle, die passen. Das
Modell "Marktwirtschaft" passt nicht, weil es eben von wesentlichen
Dysfunktionalitäten, die real existieren, ablenkt und sie als
"Ausnahme" darstellt, in Wirklichkeit sind diese Ausnahmen aber die
Regel und notwendige Bedingung der Funktion von "Marktwirtschaft".

c) Für diese beiden Probleme kenne ich nur zwei Lösungsalternativen.
Entweder

c1) werden Gremien oder Einzelpersonen in die Machtposition versetzt,
über Menschen und Dinge zu bestimmen. Dann muß man sich mit denen gut
stellen, ist abhängig von ihnen. Oder

c2) man akzeptiert Geld als eine Methode, bei der Zwangs-Abhängigkeiten
aufgehoben sind. Plötzlich wird es egal (innerhalb der gesetzlichen
Grenzen), wie ich mein Geld verdient und wer es mir gegeben hat. Es
besteht Konsens darüber, daß ich mich niemandem gegenüber rechtfertigen
muß, ...

Diese "Freiheit" erkaufen wir uns damit, dass wir alle gezwungen
werden, zwar nichts bestimmtes, dafür aber alle das selbe zu tun,
nämlich aus Geld mehr Geld zu machen.

Wenn Du Deine Gedanken so konzentrieren würdest, daß sie konsistent innerhalb 
irgendeines Gesamtmodells blieben, dann könnte ich besser argumentieren. 
Tatsächlich pendelst Du zwischen "innerhalb" und "außerhalb" des 
marktwirtschaftlichen Modells.

Ich bleibe sehr wohl innerhalb eines mehr oder weniger konsistenten
Modells, nur ist es eben nicht Deins.

Innerhalb des Modells würde ich auf o.g. Satz erwidern, daß Geld ein Ausdruck 
für Zustimmung eines anderen Menschen ist. Insofern verdiene ich die durch 
Geld erlangte Freiheit indem ich irgendwas tue, das anderen Menschen gefällt. 
Dein Satz ist also ein Argument _für_ die Geldwirtschaft.

Außerhalb des Modells weiß ich erst dann zu argumentieren, wenn Du mir eine 
Hilfestellung gibst, welches Alternativmodell Du denn für die Diskussion 
zugrunde legen möchtest.

Dies führt auf eine gedankliches Grundproblem, das ich mit Deiner Antwort 
habe: Deine Argumentation erscheint mir einseitig auf Ablehnung des 
Bestehenden ausgerichtet, ohne daß Du mir eine durchdachte und ausformulierte 
Alternative vorstellst.

Eines, dass u.a. auf den Prinzipien Freier Software beruht. Aber ich
wehre mich auch dagegen, dass man nur kritisieren dürfe, wenn man eine
Alternative anbieten kann. Wenn dem so wäre, würde sich nie was ändern.

Vielleicht kannst Du mir hier helfen, falls Du die Diskussion fortsetzen 
möchtest.

Gerne, nur halt bitte auf [ox], weil wir auf den anderen Listen schon
ein bisschen OT sind inzwischen.

Grüße, Benni
________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


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