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Re: [ox] Freie Software und Wissenschaft



Hallo!

ok, also mal wieder FS & Wissenschaft. Wir hatten das Thema schon oft,
aber mir wird gerade glaub ich einiges Neues dazu klar:

On Sun, Jul 07, 2002 at 09:45:36AM [PHONE NUMBER REMOVED], Franz J. Nahrada wrote:
liste oekonux.de schreibt:
Irgendwie habe ich das Gefühl, daß diese Vergleichsrichtung in die
Irre führt. Entscheidender scheint mir die geistige Arbeit, die beiden
Entitäten gemeinsam ist. Das scheint mir auch im Begriff der
Verwissenschaftlichung gemeint zu sein.

Meine Einwände waren zugegeben am aktuellen Wissenschaftsbetrieb und
nicht so sehr am Prinzip Wissenschaft orientiert. Ich denke aber
nicht, dass man das trennen kann. Doch dazu unten noch mehr.

Seh ich auch so. Freie Software tut genau das, was Wissenschaft und Kunst
idealtypischerweise tun sollten und auch zuweilen getan haben. 

Das genau sehe ich nicht so. Es stimmt schon, Freie Software hat ihre
Wurzeln in der Wissenschaft, aber sie geht darüber hinaus. In welchem
Sinn?

Wissenschaft ist nichts anderes als Aufklärung pur - und hat damit die
selben Probleme wie diese, sie ist immer auch der Mythos, den sie zu
bekämpfen angetreten ist und sie droht immer in Barbarei umzuschlagen.
Im weiteren Sinne Kritische Wissenschaft versucht genau diese Probleme
mit den Mitteln der Wissenschaft selber in Griff zu kriegen und
teilweise gelingt das durchaus. Bestes Beispiel ist ja die "Dialektik
der Aufklärung" selber.

Aber: Kritische Theorie (ich meine damit nicht nur die Frankfurter
Schule, sondern jede Theorie mit emanzipatorischem
Erkenntnisinteresse, die ihre eigenen Entstehungsbedingungen
reflektiert) findet ihre Grenze eben dann, wenn sie nur Theorie
bleibt. 

Und eben diese Beschränkung hat Freie Software nicht (dafür andere).
Dies wird für mich theoretisch wiederum greifbar im Begriff des
Spiels. Freie Software ist spielerisch. Das war es, was ich in
"Notizen zur Selbstentfaltung" versucht habe klar zu machen: 
http://co-forum.de/index.php4?Notizen%20zur%20Selbstentfaltung

Wissenschaft ist nicht spielerisch. Sicherlich gibt es auch in der
Wissenschaft spielerische Momente, aber sie lebt nicht davon. Sie lebt
von harter, nervtötender, disziplinierter Arbeit in harten,
nervtötenden, disziplinierten Institutionen unter harten,
nervtötenden, disziplinierten Bedingungen. Deswegen meine Kritik am
Wissenschaftsbetrieb. Der ist nämlich kein Zufall und historisch
kontingent, sondern direkt aus dem aufklärerischen Wesen von
Wissenschaft geboren. Wie das?

Es gibt keine Wissenschaft ohne Reproduzierbarkeit. Die Erzeugung von
Reproduzierbarkeit jedoch ist notwendig hart, nervtötend und
diszipliniert. Wer jemals in einem Labor gearbeitet hat, wird wissen,
was ich meine. Oder theoretischer formuliert: Aufklärung will das eine
System, das alles erzeugt. Deswegen muss jeder denkbare
Wissenschaftsbetrieb systematisch sein und in dem Sinne, wie er
systematisch ist, ist er nicht mehr spielerisch und eben hart,
nervtötend und disziplinierend.

Doch halt! Beruht nicht auch Freie Software auf Reproduzierbarkeit?
Natürlich tut sie das. Sogar in viel stärkerem Masse als herkömmliche
Wissenschaft. Wärend dort schon eine statistische Reproduzierbarkeit
ausreicht, ist bei Software das exakt selbe Verhalten gewünscht. Alles
andere ist ein Fehler. Der Clou ist aber, dass die digitale Kopie die
Bedingungen der Reproduzierbarkeit quasi umsonst mitliefert.
Reproduzierbarkeit wird also quasi wegrationalisiert. Von der
Wissenschaft wird tendenziell alles harte, nervtötende und
disziplinierende weggelassen und übrig bleibt das spielerische. Das
ist im übrigen ein sehr zweischneidiges Schwert. Denn eine
vielgeäusserte Kritik an unseren Gedanken ist ja oft gerade, dass
Software unsinnlich sei und deshalb antiemanzipatorisch. Das das
Systematische dem Arbeitsgegenstand eben schon eingeschrieben ist. Das
ist auch zu einem gewissen Grad richtig. Ich kann dem immer nur
entgegenhalten, dass Software und das arbeiten damit meiner eigenen
Erfahrung nach auch sinnlich sein kann.

Wichtig wird diese Frage zum Beispiel auch dann, wenn wir uns fragen,
was das eigentlich ist, was wir hier bei Oekonux machen. Ist das
Wissenschaft? Wollen wir, dass es als solche anerkannt wird? Ich würde
dem ein ebenso schallendes wie stolzes "Nein, blos nicht!"
entgegenschmettern.

Die Trennung
von analytischer Wissenschaft und Fertigkeiten, angewandter Wissenschaft
ist eigentlich unsinnig. Sie hat ihre Realität im heutigen
Wissenschaftsbetrieb,
aber der ist ja in vieler hinsicht irrational. FS ist eigentlich eine
Reaktion,
die Wissenschaft mit Anwendung wieder zusammenbindet.

Auch hier gilt: Die Trennung von Wissenschaft und Anwendung ist ihre
notwendige Bedingung. Unter Anwendungsbedingungen gibt es keine
wissenschaftliche Reproduzierbarkeit.

Vielleicht wird die Aussage noch plastischer wenn man auch die
hypothetische
Überschrift "FS ist keine Kunst" einbezieht und durchdenkt ;-)

Oh ja! Unbedingt. Ich sag ja immer, Kunst war gestern ;-)
Wenn ich mich richtig errinnere hab ich dazu auch schonmal was
geschrieben...

Da tauchen noch deutlichere Fragezeichen auf.

Aber vielleicht taugt so der Vergleich doch ein wenig zum Erkenntnisgewinn.
Wie wärs mit Fragezeichen?
FS hat was von Wissenschaft, von Kunst, von Hobby und so weiter....

Ja. Mehr davon!

Grüße, Benni

________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


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