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Re: [ox] leben ohne geld: heidemarie s. :: u.a.



Lieber Karl,
ich finde, daß der alte Interview- Text, den du mal wieder ausgegraben hast, nicht
(mehr) viel bringt, wenn es um eine ernsthafte Diskussion über das Experiment "Leben
ohne Geld" geht. Ich habe dich ja gerade erst besucht und mit dir darüber gesprochen,
wie wenig Heidemarie und das Projekt mit dem Gedanken des Aequivalenttausches zu tun
hat - sie nennt es deshalb schon lange "Gib und Nimm!". Es geht ihr darum, sich über
seine unmittelbare gesellschaftliche Einbindung klar zu werden, um Austausch,
Integration, nicht um Tausch.
Meine Kooperation mit ihr habe ich in der Liste auch in einem ganz anderen
Zusammenhang erwähnt: Es ging da um die Schwierigkeit, gute Projekte mit anderen zu
teilen, auszutauschen und aus der Isolation der Einzelkämpfer herauszukommen.
Mein konstruktiv gedachter Beitrag war eben der Hinweis auf eine gelingende
Kooperation, weil beide Beteiligten unterschiedliche Bedürfnisse und Interessen dabei
haben, die aber nicht gegeneinander gerichtet sind sondern gut zusammenpassen- also
ein treffendes Beispiel für Selbstentfaltung auf der Basis der Selbstentfaltung der
andern (freie Kooperation): Sie als Prominente wird viel eingeladen und wünscht sich
Unterstützung- ich kann meine eigenen Ideen unter die Leute bringen, während ich
alleine nie eingeladen würde.

Inhaltlich versteht Heidemarie ihr "Leben ohne Geld" als Experiment (das ursprünglich
auf ein Jahr begrenzt war). Wie bei jedem Experiment geht es nicht darum, alles auf
einmal radikal zu verändern, sondern gezielt einige unabhängige Variablen zu bestimmen
und andere Bedingungen konstant zu halten.
Sie hatte beschlossen, ihren gesellschaftlichen Austausch autonom ohne die Geldlogik
zu organisieren - natürlich mitten in einer Gesellschaft, die total unter der Geld-
und Wert- Verwertungslogik funktioniert. Die Schnittstellen zur herrschenden Logik
sollten in konzentrischen Kreisen möglichst weit nach außen verlegt werden. In diesem
selbstbestimmten relativen Freiraum wollte sie die praktischen Veränderungen für ihr
Leben studieren. Das Ergebnis war, daß sie in dieser experimentellen Lebensform eine
neue Lebensqualität entdeckte, die sie veranlaßte,  ihren Versuch weiter fortzusetzen
und in Medien und  Vorträgen davon zu berichten.
Es geht dabei weder um ein Subsistenz- Modell noch um Askese als Selbstzweck und schon
gar nicht um die Guru- hafte Kreation eines neuen Lebensstils, um Jünger zu "machen".
Sie greift vielmehr mit ihrer Verweigerung der Geldlogik ein zentrales Tabu unserer
Gesellschaft an, drückt ein weitverbreitetes Unbehagen bis massives Leiden der Leute
aus und durchbricht durch ihre mutige Praxis exemplarisch die allgemeine politische
Lähmung. Sie verzichtet auf das zentrale Verführungs- und Zwangs-Mittel (Geld) und den
damit verbundenen juristischen Anspruch, um an die Arbeit der anderen zu kommen, und
entdeckt so die soziale Zuwendung der anderen und auch ihre eigene Wichtigkeit für die
anderen- also eine andere Qualität von Gesellschaft als die sekundäre der Geldlogik,
die alle andern und damit mich selbst funktionalisiert.
Sie setzt der herrschenden Totalität ihre eigene praktische Definiton von Leben,
Arbeiten, Kommunizieren entgegen und ermuntert andere Menschen dazu, sich an
irgendeiner selbstgewählten Stelle des Systems mit einer autonomen Entscheidung der
Fremdbestimmung zu entziehen.
Leider geht es in den Veranstaltungen auch immer ein Stück darum, neugierige Fragen zu
Details aus Heidemarie´s  "skurrilem" Leben zu beantworten, aber trotzdem bin ich
immer wieder begeistert, wie intensiv, kontrovers und fachkundig die regelmäßig
aufkommenden Diskussionen sind. (Übrigens stellen wir dabei auch immer das Thema von
"Oekonux" vor). Sie laufen nicht nach dem nervtötenden  Muster der linken Insider-
Kämpfe um die richtige Linie ab oder werden als dogmatische Belehrungen empfunden (WIR
kennen das Wesen - IHR nur die Erscheinungen), von dem sich die Menschen
verständlicherweise mit Grausen abwenden. Oft berichten Teilnehmer von eindrucksvollen
eigenen Erfahrungen, Kontakte werden geknüpft, spontane Experimente gemacht (z.B.
hatten die Besucher einer VHS- Veranstaltung statt Eintritt viel zum Essen und Trinken
mitgebracht: es gab ein freies Buffet und interessante Kontakte für alle).
Es entsteht immer wieder ein bunter Austausch von Erfahrungen, Positionen und
Emotionen , fast immer Gespräche hinterher, Einladungen usw.
Genau das ist übrigens mein politisches Motiv bei der Sache: Wir Linke müssen dringend
raus aus dem Ghetto der Besserwisserei und theoretischen Vereinheitlichung . Wir
müssen zu aller erst einsehen, daß wir mit unseren traditionellen Analysen und
Strategien der Menschheit im Moment nichts zu sagen haben. Statt alte Weisheiten zu
verkündigen (und uns zu wundern, daß die Kirchen leer bleiben), sollten wir alle Sinne
schärfen, zuschauen, zuhören, mit allen über alles ins Gespräch kommen, sensibel nach
"Keimformen" suchen, uns gegenseitig zu Experimenten ermutigen, genau schauen, was wir
voneinander lernen können usw.
Wer glaubt, daß nur jahrelanges Studium der (richtigen!) Theorie zur Teilnahme am
Projekt der Emanzipation berechtigt, der hat schon verloren.
Wer Lust hat (und es wichtig findet) mit anderen Menschen in Kontakt zu kommen, um
diese in eine politische Diskussion zu verwickeln, der möge mit uns Kontakt aufnehmen
und zusammenarbeiten.
Vielleicht gelingt es in einer solchen freien Kooperation, die Bedürfnisse aller
Beteiligter (wenigstens erst einmal für einen spannenden Abend oder einen Anfang) zu
befriedigen.
Tschüs!
Uli
([PHONE NUMBER REMOVED])




________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


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